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Oktober verabschiedete dann der Bundestag mit der Mehrheit aller Abgeordneten von SPD und Grünen die Hartzgesetze III und IV mit den Einzelbestimmungen, die zur Zeit im Vermittlungsausschuß von Bundestag und Bundesrat noch an einigen Stellen verschärft werden. Für Arbeitslose über 55 Jahre wird es nur noch 18 Monate Arbeitslosengeld geben, bisher 32 Monate; für alle unter 55 maximal zwölf Monate, je nach Anspruchsberechtigung. Die bisherige AL-Hilfe wird abgeschafft und durch das AL-Geld II ersetzt, und zwar in Höhe der Sozialhilfe (pauschaliert, also ohne Einzelfallhilfen, monatlich 331 Euro im Osten, 354 Euro im Westen, zuzüglich Miet- und Heizkosten). Das AL-Geld II wird im wesentlichen nach den Kriterien der Sozialhilfe berechnet, das heißt das Partnereinkommen wird für die Bedürftigkeitsprüfung angerechnet. Bei der bisherigen AL-Hilfe konnte zum Beispiel Kindergeld hinzukommen – beim AL-Geld II soll es wie bei der Sozialhilfe voll angerechnet werden. In der Praxis bedeutet das, daß alle Haushaltsmitglieder auf Existenzminimum gesetzt werden. Auch müssen Bescheinigungen über das Einkommen der Eltern sowie der erwachsenen Kinder vorgelegt werden, weil diese grundsätzlich zur Unterstützung verpflichtet sind. Hier haben »die Linken« bisher erreicht, daß Eltern und Kinder mit »normalem« Einkommen doch nicht in gleicher Weise wie bei der Sozialhilfe zur Kasse gebeten werden sollen; ob das im Vermittlungsausschuß so bleibt, ist zu bezweifeln. Ebenso muß aller eventuelle Besitz wie Sparkonten, private Lebensversicherungen (außer Riesterrente), Wohneigentum usw. bis auf einen Grundstock von 200 Euro pro Lebensjahr aufgebraucht werden, bevor es Arbeitslosengeld II gibt. Hier haben »die Linken« eine Verdoppelung auf 400 Euro pro Lebensjahr erreicht – bis zur möglichen Rückstufung im Vermittlungsausschuß. Bei Inkrafttreten werden zwei Drittel aller registrierten Arbeitslosen auf Sozialhilfe gesetzt, anderthalb bis zwei Millionen von ihnen verlieren infolge der Anrechnungen jeglichen Anspruch. So werden mit einem einzigen Gesetz auch die Einkommen der PartnerInnen und Kinder, also wohl von fünf bis sechs Millionen Menschen, auf Sozialhilfeniveau reduziert – eine Massenenteignung. Die Sozialhilfe liegt in Deutschland zur Zeit nur noch bei etwa 40 Prozent des Durchschnittseinkommens aller Haushalte und damit um zehn Prozent unter der EU-Armutsgrenze. Laut Sozialhilfegesetz sollen die Sozialhilfesätze die Führung eines Lebens ermöglichen, das »der Würde des Menschen entspricht«. Aber wer definiert die Würde des Menschen? Bis 1990 lagen der Berechnung der Sozialhilfe die Preise für einen am Bedarf orientierten »Warenkorb« zugrunde. Dem »Warenkorb-Modell« folgte für drei Jahre das »Statistik-Modell«, wonach sich die Sozialhilfe entsprechend der allgemeinen Preissteigerungsrate erhöhen sollte. Von 1993 an sollten die Anpassungen nur noch der Entwicklung der Nettoeinkünfte im unteren Bereich folgen, um den Abstand zu den Mindestlöhnen zu wahren. Inzwischen hat Rot-Grün festgelegt, daß sich die Sozialhilfe im gleichen Maße wie die gesetzliche Rente entwickeln soll – nach unten, wie wir seit den jüngsten Rentenbeschlüssen wissen. Schon die Hartzgesetze I und II vom Anfang des Jahres hatten die Anforderungen an die Arbeitssuchenden, ihre Arbeitskraft flexibler und mobiler anzubieten, erheblich verschärft; so kann jetzt durch Unterstützungskürzungen und Sperrzeiten ein Berufswechsel mit Dequalifizierungen jeglicher Art ebenso erzwungen werden wie ein Ortswechsel im gesamten Bundesgebiet. Hartz IV bringt noch eine besondere Variante: Arbeitslose im Alter bis zu 25 Jahren verlieren jegliche Unterstützung, wenn sie einer verordneten Bildungsmaßnahme nicht nachkommen oder ein Jobangebot – beispielsweise Spargelstechen für vier Euro die Stunde – ausschlagen. Hier haben wiederum »die Linken« erreicht, daß der Entzug der Stütze erst droht, wenn Jobs »mindestens zum ortsüblichen Mindestlohn« angeboten würden. Aber wie soll ein Arbeitsloser beweisen, welches