Den Aufsatz kommentieren Grüne und ATTACIm Spannungsfeld zwischen außerparlamentarischer Opposition und institutioneller Integrationvon Utz Anhalt "Wir wissen, daß unsere Forderungen nicht auf der Straße beschlossen werden.
Wenn ähnliche Interessen bestehen, sind wir natürlich bereit, an einzelnen Punkten
zusammenzuarbeiten." ATTAC nahm am 25./26.August 2001 an einer Regionalkonferenz der Grünen zu ihrem neuen Grundsatzprogramm teil. Die regierenden deutschen Bündnisgrünen, Kriegspartei im NATO-Überfall auf den Bürgerkrieg in Jugoslawien und marktradikale FDP mit Ökotouch, unter Martin Josef Fischer als charismatischer Führer zu einer autoritären Partei umgebaut, erinnern sich nach dem weltweiten Echo auf die kapitalismuskritische Bewegung nach Genua ihrer Ursprünge aus einer vergangenen Protestbewegung. Ihre prominenten Vertreter diskutieren mit ATTAC und versuchen, sich die Tobin-Steuer, die Besteuerung der Finanzmärkte auf die Fahnen zu schreiben. Der Grünen-Verband Münster trat komplett bei ATTAC ein. Einige prominente Vertreter von ATTAC waren früher Mitglieder von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, bis sie der Partei aufgrund deren neoliberaler Wirtschaftspolitik frustriert den Rücken kehrten. Fischer, als waschecht geouteter Antidemokrat sah in den Demonstranten von Genua quasi unmündige Kinder, da alle relevanten Fragen von den Herrschenden geklärt würden und somit Demonstrationen überflüssig seien. Als erstes lagen sich noch einmal die Frankfurter Recken der Putzgruppe in den Haaren. Der deutsche Außenminister und sein Weggefährte Daniel Cohn-Bendit stritten sich über die Bedeutung der kapitalismuskritischen Bewegung. Fischer, als waschecht geouteter Antidemokrat sah in den Demonstranten von Genua quasi unmündige Kinder, da alle relevanten Fragen von den Herrschenden geklärt würden und somit Demonstrationen überflüssig seien. Cohn-Bendit, der als Europaabgeordneter der französischen Grünen ein Milieu vertritt, daß noch nicht in Gänze dem Orwellschen Neusprech der deutschen Regierungsgrünen verfallen ist, erklärte sich zum Befürworter der Globalisierungskritik und setzte die EU als positive Alternative zu den USA. Während Fischer die Demonstranten von Genua gleich den Flüchtlingen aus dem Kosovo als "Stichwortgeber jenseits der Bühne" [1] betrachtete, in denen er nur seinen eigenen "abgestandenen Linksradikalismus" erblicken konnte, schlug sich Cohn-Bendit auf die Seite der Kapitalismuskritiker (weithin fälschlicherweise als Globalisierungsgegner bezeichnet). So warf er dem deutschen Außenminister vor, die "Wahrnehmung eines Herrschenden" [2] zu zeigen, der die wichtigen und richtigen Fragen, die die Globalisierungsgegner aufzeigten, blind zu übersehen. Immerhin ist die Basis der französischen Grünen in Genua vor Ort gewesen. Auch vertreten die französischen wie die italienischen Grünen sozialliberale Konzepte und keine marktliberalen, ähneln von ihren Forderungen her den deutschen Grünen vor dem Parteiputsch Fischers und seiner Vasallen. Während Fischer strukturell die Position Berlusconis einnimmt, versucht Cohn- Bendit den toten Hund des Antiamerikanismus aufzuwärmen. Die EU solle das Gegenstück zum Neoliberalismus der USA werden, wobei letzterer "mit seinem trojanischen Pferd England in Europa vertreten sei". [3] Sinn und Zweck der Argumentation von Cohn-Bendit erschließen sich mit Blick auf seine Hinwendung zum europäischen "Verfassungspatriotismus" erst auf den zweiten Blick. Immerhin war er einer der eifrigsten (eifernsten) Befürworter des Nato-Angriffskrieges auf Jugoslawien. Auch bei dieser Kriegsführung ging es um das Zusammenschweißen einer europäischen "Wertegemeinschaft", an der die europäischen Mächte sich zwar nicht durch eine militärische Hegemonie im Vergleich zu den USA auszeichneten, aber auch nicht durch ein Interesse an Kriegsverhinderung glänzten. Die kapitalismuskritische Bewegung, die für eine Globalisierung der Gesellschaft eintritt, ist aber keinesfalls ausschließlich gegen die Wirtschaftspolitik der USA, sondern kritisch gegenüber den Folgen des kapitalistischen Weltwirtschaftssystems global. Der erste Höhepunkt dieser kapitalismuskritischen Bewegung war in Seattle. Die Ziele dieser Kritik waren, ob in Seattle, in Prag, Davos, Nizza oder jetzt in Genua, Treffen der internationalen Eliten des Kapitals. Das heißt, von einem antiamerikanisch deformierten Antikapitalismus, wie er für die Genese der Neuen Linken zu Cohn-Bendits Zeiten typisch war, ist in dieser kapitalismuskritischen Bewegung wenig zu spüren, auch wenn zu den angegriffenen Symbolwerten unter anderem Mc Donalds Filialen gehören. Cohn-Bendit hat recht, wenn er feststellt, daß "eine neue politische Generation heranwächst, und die Grünen merken es nicht."