Den Aufsatz kommentieren Ein politisches Projekt für die "Mehrheit links der Mitte"Drei Beiträge zur Neuformierung der demokratischen Linkenvon Stefan Janson Nach dem anstehenden Gründungsparteitag der neuen Partei wird es die Aufgabe der gesamten demokratischen Linken sein, über die Feststellung der Schnittmengen zwischen WASG und Linker.PDS hinaus die Dissenzpunkte zu klären, die einer belastbaren gemeinsamen Perspektiven der Gesamtlinken entgegenstehen. Neben einer politischen Organisation bedarf es dazu eines gesellschaftlichen Projektes, einer "konkreten Utopie", für die eine politische Mehrheit in der Bevölkerung gewonnen und mobilisiert werden kann. Ich bin überzeugt, dass die neue Linke in Gründung eine solche Partei ist. Sie ist mehrheitlich auf die Verteidigung des demokratischen, rechtsstaatlichen Sozialstaats ausgerichtet und kann als solche auf dieser bewußtseinsmäßig immer noch hegemoniefähigen Grundlage die Erwartungen der Opfer des sozialen Abbruchsunternehmens "Rot-Grün" pp. erfüllen. Sie wird die Vakanz ausfüllen können, die nach der neoliberalen Implosion der SPD zurückgeblieben ist. Diese demokratische Linke wird die eigentliche Hüterin und Verteidigerin des Kompromisses zwischen Arbeiterbewegung und bürgerlichen Klassen sein, der seinen Ausdruck in Art. 20 der Verfassung gefunden hat. Damit sind aber vorerst sektiererische Abwege in der deutschen Linken abgewiesen, kann die Lösung linker sozialdemokratischer und sozialistischer Kräfte aus dem neoliberalen Gehäuse der real existierenden SPD auf Dauer gelingen. Sicher ist es spekulativ, ob dieser Kompromiss erhalten bleiben kann. Angesichts der politischen Kräfteverhältnisse ist das ein sehr ambitioniertes Vorhaben. Aber dennoch, gegen den Rollback muss die Linke kämpfen. Und immer bleibt die Frage nach dem politisch hegemoniefähigen Projekt. Dass sich mit der Bildung der Partei "Die Linke" die ernstzunehmende reformistische Linke endlich formiert, ist nicht zum Geringsten das Verdienst von Gerhard Schröder und der von seiner Generation geprägten SPD-Führung der 80er und 90er Jahre des letzten Jahrhunderts. Die drei hier vorgestellten Bücher werden im Hinblick auf die Frage rezensiert, ob und wenn ja, welche Beiträge sie leisten für den weiteren programmatischen Klärungsprozess, dessen Ausgangspunkt in den Resultaten der rot-grünen Bundesregierung, dessen Perspektive aber noch in der dunklen Zukunft liegt. Aufstieg und Krise dieser Generation Schröder ist Titel und Thema des Buches von Thörmer/Einemann. Insbesondere Heinz Thörmer, der unter tragischen Umständen unmittelbar nach Fertigstellung des Manuskripts im Oktober 2006 verstorben ist, war jahrzehntelang Begleiter, Kommentator und politischer Analytiker dieser Generation von Sozialdemokraten. Er hat durch seine Hintergrundarbeit wesentlich zum Aufstieg Gerhard Schröders beigetragen, der sich am Ende als Zerstörer der Partei erwiesen hat, ohne die er nicht zu dem geworden wäre, was er geworden ist. Diese besondere persönliche Nähe zu den Akteuren eines politischen Projektes, das sich nach der Separierung eines Teils der Aufsteigermilieus als "Grüne" als eines der "ökologischen Modernisierung der (kapitalistischen) Industriegesellschaft" verstand, erzeugt Neugierde, wie Zukunft und Aufgaben der SPD eingeschätzt werden. Die wichtigste Aussage des Buches findet sich auf der vorletzten Seite, nämlich im Ausblick. Dort stehen die wichtigen Sätze: "Festzuhalten bleibt aber auch, daß es eine `Mehrheit links der Mitte`, wie sie schon Willy Brandt prognostizierte, gibt (...). Mit anderen Worten: ein solches Bündnis ist machbar. Oder anders herum: alle diese von den genannten Personen repräsentierten Parteien sind letztlich auch mit einander koalitionsfähig. Der koalitionspolitische Stellenwert der SPD allerdings sänke dadurch drastisch ab." (S. 158) Bemerkenswert ist dies, weil damit auf die möglichen politischen Mehrheiten für ein Projekt verwiesen wird, auf das noch zu sprechen kommen sein wird. Zum