Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. An der Wand im KlassenkampfOtto Meyer In der gegenwärtig tobenden Auseinandersetzung mit den Arbeitgebern ständen die Gewerkschaften »mit dem Rücken zur Wand«, meint Reinhard Bahnmüller vom Tübinger Forschungsinstitut für Arbeit, Technik und Kultur in der Frankfurter Rundschau. Er verweist auf die erfolgreiche Kampagne der Konzernherren zur Verlängerung der Arbeitszeit auf 40 Stunden ohne Lohnausgleich, das Wegstreichen von Pausen, Urlaubs- und Weihnachtsgeldern und so weiter. Experten (solche, die in den Medien dazu erklärt werden) diskutieren schon die 50-Stunden-Woche oder die Verlängerung der Lebensarbeitszeit bis 70. Arbeitgeberverbände wollen die Feiertage abschaffen, den Jahresurlaub verkürzen, die Zuschläge für Überstunden oder Nachtarbeit gänzlich streichen. Bis zur Wand wäre demnach noch Rückzugsgebiet für die Gewerkschaften zum Mitmachen. Aber bleiben sie dann noch Gewerkschaften im bisherigen Sinne? Michael Hüther, Direktor des Kölner Instituts der Deutschen Wirtschaft, fordert ultimativ: »Für die Gewerkschaften stellt sich die Frage, ob sie den Prozeß mitgestalten oder sich überrollen lassen wollen.« Hans-Ulrich Jörges, neoliberaler Polit-Rambo des stern, freut sich: Der »Reformprozeß« werde »am Ende auch die Mitbestimmung und die Bindungskraft der Tarifverträge und damit die Säulen ihrer Macht« einreißen – für die Gewerkschaften eine »Radikalreform«, die sie zu »dezentralisierten Dienstleistungsagenturen« mutieren lasse, vielleicht noch mit »Versicherungsschutz bei Jobverlust« oder »Assistenz bei Verhandlungen« für Betriebsräte. So gesehen stehen die Arbeitervertreter schon mit dem Rücken an der Wand. Denn wenn die Kampfverbände der Lohnabhängigen gegen Kapitalwillkür nur noch die Wahl hätten, »mitzugestalten« oder sich gleich »überrollen zu lassen«, wäre ihr Exitus so oder so absehbar. Es gibt aber noch eine andere Möglichkeit, nämlich sich neu zu sammeln und die eigenen Kräfte zu bündeln; die Kampfbereitschaft in den Betrieben zu nutzen, Streiks und Betriebsbesetzungen zu organisieren. Die Wand im Rücken läßt nur ein Vorwärts zu, und das Ziel sollte, nein: muß die »4-Tage-Woche, 7-Stunden-Tag« mit vollem Lohnausgleich sein, damit alle teilhaben können (Ossietzky 8/04). Denn hier herrscht offener Klassenkampf. Der jahrzehntelange Klassenkompromiß aus den Zeiten des Rheinischen Kapitalismus ist längst von oben aufgekündigt worden. Viele Vorständler der Gewerkschaften scheinen das nur noch nicht gemerkt zu haben. Wem solche Vokabeln als ideologisch oder linksextrem erscheinen, dem sei die Lektüre der tonangebenden Zeitung des größten deutschen Zeitungskonzerns empfohlen. Im Finanzteil der Welt vom 14. Juli ist der Aufmacher überschrieben: »Klassenkampf wird zum großen Investmentthema«. Die Wirtschaftsredakteure Daniel Eckert und Holger Zschäpitz reden Klartext und berufen sich auf Investmentbanker: »Es herrscht Klassenkampf in Deutschland, Kapital gegen Arbeit. Allerorten versuchen die Wirtschaftslenker, das Machtgefüge zu Lasten der Gewerkschaften zu verschieben (...) die Gewinne nach oben zu schrauben. Die teilweise Wiedereinführung der 40-Stundenwoche bei Siemens war der Dammbruch. Jetzt folgt mit DaimlerChrysler und der Androhung der Arbeitsplatzverlagerung der nächste Schlag.« Ein Analyst des Bankhauses Sal. Oppenheim wird mit dem Satz zitiert: »Das von Mercedes-Chef Hubbert ausgerufene Ultimatum (...) zeigt die Bereitschaft zu einer Eskalation«; er beurteile die Erfolgsaussichten positiv und sehe die Daimler-Aktie schon in Richtung 42,50 Euro – was einer Kurssteigerung um 20 Prozent entspräche. Euphorisch schreibt DieWelt von einer neuen »Klassenkampf-Investmentidee«: Die Verschiebung der Machtverhältnisse sei zum »Investmentthema geworden, mit dem sich an der Börse Geld verdienen läßt«, d.h. wenn die Analys-ten erwarten, daß sich in einem Unternehmen die Machtverhältnisse zu Lasten der Beschäftigten verschieben, dann lassen sie die Aktien steigen. Die beiden Welt-Redakteure sagen es frei heraus: »Die Kapitalmärkte mischen sich in die Debatte (um Lohnsenkungen; O.M.) ein und treiben die Konzernherren indirekt an, weiter Personal zu sparen.