Den Aufsatz kommentieren What Heimat?Plädoyer für mögliche andere Welten jenseits eines "Patriotismus", der sich für klug hältvon Gregor Kritidis (sopos) Ich wäre hier so gerne zu Hause Glücklicherweise wird dem Vaterland genüge getan Nach der von "patriotischen" Aufwallungen begleiteten Fußball-Weltmeisterschaft im Sommer 2006 hat sich Adrian Kreye, Mitarbeiter der Süddeutschen Zeitung, aus dem fernen New York mit einem "Plädoyer für einen Patriotismus mit Herz, Hand und Verstand" zu Wort gemeldet, in dem er versucht, der nationalen Begeisterung ein geistiges Unterfutter zu geben.[1] Man vergegenwärtige sich noch einmal den Kontext dieser deutschen "Patriotismus"-Debatte: Einige hundert Fußballspieler, die größtenteils in Europa ihr Geld verdienen und auch im normalen europäischen Spielbetrieb zu besichtigen sind, treten in neuer "nationaler" Zusammensetzung zu einem Extra-Wettbewerb an. Mit großem, alle geschäftsüblichen Umgangformen sprengenden Werbeaufwand wird dieses Ereignis vermarktet. Die Welt, die dabei laut Veranstalter zu Gast sein soll, ist eine sehr eingeschränkte Welt: Es sind vorwiegend die Ober- und gehobenen Mittelschichten die sich in den Stadien versammeln, weil die Preise für Flugtickets und Eintrittskarten das durchschnittliche Jahreseinkommen der erdrückenden Mehrheit der Weltbevölkerung um ein Vielfaches übersteigt. Die Mehrheit der Fans mit ihrer Liebe zum Spiel, ihrer Sehnsucht nach Leichtigkeit und Kollektivität, nach etwas Anderem, Besseren als dem zunehmend von Sorgen geplagten Alltag finden sich vor den Radios und Bildschirmen wieder. Die sozialen und politischen Eliten, die nach Legitimität für ihr "Reformen" genanntes Zerstörungswerk von Natur und Gesellschaft suchen, führen im Windschatten der von ihnen verteilten schwarz-rot-goldenen Winkelementen eine innere Notstandsübung durch, deren Ziel es ist, für zukünftige soziale Unruhen und Aufstände gewappnet zu sein. Anstatt nun die skandalösen Zustände, die nicht nur in diesem Land herrschen, anzuprangern, haben sich Intellektuelle wie Grass und Gysi darum bemüht, zu einer Aussöhnung mit der Idee der Nation, die noch vor kurzem als von der Globalisierung überholt gegolten hatte, beizutragen. Kreyes Beitrag ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, weil er einen durchaus ernsthaften Versuch unternimmt, nationale Emotionen jenseits von einer "Blut-und-Boden"-Mystik und vernünftiges Denken zu einer Synthese zu bringen. Als Problem macht er das "schwierige Verhältnis der Deutschen zum eigenen Land", d.h. das politische Selbstverständnis der hiesigen Bevölkerung, ihre gebrochene Identität aus. Ohne weiter darauf einzugehen, worin diese Brechungen bestehen und wie sie historisch entstanden sind, behauptet Kreye implizit, daß dieses "nationale" Selbstverständnis eigentlich in allen anderen Ländern besser sei.[2] Als Vorbild dient der zum "Patriotismus" verkleinerte Nationalismus anderer Länder. In Frankreich, Mexiko oder den USA, so Kreye, könne man erleben, "mit welcher Inbrunst liebe und vernünftige Menschen ihre Heimat feiern können". Die möglichen positiven Aspekte des "Patriotismus" verdeutlicht Kreye an den USA. Dort beruhe der Nationalismus auf einer gemeinsamen Idee, nicht auf mythologisierten Gemeinsamkeiten sprachlicher oder geographischer Art. Zudem bestehe die Geschichte der USA aus "rebellischen Figuren", zu denen er unterschiedslos u.a. den verantwortlichen Präsidenten für den Krieg der USA in Vietnam, J.F. Kennedy, und den schwarzen Bürgerrechtler und Antikriegsaktivisten Martin Luther King zählt. Selbst die oppositionellen Subkulturen der 1960er Jahre von den Beatnicks bis zu den Hippies in Woodstock hätten der nationalen Idee ihre Referenz erwiesen. "Patriotismus", so Kreye, bedinge nicht zwingend eine affirmative, unkritische Haltung. "Im Gegenteil: zu den obersten Pflichten jedes amerikanischen Patrioten gehört