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Stößt es doch bei uns in eine Situation, in der das Kapital alles versucht, mit der Zauberformel der Alternativlosigkeit die Geschichte anzuhalten. Obwohl der Sieg über den Sozialismus als endgültig verkündet wurde, fürchtet man offenbar den Sozialismus mehr als je zuvor. Von den Kathedern, den Kanzeln, den Bildschirmen predigt man unablässig die Sinnlosigkeit jeder Veränderung des Systems. Man diskreditiert, vom Sklavenaufstand des Spartacus angefangen, systematisch alles, was Revolutionen je hervorbrachten, und nimmt damit den Menschen Fähigkeit und Mut, Alternativen auch nur zu denken. Die stereotype Behauptung, diese Welt sei vielleicht nicht die beste, aber heute die einzig mögliche, soll allgemeines Alltagsbewußtsein werden, denn das bietet mehr als jede Gewalt eine zuverlässige Sicherung der Herrschaft »der verordneten Unordnung und planmäßigen Willkür« (Bertolt Brecht). Auch selbsternannte Linke haben das »Ende der großen Erzählungen« entdeckt. Sie bedauern, von Gesellschaftsumwälzungen Abstand nehmen zu müssen, da die Welt sich mit zunehmender Zivilisation so kompliziert habe, daß gesellschaftliche Zusammenhänge nicht mehr erkennbar seien. Die Welt sei in ihre Einzelheiten zerfallen, und Einzelheiten seien nunmehr die einzig faßbare Realität. Eine Suche nach Wahrheit gleiche unter diesen Bedingungen der Plackerei jenes Sisyphos von Korinth, der wenigstens noch wußte, was ein Stein ist. Wahrheit sei heute überhaupt, wie jedes Denken in Systemen, eine Verirrung, da sie den freien Willen, den Liberalismus, einschränke. Sie sei nicht Heilung, sondern die eigentliche Krankheit. »Kämpfen wir also gegen den weißen Terror der Wahrheit, mit und für die rote Grausamkeit der Singularitäten« (Jean-François Lyotard, postmoderner Philosoph). Heute sei Revolutionär, wer dies kühn erkenne und dafür sorge, daß diese Theorie die Massen ergreift. Linkssein heiße heute, den Leuten helfen, »den Gürtel enger zu schnallen, wenn wir uns nicht daran aufhängen wollen« (Klaus Harpprecht, SPD-Vordenker). Damit enden natürlich Klassenkämpfe wie die um die Enteignung des Kapitals, denn »es geht weniger um die Frage, wer Eigentümer ist, sondern wie mit Eigentum umgegangen wird« (Gregor Gysi). Und Sozialismus ist auch nicht mehr einseitig nur der Sieg der Mühseligen und Beladenen, »heute ist der Sozialismus eine Philosophie gesellschaftlichen Zusammenlebens« (Oskar Lafontaine). In diese »Eiswüste der Abstraktion« (Walter Benjamin) stößt nun ein Buch von unerhörter Konkretheit. Es will nicht mehr und nicht weniger als hier und heute »alle Verhältnisse umwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist« (Karl Marx). »Heute ist eindeutig, daß von keinem der entscheidenden Subsysteme der bürgerlichen Gesellschaft – nationale Marktwirtschaft, Klassenstaat und plutokratische Minderheitsdemokratie – systemstabilisierende Inputs für das Gesamtsystem mehr ausgehen. Dieses gerät dadurch immer mehr in Widersprüche, die die herrschende Klasse nicht mehr adäquat lösen kann. Sie sind nur noch durch Aufgabe des Systems zu beseitigen, und dies kann nur gegen den Willen der Herrschenden geschehen. Das ist die Funktion des Neuen Historischen Projekts« (Heinz Dieterich). Dazu werden im Buch in nahezu enzyklopädischer Akribie die widersprüchlichen Entwicklungen von Natur und Mensch aufgerissen, und zwar vom Beginn menschlichen Denkens bis zu den komplizierten Netzwerken moderner Kommunikationswissenschaft. Denn nur die »konkrete Analyse der konkreten Situation« (Wladimir Iljitsch Lenin) vermag reale Zusammenhänge herzustellen, die den Menschen instand setzen, seine Lage zu erkennen. Und: »Wer seine Lage erkannt hat, wie soll der aufzuhalten sein?