« Die Besitzer der Kapitaltitel geben sich nicht mit indirekter Einmischung zufrieden. In den Regierungsämtern und Parlamenten haben sie sich längst eine große Koalition eingekauft, die reibungslos in Gesetze umsetzt, was das Unternehmerlager verlangt. Wählen zwischen den Systemparteien vermag daran zur Zeit kaum etwas zu ändern. Als Gerhard Schröder nach dem verheerenden Stimmenverlust der SPD bei der Europawahl Trost brauchte, ließ er sich vor Fernsehkameras von Arbeitgeberpräsident Rogowski in den Arm nehmen, der ihm Mut zusprach: Wir wollen nicht, Herr Bundeskanzler, daß Sie scheitern. Ihr Reformprozeß muß konsequent fortgesetzt werden... In der Financial Times Deutschland war dieser Tage zu lesen, wie Schröder sich seinen Auftraggebern nützlich machen will. Angesichts der Proteste der 60 000 Daimler-Arbeiter warnte er vor einem »neuen Grundsatzkonflikt« über die Arbeitszeit. »Wer in dieser Frage ideologische Gräben aushebt, verunsichert die Menschen und schadet damit der Volkswirtschaft... Ich rate dazu, diese Dinge in den Betrieben zu regeln und möglichst wenig darüber zu reden.« Regierungsarbeit besteht für den SPD-Kanzler zur Zeit vor allem darin, das Volk ruhig zu stellen. Zugleich leistet seine Regierung die notwendige Vorarbeit für den Angriff der Unternehmerseite. Wer den abhängig Beschäftigten und ihren Familien mit Agenda-Gesetzen Krankheit und Alter als Eigenrisiko aufbürdet und ihnen im Falle des Jobverlustes die Arbeitslosenhilfe nimmt, der liefert sie der Gnade oder Ungnade ihrer Chefs »in den Betrieben« aus. Wer dazu ermuntert, den Flächentarifvertrag »flexibel« zu handhaben, braucht ihn offiziell gar nicht abzuschaffen – was Merkel und Westerwelle vorhaben. Er kann getrost abwarten, wie in einem Betrieb nach dem anderen die Arbeiter zu unbezahlter Mehrarbeit erpreßt werden, nachdem die IG-Metall in der letzten Tarifauseinandersetzung »Öffnungsklauseln« und unbezahlte Mehrarbeit grundsätzlich schon einmal zugelassen hat (s. »IG Metall auf dem Rückzug« in Ossietzky 4/04). Die Mythen von der angeblichen »Überalterung Deutschlands« oder den »Zwängen der Globalisierung« werden zwar immer noch gern bemüht, um Lohn- und Sozialraub zu legitimieren. Auch der neue Bundespräsident redet davon – und tut so, als wüßte er, der Weltökonom, nicht, daß die deutschen Konzerne weltweit nicht nur die meisten Exporte, sondern auch den größten Handels überschuß ausweisen und damit längst unübertroffene Globalisierungsgewinner sind. Spätestens unter Rot-Grün ist die BRD mittels Steuerdumping und Sozialabbau zum Dorado für das große Geld geworden. Doch Kapital muß gepflegt und am Leben erhalten werden, was nur durch Schöpfung von Mehrwert möglich ist: durch Auspressen von unbezahlter Mehrarbeit und mehr Naturverbrauch. Und vermehrtes Kapital benötigt vermehrte Profite im nächsten Jahr. Das Handelsblatt redet deshalb von einer »Pflicht« der Unternehmensführer, die Kosten zu senken und den Beschäftigten ihre »Besitzstände« zu nehmen. Siemenschef Heinrich von Pierer behauptet, es laufe ihm »kalt über den Rücken«, wenn er sich ungarische oder chinesische Unternehmen ansehe, weil die dort »fanatisch, viel härter und zäher« arbeiteten als wir hier in Deutschland (Die Welt) – und indem er die kurzfristige Mißempfindung erwähnt, die er stellvertretend für uns alle erleidet, macht er uns klar: Die armen Konzernlenker wollen bewundert und gelobt werden, wenn sie an das schwere Werk gehen, die Verhältnisse der 3. Welt bei uns zu installieren. Der Chefredakteur des Handelsblatts, Joachim Dorfs, besteht darauf, daß es »sozialer« und »patriotischer« sei, diesen »Konflikt zur rechten Zeit« zu führen, als weiter zu zögern und mit »geballter Faust in der Tasche« herumzulaufen. Die Krieger wollen mit offenem Visier kämpfen und die Ehre des Endsieges bald genießen. Wenn aber Kapital ungehindert akkumuliert, fängt es an zu wuchern. Marx hat herausgearbeitet, wie dieser Profit- und Akkumulationsmechanismus etwas absolut Zerstörerisches an sich hat, weil er »die Springquellen allen Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter«. Diese ökologische und soziale Verwü-stung ist es, was uns heute wirklich bedroht. Wenn die Gewerkschaften im offen ausgebrochenen Klassenkampf mit dem Rücken an der Wand weiterhin faule Kompromisse schließen, werden sie als Arbeiterorganisationen untergehen. Und sie werden nicht die einzigen Opfer sein. Kontext:
Erschienen in Ossietzky 15/2004 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |