Den Aufsatz kommentieren Tränengas im RückenwindDie Proteste von Genua werden von der Politik instrumentalisiertvon Christian Stock Die Kritik an der kapitalistischen Globalisierung ist aus ihren gesellschaftlichen Nischen herausgetreten. Wut, Unbehagen, ja sogar Existenzängste verdichten sich zunehmend zu aktivem Handeln. Es liegt was in der Luft. Darüber sind sich alle Beobachter der Ereignisse anläßlich des G8-Gipfels von Genua einig. Es scheint, als ob Protest (wieder) gesellschaftsfähig geworden ist. Selbst Medien wie der SPIEGEL können sich dem Faszinosum nicht entziehen: »Eine neue, erstmals wirklich internationale Protestgeneration heizt Politikern und Konzernchefs ein - und zwar zu Recht.« In der langen Talsohle der 90er Jahre waren Vokabeln wie Bewegung, Militanz und Widerstand selbst in der radikalen Linken verpönt. Es dominierte die theoretische Auseinandersetzung, die Formulierung von Kritik an den eigenen ideologischen Bekenntnissen der 70er und 80er Jahre. Diejenigen, die immer noch - oder schon wieder - den Protest auf der Straße propagierten, wurden des blinden Aktionismus geziehen oder belächelt. Auch die professionellen Nachfahren der Neuen Sozialen Bewegungen, die Nichtregierungsorganisationen, verabschiedeten sich von althergebrachten Protestformen wie Massendemonstrationen. Nicht immer aus Überzeugung, sondern vor allem, weil die Massen einfach ausblieben. Genau das scheint sich nun zu ändern. Die Kritik an der kapitalistischen Globalisierung ist aus ihren gesellschaftlichen Nischen herausgetreten. Wut, Unbehagen, ja sogar Existenzängste verdichten sich zunehmend zu aktivem Handeln. Das Spektrum der Protestierenden wird dabei immer schillernder. Es reichte in Genua von christdemokratischen Bürgermeistern, die ihre Heimat durch US-Konzerne bedroht sehen, bis hin zu Ideologiekritikern, die »Kritik auch mal wieder praktisch werden« ließen - und sei es durch eine eingeworfene Fensterscheibe in einem der modernen Tempel des Kapitalismus. Ein Toter sowie hunderte von Verletzten und Gefangenen sind den allermeisten Demonstranten ein zu hoher Preis. Insofern ist keineswegs ausgemacht, ob von Genua nicht auch ein Signal in Richtung Lähmung der Bewegung ausgeht. Schon jetzt ist absehbar, daß "Genua" ein ebenso wichtiger Meilenstein der »Antiglobalisierungsbewegung« ist wie die Demonstrationen anläßlich der WTO- Ministerkonferenz Ende 1999 in Seattle. Doch während sich die Bewegung damals den Abbruch der Verhandlungen euphorisch auf die eigenen Fahnen schrieb, bewertet sie die Ereignisse von Genua ambivalent. Natürlich wird zu Recht festgestellt, daß die dortigen Demonstrationen ein quantitativer Höhepunkt der noch jungen »Antiglobalisierungsbewegung« waren. Auch daß die brutalen Polizeiaktionen eine Welle der Sympathie für ihre Opfer bewirkten, kann nicht bezweifelt werden. Zugleich aber hat die Eskalation der Gewalt viele schockiert. Ein Toter sowie hunderte von Verletzten und Gefangenen sind den allermeisten Demonstranten ein zu hoher Preis. Insofern ist keineswegs ausgemacht, ob von Genua nicht auch ein Signal in Richtung Lähmung der Bewegung ausgeht. Wenn es ihr nicht gelingt, der vom staatlichen Gewaltapparat aufgezwungenen Eskalationslogik zu entkommen, wird sie den Kürzeren ziehen. Die Staaten auf einem Terrain schlagen zu wollen, auf dem sie Heimvorteil haben, wird nicht nur "militärische", sondern auch politische Niederlagen nach sich ziehen. Doch nicht nur bezüglich der Aktionsformen, sondern auch hinsichtlich der Wahrnehmung ihrer Forderungen steht die Bewegung vor einem Dilemma. Die Umarmungsversuche seitens vieler Medien und Politiker können nicht darüber hinweg täuschen, daß der Antikapitalismus des linken Flügels der neuen Protestbewegung nicht ernst genommen wird. Für den SPIEGEL beispielsweise war "Genua" »nicht ideologische Gesellschaftskritik alten Stils, sondern eher ein lauter Weckruf.