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Eine linke Mehrheit?
Eckart Spoo
Das Wahlergebnis vom 18. September hat mancherlei Deutung erfahren. Wir hätten jetzt eine »Mehrheit links von der Mitte«, sagte Jürgen Peters, der Vorsitzende der IG Metall, und freute sich so, als dürften wir nun vom Deutschen Bundestag eine Wende zu sozialer Politik erwarten – als würde das Phantom »Rotrotgrün« etwa den Sozialabbau rückgängig machen, den »Rotgrün« seit Jahren systematisch betrieben hat und noch in den letzten Tagen seiner zweiten Regierungsperiode betreibt. Dagegen hatte der Programmdirektor des ZDF, Thomas Bellut, gleich am Wahlabend fröhlich behauptet, über 90 Prozent der Wähler hätten »für Reformen« gestimmt, also – denn anders ist das Wort »Reform« ja nicht mehr zu verstehen – für weiteren Sozialabbau.
Eine Mehrheit gegen oder mehr als 90 Prozent für Sozialabbau – da öffnet sich ein großer Raum für Interpretationen und Schlußfolgerungen. Wer hat recht?
Der CDU-nahe Journalist sah das Ergebnis mit nüchternem Blick. Im Wahlkampf hatte die Linkspartei als einzige der Parteien, die ins Parlament gelangten, entschieden gegen die Hartz- und Agenda-Politik, als einzige auch gegen Bundeswehr-Machtentfaltung weltweit argumentiert. Sie kam damit in den ostdeutschen Ländern und Ost-Berlin auf mehr als ein Viertel der Stimmen und übersprang in mehreren westdeutschen Ländern die fünf Prozent Hürde – ein stattlicher Erfolg. Aber daß sie insgesamt einen Stimmenanteil von 8,7 Prozent erhielt bedeutet eben, daß sich über 90 Prozent der Wähler für die »Reform«-Parteien entschieden.
Wenn Peters von einer »Mehrheit links der Mitte« spricht, unterstellt er der SPD und den Grünen, sie seien linke Parteien. Der liebe Kollege ist beseelt von Wunschdenken. Gerhard Schröder hat schon vor sieben Jahren, als er das Amt des Bundeskanzlers übernahm, seine Partei in der »Mitte« verortet. Er verwendete den Begriff »neue Mitte«, der aber gar nicht so neu war, wie er erschien. Schröders Sprache hat überhaupt kaum eigenes vorzuweisen – außer der »Enttabuisierung des Militärischen«. Auf die »neue Mitte« hatte sich zuvor Willy Brandt festgelegt, und zwar 1973 in der konservativ geprägten Regierungserklärung zu Beginn seiner zweiten Wahlperiode, als »Mehr Demokratie wagen«, die Kernaussage seiner Regierungserklärung 1969, längst abgetan war.
Die Geschichte des Begriffs »neue Mitte« reicht aber noch viel weiter zurück: zu Hermann Müller (»Panzerkreuzer-Müller«), dem letzten sozialdemokratischen Kanzler der Weimarer Republik. Und immer nahmen nur einzelne Sozialdemokraten – eine zahlenmäßig unbeachtliche Minorität – daran Anstoß. Wenn eine Partei sich selber nicht zur Linken, sondern zur Mitte rechnet, wenn sie jedenfalls gehorsam hinnimmt, daß die von ihr an die Spitze gewählten Politiker ihr diese Position zuweisen, dann wären wir töricht, von ihr eine linke Politik zu erhoffen.
Und die Grünen? Sie sind gewiß nicht linker als die nichtlinke,großkoalitionär gestimmte SPD; sie hatten übrigens, wie ihre aus der Lüchow-Dannenberger Anti-Atom-Bewegung kommende Europa-Abgeordnete Rebecca Harms neulich besorgt feststellte, auch kaum noch Umweltpolitiker auf ihren Kandidatenlisten zur Bundestagswahl. Längst wird diese Partei dominiert von neoliberalen, das heißt kapitalbe-flissenen, in realexistierenden Besitz- und Machtverhältnissen heimisch gewordenen sogenannten Realpolitikern.
Daß Sozialdemokraten und Grüne Gespräche mit der Linkspartei meiden, aber gegenüber der CDU/CSU keinerlei Berührungsängste haben und daß vor allem die SPD im Wahlkampf gegen die Linkspartei so heftig polemisierte wie gegen keine andere, sollte schon deutlich genug zeigen, wo die Front verläuft. Linke Illusionen können den Linken nur schaden.
