Den Aufsatz kommentieren Verpaßte Chancen und verspielte FreiheitErinnerung an eine verschlafene deutsche Revolution im Herbst 1989von Marcus Hawel "Einer stimmte das Lied an,
Hunderte fielen ein, einer alten Frau in der langen Reihe vor
den Fahrkartenschaltern knickten buchstäblich die Knie
ein: 'Völker, hört die Signale ...', die
Internationale. Und danach: 'We shall overcome'. Als
ein Baß versuchte, mit dem Deutschlandlied durchzukommen,
ging er in Pfiffen unter. Es mochten fünfzehn Minuten
vergangen sein, als sich aus den Lautsprechern eine
bahnamtliche Stimme krächzend bemerkbar machte: 'Wir
bitten Sie, die Vorhalle zu verlassen. Sie blockieren den
Zugverkehr und anderen Bürgern die Heimfahrt.' Nur
einmal gesagt, und schon räumten die Demonstranten
diszipliniert die Treppe und entschwanden durch die Portale ins
Freie. Im Handumdrehen verloren sie sich im dichten Nebel:
Leipziger Herbst 1989." PrologAm Anfang war Deutschland geteilt. Aber das ist ein unzulässiger Beginn einer Replik auf die deutsche Nachkriegsgeschichte. Für gewöhnlich wird so begonnen und auch daraus geschlußfolgert, die deutsche Zweistaatlichkeit sei eine unmittelbare Folge des Zweiten Weltkrieges gewesen. Das stimmt nicht ganz. Unmittelbare Folge des vom Deutschen Reich angezettelten Krieges war nicht die Teilung, sondern die Einteilung Deutschlands in Besatzungszonen, in denen die alliierten Siegermächte als Schutz- und Befreiungsmächte eine grundlegende Entnazifizierung und Demokratisierung durch ihre Kontrolle gewährleisten wollten. Erst seit 1949 wurden zwei in ihrer Souveränität eingeschränkte deutsche (Teil-)Staaten gegründet: BRD und DDR. Zuvor war Ostdeutschland lediglich sowjetisch besetzte Zone (SBZ) innerhalb des einen Deutschlands. Die Zweistaatlichkeit war vielmehr eine Folge des begonnenen Kalten Krieges als des verlorenen Weltkrieges. Daß letzteres aber sich so hartnäckig als Erinnerungsspur im historischen Bewußtsein verankerte, hat mit einer ganz bestimmten, kollektiven Verdrängungsleistung zu tun: Die Gründung der DDR als eigenständiger Staat wurde von den Westdeutschen hingenommen als eine Art Opfergabe für die Schuld des Schreckens, den die Deutschen im NS-Faschismus verbreitet hatten. Eine Wiedervereinigung wurde deshalb über viele Jahrzehnte der bundesrepublikanischen Geschichte von den breiten Schichten der Öffentlichkeit und ganz ausdrücklich von Konrad Adenauer und seinen politischen Enkeln gar nicht gewollt, denn basierend auf dieser Lebenslüge galt: "Verlorenes Land ist verlorene Schuld".[1] Die Gegenleistung des Opfers: Schuldfreiheit. Mit anderen Worten: Das lästige kollektive Bedürfnis nach Wiedervereinigung hatten die Herrschenden im Westen gegen ihre Interessen nicht zu befürchten. Beide deutschen Staaten wählten voneinander die größtmögliche Abgrenzung: die des wechselseitigen Ausschlusses von Kapitalismus und Sozialismus sowie der militärischen Eingliederung in NATO und Warschauer Pakt - Folge der Kalten-Kriegs-Logik. Erst völlig andere Umstände - das absehbare Ende des Kalten Krieges im Jahre 1989 - konnte einen neuen gesamtdeutschen Nationalismus in der Bundesrepublik auch unter Liberalen und Linken wieder salonfähig machen, der eine umgekehrte, zweite Form der Verdrängung von Schuld möglich machte: Wiedergewonnenes Land ist wiedergewonnene Unschuld. DDR-NachkriegsgeschichteDer Mauerbau im Jahre 1961 war das sichtbarste öffentliche Eingeständnis der sowjetischen Besatzungsmacht und der Machthaber der jungen DDR, daß der Aufbau eines totalitären Regimes nicht auf dem Willen und der Anerkennung der Bevölkerung beruhte, die bereits 1953 den Volksaufstand geprobt und in riesigem Ausmaß bis zum Bau der Mauer das Land verlassen hatte. Mit Mauer und Stacheldraht war der brain drain gestoppt; die ausgezehrte Wirtschaft konnte sich konsolidieren und innerhalb der nächsten 15 Jahre zur stärksten Osteuropas werden. Seit 1977 steckte das DDR-Regime jedoch in einer wirtschaftlichen Krise und konnte sich seitdem nur mit westlichen Subventionen, Devisen und Krediten, sowie über halblegale Geschäfte wie Waffen- und Drogenhandel und durch Spekulationen mit kapitalistischen Unternehmungen, Einkauf in westliche Konzerne etc. am Leben erhalten. Solche Machenschaften waren für das DDR-Regime in zweierlei Hinsicht brisant: zum einen widersprach das der offiziellen Doktrin eines sozialistischen Staates und mußte als Legitimationsschwäche vor der Bevölkerung der DDR weitgehend verheimlicht werden. Zum anderen hatte sich das Regime durch Kredite und kapitalistische Geschäfte vom Westen, insbesondere von der Bundesrepublik abhängig gemacht, so daß für den stetigen Fluß von Devisen und Krediten Zugeständnisse an demokratische Tugenden gemacht werden mußten, weshalb es sich die Herrschenden nicht leisten konnten, mit offenem Terror gegen Oppositionelle und Andersdenkende vorzugehen. Das Regime mußte im Interesse der Wahrung seines außenpolitischen Renommees einen offiziell demokratischen Schein bewahren, während es die oppositionellen Gruppen mit einer versteckten, unterhalb der Oberfläche operierenden Repressionsgewalt überzog. Überwiegend erfolgte das durch Maßnahmen der Staatssicherheit (Stasi), deren inoffizielle Mitarbeiter zersetzerisch und subversiv auf die oppositionellen Gruppen Einfluß auszuüben versuchten. Die Wahrung des offiziellen, demokratischen Scheins ergab demnach - im Gegensatz zu offen eingestandenen stalinistischen Praktiken wie etwa in Rumänien - einen für realsozialistische Länder relativ größeren Spielraum für oppositionelle Arbeit. Vor allem die Kirche spielte in der DDR in diesem Zusammenhang eine wesentliche Rolle für die Gewährleistung oppositioneller Politik, solange diese unter deren Schutzmantel stattfand.[2] Das wiederum sollte nicht über den eindeutig repressiven Charakter des DDR-Regimes hinwegtäuschen, das faktisch eine Diktatur dargestellt hatte, welche latent stets dazu bereit war, in offene Barbarei umzuschlagen. Dieselbe poststalinistische SED-Herrschaft, die 1989 sich beinahe für eine chinesische Lösung ihrer politischen Krise entschieden hatte (den Einsatzbefehl zur Niederschlagung der ostdeutschen Opposition mit Panzern hatte es schon gegeben und wurde letztendlich angeblich durch Egon Krenz verhindert; also derjenigen Person, die als Diplomat der DDR im September desselben Jahres noch nach China gereist war, um der chinesischen KP für die Niederschlagung des "konterrevolutionären Aufruhrs" auf dem Platz des himmlischen Friedens zu gratulieren), hatte auch bereits Pläne für Internierungslager für Dissidenten in der Schublade.