anderen wird nüchtern festgehalten, dass es für die Linke keinen Grund zu ins Sektierertum umschlagenden Minderwertigkeitsgefühlen und für die SPD ebenso keinen Grund für Selbstüberschätzung gibt. Auch wenn manche SPD-Linke das meinen mögen: es wird keinen Weg zurück geben in die Zeit vor 2005, vor die Gründung der WASG! Aber leider wird diese politische Perspektive analytisch nicht unterlegt, bleibt sie im Gesamtkontext des Buches ein Apercu. Auslöser für die Arbeit ist für die beiden Autoren die Sorge um die Zukunft der SPD, der sie sich als Akteure und Analytiker in kritischer Solidarität verbunden fühlen (S.7). Seine beschreibenden Teile zur Geschichte der Jungsozialisten und zum Aufstieg der "Enkel-Generation" sind gut lesbar. Vor der ernüchternden Bilanz wird nicht halt gemacht: "Die zentralen Denkmodelle der 68er von der APO und von den Jungsozialisten in der SPD hatten von wenigen Ausnahmen abgesehen keinen Eingang in die Entwicklung der Gesellschaft und die Politik der rot-grünen Bundesregierung gefunden" (S.116). Was die Entwicklung der Jungsozialisten vom aktivistischen linken Flügel zum bloßen Parteinachwuchs angeht, fehlt in der Darstellung die dafür meines Erachtens entscheidende Episode Benneter, mit dessen Rausschmiß aus der SPD 1977 alle linken Gruppierungen der Jungsozialisten herausgefordert waren. Mit der Wahl Schröders zum Bundesvorsitzenden 1978 war der Weg der karriereorientierten Konsolidierung dieser Sozialdemokraten endgültig vorgezeichnet. Von den radikaldemokratischen Ansätzen der "Antirevisionisten" des Bezirks Hannover blieb danach nur eine Tendenz zur Verachtung der "Partei". Von der Basismobilisierung für eine Gesellschaft der Selbstorganisation blieb die Mobilisierung kleinbürgerlicher Ressentiments mit Hilfe von "Bild" und Massenmedien, der antietatistische Ansatz verwandelte sich unter der Hand in die in Zeiten umfassend angelegten Deregulierungsoffensiven und Privatisierungen öffentlicher Daseinsvorsorge und in die fahrlässige Rede vom "staatlichen Verantwortungsimperialismus" (S.130). Stiefmütterlich behandelt wird auch der Rücktritt von Oskar Lafontaine 1999, der durch sein individualistisches Verhalten wohl ungewollt personell das letzte große Hindernis gegen die Durchsetzung neoliberaler Positionen in der SPD ausräumte. Hinter diesen Abschnitten bleiben die anderen Teile des Buches weit zurück. Die "Fragmente zu einer Neu-Aufstellung der SPD" (S. 117ff.) beginnen mit einer modernen Analyse des Wandels und der heutigen Formation der sozialen Milieus in Deutschland, die zu Recht darauf verweist, dass die SPD immer unterschiedliche Bevölkerungsgruppen organisiert hat, also Mehrheitsfähigkeit programmatisch nur durch ein milieuübergreifendes Projekt erlangen konnte. Was dann aber zu "Elementen eines Neuansatzes" (S. 128ff) erklärt wird, erscheint mir weder dem Ausmaß der Krise der SPD angemessen noch eine reizvolle Perspektive zu bieten. Beispiel "Gleichheit": "Wenn Sozialdemokraten also von Gleichheit reden, so sollten sie nicht der Ergebnisgleichheit das Wort reden, weil das Menschenrecht auf individuelle Souveränität eben auch individuelle und damit unterschiedliche Ergebnisse menschlichen Handelns und Wirkens einschließt" (S. 133). Wer wird sich davon angesprochen fühlen? Ausgerechnet einen Manager Mülller, der von Schröder mit Ministerweihen bedacht wurde, zum Kronzeugen aufzurufen, zeugt von wenig Überlegung. Und was soll diese überflüssige Paraphrase des unsäglichen Mandelson-Hombach-Papiers 1999? Die Durchsicht der "Ideenbörse: Beispiele für das, was ist und was sein soll" (S. 134ff.) lässt mich etwas ratlos zurück: entweder finde ich nichts Neues oder ich finde Ärgerliches. Die Praxisgebühr wird in ihren "kostendämpfenden Wirkungen" gesehen, nicht aber ihre Kehrseite, daß sie ärmere Menschen davon abhält, sich medizinisch ausreichend versorgen zu lassen. So gehören für die Autoren Zahnersatzleistungen und Kieferorthopädie (von dem Zusammenhang zu Haltungs- und