« Lobend merkt er an: »Die neue Bewegung bevorzugt das Fragezeichen.« Doch so entschieden den Demonstrierenden mit arroganter Jovialität zugestanden wird, die richtigen Fragen zu stellen, so klar ist, wer die Antworten geben soll: Die Politiker. So werden die Aktionen von Genua nicht nur vom SPIEGEL in »einen Protest gegen die Ohnmacht der scheinbar Mächtigen« und damit in eine Anrufung der Politik uminterpretiert. Prompt sieht der Staatsminister des Auswärtigen Amtes, Ludger Volmer, in den Protesten von Genua »Rückenwind« für die Bundesregierung und leitet aus ihnen ab, Deutschland müsse eine aktivere Rolle auf dem Globus wahrnehmen. (Wohin solche Appelle führen, ist bekannt: Zuletzt wurde eine solche Rolle in Ex-Jugoslawien vollstreckt.) Der kritische Teil der Bewegung ist nun gefragt, sich der NGOisierung kapitalismuskritischer Positionen zu entziehen, ohne selbst mit platten Parolen hausieren zu gehen. Daß "Genua" nun zur Neulegitimierung staatlicher Politik instrumentalisiert wird, dafür ist ein keineswegs marginaler Flügel der Bewegung selbst verantwortlich. Wer wie das Bündnis ATTAC den Staat in die Verantwortung nehmen will, um die Finanzmärkte »demokratisch zu kontrollieren« und als zentrale Forderung die Einführung einer Steuer im Programm hat, braucht sich nicht wundern, daß genau jenes Personal und jene Form der Politik sich bestätigt fühlen, um deren kategorische Abschaffung es eigentlich gehen müßte. Wie sehr ATTAC und verwandte Initiativen sich dem Mitmachen am Bestehenden verschrieben haben, zeigt auch, daß sie bereitwillig auf der Klaviatur der Medien mitspielen - Hauptsache, man ist in den Schlagzeilen. Man verkauft sich als der "gute" Teil der Bewegung, dessen seriöses Auftreten und vernünftige Reformforderungen nicht mehr übergangen werden können. Interpretationen, ATTAC habe die Kapitalismuskritik zugunsten pragmatischer Realpolitik aufgegeben, laufen dabei fehl. ATTAC hat nie etwas anderes gewollt. Und so ist der eigene Anspruch, »Sand im Getriebe« der Finanzmärkte sein zu wollen, kaum mehr als Koketterie. Tatsächlich wäre die Tobinsteuer eher ein Schmiermittel, denn Finanzmärkte brauchen Regulierungsmaßnahmen, wollen sie langfristig stabil sein. Große Fraktionen des Kapitals sehen dies mittlerweile selber so. Der kritische Teil der Bewegung ist nun gefragt, sich der NGOisierung kapitalismuskritischer Positionen zu entziehen, ohne selbst mit platten Parolen hausieren zu gehen. Wie sehr letzteres ein frommer Wunsch ist, demonstriert der wenige Stunden nach dem Tod von Carlo Guiliani einsetzende Märtyrerkult. Auch im linksradikalen Spektrum wird instrumentalisiert, was das Zeug hält. Die traditionskommunistische Zeitung junge welt beispielsweise stilisiert Guiliani mit einem ganzseitigen Titelfoto zur neuen Protestikone. Nicht ohne sich dabei in Widersprüche zu verstricken: Denn auf den folgenden Seiten werden die »nihilistischen Anarchisten« (denen Guiliani wohl zuzurechnen war) und ihre »unpolitische« Militanz gegeißelt. So werden auf dem Rücken eines Opfers der Polizeigewalt längst überwunden geglaubte Grabenkämpfe ausgetragen. Erst wenn sich die Tränengasschwaden aus den Gassen Genuas verzogen haben, erst
wenn die Verletzten wieder gesund und die Gefangenen frei sind, wird sich
zeigen, ob wirklich mehr in der Luft liegt als ein einmaliges Aufbegehren gegen
die Arroganz der Macht. Die Zahl derer, die es sich wünscht, wächst jedenfalls.
Christian Stock ist Mitarbeiter im
iz3w.
Kontext:
sopos 9/2001 | |||
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