[3] Luxemburg-Affäre 1988Eine wachsende Bewegung von Aussiedlungswilligen, die spätestens seit 1988 aufgrund des stetig zugenommenen Wohlstandsgefälles zwischen BRD und DDR entstanden war, zerstörte letztendlich den demokratischen Schein des darunter repressiv veranlagten DDR-Regimes. Die Unzufriedenheit der DDR-Bürger über mangelhafte Reisemöglichkeiten, Gesundheits- und Lebensmittelversorgung beflügelte ihre Phantasie hinsichtlich des "Schlaraffenlandes BRD" immens. Auf die sogenannte Luxemburg-Affäre, die quasi den Repressionshöhepunkt gegen die DDR-Basisgruppen dargestellt hatte, erhöhte sich 1988 schlagartig die Masse ausreisewilliger DDR-Bürger. Rosa Luxemburg war im DDR-Regime zu einer staatlich verordneten Ikone gemacht. Jedes Jahr wurde unter staatlicher Regie ihrer und Karl Liebknechts Ermordung gedacht. - Diese Praxis des (Anti)-Gedenkens versprach eine Bewältigung der kritischen Inhalte Luxemburgs und korrespondierte nahtlos mit der Verfolgung politisch Andersdenkender. Luxemburgs Schriften waren auch von der westdeutschen KPD generell dem Ketzereivorwurf des Luxemburgismus ausgesetzt, weil sie bereits in frühen Jahren zur scharfen Kritikerin der sowjetischen Verhältnisse und deshalb unter der kritischen Linken zu einer Galionsfigur sozialistischer und kommunistischer Gegner des Stalinismus geworden war. - Im Januar 1988 beteiligten sich an der staatlichen Gedenkdemonstration vereinzelte, unabhängige Oppositionelle. Ein Transparent mit der Aufschrift "Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden" wurde von der Obrigkeit als skandalöser Angriff auf den staatlichen Gedenkakt gewertet. Verhaftungen und Verhöre folgten und lösten in der ganzen DDR eine Protest- und Solidarisierungswelle aus. Zunächst folgte der Luxemburg-Affäre eine allgemeine Ausweitung des Widerstandes in der DDR. In Leipzig etwa kam es jeden Montag zu Friedensgebeten in der Nikolaikirche, dann aber folgten wiederum brutale Repressionen gegen Dissidenten und auch etwa gegen die in Dresden größer gewordene Punkbewegung. In der Folge kam es zu einer großen Welle von Ausreisewilligen DDR-Bürgern und namhaften Oppositionellen, die regelrecht unverhohlen Kontakte zu den Basisgruppen suchten, um bei der Stasi als unliebsame Störenfriede in Verdacht zu geraten, damit ihre Ausreiseanträge von den Behörden schneller genehmigt würden.[4] Im Ganzen wirkte sich die Luxemburgaffäre schwächend auf die Stellung der Basisgruppen aus, während im gleichen Zuge daraus die Machtposition der Evangelischen Kirche gestärkt hervorging. Die "Wende" in der DDR 1989Im Jahr 1989 verschärften sich die gesellschaftlichen Probleme. Hinzu kam das zunehmend gravierendere Phänomen der Ausländerfeindlichkeit hauptsächlich gegen Polen und Vietnamesen als Folge einer Zuspitzung der wirtschaftlichen Krise. Neofaschismus und Rechtsextremismus waren in der DDR Tabuthemen, weil sie dem offiziellen Bild einer antifaschistischen DDR widersprachen. Tatsächlich konnte aber an einer breiten faschistischen Skinhead-Bewegung in Ostdeutschland wie im gesamten Osteuropa nicht mehr vorbeigesehen werden.[5] Glasnost hatte bewirkt, daß das entzündete gesellschaftliche Wundmal aufgeschnitten werden konnte, und was als erstes herausquoll, war zunächst nichts anderes als Eiter. Glasnost hatte bewirkt, daß das entzündete gesellschaftliche Wundmal aufgeschnitten werden konnte, und was als erstes herausquoll, war zunächst nichts anderes als Eiter. Aus den Basisgruppen, die seit 1986 vermehrt in Ostdeutschland oppositionelle Arbeit geleistet hatten, formierten sich seit Juli 1989 die Bürgerbewegungen, die mit der Organisation von Massendemonstrationen schließlich das DDR-Regime zu Fall brachten.[6] Allerdings hatte keine der Protestgruppen einen solchen Sturz des Regimes tatsächlich beabsichtigt.[7] Die Basisgruppen und Bürgerbewegungen hatten den Untergang der DDR weder vorausgesehen, noch hatten sie ihre Oppositionsarbeit zum Zwecke einer Überwindung von DDR und Sozialismus geführt, sondern waren vielmehr an einer Demokratisierung des real existierenden Sozialismus interessiert, an einem Sozialismus mit menschlichem Gesicht.[8] Die Opposition vermochte der DDR, die wie ein Koloß auf tönernen Füßen stand, nur noch den Gnadenstoß zu versetzen. Die weitere Entwicklung schien wie durch höhere Mächte vorherbestimmt. Als neuralgischer Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte und die Ostdeutschen zum massenhaften Protest anleitete, kann die gefälschte Kommunalwahl vom 7. Mai 1989 angesehen werden.[9] Daß Wahlergebnisse üblicherweise von der SED gefälscht wurden, wußte jeder, aber hier konnte der offensichtliche Wahlbetrug zum ersten Mal bewiesen werden, weil Oppositionelle die Wahl beobachtet und kontrolliert hatten; das löste endgültig den Protest vieler im aufrechten Gang bereits schon mehrfach geübter DDR-Bürger aus. Im Frühjahr 1989 hatte das DDR-Regime unter der Führung von Erich Honecker bereits dermaßen in der Bevölkerung an angsterheischender Anerkennung verloren, daß in dem Augenblick eine Massenflucht in den Westen einsetzte, als die ungarischen Behörden Anfang Mai 1989 den Eisernen Vorhang an der Grenze zur DDR kurzerhand einrissen und somit den Weg über die grüne Grenze in den Westen freigaben. In den westdeutschen Botschaften in Budapest, Ost-Berlin, Prag und Warschau sammelten sich in der Folge massenhaft illegal eingereiste DDR-Flüchtlinge und erzwangen Ende September mit der Unterstützung durch Bonner Politiker ihre legale Ausreise in den Westen. Zu den Staatsfeiern des 40. Jubiläums der DDR (6. - 8. Oktober) ermahnte der Staatschef der Sowjetunion Michail Gorbatschow die SED-Führung zu grundlegenden Reformen. Massendemonstrationen in den zentralen Städten wie Leipzig, Magdeburg oder Ost-Berlin rangen schließlich der SED-Führung einen "Wandel" ab. Honecker wurde am 18. Oktober gestürzt, Egon Krenz war sein Nachfolger und versprach den unzufriedenen DDR-Bürgern Reformen; er wollte aber an dem Führungsanspruch der SED und an der marxistisch-leninistischen Hegemonie festhalten. Die in diesen Monaten erstarkte DDR-Opposition forderte hingegen freie Wahlen, Parteienpluralismus und Reisefreiheit; sie traute der SED-Führung, die nunmehr aus ihren hinteren Reihen vermeintlich unbelastete Kader auf Führungspositionen setzte, nicht mehr über den Weg.