[4] Die (deutschen) Grünen, die in den 90er Jahren alles, wofür sie einmal angetreten sind, mit Füßen getreten haben (aus dem Rotationsprinzip wurde eine autoritäre Partei, aus der Anti-AKW Bewegung der Atomkonsens zu Bedingungen der Atommafia, aus Pazifisten Militaristen, aus der multikulturellen Gesellschaft das Europa der Stämme, die Rüstungsexporte steigen, Entwicklungshilfe ist proportional geringer als unter Helmut Kohl), diese Grünen haben die Kritikfähigkeit der heute 15-25 Jährigen unterschätzt. Die Aufrechnung des "guten Europas" gegenüber den "bösen USA" verdeckt in Cohn-Bendits Argumentation, was dieses Europa denn heute ist: eine Wohlstandsfestung. Die Aufrechnung des "guten Europas" gegenüber den "bösen USA" verdeckt in Cohn-Bendits Argumentation, was dieses Europa, daß "eine Alternative zu den USA sein könnte", denn heute ist, und zu was es vor allem in den letzten zehn Jahren gemacht wurde: Eine Wohlstandsfestung, in der Armutsflüchtlingen die elementarsten Menschenrechte verweigert werden, ein innenpolitisch vernetzter Polizeiapparat gegen Kritiker der Verhältnisse, ein (nicht durch die Beihilfe Englands) neoliberales Projekt, das zur Beseitigung eines Störenfrieds (Milosevic) eben mal ein paar tausend Menschen über die Klinge springen ließ. Ein militarisierter Block, der, wie Cohn-Bendit nicht explizit ausspricht, militärisch und ökonomisch zu seinem alten großen Bruder USA in Konkurrenz tritt. Ein guter Globalisierungskritiker ist für Cohn-Bendit ein radikaler Europäer. [5] "Ich will, daß wir uns als Europäer politisch und kulturell auch als Gegenmacht zu den USA verstehen."[6] Hier bedient sich Cohn-Bendit moralisch archaischer Ressentiments, wie sie sowohl in Europa als auch in den USA verbreitet sind: Das Mißtrauen der alten Macht gegenüber der neuen, der etablierten kapitalistischen Cliquen gegenüber den Emporkömmlingen. Das Aufrühren dieser Ressentiments ist eine Waffe, um die Kritik am bestehenden Weltwirtschaftssystem in Integration an die europäischen Regierungen umzuformieren. Zu Recht demonstrierte die kapitalismuskritische Bewegung in Genua gegen die G8, nicht allein gegen den rechten amerikanischen Präsidenten. Die beschworene kulturelle und politische Identität als Europäer, die "europäische Zivilgesellschaft" bewies ihre "Zivilität" im Nato-Krieg. Die Neoliberalen Blair, Jospin oder Fischer, der Medienmogul Berlusconi und der US-Präsident Bush vertreten im Kern die gleiche Wirtschaftspolitik. Es stimmt, daß die Theorie des Neoliberalismus in den USA entwickelt wurde und daß Margaret Thatcher die erste europäische Politikerin war, die sie in Europa anwendete. Es stimmt auch, daß diese Politik von den europäischen sozialdemokratischen Parteien weitgehend übernommen wurde. Die Spaltung zwischen neoliberaler Regierungspolitik und sozialen Bewegungen ist keine Spaltung zwischen den USA und der EU. Die Angriffe der einzelnen Regierungen auf soziale Standards, die Verletzung elementarer Menschenrechte und der Ausbau der Polizei zur innenpolitischen Aufstandsbekämpfung wird in der EU nicht von der US-Regierung betrieben, sondern von den vernetzt arbeitenden europäischen Regierungen. Wenn Daniel Cohn-Bendit zu Recht die Gefahr eines Bündnisses zwischen linken und rechten Antieuropäern beschwört, ist allerdings seine Projektion in Richtung eines (linken oder rechten?) Antiamerikanismus fatal. Die Globalisierungskritik der Demonstranten ob in Seattle oder Genua ist eine global vernetzte Kritik am bestehenden Weltwirtschaftssystem, in dem durch seine kapitalistisch formierte Globalisierung neoimperialistische Kriege und militarisierte Innenpolitik zum täglich Brot des Regierens gehören. Die derzeitige Form des deregulierten Marktes ist kein Unternehmen der USA. Vielmehr zeigt sich ein Jahrzehnt nach dem Zusammenbruch des bipolaren Weltsystems auch der Zusammenbruch der Sozialdemokratie und des keynesianischen Wohlfahrtsstaates, in der EU und in den USA. Die kapitalismuskritische Bewegung hat dies erkannt. Deshalb formiert sie sich außerparlamentarisch und nimmt das wesentliche