« (Bertolt Brecht) Dieses Buch wird etwas in Gang setzen. Auch unter den Linken. Denn unter Linken ist eine »Dialektisierung des Stillstandes« mehr als wünschenswert. Hier ist Stillstand nicht Folge mangelnder Erkenntnisse, im Gegenteil, deren Vielfalt schafft ihn. Welch eine Dynamik könnten die unterschiedlichen Meinungen – zum Beispiel zum Wert-Begriff oder zur Ideologie als falsches oder alltägliches Bewußtsein oder zum Proletariat als noch möglichem Subjekt historischer Entwicklung – in den linken Diskurs einbringen. Es scheint aber ein Ritual zu sein, den »Sieg« einer Meinung an der Niederlage der anderen zu messen. Das Buch kennt eine andere Gangart. Hier kommt der »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« nicht als Meinung ex cathedra daher, sondern »will zur kollektiven Konstruktion des neuen Sozialismus und der Mehrheitsdemokratie beitragen und als Geburtshelfer für das neue Subjekt universaler Emanzipation willkommen sein« (Heinz Dieterich). Solche Haltung macht auch Passagen des Buches produktiv, die den einen oder anderen zum Widerspruch herausfordern. Ich denke da an die Ausführungen über die »Äquivalenz-Ökonomie«, auf die sich der Autor wesentlich bezieht. Arno Peters, der Verfechter jenes Äquivalenz-Prinzips, das die Jahrtausende währende Ungleichheit in der Verteilung der produzierten Werte beseitigen will, greift auf Gedanken der »Großen Gleichheit« zurück, wie wir sie in den frühen chinesischen Utopie-Büchern »Der wahre Weg« oder »Die große Ordnung« finden, konkretisiert sie aber ökonomisch in einem System des gerechten (äquivalenten) Werte-Austauschs: Durch Wegfall des Profits verliere die Warenproduktion ihren repressiven Charakter, um schließlich ganz zu verschwinden. Unternehmer und Arbeiter seien gleichgestellt, beide beziehen für ihre Tätigkeit entsprechende Äquivalente, den Lohn, und nähern sich in ihrer sozialen Stellung allmählich an. Nur: »Wer soll denn all die schönen Dinge ins Werk setzen?« läßt Georg Büchner seinen Danton fragen, als Philippeau ihm die Vision der großen Gerechtigkeit entwickelt. Ähnlich würde ich fragen, wenn ich an die Durchsetzung dieses sicher großartig humanen Entwurfs der Äquivalenz-Ökonomie denke. Aber indem Gegenfragen provoziert werden, kommt vielleicht der Diskurs über jene »weiße Flecken« in Gang, die uns Marx, was das konkrete Funktionieren einer sozialistischen Gesellschaft betrifft, hinterlassen hat. Dieses Buch wird etwas in Gang setzen. Es ist nicht nur ein hervorragender politischer Text, es ist auch ein literarischer. Schriften linker Philosophen bedienen sich heute zunehmend jener »Wissenschaftssprache«, von der sogar Martin Heidegger sagt, daß sie nicht mehr denke, sondern nur ableite. Selbst wo sie Inhalte vermittelt, fehlt der Impuls – man könnte auch Genuß sagen – zum Nach-Denken. Hier nimmt das Buch die Tradition großer »Historischer Projekte« auf. »Das kommunistische Manifest« oder Pjotr Kropotkins »Eroberung des Brotes« oder Frantz Fanons »Die Verdammten dieser Erde« zeigen nicht nur, »wie man den gefesselten Prometheus befreit, sie schulen auch in der Lust, ihn zu befreien« (Bertolt Brecht). Der »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« enthält Passagen von wirklich ästhetischer, also politischer Kraft. Zum Beispiel bei der Vorstellung des »Neuen Himmelsvaters, angeblich unbekannt und allmächtig in seinen Entscheidungen, den sie ›Weltmarkt‹ nennen, ist er eben so leicht zu dekodifizieren wie der alte Jahve und seine Bodentruppen und himmlischen Heerscharen. Er bewegt sich weder in palästinensischen Bauernsandalen noch mit biblischem Bart, sondern im Mercedes-Benz mit Armani-Anzügen. Den alttestamentarischen Dekalog, die mosaischen Zehn Gebote, hat er kostensparend auf ein Mandat herunterrationalisiert: das ist die Profitrate. Sein Kultgebäude oder Gotteshaus ist die Wertpapierbörse, und seine irdische Residenz findet sich in den Villen der exklusiven großbürgerlichen Stadtviertel und Suburbs. Omnipotent und omnipräsent verliert der neue strafende Jahve seine Anonymität und seine Unschuld, und in einer liturgisch nicht vorgesehenen Konsekration kehrt er zurück in Körper und Seele zu den Sterblichen, unter denen er nun aufzufinden ist« (Heinz Dieterich). Dieses Buch wird etwas in Gang setzen. Auch bei uns. Vielleicht etwas, was anderswo schon in Gang gekommen ist. Was hier noch »Philosophie der Praxis« heißt, ist dort schon praktizierte Philosophie: »Seit dem Zusammenbruch des Sozialismus in Osteuropa ist die Welt aus dem Gleichgewicht gekommen. Daher ist die erste Revolution im 3. Jahrtausend von größter Bedeutung. Erstmals wird der Versuch unternommen, den Sozialismus des 21. Jahrhunderts zu verwirklichen« (Hugo Chavez zur Eröffnung der Weltjugendfestspiele 2004 in Venezuela).
Erschienen in Ossietzky 24/2005 |
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