[10] Die Idee des Sozialismus hingegen war unangefochten. Was dem Marxismus-Leninismus vornehmlich von den ostdeutschen Intellektuellen und Künstlern entgegengehalten wurde, war nichts geringeres als die Auffassung Rosa Luxemburgs, daß es keinen Sozialismus ohne Demokratie geben könne und Freiheit immer die Freiheit des Andersdenkenden sei.[11] Verlauf einer allmählichen ÜbergabeBis zum Zeitpunkt der Maueröffnung am 9. November ließ sich in etwa eine klare politische Trennung zwischen denen vollziehen, die aus egoistischen, materiellen Gründen ihr Glück im Kapitalismus versuchen wollten und folglich die DDR verließen,[12] und denen, die den spätstalinistischen Realsozialismus in der DDR demokratisieren zu können glaubten und von Wiedervereinigung und Kapitalismus nichts wissen wollten. Wiedervereinigungsparolen fanden zunächst auf den Massendemonstrationen keinen Anklang. Das änderte sich schlagartig ab dem Zeitpunkt von Kohls Zehn-Punkte-Plan "zur Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas", den er am 28. November 1989 als Reaktion auf den sich wenige Tage zuvor ereigneten Durchbruch der Berliner Mauer im Bundestag verkündete. Zwar formulierten prominente ostdeutsche Oppositionelle als Gegenreaktion einen Aufruf ("Für unser Land"), in dem sie als soziale Alternative zur Bundesrepublik eine eigenständige DDR forderten,[13] aber auf den Leipziger Montagsdemonstrationen tauchten zum ersten Mal die Deutschlandflaggen (West) auf. Am 6. Dezember trat Egon Krenz von seinem Amt als Staatsratsvorsitzender zurück. Ein runder Tisch wurde eingerichtet, von dem aus die alten Parteien mit den neuen Oppositionsgruppen in Dialog traten und gemeinsam "regierten". Gregor Gysi wurde zum neuen Chef der SED gewählt, die sich knapp eine Woche später in PDS umbenannte und mit dem Grundsatz des Marxismus-Leninismus brach. Seit dem 11. Dezember wurde auf den Leipziger Montagsdemonstrationen "Deutschland einig Vaterland" skandiert. Die westdeutsche Presse hatte das Glockengeläut der vermeintlich aufgewachten deutschen Nation schon einige Wochen zuvor mit angeheizt.[14] In den deutschen Zeitungen war zuvor noch umfassend davor gewarnt worden, die deutsche Einheit mit Ach und Krach forcieren zu wollen. Eine große Gefahr wurde darin gesehen, wenn die Reformen (vor allem in der Sowjetunion und in Polen) ins Stocken geraten könnten und damit auch die Reformen in Ungarn, Tschechoslowakei und in der DDR. Die Emanzipation in ganz Osteuropa stünde auf dem Spiel, wenn etwa an der deutschen Frage Gorbatschows Perestroika-Bemühungen zunichte gemacht würden. Aber zwischen den Zeilen ließ sich in den Kommentaren nahezu aller bürgerlichen Zeitungen die "vorherbestimmte" Einheit der Deutschen herauslesen.[15] Polen hatte aufgrund der Solidarnosc-Bewegung der achtziger Jahre hinsichtlich der Wiedervereinigungsfrage eine Schlüsselstellung. Kohls Polenbesuch im Herbst 1989 diente dem Versuch, den dort in Gang gekommenen Reformfluß durch finanzielle Hilfen abzusichern, damit die deutsche Einheit nicht in Gefahr gerate. Die Angst vor einer chinesischen Lösung, d.h. einer blutigen Niederschlagung der Opposition, wie sie in China am 3. September 1989 unter der Führung von Deng Xiaoping auf dem Platz des himmlischen Friedens vonstatten gegangen war, ist weit verbreitet gewesen; zu Recht, wie es sich kurze Zeit später in Rumänien unter Ceausescu bestätigte. Während führende westdeutsche Politiker und Journalisten immer wieder quasi mit erhobenem moralischen Zeigefinger darauf hinwiesen, daß es in erster Linie um die Selbstbestimmung der DDR-Bürger gehe, war der Fahrplan hin zu einem vereinten kapitalistischen Deutschland bereits durch den entsprechenden Passus im BRD-Grundgesetz, daß die Deutschen ihre staatliche und nationale Einheit zu vollenden haben, vorherbestimmt worden. Kohl griff die Forderung der ostdeutschen Bürgerbewegung nach Selbstbestimmung auf, instrumentalisierte aber die dahinterstehende Begrifflichkeit, indem er unter Selbstbestimmung nicht die des Volkes, sondern die der deutschen Nation verstand.[16] Er richtete in diesem Zusammenhang vor allem seinen Appell an die Alliierten und Besatzungsmächte Deutschlands, die ihrer Verantwortung hinsichtlich der offenen deutschen Frage nachzukommen hätten. Mitterand, Bush, Thatcher und Gorbatschow betonten zu dieser Zeit hingegen gebetsmühlenartig immer wieder, die deutsche Einheit stehe nicht auf der Tagesordnung und müsse von den Deutschen selbst bestimmt werden. Die Westpolitiker haben den im Osten zur materiellen Gewalt gewordenen emanzipativen Begriff der Selbstbestimmung für ihre nationalistischen Zwecke instrumentalisiert, d.h. den Inhalt von demokratischer zu nationaler Selbstbestimmung verkehrt. Das hat freilich auch vor dem Bewußtsein der ostdeutschen Massen nicht halt gemacht. Den Begriff der Selbstbestimmung auf die politischen Referenzsubjekte der vorhandenen Zweistaatlichkeit zu beziehen, erfolgte von westdeutschen Politikern mit taktischem Kalkül. Denn wenn es zu einer deutschen Einheit in absehbarer Zeit nicht gekommen wäre, hätte sich wenigstens auch für die BRD die Souveränität wieder herstellen lassen können.[17] Darauf schienen die Deutschlandpolitiker zu spekulieren: wenn es im ersten Anlauf mit der Wiedervereinigung nicht klappen würde - etwa aufgrund eines Vetos der Alliierten - so doch vielleicht in einem zweiten, späteren Versuch, wenn aufgrund der wiedererlangten Souveränität nunmehr die ehemaligen Besatzungsmächte ihr Vetorecht verloren hätten. Indem sie auf der Woge des ostdeutschen Protestes mitgeschwommen sind, haben die Westpolitiker für die Bundesrepublik den im Osten zur materiellen Gewalt gewordenen emanzipativen Begriff der Selbstbestimmung für ihre nationalistischen Zwecke instrumentalisiert, d.h. den Inhalt von demokratischer zu nationaler Selbstbestimmung verkehrt. Das hat freilich auch vor dem Bewußtsein der ostdeutschen Massen nicht halt gemacht. Große Anstrengungen wurden geleistet, damit die DDR-Bürger nicht etwas selbst bestimmen, was gegen die Interessen der westdeutschen Herrschenden gestanden hätte. Deshalb streckten die Bundesparteien ihre Fühler nach ihren ostdeutschen Pendants aus: die SPD nach der neugegründeten SDP, die Liberalen nach der LDPD und etwas zeitversetzt schließlich auch die Christdemokraten nach der Ost-CDU.