es, die eigene Regierung in Frage zu stellen". Wohlgemerkt: Die Regierung, nicht etwa die Form der Vergesellschaftung. Es geht aber noch um etwas anderes, mythologisches, "eine regelrecht physische Verbundenheit mit dem Land, dem Licht, den Gerüchen und Geräuschen, eine Verbundenheit, die Amerikanern erlaubt, in Film, Musik und Literatur sogar so trübsinnige Landstriche wie Texas, Tennessee und New Jersey zu romantisieren." Kreye läßt keinen Zweifel, daß er sich eine derartige, der "Americana" ähnliche Romantisierung auch für Deutschland wünscht, räumt aber ein, daß eine solche nicht möglich sei: "Die Mystifizierung Deutschlands wurde zu oft mißbraucht". Dennoch müsse man sich auf die Suche nach den eigenen Wurzeln machen, die er vor allem mit Kindheitserinnerungen verknüpft. Zwar hätten Wim Wenders, die Einstürzenden Neubauten oder die "Protagonisten des Hauptstadt-Pop" sich "auf die Suche nach ihren Wurzeln begeben", für ihr "entspanntes Verhältnis zu Deutschland" aber "sehr viel Prügel" bezogen. "Vielleicht ist es noch zuviel verlangt, einen klugen deutschen Patriotismus von links einzufordern, der dieses Land nach seinen Idealen formen will und den Stolz nicht `den anderen´ überläßt. Wenn die deutsche Zukunft aber so entspannt, kosmopolitisch und humorvoll bleibt wie die deutsche Gegenwart, dann haben sie daheim schon viel erreicht. Ich habe Heimweh nach diesem Land." Zunächst die Kritik an der Linken. Sie überlasse den Rechten respektive den Faschisten Heimat, Patriotismus und Nation und damit wichtige politische Begrifflichkeiten, die es von links zu besetzen gelte. Das ist weder neu noch originell. Alle Jahre wieder wird das von mehr oder weniger klugen Köpfen eingefordert, ohne daß jemals der Beweis angetreten worden wäre, daß die bitteren Niederlagen der demokratischen und sozialistischen Linken in Deutschland mit einem Mangel an Nationalismus zu tun hätten. Das Gegenteil ist zutreffend: Auch der Nationalismus von links - etwa innerhalb der Arbeiterbewegung - war in jeglicher Hinsicht kontraproduktiv. Positive, demokratische Programmatiken waren dagegen insbesondere in Deutschland stets mit einer internationalistischen Orientierung verbunden. Nun ist mir weder Heim- noch Fernweh fremd. Auch habe ich mich je dafür geschämt, in Deutschland geboren zu sein. Ich liebe den Geruch feuchten Laubes in den herbstlichen Buchen-Mischwäldern[3] des Weserberglandes, die Aussicht vom Hohenstein auf die Weserniederungen und denke mit Wehmut an die schwarzen Füße zurück, die ich nach einem heißen Sommertag hatte. An lauschigem Sommerabend mit Freunden bei gutem Wein fühle ich mich durchaus mit der Welt versöhnt und mit mir im Reinen. Das Gefühl, mit der Welt verbunden zu sein, sehe ich keinesfalls im Widerspruch zu meinem Denken. Ich halte im Gegensatz zu Sigmund Freud das "Gefühl wie von etwas Unbegrenztem, Schrankenlosem, gleichsam `Ozeanischem´" auch nicht für eine "intellektuelle Einsicht" mit "begleitendem Gefühlston".[4] Aber was hat das mit einem Un-Begriff wie "Heimat" - einem rückwärtsgewandten Ou-Topos, den es allein sprachlich in anderen Ländern gar nicht gibt - zu tun? Bei aller Verbundenheit mit der landschaftlichen Schönheit des Weserberglandes: Vom Ith-Berg lassen sich eben auch das Atomkraftwerk Grohnde und die Agrarsteppen der Umgebung sehen; von Heimat reden im Weserbergland daher bevorzugt diejenigen, die das, was damit gemeint sein könnte, zubetonieren und mit Pestiziden vergiften. Vor dieser Einsicht schützt auch nicht die Verklärung meiner Kindheit, als wir mit Begeisterung mit chemischen Zusatzstoffen durchsetztes Eis gegessen haben. Zwischen Romantisierung und Verklärung gibt es zudem einen erheblichen Unterschied. Die begriffslose Hantiererei mit Wörtern wie "Heimat", "Patriotismus" und "Nationalismus" verweist auf einen Mangel an Reflexion - an Klugheit - die Kreye gerade für sich reklamiert. Kreyes