Wirbelsäulenschäden haben die Autoren noch nichts gehört) nicht zur medizinischen Grundversorgung. Warum nicht? Eine Behauptung wird nicht geliefert. Für das "Projektfeld Gewalt" wird die "Politik der Null-Toleranz in New York" zitiert (S. 138). Nicht die Tatsache, daß "moderne Sozialdemokraten" solche Positionen vertreten irritiert, sondern daß die beiden Autoren meinen, solche Vorschläge nach all den Wahlniederlagen und Austrittswellen unreflektiert präsentieren zu können. Ich fürchte, mit solchen alten Rezepten wird eine Neujustierung einer Nach-Schröder-SPD nicht gelingen. Und klar scheint mir auch zu sein, daß sich mit solchen Positionen eine Perspektive "Links von der Mitte" nicht auftun wird. Manche Abschnitte des Buches lesen sich leider eher als technokratische Organisationsanweisung denn als wirklich hilfreich für die Umsetzung einer neuen politischen Perspektive. Aus dem programmatischen Teil der "Fragmente für eine Neuaufstellung der SPD" (S. 117ff) läßt sich diese auch nicht ableiten. So habe ich es genauso beim Lesen der Abschnitte über die "Modernisierung der SPD 1992/93: Das Projekt `SPD 2000`"(S.79ff) und "Modernisierung des Führungsstils" empfunden. Die berühmte Wahlkampfmaschine SPD wird ohne ein schlüssiges, jenseits des Neoliberalismus angesiedeltes Projekt keine parlamentarischen Mehrheiten mehr organisieren können. Die Mobilisierung 2005 gelang nur noch, weil die CDU einseitig auf die Rezepte eines Professor Kirchhoff setzte und der SPD damit ein Negativprojekt frei Haus lieferte. Die SPD wird sich also zu entscheiden haben, ob sie linker Juniorpartner in einer großen Koalition bleiben oder aber Bestandteil einer großen Koalition der Linken werden will. Demgegenüber liest sich Ulrich Maurers Beitrag zur Strategiedebatte der Linken nicht nur flüssig, er argumentiert stringent und bietet Ansätze, die diskussionswürdig, aber auch -bedürftig sind. Seine Parallelisierung der heutigen Weltsituation mit dem Untergang des Römischen Reichs ist ein interessanter schriftstellerischer Kniff, der sich aber schon in den Spätschriften Bahros findet. Vorrangig ist sein Beitrag "Eiszeit" eine wütende und polemische Abrechnung mit den herrschenden neoliberal organisierten Zuständen. Diskussionsbedürftig sind seine Vorschläge für strategische Weichenstellungen auf der Linken. Das beginnt mit dem Abschnitt "Die Kommune als Modell" (S. 199ff), an deren Anfang sich die Aussage findet "Nichts ist für die meisten Menschen so wichtig wie Gemeinschaft"(S. 199) Das mag so sein, als Ansatz für eine Strategie der Linken halte ich das für höchst problematisch. Der Weg zu den Gemeinschaften ist ein Weg in die Vormoderne und dahin führen nur vormoderne Wege oder aber populistische Verlogenheit. Alle Länder des Nordens können nur als rational konstituierte Zweckverbände auf der Grundlage gemeinsamer Interessen organisiert werden. Sie sind weder Kultur- noch Volksgemeinschaften und ihre Wertebasis ist plural. Demokratie als Verfahren zur Findung, Artikulation und Entscheidung über soziale, politische und kulturelle Interessen ist daher ein Prinzip, hinter das keine von Interessengegensätzen und Wertedifferenzen durchzogene moderne Gesellschaft zurückfallen kann und darf. Recht geben möchte ich dagegen Maurer, die Gemeinde oder Kommune als Basismodell zu wählen, denn hier kann Demokratie und Selbstorganisation im sozialen Nahbereich gelernt und gelebt werden. Die wachsende Entfremdung sozialer Milieus, die sich in progressiv schrumpfenden Wahlbeteiligungen an Gemeinde- und Stadtratswahlen ausdrückt, ist kein systematisches Gegenargument. Dies ist sicher zu einem guten Teil dem realistischen Blick auf die strukturelle Überlastung der Kommunen mit Aufgaben ohne solide Finanzierung geschuldet. Hier kann die Linke vom schwedischen Modell lernen, in dem die Kommunen weitgehend selbst über die Verwendung der Steuern entscheidet, mithin über die Gestaltung der lokalen sozialen und kulturellen Infrastruktur - so macht Wählen wieder