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Die PDS am Berliner Krankenbett
Ralph Hartmann
»Die Agenda 2010 stellt einen so dramatischen Abbau sozialstaatlicher
Leistungen dar, wie ihn Deutschland noch nie erlebt hat… eine beispiellose
Zäsur für den bundesdeutschen Sozialstaat... Jetzt ist der richtige
Zeitpunkt, unsere Forderungen nach einem solidarischen Umbau der sozialen Sicherungssysteme...
lautstark und deutlich in die öffentliche Debatte einzubringen.«
Diese zutreffende Einschätzung, formuliert von Mitarbeitern der PDS-Fraktion
im Berliner Abgeordnetenhaus, wurde mehrheitlich abgesegnet vom Landesparteitag
der PDS Berlin. Auch am rigiden Sparkurs des rot-roten Senats übte der
Parteitag heftige Kritik. Doch dann stimmten die Delegierten auf Drängen
des Landesvorsitzenden Stefan Liebich und des Wirtschaftssenators Harald Wolf
mehrheitlich der sozial ungerechten Erhöhung der Kitagebühren zu,
die vor allem Familien mit mehreren Kindern trifft.
Der Berliner SPD-Landesvorsitzende Peter Strieder begrüßte noch am
Abend des gleichen Tages die Beschlüsse des Koalitionspartners: Die PDS
beweise Stabilität in der Koalition und nehme ihre Verantwortung für
Berlin wahr. Genau so hatte es die Regie im Parteitagssaal gemeint, an dessen
Stirnwand die klassenkämpferische Losung »Miteinander für Berlin«
prangte. Die Berliner Zeitung, nicht gerade bekannt für ihr soziales Engagement,
stellte anderen Tages fest, in Berlin lasse sich beobachten, »wie eine
nach Zahlen gar nicht so schwache PDS in der Koalition mit den Sozialdemokraten
politisch fast unsichtbar wird. Doch gleichzeitig sorgen ihre Abgeordneten und
Senatoren mit dafür, daß in der Hauptstadt ein Politik umgesetzt
wird, die mit den Zielen und auch mit dem Wahlprogramm der PDS herzlich wenig
zu tun hat. Denn abgesehen vom aktuellen Streit um die Kitagebühren: Dieser
Senat verfolgt eine Politik des Sozialabbaues, die der gar nicht so schleichenden
Verelendung in manchen Schichten und in manchen Teilen Berlins abseits des glitzernden
Regierungsviertels nicht Einhalt gebietet, sondern Vorschub leistet. Das hatte
man von Sozialisten eigentlich anders erwartet.«
Von Sozialisten, demokratischen dazu, hatte man tatsächlich anderes erwartet.
Aber die Kitagebühren-Erhöhung ist nur einer von vielen unbegreiflichen
Schritten der PDS-Senatoren und -Abgeordneten. Die lange Kette begann mit dem
Koalitionsvertrag, dessen Präambel ganz im Stil der früheren Westberliner
Frontstadtpropaganda alle Verantwortung für das Leid der Menschen im Kalten
Krieg »ausschließlich bei den Machthabern in Ost-Berlin und Moskau«
sieht und dessen Hauptinhalt in dem aussichtslosen Versuch besteht, den von
der CDU- und SPD-Politik angehäuften riesigen Schuldenberg den Bürgern
aufzuladen. Es folgten – jeweils mit Zustimmung der PDS – die Kürzung
der Mittel für die Stadtbezirke, die massive Einschränkung aller Sozialprogramme,
die skandalöse Risikoabschirmung für die Bankgesellschaft Berlin in
Höhe von 22,6 Milliarden Euro, die Einigung über den Bau des vor den
Wahlen abgelehnten Großflughafens Berlin-Schönefeld, die Verteidigung
hoher Aufsichtsratsbezüge durch den Wirtschaftssenator, die Aushöhlung
des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst und der Rückzug
aus der Tarifgemeinschaft des Bundes und der Länder. Jüngstes, aber
gewiß nicht letztes Glied in dieser traurigen Kette ist Liebichs Aufforderung
an die SPD, in deren Reihen der Widerstand gegen die neuerlichen sozialen Grausamkeiten
wächst; doch »Koalitionsdisziplin« zu üben.