Plädoyer für einen "klugen Patriotismus" und seine Begeisterung für die "Americana" basiert, wie sich leicht zeigen läßt, auf Ausblendungen. So gelingt der Versuch, auch die US-amerikanischen Sub- und Gegenkulturen widerspruchslos in die amerikanische Nationalgemeinschaft einzugliedern, nur, indem wichtige Protagonisten und Strömungen dieser Gegenkultur gar nicht mehr erwähnt werden. Wenn schon von Woodstock die Rede ist, sollte Jimi Hendrix' auf dem Vietnamkrieg gemünzte Version der US-Nationalhymne mit kreischenden Düsenjägern und explodierenden Bomben nicht ausgeblendet werden. Und es waren Frank Zappa und die Mothers of Invention, die bei Konzerten Marines auf der Bühne Kinder-Puppen zerstückeln und "Everybody must get stoned" singen ließen.[5] Aber lassen wir Zappa selbst zu Wort kommen: Mister America Das "patriotische" Element in der kulturellen und politischen Subkultur der USA ist nicht, wie Kreye unterstellt, konstitutiv für deren kritischen Gehalte. Es ist umgekehrt: Die patriotische Leitkultur in den USA ist - wie in den meisten Ländern auch - derart hegemonial, daß auch kritische Leute sich teils veranlaßt, teils genötigt sehen, ihr die Referenz zu erweisen. Es hat aber auch und immer wieder Bewegungen einer radikalen Negation des herrschenden Denkens, etwa der Vorstellung einer "Nation of Islam" in der Black-Power-Bewegung, gegeben - Negationen, die freilich mitunter selbst strukturell nationalistisches Denken reproduzierten. Eine Negation der nationalen Idee ist aber keineswegs zwingend selbst nationalistisch, wie das Beispiel der International Workers of the World (IWW), jener radikal-syndikalistischen US-Gewerkschaft der 1920er Jahre beweist, deren Existenz auch von allen ehrlichen "Patrioten" zumeist ausgeblendet wird. Der internationalistische Sozialismus war im Gegensatz zum national beschränkten Sozialismus (der durchaus noch etwas anderes als der "Nationalsozialismus" war) zwar historisch unterlegen - wer in Zeiten der "Globalisierung" aber die Rückwendung zum Nationalen propagiert, um daraus neue Gestaltungskraft zu schöpfen, wird sich im deutschen Wald verlaufen. Und auf diesen wird der "internationale" saure Regen oder die Klimaverschiebung allerdings keine Rücksicht nehmen. Die Nationalstaaten und ihre ideelle Verlängerung als Nationalismus werden zwar zweifelsfrei auch in Zukunft eine gewichtige Rolle spielen, der Rechnung zu tragen ist - nur allzu offensichtlich ist das Interesse der Oberschichten, eine "patriotisch" verkleidete Standort-Gemeinschaft zu schaffen, um die aus der Konkurrenz- und Standortlogik resultierenden Verwerfungen auf ideeller Ebene wieder einzufangen. Der patriotische Fußball-Karneval des vergangenen Sommers hat das nur zu deutlich gemacht. Seine Basis liegt im Bedürfnis nach Kollektivität, das sich aus dem radikalen Markt-Individualismus und den damit verbundenen Ausgrenzungsprozessen speist, die Gesellschaftlichkeit schlechthin zu zerfressen droht. Gesellschaftliche Gestaltungskraft kann dagegen nur aus denjenigen antikapitalistischen Kräften erwachsen, die ihre Stärke aus realen Kollektivitäten beziehen, nicht aus der fremdbestimmten Scheinkollektivität des Nationalismus. Das schließt ideelle, utopische Elemente durchaus ein. Das Imaginäre spielt bei den gegenwärtigen weltweiten sozialen Emanzipationsprozessen eine wesentliche, vielleicht sogar eine entscheidende Rolle. Es ist kein Zufall, daß die herrschenden Eliten die in den realen geschichtlichen Vorgängen wurzelnden Real-Mythen der sozialen Befreiung im kollektiven Bewußtsein auszulöschen versuchen. An der Diffamierung der antiautoritären Revolte der 1960er Jahre läßt sich das gut beobachten. Der revolutionäre Stachel von 1968 sitzt tief im Fleisch der Herrschenden.