einen Sinn für Alle. Das ist auch Maurers Position (S. 207ff). Eine weitere Provokation ist Maurers Frage, "ob sie demokratische Nationalstaatlichkeit zu ihrem eigenen Projekt machen will oder dabei verharrt, dies der deutschen Rechten zu überlassen" (S.237). In der Tat ist richtig, daß die deutsche Rechte mit ihren Ressentiments gegen liberalkapitalistische Systeme und ihren strategischen Fehlentscheidungen (siehe Harzburger Front 1931 u.a.m.) der deutschen Gesellschaft geschadet und dem Nazismus die Steigbügel gehalten hat. Aber es bleiben doch sehr viele Fragezeichen, ob und wie es gelingen kann und sollte, diese Position zu besetzen. Maurer empfindet wohl selbst Skepsis: "Stattdessen sollte die Linke erneut den Versuch unternehmen, einen deutschen Staat von den idealen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ausgehend zu denken und zu gestalten"(S. 238). Und: "Die Nationalstaaten sind offenkundig zu schwach, um sich mit ihren gesetzgeberischen Mitteln allein dem Erpressungspotenzial des internationalisierten Kapitals und seiner Führungsmacht zu widersetzen"(S. 238). Richtig ist sicher, daß sich hier eine offene Flanke bietet, die die Rechte erneut besetzen kann. Maurer mag eine wichtige Frage gestellt haben, wie sie zu beantworten ist, dazu kann er sich nicht ernsthaft auf das "Ringen der Linken im Osten um eine progressive Konzeption der Nation" (S. 237) berufen. Albert Nordens "Um die Nation", der Nationalismus der SED/KPD ("Kampf des deutschen Volkes um seine nationale Befreiung") der 50er Jahre kann nicht als aktueller Beitrag dafür gelten und Maurer liefert leider keine Hinweise für einen moderneren. Die Frage ist ernst: Welche Probleme können noch im nationalen Rahmen bewältigt werden. Wie aber verhält sich dies dazu, dass die Nationalstaaten noch zentrale Akteure sind? Bemerkenswert ebenfalls die Beobachtung Maurers über Berührungspunkte zwischen der Linken und Gläubigen. In dem Abschnitt "Ist der Sozialismus tot?" (S. 249) heißt es: "Daß Gläubige aller Weltreligionen sich heute überall auf dem Globus gegen den Neoliberalismus erklären und sich am Widerstand beteiligen, hat einen prinzipiellen Grund: Fast alle Religionen postulieren ebenso wie die Linke den Vorrang von Werten vor der Ökonomie" (S. 251). Er folgert daraus: "Die Linke muß endlich begreifen, daß sie mit ihrem militanten Atheismus auf dem Holzweg war"(S. 253). In der Tat muß die Tatsache, daß sich Widerstand und Aufbruch in Lateinamerika auch der Sprache des Evangeliums bedient, zur Kenntnis genommen werden. Glauben kann also eine Produktivkraft für den sozialen und demokratischen Fortschritt sein. Das ist aber nicht überall der Fall. Die Linke wäre schlecht beraten, wenn sie sich ihre Verankerung auf demokratischer, menschenrechtlich fundierter Basis um das Linsengericht eines Bündnisses mit fundamentalistischen religiösen Bewegungen wie der Hamas o.ä. abkaufen ließe. Die Geschichte der iranischen Linken um und nach 1979 oder der polnischen Linken sollte dazu als Menetekel gelesen werden. Wohltuend von den Bruchstücken, die das Buch von Thörmer/Einemann für eine Erneuerung der SPD liefern, heben sich die "Prinzipien linker Erneuerung" (S.260ff.) ab. Die Linke kann nur als internationale Bewegung erfolgreich sein, sie muss ein Gesellschaftsmodell mit einem höchstmöglichen Maß an Dezentralisierung, Basisdemokratie und institutioneller Gewaltenteilung entwickeln. Die Antwort auf den globalisierten Kapitalismus heißt nicht Verstaatlichung, sondern Vergesellschaftung, um absolute Machtkonzentration und in der Folge Feudalisierung zu vermeiden (S. 261). Pluralität politischer Parteien, die Herstellung des "Primats der Politik vor der Ökonomie", die Wiederherstellung der Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Medien, das sind in Zeiten freiwilliger Gleichschaltung anspruchsvolle Ziele. Richtig aber ist: "Weder Selbständige noch Gläubige, weder Wissenschaftler noch Narren müssen Angst vor einem solchen demokratischen