der ortsübliche Mindestlohn ist? Ministerpräsident Roland Koch hat zudem bemängelt, daß es keine Arbeitsplätze schaffe, wenn die Löhne sich nicht entsprechend der Nachfrage wirklich nach unten bewegen könnten. Deshalb müsse dieses Zugeständnis im Vermittlungsausschuß gestrichen werden... Koch als Vertreter der CDU/FDP-Mehrheit im Bundesrat verkündet das neoliberale Credo pur: Die Arbeitskraft ist eine Ware wie jede andere, beispielsweise Kartoffeln. Werden die Arbeitskraftbesitzer ihre Ware nicht los, muß der Preis so lange gesenkt werden, bis sie vielleicht doch noch als Viehfutter genommen werden – der Rest ist zu entsorgen. Die SPD und die Grünen denken und handeln genau so, die große Koalition insgesamt ist sich einig. Minister Clement, gefragt, woher die Nachfrage nach Arbeitskräften in Millionenhöhe denn kommen solle, gab eine verblüffende Antwort: Es gebe »genügend Möglichkeiten, in ... bezahlten Arbeitsformen beispielsweise Familien zu helfen, ihre älteren Angehörigen zu pflegen ... Es gibt unendlich viele Familien, die jetzt Einrichtungen in Anspruch nehmen und das in Zukunft individuell lösen können. Das ist doch die Logik des Hartz-Konzeptes: Mini-Job, Midi-Job, Kleingewerbe, Leih- und Zeitarbeit, Kapital für Arbeit – all diese Instrumente können jetzt angewandt werden.« Clement vergaß, auf den Zwangscharakter seiner »Instrumente« hinzuweisen. Wer den Arbeitssuchenden nur die Alternative zwischen Verhungern oder Arbeit um jeden Preis läßt, kann tatsächlich ein paar »neue Arbeitsplätze« schaffen: im Niedrigstlohnbereich für eine wachsende Gruppe von »working poor«. Ob das jedoch hier so ähnlich abläuft wie in den USA, wo die Sozialhilfe faktisch abgeschafft ist und sich das neu entstandene Lumpenproletariat aufteilt in jene, die mit drei Jobs ihre Familie immer noch nicht ernähren können, und jene, die in Kriminalität, Prostitution oder Drogenmilieu abdriften, ist noch nicht entschieden. Hierzulande wird es kaum möglich sein, ein Millionenheer damit zu beschäftigen, daß die anderen sich die Schuhe putzen, den Regenschirm halten oder in Rikschas spazieren fahren lassen. Wahrscheinlicher ist in Deutschland die Wiedereinführung eines Arbeitsdienstes, einer Institution, die sich hier schon einmal bewährte, als es gleichfalls darum ging, aus einer ökonomischen Krise herauszukommen in Richtung Aufrüstung und neue deutsche Weltmachtgeltung. Im jetzt verabschiedeten Gesetz findet sich ein Passus, der auf Ausführungsbestimmungen für einen Bundesarbeitsdienst geradezu wartet: »Die Agentur für Arbeit (bisher: Bundesanstalt für Arbeit; O.M. ) soll für erwerbsfähige Hilfebedürftige, die voraussichtlich in absehbarer Zeit eine Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht finden, befristete Arbeitsgelegenheiten im Sozialrechtsverhältnis schaffen, für die eine angemessene Mehraufwandsentschädigung gezahlt wird.« Auf kommunaler Ebene wird schon länger ein verkappter Arbeitsdienst praktiziert: Sozialhilfeempfänger müssen Parks pflegen oder Schulen reinigen. Sie bekommen eine Aufwandsentschädigung von ein bis zwei Euro die Stunde. Das muß bundeseinheitlich geregelt werden. Auch die vom Neoliberalismus vorangetriebene Zerstörung der kommunalen und sozialen Infrastruktur führt dazu, daß staatlich organisierte Notdienste immer dringender benötigt werden. SPD-Nachwuchspolitiker wie Sigmar Gabriel haben deshalb keine Scheu, den Arbeitsdienst aus der Tabuzone herauszuholen – als wäre er in der Nazizeit nur mißbraucht worden – und als eine durchaus sozialdemokratische Einrichtung zu etablieren. So soll verhindert werden, daß schon die jüngeren »Besitzer« von Arbeitskraft mangels Nachfrage nach ihrer Ware verelenden und verwahrlosen. Sonst wäre ihre Ware Arbeitskraft bald nicht mehr zu gebrauchen. Und das läge nicht im Interesse der Unternehmer, die vielmehr froh sind, wenn eine große, einsatzfähige Reservearmee weiterhin bereitsteht und ihnen als Argument dient, die Löhne zu senken. Kontext:
Erschienen in Ossietzky 24/2003 |
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