[18] Einzig die Grünen orientierten sich aufgrund ihrer eigenen basisbewegten Tradition am Neuen Forum. Die ehemaligen ostdeutschen Blockparteien erhielten, nachdem sie sich zur freien und sozialen Marktwirtschaft hingewendet hatten und womit sie eine wesentliche Voraussetzung erfüllten, die Kohl in seinem Zehn-Punkte-Plan an umfangreiche finanzielle Hilfen gekoppelt hatte,[19] von den westdeutschen Parteien infrastrukturelle, finanzielle und ideologische Unterstützung. Die Inhalte des Zehn-Punkte-Plans wurden von den ehemaligen Blockparteien aufgegriffen. Gleichzeitig appellierten westdeutsche Medien und Politiker an die DDR-Bürger, im Land zu bleiben, um die Opposition zu stärken. Die ostdeutschen Basis- und Bürgergruppen hatten damit ihre Schuldigkeit getan. Mit diesem erfolgreichen taktischen Schachzug wurde die ostdeutsche Emanzipationsbewegung in eine nationalisierende Manövriermasse mit Kurs hin zur deutschen Einheit gewandelt. Von nun an übernahmen die geläuterten und nach Eigenständigkeit strebenden Blockflötenparteien zunehmend die Regie des weiteren Verlaufs. Damit waren Fakten geschaffen worden, deren normative Kraft den sozialistisch-demokratischen Reformideen der ostdeutschen Intellektuellen das Wasser abgegraben hatte. Mit Egon Krenz, dem demokratisch nicht legitimierten Nachfolger von Erich Honecker, und dem Ministerpräsidenten Ernst Modrow, Nachfolger des Anfang November zurückgetretenen Willy Stoph, hatte Kohl Verträge über eine deutsch-deutsche Vertragsgemeinschaft geschlossen, die weitreichende Gültigkeit hatten, d.h. systemüberwindend waren und damit gegen den Willen breiter, nicht gefragter ostdeutscher Reformgruppen standen, die ihr Recht auf Selbstbestimmung in Form von freien Wahlen forderten, um offen und frei über die Zukunft der DDR entscheiden zu können. - Dieses Recht blieb ihnen verwehrt, denn zu freien Wahlen kam es erst zu dem Zeitpunkt (18. März 1990), als die systemüberwindenden Weichen hin zur Marktwirtschaft bereits gestellt waren (6. März). Die DDR-Opposition war faktisch ausgebootet worden; ihren Intellektuellen und Bürgerrechtlern blieb nicht genügend Zeit, alternative Konzepte zu durchdenken. Im Endeffekt waren sie Laien, zwar unbelastet, aber auch unerfahren, die mit erfahrenen, windigen Berufspolitikern zu tun hatten, die ihnen mit strategisch-taktischem Kalkül die Show stahlen.[20] Mit zunehmender Wirtschaftskrise, die z.T. erheblich durch die Masse an Ausreisenden noch verstärkt wurde, entfernten sich die Massen von den ostdeutschen Intellektuellen und Bürgerrechtlern, so daß es für die Reformidee eines demokratischen Sozialismus keinen Rückhalt mehr in der Bevölkerung gegeben hatte. Die Offenlegung der Stasimachenschaften bewegte schließlich auch die letzten dazu, das Vertrauen in die Reformierbarkeit der DDR zu verlieren und die deutsche Einheit zu wollen.[21] Einiges ist seitdem bekannt geworden, daß darauf schließen läßt, wie wenig selbstbestimmt die ostdeutsche Opposition dem Ende der DDR entgegengegangen ist.[22] Westdeutsche Kapitalisten und einige Politiker wußten offensichtlich sehr genau, was in absehbarer Zeit in Deutschland geschehen würde. Vom Westberliner Senat kaufte der Konzern Daimler-Benz frühzeitig, als noch niemand in der Öffentlichkeit die deutsche Einheit für möglich gehalten hatte, ein riesiges Grundstück am Potsdamer Platz, welches mit der deutschen Einheit und dem Wegfall der Mauer zu einem Filetstück Europas geworden war. Und der Malteser-Hilfsdienst hatte bereits im Frühjahr in Ungarn Auffanglager für DDR-Bürger gebaut, die erst im Sommer über die offene Grenze flüchteten.[23] "Es scheint, daß eine mächtige Koalition von Kräften auf die Übergabe der DDR hinarbeitete. Mittlerweile ist auch bekannt, daß eine Reihe von osteuropäischen Geheimdienstleuten, darunter aus der DDR Egon Krenz, im Juni in der Sowjetunion das beschlossen, was sie Perestroika nannten. Und es gibt viele Indizien, daß diese Entwicklung seit Jahren vom Chef der DDR-Hauptabteilung Aufklärung, Markus Wolf, vorbereitet wurde. Angesichts des wirtschaftlichen Niedergangs des zentral geleiteten Wirtschaftssystems war man offenbar zu der Auffassung gekommen, daß es unsinnig wäre, die vorhandenen Finanzen in eine Sanierung zu stecken. Statt dessen kaufte sich die Wolf-Fraktion massiv in westeuropäische Konzerne ein."[24] Hat die Stasi, die am besten über den maroden Zustand der DDR-Wirtschaft Bescheid wußte, den Zeitpunkt der Übergabe an die BRD bestimmt? Das Ende der DDR als die letzte Machenschaft der Stasi? Das würde freilich die Frage verpaßter Chancen hinsichtlich eines demokratischen Sozialismus in Ostdeutschland etwas relativieren. Vielleicht war der aufrechte Gang, den die ostdeutschen Bürger lernen wollten, doch noch gar nicht so aufrecht, wie es den Anschein hatte.[25] Was hat gefehlt, das der ostdeutschen "Revolution" einen bis zum Ende positiven Verlauf hätte bescheren können? Stefan Heym - Redner auf der Demonstration vom 4. November 1989 - wurde später gefragt, inwieweit es für ihn und Christa Wolf möglich gewesen wäre, am besagten Tag vor einer Million Menschen auf dem Alexanderplatz in Berlin eine Sozialistische Republik auszurufen und die SED-Regierung für abgesetzt zu erklären. Heym antwortete nicht unvorbereitet: "Wir hätten keine Sozialistische Republik ausrufen, aber die Regierung für abgesetzt erklären können. Ich muß gestehen, daß ich in der letzten halben Minute meiner Rede an diese Möglichkeit gedacht habe, und zwar in dem Moment, als ich sagte: 'Wir müssen jetzt regieren lernen.' Da habe ich mir überlegt , ob ich sagen soll: 'Wir marschieren los!' Wir hätten ja nur um die Ecke gehen brauchen, um im Palais des Ministerpräsidenten, in der Volkskammer oder am Fernsehturm zu sein."[26] Die Ungewißheit, ob die Massen mitziehen und sich fähige Menschen finden würden, die für eine provisorische Übergangsregierung oder gar für ein Revolutionskomitee zur Verfügung gestanden hätten, war letztendlich zu groß. Das freilich hätte man auch im Vorfeld wohlgeplant vorbereiten können.[27] Risikoreicher war demgegenüber das Wagnis mit Polizei und Militär. Für das Gelingen der ostdeutschen Reformbemühungen hätten allerdings nicht nur die ostdeutschen Oppositionellen einstehen müssen. Für das Mißlingen der Emanzipationsbewegung in der DDR muß das Verhalten der westdeutschen Linken mitreflektiert werden. Die westdeutsche Linke: Zaungäste einer verschlafenen RevolutionSo wie das Jahr 1989 für Ostdeutschland einen konzeptionsreichen Lenin (Stefan Heym), so hätte es aus westdeutscher Perspektive einen wie Rudi Dutschke brauchen können. In den letzten Jahren seines politischen Wirkens beschäftigte sich Dutschke immer wieder mit der offenen nationalen Frage in Deutschland. Als jemand, der recht jung die DDR verlassen und eine politische Karriere in der linken Szene West-Berlins gemacht hatte, hegte er immer wieder die Hoffnung auf eine sozialistisch-demokratische Opposition in der DDR. Eine Verbindung der linken Oppositionskräfte in beiden Teilen Deutschlands, sollte zu einem geeinten Deutschland führen, das demokratisch und sozialistisch ist. Das luxemburgische Diktum: keine Demokratie ohne Sozialismus, kein Sozialismus ohne Demokratie, wäre das Verbindungsglied der beiden deutschen Oppositionen gewesen. Das Thema der deutschen Einheit wollte Dutschke nicht den Rechten überlassen; er konnte sich aber mit seinen Ansichten innerhalb der westdeutschen Linken nicht durchsetzen, weil sie oftmals von einem negativen Nationalismus des Anti-Deutschtums geprägt gewesen war und selbst in diesem Ansatz schon Nationalismus witterte.