[7] Und nicht ohne Grund ist der Arbeiteraufstand in der DDR vom 17. Juni kein Feiertag mehr: Dieser Tag war während des Kalten Krieges ein ideales Instrument der westdeutschen Oberschichten, eine Legitimations-Krücke, mit der sich das postfaschistische Staatsfragment über seine braunen Flecken hinwegsetzen und höhere demokratische Weihen verleihen konnte. Nach 1989 wollte man diesen gefährlichen, weil andere Motive in sich bergenden Feiertag loswerden und hat konsequenterweise den Verwaltungsakt vom 3. Oktober 1990 zum nationalen Feiertag erhoben.[8] Das sollte ein Ansporn sein, das Bewußtsein über die unabgegoltenen Motive, die mit dem Jahr 1968 ebenso wie mit den Jahren 1953, 1918 oder 1848 untrennbar verbunden sind, wachzuhalten. Ohne die Vorstellung einer möglichen menschlichen Zukunft und die Erinnerung an diejenigen, die sie zu erstreiten versucht haben, läßt sich Freiheit nicht gewinnen. Die in der Geschichte wurzelnden sozialen Mythen haben eine herausragende Bedeutung. Aber abgetrennt von der Reflexion auf den rationalen Kern der ihnen zugrunde liegenden realen Ereignisse verlieren sie ihren Kompaß. Der Versuch, Patriotismus als emanzipativen Ersatzmythos zu konstruieren, geht dagegen fehl. Nationalismus und Vernunft zu einer Synthese bringen zu wollen muß dazu führen, daß die Vernunft auf der Strecke bleibt. Anmerkungen:[1] SZ v. 24./25.6.2006. [2] Warum es überhaupt so etwas wie "nationale" Identitäten gibt und wie sie überwunden werden können - diese Frage stellt sich in der Regel niemand von denjenigen, die die Nation für sich entdecken. [3] Ich habe mit Absicht nicht von Buchenwald geschrieben. Aber auch der gehört zu Deutschland wie das gleichnamige KZ-Lager. [4] Vgl. Sigmund Freud: Das Unbehagen in der Kultur, in: Fragen der Gesellschaft. Ursprünge der Religion. Frankfurt/M 1974, S. 197f. [5] Vgl. die sehr amüsante und erhellende Autobiographie: I am the American Dream, München 1991, S. 102ff und allerorten. [6] Vgl. auch: Frank Zappa: Plastic People. Songbuch, Berlin 1977. [7] Vgl. dazu: Gregor Kritidis: Konkrete Utopie und realpolitische Intervention, in: Marcus Hawel/Gregor Kritidis, Aufschrei der Utopie. Möglichkeiten einer anderen Welt, Hannover 2006, S. 13. - Giorgos Delastik hat am Beispiel des 17. November für Griechenland eine ähnliche Beobachtung gemacht. Am 17. November 1973 wurde in Athen die Revolte der Studenten gegen die Diktatur von den herrschenden Obristen mit Tanks niedergewalzt. Jährlich findet seit 1974 ein Marsch von der polytechnischen Hochschule zur US-amerikanischen Botschaft statt. Dieser Gedenk- und Protestmarsch ist von interessierter Seite immer wieder totgesagt worden, wurde aber stets durch soziale Bewegungen wieder aktualisiert. Durch die soziale Unruhe im Bildungssystem - neben einem sechswöchigen Lehrerstreik wurden diesen Sommer über 1000 Schulen besetzt - hatte der Marsch am 17. November diesen Jahres eine besonders hohe Beteiligung. - Giorgos Delestik: To polytechnio ton enochon, Prin v. 19.11.2006. [8] Vgl.Benno Sarel: Arbeiter gegen den Kommunismus. Zur Geschichte des proletarischen Widerstandes in der DDR (1945-1958), München 1975. - Der französische Originaltext erschien 1958. Der Autor - vermutlich handelt es sich um ein Pseudonym - war rumänisch-jüdischer Abstammung. Sarel, der 1950/51 unter dem Nahmen Benno Sternberg zusammen mit Willy Huhn in der Berliner rätesozialistischen Zeitschrift Pro und Contra mitarbeitete, hatte in Frankreich Soziologie studiert, war dort Mitglied der Resistance geworden und 1944 der trotzkistischen Parti Communiste Internationaliste (PCI) beigetreten, aus deren linker Minderheit 1946 die Gruppe Socialisme ou Barbarie hervorging. Nach Kriegsende war er als Korrespondent der Zeitung Le Combat in Berlin tätig und hatte dort Kontakt zur trotzkistischen Gruppe um Oskar Hippe. In seiner Analyse der Arbeiter-Opposition in der DDR bezieht sich Sarel/Sternberg auf Positionen von Socialisme ou Barbarie. Kontext:
sopos 1/2007 | ||||||
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