Editorial
Mit dem Wort "Globalisierung", das etwa seit Mitte der 90er Jahre
Einzug in die Wirtschafts-, Politik- und Feuilletonseiten der
Zeitungen hielt und schließlich auch von den Universitäten
aufgegriffen, ja sogar zu einem zentralen Begriff der sozial- und
wirtschaftswissenschaftlichen Publizistik weltweit wurde, ist ein
qualitativer Wandel der politischen Ökonomie benannt worden, der
durch die politischen Transformationsprozesse, die mit dem
epochemachenden Jahr 1989 zusammenhängen, ausgelöst wurde.
Der qualitative Wandel ist aber mit dem Wort "Globalisierung" unscharf
bezeichnet worden. Denn Globalisierung ist kein historisches Novum,
das mit dem Zusammenbruch der bipolaren Weltordnung begann, wenn mit
ihr die Tendenz des Kapitals gemeint ist, sich aufgrund des
"Heißhungers nach Mehrwert" über den ganzen Erdball
auszubreiten und alles Stehende zu verdampfen, d.h. die jeweiligen
rückständigen gesellschaftlichen Verhältnisse an die
für das Kapital erforderlichen modernen Standards anzupassen.
Bereits Marx und Engels brachten vor mehr als 150 Jahren dieses
politisch-ökonomische Zwangsverhältnis des Kapitalismus auf
den Punkt. Verändert hat sich an diesem Sachverhalt bis heute
nichts wesentliches. Die Abkehr von der Marxschen Theorie, die
Liquidation der Begriffe einer Kritik der politischen Ökonomie
nach 1989 hat hier lediglich zur Begriffslosigkeit geführt. ( Mehr... ) Gregor Kritidis, Die Krise des kapitalistischen Systems. Oder: Zurück zu Ricardo, vorwärts zu Marx [ November 2008 ]
Immerhin, die herrschende Ideologie ist genauso einer Kernschmelze ausgesetzt wie das internationale Finanzsystem. Es grassiert eine allgemeine Ratlosigkeit und hektische Aktivität, während das Schreckgespenst der großen Krise von 1929 umgeht. Das Publikum reibt sich verwundert die Augen, wenn Finanzminister Steinbrück verkündet, die Stabilität und das Funktionieren des Finanzsystems sei ein "öffentliches Gut". Warum aber werden die Banken dann nicht gleich vergesellschaftet? Und ist das chronisch unterfinanzierte Bildungssystem nicht auch für das Funktionieren einer modernen Gesellschaft unverzichtbar?
Peter Wahl, Ulrich Brand und Ernst Lohoff, Quo vadis, Globalisierungskritik?. Eine Kontroverse [ Mai 2002 ]
Nach den Mobilisierungserfolgen von Genua und Barcelona steht in der globalisierungskritischen Bewegung eine Diskussion über ihre weitere Entwicklung an. Beim zweiten Weltsozialforum in Porto Alegre wurden bereits kontroverse Debatten über zukünftige Strategien geführt.
Stephan Günther, Die Marktfundamentalisten. Die WTO-Tagung in Katar weicht jeder Kritik an der Globalisierung aus [ November 2001 ]
Bei der Suche nach einem Tagungsort für ihre nächste Ministerrunde spielten bei der Welthandelsorganisation WTO Sicherheitsüberlegungen eine zentrale Rolle. Denn anders als beim letzten Treffen Ende 1999 im US-amerikanischen Seattle oder im Sommer diesen Jahres während des Weltwirtschaftsgipfels in Genua sollten militante Proteste und große Demonstrationen möglichst vermieden werden. Doha, die Hauptstadt des Emirats Katar, war insofern eine perfekte Wahl. Wenn dort Anfang November die Delegationen von 142 WTO-Mitgliedsstaaten zusammenkommen, sind sie vor kritischen Meinungsäußerungen weitestgehend geschützt - die sind in dem Wüstenstaat nämlich verboten. Es gibt dort nicht einmal ein Parlament.
Christian Stock, Déja Vu. War der Attac-Kongreß Auftakt einer neuen sozialen Bewegung? [ November 2001 ]
"Wenn die Forderungen von Attac Regierungsprogramm wären, müßte man sie von links kritisieren" - mit diesem Eingeständnis verblüffte Werner Rätz, Mitgründer von Attac-Deutschland, schon vor dem Auftakt des Attac-Kongresses in Berlin. Auf die Frage, warum er sich dann so engagiert für diese Ziele einsetzt, meinte er, daß sie eben noch nicht Realität seien, und daß man nach ihrer Verwirklichung eine bessere Ausgangsposition hätte.
Marcus Hawel, Falsche Galionsfigur. Attac und die Tobin-Tax [ September 2001 ]
Attac hat sich James Tobin als Galionsfigur auserkoren. Dieser wartete 1972 mit der Idee auf, internationale Finanztransaktionen zu besteuern. Die Einnahmen der "Tobin-Tax" sind für den Ökonomen und Nobelpreisträger aber eher ein Abfallprodukt; er schlug vor, diese der Weltbank zukommen zu lassen. James Tobin ist der festen Überzeugung, daß Armut nicht durch Almosen, sondern durch freien, kapitalistischen Handel bekämpft werden muß.