[28] Im nachhinein wäre es sicher besser gewesen, wenn sich die westdeutsche Linke frühzeitig mit den Möglichkeiten einer deutschen Einheit auseinandergesetzt hätte und zwar auf eine Art und Weise, die keinen Anlaß hätte bieten dürfen, sich der Deutschtümelei verdächtig zu machen. Denn: lieber ein sozialistisch-demokratisches vereintes Deutschland als eine kapitalistische Bundesrepublik und/oder eine spätstalinistische DDR. Die westdeutsche Linke hat im Herbst '89 schlicht verkannt, wie wichtig auch für sie selbst es gewesen wäre, für ein Gelingen der ostdeutschen Reformbemühungen mit einzustehen. Der ostdeutsche Bürgerrechtler Werner Schulz resümierte vor kurzem in einem Interview für den Spiegel: "Unser 89 wäre ohne das West-68 nicht zu erklären. Aber die Westlinken haben ihren Anteil an der Beseitigung der deutschen Teilung bis heute nicht kapiert, sonst hätte es den Slogan 'Deutschland halts Maul' nicht gegeben. Zu viele haben nicht gemerkt, wie sehr das kulturelle 68 im Westen uns Dissidenten im Osten beeinflußt und motiviert hat."[29] Jedenfalls standen im Jahre 1989 die westdeutschen Linken nicht vorbereitet in den Startlöchern, um der ostdeutschen Reformbewegung für mehr Demokratie im Realsozialismus eine westdeutsche, revolutionäre Bewegung für Sozialismus in der Demokratie zur Seite zu stellen. Statt dessen griff eine weitgehende Paralysierung in der westdeutschen Linken um sich, die durch den Zusammenbruch der Sowjetunion ihren Höhepunkt erreichte und schließlich politisches Konvertitentum, die Abkehr von Marx und sozialistischen Leitideen hervorbrachte.[30] Warum es dazu kam, ist schleierhaft, denn im undogmatischen Teil der westdeutschen Linken hat es im Nachkriegsdeutschland nie einen Zweifel daran gegeben, daß der sogenannte real existierende Sozialismus, eine marxistisch-leninistische Einparteienherrschaft, bürokratischer Dogmatismus, sowie Verstaatlichung der Gesellschaft mit wirklichem Sozialismus nichts gemein hatte. Statt als verlängerter Arm der am demokratischen Sozialismus interessierten DDR-Opposition zu wirken, hat sich die westdeutsche Linke in den Monaten der osteuropäischen Loslösung von den starren, stalinistischen Strukturen weitgehend von den Idealen des Sozialismus abgewandt und endgültigen Frieden mit der gezähmten kapitalistischen Variante: der sozialen Marktwirtschaft Frieden geschlossen. In der westdeutschen Öffentlichkeit begann eine breite Debatte über das Scheitern des Sozialismus; Glasnost und Perestroika wurden als Eingeständnis für seinen Bankrott interpretiert. Gleichzeitig erfreute sich Gorbatschow in der Bundesrepublik größter Beliebtheit; während die meisten in ihm lediglich den Bringer der deutschen Einheit sahen, nahmen die wenigsten zur Kenntnis, daß Gorbatschow in seinem Reformprojekt am Sozialismus festhielt.[31] Vorherrschend in der Wahrnehmung war das von Francis Fukuyama zu dieser Zeit postulierte Ende der Geschichte. Zwar wurde vornehmlich in der links-liberalen Öffentlichkeit verhaltene Kritik an einem vermeintlichen Sieg des Kapitalismus geübt, aber eine grundlegende Abkehr von der materialistischen Geschichtsauffassung und von ihrem Philosophen, Karl Marx, war auch darin zu vernehmen.[32] Als einen besonders krassen Einschnitt ließ sich die Abkehr vom Sozialismus bei den Linken innerhalb der GRÜNEN beobachten. Der Turnschuhminister mit der revolutionären Vergangenheit Joschka Fischer ließ sich im Vorfeld eines Perspektivkongresses, der im November 1989 stattgefunden hatte, zu der Aussage verleiten, der Kapitalismus habe gewonnen, der Sozialismus verloren. Hatte sich im Vorfeld dieses Kongresses die sozialistische Linke innerhalb der GRÜNEN durch Fischers Äußerung noch provozieren lassen, nahm sie es im November bereits achselzuckend und zustimmend hin. Jutta Ditfurth blieb nahezu die einzige, die ihren antikapitalistischen Standpunkt nicht revidierte;[33] damit hatte sie sich aber ganz plötzlich innerhalb der GRÜNEN isoliert.[34] Der Hitlergruß im deutschen Trikot vor dem brennenden Asylheim von Rostock-Lichtenhagen, welcher als Photo durch die Weltpresse ging, versinnbildlichte die dumpfe, trunkene deutsche Volkseele, die sich vor nationalistischer Euphorie in die Hosen gepißt hatte. Zu erinnern wäre auch an den damaligen Vorsitzenden der IG-Metall. Franz Steinkühler gehörte zu den wenigen Linken in einflußreichen Positionen, die sich in dieser Umbruchphase nicht vom Sozialismus abwandten. Im November 1989 hielt er auf der Gewerkschaftstagung der IG-Metall in Berlin vor dem Hintergrund der grundlegenden gesellschaftlichen Umwälzungsprozesse in Osteuropa eine Grundsatzrede, in der er davor warnte, allzu voreilig die Demokratisierungs- und Auflösungsprozesse des sogenannten real existierenden Sozialismus als Sieg des Kapitalismus anzusehen. Nicht der Kapitalismus habe über den Sozialismus gesiegt, sondern die Demokratie über die Diktatur. Nicht der demokratische Sozialismus, sondern die kommunistische Parteiendiktatur, der Stalinismus und der bürokratische Dogmatismus hätten ihren Bankrott erklärt. Die freie Arbeiterschaft habe immer erklärt, daß Sozialismus ohne Demokratie nicht möglich sei. Der Kapitalismus sei nicht nur mit halbwegs funktionierenden Demokratien des Westens verbunden, sondern auch mit Diktaturen und vor allem mit dem NS-Faschismus. Steinkühler warnte auch die Konservativen davor, die Umwälzungsprozesse zu instrumentalisieren, um soziale Errungenschaften eines ganzen Jahrhunderts rückgängig zu machen. Denn mit Ende der bipolaren Weltordnung scheine nicht nur der "Kollektivismus", sondern der gesamte Sozialstaat auf den Prüfstand gehoben. Wie recht er hatte. Ein Jahrzehnt nach den Umwälzungsprozessen in Osteuropa, die nachhaltig die gesamte Weltordnung verändert haben, läßt sich das ganze im Weltmaßstab viel besser als eine Konservative