Das gilt auch hinsichtlich der Linkspartei. Wie links ist der von der PDS-Führung über die Berliner Landesliste ins Parlament gehievte Professor Hakki Keskin? Wie links ist der frühere baden-württembergische SPD-Vorsitzende Ulrich Maurer, dessen Widerstand gegen Schröders Politik uns jahrelang verborgen blieb? Wie links ist die frühere Bundestagsabgeordnete der Grünen, Monika Knoche? Wie links ist Roland Claus, der Vorsitzende der PDS-Fraktion im vorletzten Bundestag, der bei Georg W. Bush dafür um Entschuldigung bat, daß sich drei Fraktionsmitglieder sichtbar von dessen Kriegen distanziert hatten? Wie links ist, genau besehen, der PDS-Vorsitzende Lothar Bisky, der am Wahlabend in der »Berliner Runde« des Fernsehens beim Vorhalt der »Radikalität« so demonstrativ zusaammenzuckte, als hätte er den Radikalenerlaß verinnerlicht, und sich bei dieser Gelegenheit flugs von Sahra Wagenknecht, der Europa-Abgeordneten seiner Partei, distanzierte? Ich erinnerte mich gleich daran, daß er so gar schon einmal den Parteiausschluß nicht nur Sahra Wagenknechts, sondern auch anderer namhafter Marxisten angeregt hatte, darunter des früheren Bundestagsabgeordneten Uwe-Jens Heuer. Auch für die beiden Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei würde ich nicht die Hand ins Feuer legen, so gern ich ihnen immer zuhöre, wenn sie öffentlich reden. Daß Gregor Gysi für die im Entstehen begriffene Partei den Namen »Die Linke« in Anspruch nimmt, ist gegenüber Sozialdemokraten und Grünen konsequent, aber es ist auch, wie er selber sagt, »anmaßend«. Anmaßend ist vor allem sein ausdrücklicher Anspruch, dazu berechtigt zu sein.
Wenn sich die Linkspartei im wesentlichen darauf beschränkt, sozialdemokratische Positionen zu vertreten, von denen die SPD nach und nach abgerückt ist, wenn ihr sozialistische Vorstellungen abhanden kommen, wenn sich führende Politiker dieser Partei auf die antikommunistische Staatsdoktrin festlegen lassen, dann sollten die diversen linken Gruppen im Land davor gewarnt sein, sich vereinnahmen und disziplinieren zu lassen. Ihre Aufgabe bleibt, in aller geistiger Unabhängigkeit die Gesellschaft zu analysieren, Ziele jenseits des Kapitalismus zu formulieren, außerparlamentarisches Handeln zu organisieren.
Wir müssen das Wahlergebnis illusionslos betrachten, um dann die tatsächlichen Chancen zu erkennen, die es bietet. Schon im Wahlkampf war klar geworden, daß die Sorge vor weiteren »Reformen« in der Bevölkerung viel größer ist als die Zustimmung zur Linkspartei. Die SPD trat mit sozialstaatlichen Parolen auf, die ihre siebenjährige Regierungspolitik vergessen machen sollten. Die CDU/CSU profitierte nicht von der Enttäuschung über »Rotgrün«, sondern verlor wegen der auch in den eigenen Reihen konstatierten »sozialen Kälte«, die sie ausstrahlte, ein zehntel ihrer Wähler (in Bayern noch viel mehr), und ihre Verluste an die FDP erklären sich weniger aus deren Marktradikalismus als vielmehr aus dem entschiedenen Widerspruch zur Mehrwertsteuererhöhung, auf die sich die Union entgegen den Sorgen des unter dem Verfall der Massenkaufkraft leidenden Einzelhandels festgelegt hatte. Die »Reform«-Parteien werden also nicht einfach weiter wie bisher die Programme abarbeiten können, die ihnen die von exportorientierten Großkonzernen beherrschten Unternehmerverbände vorschreiben – schon deswegen nicht, weil sonst die Linkspartei erstarken könnte.
Ob die Linkspartei größer und stärker wird, hängt wesentlich davon ab, daß sich alle ihre Abgeordneten von der Vorstellung lösen, der SPD zu Hilfe kommen zu müssen, sobald sie gerufen werden. Sie müssen ihre eigene Politik entwickeln. Ulla Lötzer zum Beispiel soll bitteschön ein Genossenschaftsgesetz zur Förderung von Selbsthilfe und Kooperation einbringen, das sie schon bei ihrem ersten Einzug in den Bundestag versprochen hatte.
Die Ossietzky-Redaktion freut sich besonders, daß Mitherausgeberin Ulla Jelpke wieder im Bundestag sitzt, wo sie damals zu den drei Abgeordneten gehörte, von denen sich der Fraktionsvorsitzende bei Mister Bush distanzierte. Gewählt ist auch unser ständiger Mitarbeiter Norman Paech, dem die Hamburger zwei Tage vor der Wahl laut Umfrage der Hamburger Morgenpost bestätigt hatten, der glaubwürdigste aller Hamburger Bundestagskandidaten zu sein. Und wir gratulieren unserem Autor Max Stadler (FDP), der als glaubwürdiger Liberaler im schwarzen Passau 15 Prozent erreichte.
Kontext:
Erschienen in Ossietzky 20/2005
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