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Störend wirkt nicht so sehr seine Eitelkeit und sein Drang zu einsamen Entscheidungen oder der Hang zu Selbstinszenierungen – erfolgreiche Politiker haben offenbar ohne ein gewisses Maß an Egozentrik kaum eine Chance, in unserer Kampagnen-Demokratie Aufmerksamkeit zu erringen. Schlimmer, geradezu gefährlich ist Lafontaines Sucht, die populistische Klaviatur zu bedienen. Wer immerzu »dem Volke« aufs Maul schauen will, gerät bald in den Sog, diesem »Volk« nach dem Munde zu reden, das heißt ihm bittere Wahrheiten zu ersparen und statt dessen mit leicht eingängiger Demagogie aus dem Arsenal der rechten Rattenfänger aufzuwarten. Auf den ersten Blick hat Oskar Lafontaine eine richtig linke »Streitschrift für eine gerechte Gesellschaft« geschrieben, wie der Untertitel seines neuen Buches »Politik für alle« lautet. Schonungslos rechnet er mit der Führungsriege seiner eigenen Partei – der er aber immer noch angehört! – wie auch mit dem grünen Koalitionspartner ab: Unter der Regierung von Schröder, Clement, Eichel und Fischer habe die seit langem von den Lobbyisten der Kapitalseite schleichend vorangetriebene »neoliberale Revolution« erst richtig an Fahrt gewonnen. Eichels »große Steuerreform« sei ein einziges Staatsverarmungsprogramm zur Bereicherung der Hochverdienenden und Vermögenden. Die Riester-Reform, die Agenda 2010 ebenso wie die Hartz-Gesetze hätten alle das gleiche Ziel: Rentner, Kranke, Arbeitslose ärmer zu machen, damit die Reichen noch reicher werden. Der gesamten deutschen Volkswirtschaft sei durch diesen neoliberalistischen Irrsinn schwerer Schaden entstanden; wegen wegbrechender Binnennachfrage und fehlender Staatsinvestitionen gebe es seit Jahren kaum noch Wirtschaftswachstum. Lafontaines »Programm für den Kurswechsel«, mit dem die Streitschrift schließt, will aus der verheerenden Diagnose die richtigen Konsequenzen ziehen: eine »faire Steuerpolitik«, einen »Sozialstaat für alle«, eine »Wirtschaftspolitik gegen Arbeitslosigkeit«. Nützlich ist das Buch auch wegen vieler Zahlenvergleiche sowohl mit anderen Ländern, deren Steuer- und Sozialsysteme zum Teil besser ausgestattet sind, als auch mit früheren Jahren, denn erst unter Rot-Grün sind die deutschen Steuer- und Sozialquoten in einem für den Staat und den gesellschaftlichen Zusammenhalt ruinösen Maße gesenkt worden. Einen gewichtigen Teil des Buches macht Lafontaines Versuch aus, die vom Neoliberalismus bewirkte »Korruption der Sprache und des Denkens« vorzuführen. Konstatiert wird, daß »die Linke«, die noch in den siebziger Jahren die »kulturelle Hegemonie« besessen habe, heute durch eine »von USA und England ausgehende neoliberale Kulturrevolution« überrollt worden sei. SPD und Grüne überschlügen sich inzwischen darin, wer am besten den »New Speach« der Herrschenden zu sprechen vermag. Fazit: »Heute sind alle Parteien nicht kommunistisch, sondern kapitalistisch unterwandert.« Daran ist viel Wahres. Wenig überzeugend aber sind Lafontaines Appelle zur Wiedererlangung der kulturellen Hegemonie. Er verlangt eine »grundlegende sittliche Neuorientierung des Landes«, fordert mehr »Dichter und Denker statt Kostensenker« und meint: »Jeder Wiederaufstieg Deutschlands muß ausgehen vom sittlichen Empfinden des Deutschen Volkes.« Sein Wünschen und Wollen wird hilflos und bekommt verräterische Töne. Denn was verlangt nach Lafontaines Wahrnehmung »das Volk«? Es verlangt zum Beispiel die Rücknahme der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe nach Hartz IV. Ein Betroffener wird zitiert: »Mit Hartz IV werde ich, der Arbeitssuchende, mit all denen auf eine Stufe gestellt, die gar nicht arbeiten möchten.