Revolution interpretieren. Globalisierung und Neoliberalismus sind die entsprechenden ideologischen Schlagworte, die eine zunehmende Zentralisierung wirtschaftlicher Macht und ihrer Kapitalstrukturen begleiten. Mit dieser Zentralisierung geht ein reeller Macht- und Einflußverlust der lohnabhängig Beschäftigten einher, denen zunehmend bezüglich ihrer Forderungen und Vorstellungen mit dem Totschlagargument des Sachzwanges geantwortet wird: Man müsse den Gürtel enger schnallen. - Die Globalisierung lasse keine Alternative zu. Tatsächlich handelt es sich hierbei lediglich um ein windiges Argument, mit welchem der Sozialstaat auf die Waage gehoben und als zu schwer empfunden wird. Mit dem Abspecken der Sozialstaatsleistungen füllen sich die Taschen der Kapitalisten. EpilogAm Ende war Deutschland vereint. Aber das ist ein unzulässiges Ende der vermeintlichen Erfolgstory Deutschlands. Ein Ende ist stets zum Ende hin offen. Die seit 1989 entstandene neue Unübersichtlichkeit (Habermas) hat dazu geführt, daß die Menschen in ihrem Alltag sehr viel schwieriger als noch zuvor die gesellschaftlichen Verhältnisse zu durchschauen vermögen und deshalb dazu neigen, auf die Fragen nach dem Grund ihrer sozialen Misere einfache Antworten zu finden, bzw. die des autoritarisierten Staates zu übernehmen. Damals drohten die Republikaner in den Bundestag einzuziehen, letztlich scheiterten sie aber an der Fünf-Prozent-Hürde. Bereits zwei Jahre später überzog eine rechtsextremistische Terrorwelle gegen Asylsuchende, Ausländer und Juden das Land. Der Hitlergruß im deutschen Trikot vor dem brennenden Asylheim von Rostock-Lichtenhagen, welcher als Photo durch die Weltpresse ging, versinnbildlichte die dumpfe, trunkene deutsche Volkseele, die sich vor nationalistischer Euphorie in die Hosen gepißt hatte. Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus haben seit der deutschen Einheit eine neue Qualität bekommen; die rechtsextremistische Gewalt- und Terrorwelle reißt auch im Jahre 2001 nicht ab. Wir haben es seit 1989 mit einem neuen deutschen Nationalismus zu tun, der im Gewand von Normalität daherkommt, welches ihn gegen moralisierende Verweise auf die deutsche Vergangenheit immun macht. Deutschlands wirtschaftliche Stärke in Europa und in der Welt beeindruckt jeden Nachbar so sehr, daß kaum einer wagt, dieses Land zu ermahnen, um nicht die wirtschaftlichen Vorteile harmonisch verlaufender bilateral-diplomatischer Beziehungen aufs Spiel zu setzen.[35] Was nach der Ernüchterung einer abermals in Deutschland gescheiterten Revolution vom Träumen übrig blieb, ist der Stoff, aus dem die Träume gemacht sind: unser alltägliches Jammertal, das die sozialistische Utopie im Bewußtsein stets zur Wirklichkeit drängen wird. Diese Utopie bleibt, wie Heiner Müller vielleicht etwas zu chiliastisch prognostizierte, "ein Menschheitstraum, an dessen Erfüllung eine Generation nach der anderen arbeiten wird bis zum Untergang unserer Welt".[36] Anmerkungen[1] Peter Brückner: Versuch, uns und anderen die Bundesrepublik zu erklären, Berlin 1979, S. 21. - Vgl. auch S. 23. [2] Einen guten Überblick über die politischen Zirkel kritischer Intellektueller, über die offene Arbeit von Basisgruppen in der Evangelischen Kirche (Kirche von unten), über Friedensbewegung und Umweltbewegung, sowie Initiativen zu Friedens- und Menschenrechtsproblematiken in der DDR seit den siebziger Jahren als Ausgangspunkt für eine weitere politische Differenzierung der DDR-Opposition von 1986 bis 1989, angereichert mit einer Fülle von zeithistorischen Dokumenten: Flugblättern, Stasi-Berichten, Beschreibungen des oppositionellen DDR-Alltages und Beiträgen hauptsächlich aus dem Zirkular "Umweltblätter" bietet der ehemalige DDR-Dissident Wolfgang Rüddenklau. - Vgl. Wolfgang Rüddenklau: Störenfried. ddr-opposition 1968-1989. Mit Texten aus den "Umweltblättern", Berlin 1992. [3] Rüddenklau faßt die "Endzeitstimmung" in der DDR, die einen relativ großen Spielraum für oppositionelle Arbeit bot, folgendermaßen zusammen: "Du bist in jeder Stunde überwacht und beobachtet, fühlst dich wie in einem Glaskasten. Aus einer vorbeigehenden Meute von Polizisten hörst du: 'Guckt mal, da ist der Rüddenklau!' Ständigen Psychoterror gab es für Mitglieder von Basisgruppen auch auf der Arbeitsstelle, in der Schule und im Studium. Ich will hier nicht unsere Leiden ausbreiten, und ich weiß sehr gut, daß sie keinen Vergleich aushalten mit Risiken und täglichen Bedrohungen, die Oppositionelle etwa in Südamerika oder der Türkei ertragen müssen. Es ist wahr, wir wurden in den letzten Jahren seltener verhaftet, kamen meist sehr schnell frei, und die Gefängnisse in der DDR waren schlimm, aber eben doch im allgemeinen keine Folterhöllen (obwohl es auch die gab). Aber es gab auch keine Garantie dafür, daß das so 'human' bleiben würde, und so war die tägliche Angst der Preis. Die Mächtigen hatten ja bekanntlich schon Ernsthafteres geplant. Die Internierungslager waren vorbereitet. Johanna Kalex aus Dresden z.B. fand im Herbst in ihrer Stasiakte eine säuberlich abgefaßte Einweisung ins Internierungslager für sich und ihre Kinder: sie galt für das Jahr 1990." - Rüddenklau, a.a.O., S. 79. [4] "Der Ausgang der Luxemburg-Affäre ist deprimierend und scheint unheilverkündend in die Zukunft zu weisen. Eine nie dagewesene Solidaritätswelle im ganzen Land wurde zuerst durch den Abgang von Stephan Krawczyk und Freya Klier, dann fast aller anderen Inhaftierten in den Westen, gebrochen. Viele Menschen, die zum erstenmal einen politischen und gesellschaftlichen Impuls entwickelten, wurden schwer enttäuscht. Die Friedensbewegung ist in den Ruch einer Ausreißerbewegung gekommen. (...) Die Flut von atomisierten Ausreisewilligen, die plötzlich in Berlin über uns hereinbrach, spaltete unsere Bewegung, usurpierte und zerstörte Strukturen der Friedensbewegung, machte uns ratlos." - "Die Luxemburg-Affäre", in: "Umweltblätter", 12. Februar 1988, S. 2, zit. n. Rüddenklau, a.a.O., Dokumentation 1988, Text Nr. 2/1988, S. 220 f. [5] In der DDR hatte seit 1983 die Anzahl faschistischer Gruppen sprunghaft zugenommen. (Vgl. Dietmar Wolf: Gründung der Autonomen Antifa Ostberlin, in: Rüddenklau, a.a.O., S. 262.) - Vor allem in der Sowjetunion ist durch Glasnost und Perestroika ans Tageslicht gekommen, was zuvor von vielen Menschen nur heimlich gedacht, aber nicht ausgesprochen wurde: faschistoide und antisemitische Ressentiments verbunden mit einem diffusen Bedürfnis nach nationalistischer Identität. (Vgl. "... daß auch in diesem Land