Sozialismus haben" (S. 263). In der Tat steht ein solches Gesellschaftsmodell in seiner libertären Grundkonzeption gegen bürokratisch-autoritäre Formierungsbestrebungen. Als leider viel zu wenig beachteten Beitrag für eine Strategiedebatte möchte ich Cornelia Heintzes Buch "Wohlfahrtsstaat als Standortvorteil" empfehlen. Mag sein, dass dieser Sklavensprache in Zeiten neoliberaler Hegemonie Tribut gezollt werden muss, in dem man ein strategisch wichtiges, mögliches Projekt einer solidarischeren Gesellschaftsordnung als Standortfaktor bezeichnet. In der Sache hätte Heintzes Buch eine größere Beachtung und intensivere Auseinandersetzung verdient. Sie weist nämlich anhand so zentraler politischer Felder wie Familienpolitik, Bildung und Erziehung, Wohlfahrt und Zivilgesellschaft und soziale Sicherheit nach, daß die sozialstaatlich ausgeprägte Variante des Kapitalismus in den nordischen Ländern Kennzeichen eines optimalen Klassenkompromisses zwischen Kapital und Arbeit beiden Seiten erhebliche Wohlfahrtgewinne bringt. Ob diese These angesichts der jüngsten Erfolge der schwedischen Bürgerlichen im Kampf gegen genau diese Kompromisslinien noch ungebrochen gelten kann, will ich dahingestellt sein lassen. Heintze kann aber für die Zeit bis 2005 nachweisen, daß den skandinavischen Länder die "Verknüpfung von hohem Beschäftigungsgrad und weltweit geringsten Armutsquoten bei nachhaltiger Entwicklung der öffentlichen Finanzen auf der einen Seite sowie auf der anderen Seite hoher ökonomischer Dynamik und Innovationskraft bei gleichzeitig relativ guten ökologischen Ergebnissen sowie einem hohen Niveau von Volksgesundheit" (S. 145f) gelingt. Die materialreiche Arbeit ist eine der wenigen, die so etwas wie eine "konkrete Utopie" zu formulieren versteht. Dabei gelingt es ihr, die üblicherweise vorgebrachten neoliberalen Vorurteile, aber auch berechtigte Kritiken gegen den bürokratischen deutschen, konservativ-autoritären Sozialstaat zu bearbeiten. Die deutsche Linke wäre daher klug, sich nicht erneut wie in den 1970er Jahren ihre Leitbilder den Emanzipationsbestrebungen der Länder des Südens zu entnehmen, sondern in einer fundierten Auseinandersetzung mit dem dargebotenen Material ein politisches Projekt zu entwerfen, für das sich eine politische Mehrheit organisieren läßt. Eine SPD, wie sie in dem Beitrag von Thörmer/Einemann immerhin für möglich gehalten wird, könnte sich einem solchen Projekt kaum entziehen. Es bietet daher die realistische Chance, hegemoniefähig zu werden. Es darf nicht dabei bleiben, dass die Analyse der skandinavischen Wohlfahrtsstaaten im politischen Denken der Linken so gut wie keine Rolle spielt. Es sind zwar mehr als ein Dutzend Bücher über Chavez und Venezuela zu bekommen, aber kaum eines über unsere nördlichen Nachbarn. Skandinavien besteht aus kapitalistischen Ökonomien, die am Weltmarkt agieren. Das paßt der Linken nicht. Skandinavien stellt einen alternativen Entwicklungspfad zum Neoliberalismus vor. Das paßt den Neoliberalen nicht. Die Linke sollte - angesichts der Kräfteverhältnisse zwischen Kapital und sozialen Bewegungen - vorurteilsfrei und nüchtern eine eigene Art des historischen Kompromisses entwickeln und kritisch von Skandinavien lernen. Denn es wäre mit einer solche "konkreten Utopie" um vieles einfacher, "Deutschlands Reformirrweg im Lichte des skandinavischen Erfolgsmodells" - so der Untertitel der Arbeit - darzustellen und damit eine neue "Mehrheit links der Mitte" zu organisieren als karibische Verhältnisse nach Mitteleuropa zu phantasieren. Dass scheint mir angesichts der defensiven Position der Linken derzeit eine realistische Perspektive zu sein - für wie lange noch? Aber: "on s'engage et alors on voit"!
• Cornelia Heintze: Wohlfahrtsstaat als Standortvorteil - Deutschlands Reformirrweg im Lichtes des skandinavischen Erfolgsmodells, Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, Leipzig 2005; Kontext:
sopos 5/2007 | |||
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