« Solche von Ressentiments vollgesogenen Äußerungen wertet Lafontaine des öfteren als Belege für die Meinungen des Volkes, ohne sie auf ihren Wahrheitsgehalt zu hinterfragen – er macht sie sich zu eigen. Die Zusammenlegung, so schreibt er, war »aus diesem Grund ... ein Kardinalfehler«, gehe es doch »um das Selbstwertgefühl und um die Würde der Menschen«. Die Würde der (bisherigen) Sozialhilfeempfänger darf demnach mit Füßen getreten werden. Der Kämpfer für soziale Gerechtigkeit hört offenbar nicht die Klagen aller Wohlfahrtsverbände, wonach das Niveau der Sozialhilfe schon seit Jahren kein menschenwürdiges Leben mehr gewährleistet, und meint stattdessen, Sozialhilfe stelle sicher, daß »niemand verhungern muß, daß jeder ein Dach über dem Kopf hat, daß alle ordentlich gekleidet sind und daß sie im Fall einer Krankheit ärztlich versorgt werden«. Obdachlose, die wegen fehlender Zehn-Euro-Praxisgebühr nicht mehr zum Arzt gehen, kennt er nicht. Sein Reformvorschlag für eine »Arbeitslosenversicherung, die ihren Namen verdient«, sieht dann auch strenge Mißbrauchsüberprüfungen vor, wie sie von den schwer Arbeitenden mit Recht verlangt würden, und er will »Bedürftigkeitskriterien« einführen, wonach jemand so lange Arbeitslosengeld erhält, bis der Betrag aufgebraucht ist, den er in den Jahren zuvor eingezahlt hat; danach fällt er dann in die Sozialhilfe, weil auch seine Würde aufgezehrt ist... Lafontaine verlangt noch nicht »Ausländer raus!«, will aber die »Zuwanderung ... steuern und regeln«, was in Zeiten schlechter Konjunktur nur heißen kann: Macht die Grenzen dicht! Türken mit ihrer muslimischen Religion zeigten zudem, daß sie nicht zu uns als Nation gehören wollten, meint er; sie bildeten »Parallelgesellschaften«, zumal 18 Prozent der türkischen Haushalte Sozial- und Arbeitslosenhilfe bezögen – ein Hinweis, der sich nur allzu sehr dazu eignet, Türkenfeindlichkeit anzuheizen, jedenfalls dann, wenn der Autor mitzuteilen vergißt, wie hoch dieser Anteil bei der übrigen Bevölkerung liegt, nämlich noch etwas höher. Ausdrücklich macht er sich zum Anwalt derer, die »Widerstände gegen Aussiedler, Bürgerkriegsflüchtlinge und Asylbewerber« zeigen, weil angeblich »Zuwanderung ... immer Konkurrenz um Arbeitsplätze, Wohnungen und Lebens-chancen« bedeute. Er verlangt »in einer modernen Nation die Verpflichtung des Staates ..., zuallererst für diejenigen zu sorgen, die seine Bürger sind und sich, soweit sie Einnahmen haben, an der Finanzierung des Gemeinschaft beteiligen«. Auch für das Handeln der Gewerkschaften habe zu gelten: »Das nationale Hemd ist einem näher als der internationale Rock.« Wollte die Sozialdemokratie nicht einst für »internationale Solidarität« antreten? Nach alledem kann es kaum noch verwundern, wie dieser sozial-nationale Populist sich den Erfolg der »neoliberalen Revolution« erklärt. Schuld sind die bestochenen und gekauften Politiker und Manager, die sich in die Hände eines global agierenden »Shareholder-Value-Kapitalismus« begeben haben. Das böse »Finanzkapital«, der »internationale Finanzkapitalismus« mit seinem Zentrum in der »Finanzindustrie der Wall Street«, habe die Politiker aller Parteien sich unterworfen, auch die der SPD. Heute holten sich die etablierten Parteien und die großen Firmen »Sanierer«, die im Interesse der Finanzindustrie nur eins kennten: »Runter mit den Löhnen, runter mit den sozialen Leistungen, runter mit den Steuern! Viel eher als solche Burschen benötigen wir Menschen wie Ferdinand Porsche«, der Hitlers Kriegs-Motorisierung maßgeblich vorantrieb, was Lafontaine aber nicht interessiert. »Es fehlen kreative Gestalter und Denker wie der Ingenieur Gottlieb Daimler oder Erfinder wie der Ingenieur Carl Friedrich Benz« oder der »Konstrukteur Robert Bosch« oder »Persönlichkeiten wie Werner von Siemens ... Mit den Namen der großen Erfinder, Wissenschaftler und Techniker verbinden wir den Aufstieg Deutschlands zu einer der großen Industrienationen der Welt ... Haben wir vielleicht die falschen Leitbilder?« Man hört förmlich das Loblied auf das gute »schaffende Kapital«, das sich befreien müsse vom bösen »raffenden Kapital«, das alte Lied, das einst die Nazis intoniert haben. Oskar Lafontaine will nach der nordrhein-westfälischen Wahl entscheiden, ob er sich der Wahlalternative für Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) an-schließen werde. Die Gründer der neuen Partei scheinen sehnsüchtig auf diesen Matador zu warten. Wissen dort alle, wen sie sich damit einhandeln?
Oskar Lafontaine: »Politik für alle – Streitschrift für eine gerechte Gesellschaft«, Econ-Verlag Berlin, 304 Seiten, 19.95 Kontext:
Erschienen in Ossietzky 8/2005 |
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