Geschichte zu machen ist". Aus Anlaß einer Moskaureise im Gespräch über gesellschaftliche Veränderungen, in: "Umweltblätter", 27. September 1989, S. 13, in: Rüddenklau, a.a.O., Dokumentation 1989, Text Nr. 1/1989, S. 301. [6] Die wesentlichen Plattformen und Bürgergruppen, die in dieser Zeit zwischen Juli und September 1989 gegründet wurden, waren das Neue Forum, Demokratie jetzt, Demokratischer Aufbruch und die Böhlener Plattform. - Einen guten Überblick über die wichtigste Bürgerbewegung, "Neues Forum", sowie den politischen Verlauf der heißen Phase von acht Wochen im Herbst 1989 bietet die Publikation des Neuen Forum Leipzig: Jetzt oder nie - Demokratie! Leipziger Herbst '89. Zeugnisse, Gespräche, Dokumente. Mit einem Vorwort von Rolf Henrich, hrsg. v. Reinhard Bohse, Grit Hartmann, Ulla Heise u.a., Leipzig 1989. - Siehe auch Die ZEIT vom 29.9.1989, S. 7. [7] "Die Basisgruppen taten 1989 nur das, was sie immer getan hatten, sie leisteten Widerstand und erweiterten den rechtsfreien Raum, in dem sie ihre Anliegen verwirklichten. Und auch von Seiten der neuentstehenden Bürgerbewegung ging es zunächst um nichts anderes als eine Erweiterung der Diskussions- und Handlungsmöglichkeiten. Und dann passierte das, woran mancher nur im Traum gedacht hatte: Die Bevölkerung ging auf die Straße, das Regime wich vor den Forderungen der Bevölkerung zurück, das Neue Forum wurde zugelassen usw. ..." - Rüddenklau, a.a.O., S. 364. [8] "Vielen, wenigstens in der DDR, haben die Ziele des Sozialismus eingeleuchtet, wir haben den Weg angezweifelt, den diese Einheitspartei nahm. Und wir haben aus anarchistischer, aus christlicher, aus liberaler oder aus marxistischer Gesinnung von einer Gesellschaft geträumt, in der das Glück des einzelnen nicht im Widerspruch zum Glück aller steht." (Rüddenklau, a.a.O., S. 366.) - "Und ebensowenig haben wir den Kapitalismus gewollt, der nach dem Ende des Regimes von außen hereinbrach. Daß Kapitalismus keine Alternative ist, braucht man uns nicht zu erzählen. Es ist richtig, daß wir kein Konzept hatten und den Eindringenden unvorbereitet und blauäugig in die Hände fielen. Aber wir haben mittlerweile erfahren, daß unsere redseligen Brüder und Schwestern im Westen auch kein Konzept haben. Wenn wir sie früher danach fragten, haben sie erklärt, daß sie nicht mit uns reden wollen." - Rüddenklau, a.a.O., S. 369. [9] Der Leiter der Wahlkommission war Egon Krenz. [10] Egon Krenz war als China-Claqueur und Wahlfälscher doppelt diskreditiert. [11] Vgl. Stefan Heym: "Ist die DDR noch zu retten? - Aus dem real existierenden muß ein wirklicher Sozialismus werden", in: Die ZEIT vom 13.10.1989, S. 5: "Damals warnte Rosa Luxemburg, die Revolution könne auf die Dauer nur gelingen, wenn sie zugleich sozialistisch und demokratisch wäre, und Lenin und seine Genossen glaubten, der Erfolg ihrer Revolution hänge ab von einer zweiten, die der ersten zu Hilfe kommen müsse, der deutschen nämlich. Aber die deutsche versandete bald nach ihrem Ausbruch, und die russische blieb isoliert in ihrem rückständigen Lande und geriet zu einer Diktatur, nicht des Proletariats, sondern des Staats- und Parteienapparats: zum Stalinismus." [12] Das zu verurteilen liegt mir fern, weil es allzu menschlich ist. [13] Der Aufruf wurde auch von Egon Krenz und Hans Modrow unterzeichnet. Dieser politische Fehler, der hier von den Oppositionellen begangen wurde, konnte schon gar nicht mehr zusätzlich negativ ins Gewicht fallen. [14] Exemplarisch sei hier als Beleg aus einem Leitkommentar der ZEIT von Theo Sommer zitiert: "In den Herzen der Deutschen läuten die Glocken. Die Nation lebt, ihr Zusammengehörigkeitsgefühl ist ungebrochen; die größte Wiedersehensfeier des 20. Jahrhunderts hat es aller Welt kundgetan." (Theo Sommer: "O Freiheit! kehrest Du zurück?" - Vom Aufbruch in der DDR zum Durchbruch der Mauer - Wie weiter in Deutschland?, in: Die ZEIT vom 17.11.1989, Titelseite) [15] Belege führe ich hier nicht an. Ein Blick in die Tageszeitungen aus dieser Zeit läßt jeden Interessierten eine Fülle von Beispielen ins Auge springen. Entsprechend fündig zu werden, ist hier leichter als während der Saison auf die Suche nach eßbaren Pilzen zu gehen. [16] Vgl. "Selbstbestimmung ist und bleibt Herzstück unserer Deutschlandpolitik - Bundeskanzler Kohl zur Lage der Nation", in: FAZ vom 9.11.1989, S. 10. [17] Solch taktisches Kalkül war keineswegs nur den CDU-Politikern vorbehalten. Auch ein Egon Bahr - Hauptstratege von der SPD für Deutschlandpolitik - vertrat die Auffassung, nationales Bewußtsein müsse in der Bevölkerung Westdeutschlands dadurch untermauert werden, daß alliierte Besatzungsrechte abgebaut und beide deutsche Staaten souverän würden. - Vgl. Brigitte Seebacher-Brandt: "Die Linke und die Einheit - Unwägbarkeiten der deutschen Geschichte", in: FAZ vom 21.11.1989, S. 33. [18] Die Kontaktaufnahme der West-CDU mit der CDU-Ost erfolgte deshalb später als bei den anderen Westparteien mit ihren östlichen Ablegern, weil zwischen CDU-West und Ost-CDU die größte systemideologische Differenz existierte. Die Ost-CDU hielt zunächst die Demokratisierung des Sozialismus für adäquat. Aber hier kam bald Lothar de Maiziere an die Spitze, der sich von Kohls Plänen faszinieren ließ und schließlich als der letzte Ministerpräsident der DDR den Vertrag zur deutschen Einheit unterzeichnete. - Im geeinten Deutschland hatte er schließlich auch seine Schuldigkeit getan und in der CDU eine äußerst hinterbänklerische Anti-Karriere gestartet, von Kohl abgekanzelt. [19] Geld gegen Reformen: Kohl sagte finanzielle Hilfen zu, stellte aber Bedingungen wie freie Wahlen, Parteienpluralismus, Bekenntnis zur freien und sozialen Marktwirtschaft, Öffnung der Märkte für ausländische Investoren, insbesondere für westdeutsches Kapital, durch Wettbewerb bedingte Einkommensverteilung, verfassungsgemäße Verankerung von Vertragsfreiheit, Gewerbefreiheit, Gewährleistung des Privateigentums etc. (Vgl. FAZ vom 29.11.1989, S. 14) - Hinter Kohls Plan standen natürlich handfeste kapitalistische Interessen, die sich mit Kriterien der neoliberalen Politik von IWF und Weltbank decken und vom wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums unter der Anleitung von Prof. Christian Watrin ausgearbeitet wurden. - "Keinesfalls in Betracht kommen aus Steuermitteln finanzierte Finanzhilfen der BRD an die DDR, die nicht an Bedingungen gebunden sind." (Vgl. auch "Das Einmaleins der Marktwirtschaft", in: Die ZEIT vom 1.12.1989, S. 30. [20] Oskar Negt sprach in diesem Zusammenhang von einer "zweiten