Udo Wolter, Gezähmte Dompteure. Wider den verkürzten Antikapitalismus der Globalisierungsgegner [ September 2001 ]
Hinter den spektakulären Aktionen der Anti-Globalisierungsbewegung droht die Auseinandersetzung um die Inhalte des »neuen Antikapitalismus« zu verschwinden. Insbesondere die Hoffnung, nationalstaatliche (Sozial-)Politik könne ein Gegengewicht zu den globalisierten Finanzmärkten bilden, erweist sich jedoch als Bumerang für emanzipative Absichten. Nicht umsonst bekommt die Globalisierungskritik Beifall von der falschen Seite.
Ulrich Brand, Il popolo di Genova. Eine Einschätzung der neuen internationalen Protestbewegung [ September 2001 ]
Nicht erst seit dem G8-Gipfel in Genua erregen die Aktionen der so genannten Globalisierungsgegner Aufsehen. Der SPIEGEL meinte gar, in ihnen die »erste soziale Bewegung der Postmoderne« ausgemacht zu haben. Dabei ist der Protest gegen den Neoliberalismus so schillernd wie seine Bewertung. Während die einen die Vielfalt des Widerstandes feiern, kritisieren andere Aktionismus und Theorielosigkeit. Gerade weil die Bewegung heterogen ist, bedarf es einer differenzierenden Auseinandersetzung mit dem Politikverständnis der verschiedenen Strömungen.
ATTAC-Koordinierungskreis / Thomas Fritz / AG Konfliktprävention im iz3w, Auf Distanz zur Gewalt?. Eine Kontroverse zur Frage der Militanz [ September 2001 ]
Schon im Vorfeld des G8-Gipfels von Genua füllten Berichte über »gewaltbereite« Demonstranten und »Polit-Hooligans« die Schlagzeilen der Tageszeitungen und die Sondersendungen im Fernsehen. Anläßlich der Auseinandersetzungen rund um den Göteborger EU-Gipfel veröffentlichte die deutsche Sektion von ATTAC ein Diskussionspapier, mit dem sich die Organisation deutlich gegen Gewalt ausspricht - und zwar mehr aus taktischen als aus moralischen Gründen. Kritik an dieser hier dokumentierten Position kommt sowohl aus den eigenen Reihen als auch aus dem iz3w.
Sven Ehlers, Die Revolte von Genua. Das Wechselspiel von Macht und Gewalt [ September 2001 ]
Die Herrschenden fürchten sich davor; sie müssen Zäune und Mauern hochziehen, sie heuern agents provocateurs an und bedienen sich des kulturindustriellen Apparates, um die Bewegung zu diskreditieren. Die Polizisten, die mit Mussolinisprüchen, Knüppeln und Fäusten die inhaftierten Demonstranten gefoltert haben, erkannten in ihrer Gewalt die Macht dieser neuen Bewegung an - der verniedlichenden Berichterstattung der bürgerlichen Medien zum Hohn.
Christian Stock, Tränengas im Rückenwind. Die Proteste von Genua werden von der Politik instrumentalisiert [ September 2001 ]
Es liegt was in der Luft. Darüber sind sich alle Beobachter der Ereignisse anläßlich des G8-Gipfels von Genua einig. Es scheint, als ob Protest (wieder) gesellschaftsfähig geworden ist. Selbst Medien wie der SPIEGEL können sich dem Faszinosum nicht entziehen: »Eine neue, erstmals wirklich internationale Protestgeneration heizt Politikern und Konzernchefs ein - und zwar zu Recht.«
Utz Anhalt, Grüne und ATTAC. Im Spannungsfeld zwischen außerparlamentarischer Opposition und institutioneller Integration [ August 2001 ]
ATTAC nahm am 25./26.August 2001 an einer Regionalkonferenz der Grünen zu ihrem neuen Grundsatzprogramm teil. Die regierenden deutschen Bündnisgrünen erinnern sich nach dem weltweiten Echo auf die kapitalismuskritische Bewegung nach Genua ihrer Ursprünge aus
Michael Fischer, 'STRADA CHIUSA!' oder die gesellschaftliche Produktion von Unzufriedenheit. Beobachtungen zu den Protesten zum G8-Gipfel in Genua [ August 2001 ]
Die Glaubwürdigkeitsverluste der Herrschenden, die sie auf der einen Seite durch verschleiernde Rhetorik wettzumachen versuchen (s.o.), werden forciert durch solche Symbole, die sie unter dem empfundenen Druck von 'unten' beständig selbst hervorbringen. An den Stahlzäunen in den Gassen von Genuas Altstadt war immer wieder dieses Schild zu lesen: "STRADA CHIUSA!" Straße geschlossen! Nicht nur viele Demonstrierende in Genua, sondern auch nahezu sämtliche Bürger formaler Demokratien, die sich nicht (mehr) an den mehr oder weniger demokratischen Wahlen beteiligen, denken genau das - der Weg zur politischen Partizipation an den gesellschaftlichen Verhältnissen führt nicht über die politischen Establishments, die auf den Wahllisten figurieren. STRADA CHIUSA! - Straße geschlossen!