Begleitet wird dieser antisoziale Kurs von dazu passenden dümmlichen Erklärungen.
Nachdem sich die SPD ein Jahrhundert lang gegen den berechtigten Vorwurf gewehrt
hat, Arzt am Krankenbett des Kapitalismus zu sein, orientiert jetzt der PDS-Landesvorsitzende
die eigene Partei darauf, daß auch sie ein wenig »Arzt am Krankenbett
des Kapitalismus« sein müsse. Und nachdem selbst CDU-Politiker in
jüngster Zeit auf die unsägliche Gleichsetzung von Nazi- und SED-Diktatur
verzichtet haben, stellt ausgerechnet PDS-Senator Wolf in seiner Rede in der
Gedenkstätte Plötzensee zum Jahrestages des gescheiterten Attentats
gegen Hitler vom 20. Juli 1944 eine Kontinuität zwischen dem Widerstand
gegen den Hitlerfaschismus, dem 17. Juni 1953 sowie dem November 1989, dem Ende
der DDR, her.
Wem nützt diese Politik?
Den Berlinern? Deren Interessen sind höchst unterschiedlich. Der rigide
Sparkurs vertieft die Kluft zwischen arm und reich.
Der PDS Berlin? 2001 erreichte sie bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus in ihrer
Hochburg, dem Ostteil Berlins, fast 50 Prozent der Stimmen; bei der Bundestagswahl
2002, nach einem Jahr Regierungsbeteiligung, halbierte sich dieser Anteil.
Der PDS insgesamt? Sie kann nicht als Partei der sozialen Gerechtigkeit auftreten
und die Agenda 2010 scharf verurteilen, wenn sie gleichzeitig in der Bundeshauptstadt
eine Politik des Sozialabbaues und der sozialen Ungerechtigkeit exekutiert.
So ruiniert sie ihre Glaubwürdigkeit, marschiert auf den Abgrund zu und
droht auch die anderen Landesverbände hineinzureißen.
Statt »Arzt am Krankenbett des Kapitalismus« zu spielen und im Rot-Roten
Rathaus die ungenießbare Suppe auszulöffeln, die CDU und SPD eingebrockt
haben, hätte sie aus den Erfahrungen anderer europäischer Linksparteien,
z.B. der italienischen und französischen Kommunisten, lernen können,
wenn sie es gewollt hätte.
Andere tun es. In Graz, der »Kulturhauptstadt Europas«, wo die KPÖ
aufgrund ihres starken sozialen Engagements bei der letzten Kommunalwahl mit
21 Prozent Stimmenanteil ein mit dem PDS-Erfolg bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus
vergleichbares Ergebnis erzielte, bemühten sich SPÖ und ÖVP nach
Kräften, sie in eine Koalition zu locken. KPÖ-Spitzenkandidat Ernest
Kaltenegger weigerte sich: »Da wird jahrelang ein feuchtfröhliches
Fest gefeiert. Jetzt, wo es an das Zahlen der Zeche geht, werden ausgerechnet
diejenigen zur Übernahme der Verantwortung aufgefordert, die stets vor
den Folgen gewarnt haben… Die KPÖ hätte sich von vielen ihrer
Grundsätze verabschieden müssen und wäre wohl kaum noch erkennbar
gewesen.«
Von solchen Erkenntnissen ist die Berliner PDS-Führung weit entfernt. Wenn
sie fortfährt, die Zeche für die anderen zu zahlen, dann werden diese
nach kommenden Wahltagen ob der Ent- und Wegzauberung der demokratischen Sozialisten
wieder feuchtfröhliche Feste feiern. Nicht nur in Berlin.
Kontext:
Erschienen in Ossietzky 21/2003
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