Besetzung" des Territoriums der DDR, von einer "kapitalistischen Kolonialisierung": "Daß die betriebsamen Anschlußpolitiker (die der SPD dabei nicht ausgenommen) mit ihren Klientelparteien in der DDR zentrale politische Eigeninteressen verfolgten, diese Bürgerinitiativen, welche die wirklichen Probleme der DDR benannten und zu Gegenständen eines öffentlichen Kommunikationsprozesses machten, der schließlich zum Zerfall dieses Herrschaftssystems führte, mit aller Macht in die politische Bedeutungslosigkeit zu drängen versuchen, ist ein deutlicher Hinweis darauf, womit es künftig die demokratische und sozialistische Linke der DDR in einem vereinigten Deutschland zu tun haben wird." (Oskar Negt: "Die Demontage der Bürgerinitiativen", in: Frankfurter Rundschau vom 17.3.1990) [21] Am 15. Januar 1990 ereignete sich der Sturm auf die Stasi-Zentrale in Ost-Berlin, weil die Stasi beabsichtigte, ihre Bespitzelungs-Akten zu vernichten. [22] Vgl. Henryk M. Broder: "Eine schöne Revolution - Die Revolution in der DDR war das Opus magnum der Stasi ...", in: Die ZEIT vom 10.01.1992, S. 41. [23] Vgl. Rüddenklau, a.a.O., S. 366. [24] Rüddenklau, a.a.O., S. 366. [25] "Ob die wachsende Protestwelle in der Bevölkerung und die Massendemonstrationen im Oktober tatsächlich einkalkuliert waren, ist fraglich. Mindestens hatte die Fraktion Wolf auch für solche Fälle Varianten vorbereitet, und angesichts der Unfähigkeit und Eitelkeit der Bürgerbewegungen und Oppositionsparteien war ein geändertes Konzept nicht allzu schwierig. Die Regierung Modrow deckte die Umformung der Strukturen ab, und bis zum Ende der Regierung de Maizière konnte unter dem Schutz von Innenminister Diestel die Hauptabteilung Aufklärung weiterarbeiten. Große Teile der herrschenden Schichten der DDR warfen sich derweil in die weit geöffneten Arme der Brüder und Schwestern in der BRD." - Rüddenklau, a.a.O., S. 366. [26] Interview mit Stefan Heym, in: Thomas Grimm: Was von den Träumen blieb. Eine Bilanz der sozialistischen Utopie, mit einem Vorwort von Heiner Müller, Berlin 1993, S. 19. [27] Die Opposition hatte allerdings weder konkrete Konzepte noch wirklich charismatische Persönlichkeiten, die sie hätten vermitteln können. Stefan Heym resümiert das Dilemma folgendermaßen: "(...) die Revolution wurde von Leuten ohne Konzeption gemacht, von Dilettanten. Im Grunde hätte es in dieser Situation eines neuen Lenin bedurft, wobei ich allerdings nicht unbedingt an den Lenin der politischen Theorien denke, sondern an den Mann, der eine politische Konzeption besaß, die er klar zu formulieren wußte. Dann wäre die Geschichte anders verlaufen. Wir dagegen hatten niemanden - niemanden jedenfalls von diesem Schlag. Einen de Maizière hatten wir, der auch noch unter Druck stand, und einen Krause ... Gott helfe uns! Damit ist die DDR dann wirklich zu Pott gegangen." (Interview mit Stefan Heym, a.a.O.) [28] Vgl. Helga Grebing: Die nationale Frage im Urteil westdeutscher Historiker seit dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Herrschaft, in: Von der Verdrängung zur Bagatellisierung? Aspekte des sogenannten Historikerstreits, hrsg. von der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Hannover 1988, S. 37-48. - Der Aufsatz ist insofern in diesem Kontext interessant, als er kurz vor der "DDR-Wende" geschrieben wurde und Grebing darin einer "nationalen Identität" eines Gesamtdeutschlands keine realistischen Aussichten bescheinigte. Sie kommt darin auch auf jene "nationale Argumentation von links" zu sprechen. Rudi Dutschke, der selbst aus der DDR kam, habe Ende der 70er Jahre "gedacht an eine Kooperation der sozialistischen und demokratischen Opposition in beiden deutschen Staaten, um in beiden deutschen Staaten im human-sozialistischen Sinne die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen". (Ebd., S. 44) [29] "Kein '89 ohne '68", Interview mit Werner Schulz, in: Der Spiegel, 12/2001, S. 56 f. [30] Zu dem Pendant des "Wendehals" im Osten fand Oskar Negt die treffende Bezeichnung des "politischen Konvertiten" im Westen. "Der Opportunismus ist die eigentliche Geisteskrankheit der Intellektuellen." - Oskar Negt: Achtundsechzig. Politische Intellektuelle und die Macht, Göttingen 1995, S. 9. [31] Vgl. Sabine Schürer-Wagner: "Am Sozialismus wird festgehalten - Eine sorgfältige Nachlese in Gorbatschows Erfolgsbüchern kann sich lohnen", in: Die ZEIT vom 1.12.1989, S. 53/55. - Vgl. auch Michail Gorbatschow: Perestroika. Die zweite russische Revolution. Eine neue Politik für Europa und die Welt, München 1989; sowie ders.: Glasnost. Das neue Denken, Berlin 1989. [32] Vgl. exemplarisch Marion Gräfin Dönhoff: "Am Ende aller Geschichte? - Die Niederlage des Marxismus bedeutet nicht den Triumph des Kapitalismus", in: Die ZEIT vom 22.9.1989, Titelseite. [33] Jemand wie Rudolf Bahro hat in dieser Zeit eine besonders tragische Erfahrung machen müssen: als verfolgter Dissident aus der DDR über Gefängnishaft und Freikauf in den Westen gekommen, faßte er vor dem Eindruck des politischen Wandels innerhalb der GRÜNEN den Entschluß, sich in der noch bestehenden DDR wieder einbürgern zu lassen - in der Hoffnung, für einen demokratischen Sozialismus in Ostdeutschland noch kämpfen zu können. Er konnte ja nicht wissen, daß die deutsche Einheit schon vor der Tür stand? [34] Vgl. Günter Bannas: "Manchem fällt der Abschied vom Sozialismus schwer - Der Perspektiv-Kongreß der Grünen im Zeichen des Wandels in der DDR", FAZ vom 20.11.1989, S. 7. [35] "Nicht nur der Zusammenbruch des sogenannten 'real existierenden Sozialismus' im Osten und die politische Vereinigung der beiden deutschen Staaten, sondern vor allem das damit einhergehende immense Erstarken Deutschlands in Europa, mithin in der Welt, hat seine Position als Wirtschaftsmacht im Weltmaßstab so sehr gefestigt, daß das durch Interessen geprägte 'Ansehen' des Landes sich der allerletzten Residuen von historisch mitgeschlepptem Image-Makel entledigen konnte. Objektiv gesehen, kann es sich Deutschland leisten, sein geschichtlich geprägtes Ansehen in der Welt mehr oder weniger zu ignorieren. Demgegenüber kann es sich - zumindest was den kapitalistischen Weltmarkt anbelangt - kein Land der (...) Welt leisten, keine guten Beziehungen zu Deutschland zu haben." (Moshe Zuckermann: Gedenken und Kulturindustrie. Ein Essay zur neuen deutschen Normalität, Berlin/Bodenheim 1999, S. 30 f. [36] Heiner Müller: Das Liebesleben der Hyänen. Vorwort, in: Thomas Grimm, a.a.O, S. 8. Kontext:
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