Utz Anhalt, "Genova libera". Die Demonstration gegen das Treffen der G8-Regierungschefs in Genua. Ein Erlebnisbericht [ August 2001 ]
Die Riesendemo staut sich vor der "genuesischen Mauer", viele kratzen mit Plastikflaschen am Stahlzaun, andere werfen feuchte Taschentücher in den Raubtierkäfig der G8 Staatsoberhäupter. Dafür werden wir fast ununterbrochen mit Wasserwerfern und Tränengas angegriffen. Das Gesamtkonzept der Polizei scheint an diesem Tag auf eine militärische Zerschlagung der gesamten Demonstration ausgerichtet zu sein.
Utz Anhalt / Sven Ehlers, Die Proteste von Genua in Bildern. Der 19.7.2001 - 21.7.2001 als Fotoreportage [ Juli 2001 ]
Manchmal sagen Bilder mehr als Tausend Worte. Utz Anhalt und Sven Ehlers waren bei den Protesten in Genua gegen den G8-Gipfel dabei.
Marcus Hawel, Kampf um globale Hegemonie. Zur Dialektik von Legalität und Legitimität. Reflexionen nach Genua [ Juli 2001 ]
Für einen politischen Kampf um Emanzipation ist man auf eine demokratische Öffentlichkeit angewiesen. Sie stellt gewissermaßen das Medium dar, innerhalb dessen sich der politische Kampf vollzieht. Der militärische Kampf, den die italienische Staatsgewalt auf der von ihr verstaatlichten Straße vollzogen hat, trägt reaktionäre, antidemokratische Züge; er funktioniert nach Kriterien, die der sozialen Bewegung die Grundlagen für eine demokratische Öffentlichkeit entziehen. Der italienische Staat hat in Genua die demokratische Öffentlichkeit in einem semi-faschistoiden Autoritarismus zu ersticken versucht.
Gerhard Hanloser, Repressive Toleranz. Läßt der IWF seine Gegner bei der Reformierung der Finanzwelt mitreden? [ März 2001 ]
"Die jungen Leute stellen die richtigen Fragen" verkündete der Weltbank-Präsident Wolfensohn, als in Prag eine bunte Melange von Demonstranten und jugendlichen Militanten gegen das Treffen des Internationalen Währungsfonds protestierte. Ein überraschendes Statement von jemandem, der einem Verein vorsteht, dem nicht gerade nachgesagt werden kann, sich im Laufe seiner Geschichte besonders um die Meinung von Protestbewegungen gekümmert zu haben. Zu erklären ist Wolfensohns Offerte für konstruktive Kritik an IWF und Weltbank vor dem Hintergrund von zwei Entwicklungen, die sich in den letzten Jahren schrittweise anzunähern scheinen: die zunehmende Ratlosigkeit auf Seiten der Herren über Währungen, Kredite und Geldflüsse auf der einen, und die wachsende Bereitschaft der Protestbewegung, an einer Reform des Weltfinanzwesens mitzutun.
Utz Anhalt, Die Konkurrenzmaschine des Gutmarkts in neoliberalen Zeiten. Das Fundraising der NGOs [ März 2001 ]
Die 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts standen im Zeichen des Protestes. Gruppen wie Greenpeace zeigten Verbrechen an der nichtmenschlichen Natur durch gezielte Interventionen und Akte des begrenzten Regelverstoßess auf, indem sich ihre Aktivisten zum Beispiel an Atomkraftwerke ketteten oder mit Schlauchbooten Walfangschiffe blockierten. Die 90er Jahre waren, nach einer Verankerung dieses Bewußtseins in der Bevölkerung, für die NGOs die Zeit der Lösungsvorschläge und alternativen Konzepte. Aus den Aktivisten von einst wurden Experten und Fachleute.
Marcus Hawel, Der Widerstand der Globalisierungsgegner. Die Demonstration S26 in Prag am 26. September 2000 [ Oktober 2000 ]
Vom 26. - 28. September 2000 veranstalteten IWF und Weltbank gemeinsam ihre 55. Sitzung. Als Tagungsort wählten sie die osteuropäische Metropole Prag, in die der damalige tschechische Premier Václav Klaus bereits 1996 eingeladen hatte. Die Vorkommnisse in Seattle, wo Globalisierungsgegner während des WTO-Gipfels demonstrierten, daß sie imstande sind, die Gipfel des Kapitals zu stürmen, hat die Herrschenden in der tschechischen Republik vor eine Bewährungsprobe gestellt: Ausnahmezustand und unverhältnismäßige Brutalität der Polizei sind die Reaktionen der Staatsmacht gewesen, weil sie um das Prestige des Landes bangte, das sich immerhin um die Mitgliedschaft in der EU bewirbt.
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