Editorial
Mit dem Wort "Globalisierung", das etwa seit Mitte der 90er Jahre
Einzug in die Wirtschafts-, Politik- und Feuilletonseiten der
Zeitungen hielt und schließlich auch von den Universitäten
aufgegriffen, ja sogar zu einem zentralen Begriff der sozial- und
wirtschaftswissenschaftlichen Publizistik weltweit wurde, ist ein
qualitativer Wandel der politischen Ökonomie benannt worden, der
durch die politischen Transformationsprozesse, die mit dem
epochemachenden Jahr 1989 zusammenhängen, ausgelöst wurde.
Der qualitative Wandel ist aber mit dem Wort "Globalisierung" unscharf
bezeichnet worden. Denn Globalisierung ist kein historisches Novum,
das mit dem Zusammenbruch der bipolaren Weltordnung begann, wenn mit
ihr die Tendenz des Kapitals gemeint ist, sich aufgrund des
"Heißhungers nach Mehrwert" über den ganzen Erdball
auszubreiten und alles Stehende zu verdampfen, d.h. die jeweiligen
rückständigen gesellschaftlichen Verhältnisse an die
für das Kapital erforderlichen modernen Standards anzupassen.
Bereits Marx und Engels brachten vor mehr als 150 Jahren dieses
politisch-ökonomische Zwangsverhältnis des Kapitalismus auf
den Punkt. Verändert hat sich an diesem Sachverhalt bis heute
nichts wesentliches. Die Abkehr von der Marxschen Theorie, die
Liquidation der Begriffe einer Kritik der politischen Ökonomie
nach 1989 hat hier lediglich zur Begriffslosigkeit geführt. Der qualitative Wandel der politischen Ökonomie besteht eher
darin, daß die Universalgeschichte des Wertgesetzes seit 1989
von sämtlichen Beißhemmungen befreit wurde. Erstmals in
der Geschichte gerät die stets prekär gewesene Einheit aus
Nationalökonomie und Nationalstaat in die Erosion und
hinterläßt einen mehr und mehr depotentierten Staat
gegenüber einem transnationalen Kapital. Das Kapital kennt kein
Vaterland mehr, aber es ist deshalb von diesem nicht völlig
entbunden: Das Kapital kennt viele Vaterländer, und eines ist so
gut wie das andere, solange in ihnen als "Standorte" die Bedingungen
für eine optimale Kapitalakkumulation bereitgestellt werden.
Natürlich spielt das Kapital auch die verschiedenen
"Vaterländer" gegeneinander aus, um den
Modernisierungprozeß in den einzelnen Staaten zu
beschleunigen.
Seit den 70er Jahren stellt die Chicago School um Milton Friedman,
die den Begriff des Neoliberalismus geprägt hat, die
entsprechende Ideologie des Freihandels bereit, nach deren Konzepten
die sogenannte "Globalisierung" gestaltet wird - zunächst
modellhaft in Lateinamerika, dann auch in den USA und in West-Europa
und nach 1989 schließlich auch in den Ländern des
ehemaligen real existierenden Sozialismus. Hinter der
Freihandelslehre versteckt sich nichts anderes als eine politische
Kampfansage gegen den Marktprotektionismus, mit dem Staaten ihre
jeweiligen Nationalökonomien vor dem Weltmarkt resistenter zu
machen versucht haben. Diese Abschottungsmentalität
gegenüber dem westlichen Kapital sollte gesprengt werden. Mit
den supranationalen Institutionen IWF und Weltbank wird den
neoliberalen Konzepten eine machtvolle Durchschlagskraft verliehen.
Durch die Koppelung der Kreditvergabe und der Entschuldung der Dritten
Welt gegenüber den reichen westlichen Industrienationen an die
Einhaltung bestimmter Kriterien, die im wesentlichen die Aufgabe des
Protektionismus bedeuten (Öffnung der nationalen Märkte
für ausländisches Kapital, Aufgabe der Zollschranken,
Koppelung der nationalen Währung an den Dollar, Reduzierung der
Inflationsrate durch Einsparungen der Staatsausgaben vorrangig im
sozialen Bereich, Abbau der Arbeitsrechte, Schwächung der
Gewerkschaften, etc.), werden die abhängigen Länder
regelrecht erpreßt, d.h. sie verlieren ihre innen- und
außenpolitische Souveränität. Nutzen ziehen die
jeweiligen Bevölkerungen daraus nicht; sie werden vom Markt
verdrängt, weil sie nicht mehr konkurrenzfähig sind, und der
Arbeitslosigkeit, d.h. der sozialen Not überantwortet,
während das ausländische, westliche Kapital vampirartig das
Land aussaugt und wieder verschwindet, wenn es nichts mehr zu saugen
gibt. Danach steht das jeweilige Land schließlich vor der
sozialen und politischen Katastrophe - so ist es bereits mehrfach
geschehen u.a. in Chile, Mexiko oder Argentinien.
Von dem ehemaligen Außenminister der USA, Henry Kissinger,
stammt die Äußerung, "Globalisierung" sei nur ein anderes
Wort für US-Herrschaft. Die USA sind nach 1989 die einzige
übriggebliebene und bisher unangefochtene Supermacht - daran
haben auch die Anschläge des 11. September nichts geändert.
Deshalb kommt es nicht von ungefähr, wenn die
globalisierungskritische Bewegung, die seit Seattle von sich reden
macht, in den USA einen ihrer Hauptgegner ausgemacht hat und die
Institutionen IWF und Weltbank von den USA dominiert sieht. Die
Kritik greift allerdings zu kurz und driftet an vielen Stellen in
einen platten Antiamerikanismus ab, wenn allgemein die politische
Ökonomie mit der amerikanischen Kultur identifiziert wird,
d.h. allgemein von der "Amerikanisierung" der Welt die Rede ist.
Nicht der Kapitalismus ist amerikanisch, sondern die USA sind
kapitalistisch; als Supermacht sind sie imstande gegenüber dem
Rest der Welt ihre nationalen Interessen dominanter durchzusetzen als
andere Staaten - notfalls auch mit militärischen Mitteln. Aber
nicht nur die kapitalistischen USA sind das Problem, sondern der
Kapitalismus überhaupt, mithin auch der in Deutschland,
Frankreich oder England, der in Japan genauso wie der in Indien oder
Rußland, der in Südafrika nicht weniger als der in Israel.
Der als obsolet angesehene Begriff des Imperialismus benennt das
kapitalistische Konkurrenzverhältnis der Nationalstaaten
zueinander immer noch und wieder sehr treffend - jedenfalls besser als
die Worthülse "Globalisierung".
Die globalisierungskritische Bewegung, die in diesem Dossier einen
Schwerpunkt erhält, ist sehr heterogen. Dominiert wird diese
Bewegung durch eine gemäßigte Mitte, die neben
verschiedenen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in Europa als Attac
zunehmend von sich reden macht mit Konzepten, die an den
"gezähmten Kapitalismus" erinnern. Dem Staat wird eine wichtige
Funktion zugemessen, der "Globalisierung" Einhalt zu gebieten, sie
jedenfalls "menschlicher" zu gestalten.
Radikale Kritik am Kapitalismus, anti-kapitalistische Positionen
sind gegenüber einer blanken Gegnerschaft zur "Globalisierung"
(Anti-Globalisierung, Globalisierungsgegner) in der Minderheit -
letztere erhalten in dem vorliegenden Dossier eine geringere
Beachtung, während wir dazu beitragen möchten, daß
ersteren ein größerer Einfluß in der
globalisierungskritischen Bewegung zukommt.
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