Prinzip der Demokratie, die Diskussion auf der Straße, in Anspruch. Auch Kerstin Müller zeigt sich im Interview mit Sven Giegold von ATTAC als Verdreherin der Realität, die nur das umsetze, was ATTAC mit Druck von der Straße aus fordert. Cohn-Bendit entwirft das Konzept einer Zivilgesellschaft aus 2000 Bürgern, die eine entmilitarisierte Zone zwischen Autonomen und Polizei schaffen sollen. Er versteht das als Dialog zwischen Entscheidungsträgern und Protestbewegung (Herrschenden und Beherrschten) und entpolitisiert so den Konflikt. Auch Kerstin Müller zeigt sich im Interview mit Sven Giegold von ATTAC als Verdreherin der Realität, die nur realpolitisch das umsetze, was ATTAC mit Druck von der Straße aus fordert.[7] Aber, so nur eine Stilblüte: "Das Kapital ist ein scheues Reh, und wenn man die Schraube zu stark anzieht, macht es sich auf und davon - nach Monaco, nach Liechtenstein."[8] Die marktradikale Politik der Regierungsgrünen kommt demnach daher, daß sie zwar wollen, aber nicht können. Das Kapital, die Konzerne müssen mit Samthandschuhen angefaßt werden. Nur, daß diese rot-grüne Regierung die Schrauben, soziale Sicherungssysteme, die in jahrhundertelangen sozialen Kämpfen errungen wurden, nicht angezogen, sondern gelöst hat und zwar in einem schwindelerregenden Ausmaß. "Die weitere Liberalisierung ist nicht aufzuhalten", formuliert Kerstin Müller als Naturgesetz den Punkt, für den Cohn- Bendit die USA verantwortlich erklärt. Sven Giegold wies im Interview mit Kerstin Müller darauf hin, daß ATTAC ein Bündnis um bestimmte Kernforderungen herum sei, was keine Gesamtphilosophie zur Wirtschaft habe. Deshalb äußert sich ATTAC auch bewußt nicht zum Kapitalismus als solchem. Dies zeichnet gerade die Breite und Heterogenität eines Bündnisses wie ATTAC aus. Bei der derzeitigen rot-grünen Regierung, deren grüner Part (was davon noch übrig geblieben ist) in beispielloser Art und Weise die Zerstörung demokratischen Denkens betreibt, sollten auch reformorientierte Vertreter von ATTAC extrem vorsichtig sein, was konstruktive Auseinandersetzungen und Dialoge betrifft. Die heutigen Regierungsgrünen haben die Forderungen einer ganzen Protestgeneration vereinnahmt, pervertiert und zum Großteil in das Gegenteil verkehrt. Ihre einzelnen Protagonisten haben außer äußerem Druck keinerlei Interesse an Kritik an dem bestehenden Weltwirtschaftssystem. Durch die Organisationsform von ATTAC als Netzwerk mit konkreten Forderungen, die in andere Ebenen (Gremien, Parlamente, Parteien) eingebracht werden müssen, ist es nachvollziehbar, daß sie in Dialog mit Parteien treten. ATTAC-Vertreter sollten aber höllisch aufpassen, daß sie nicht zu Legitimationsgehilfen einer Partei werden, die ihre Legitimationsbasis bei den Veteranen der kritischen Bürgerrechtsbewegung, die sie einmal politisch stützte, längst verloren hat. Jutta Ditfurth, Rainer Trampert oder Thomas Ebermann standen für den basisdemokratischen und antiautoritären Geist, der sich in Genua neu manifestierte. Sie sind Kronzeugen in einer notwendigen "Prozeßführung" darüber, wie sich eine emanzipatorische und egalitäre Partei in ihr Gegenteil verkehren konnte. Das Schlimmste, was passieren könnte: Die Bündnisgrünen bauen sich nach der neoliberalen Zurichtung der Partei und nach dem informellen Ausschluß der Linken aus der Partei in der Öffentlichkeit wieder ein Image als kritische Kraft auf. Es könnte bei zu inniger Verbindung zwischen ATTAC und Grünen wieder einmal genau das eintreten, vor dem Adorno im Jargon der Eigentlichkeit warnte. Die Bürger werden damit getröstet, es wäre schon etwas geschehen, wenn sie nur gemeinsam über das reden, was sie bedrängt. Die Proteste von Genua zeigen etwas Anderes. Sie zeigten, daß Demokratie lebbar, erfahrbar und konkret ist und daß trotz des Totalitarismus der Kulturindustrie, Bürgerrechte von Hunderttausenden als das wahrgenommen werden, was sie sind: als selbstbestimmter Anspruch auf die politische Auseinandersetzung auf der Straße. ATTAC ist heterogen, die Form des Netzwerkes ermöglicht es, den Inhalt um bestimmte Kernforderungen herum zu füllen. Es ist der bessere Weg, an kapitalismuskritische Analysen anzuknüpfen. ATTAC ist heterogen, das heißt die Form des Netzwerkes ermöglicht es, den Inhalt um bestimmte Kernforderungen herum zu füllen. Es ist der bessere Weg, an kapitalismuskritische Analysen anzuknüpfen, diese zu entwickeln, mit diesen in die Öffentlichkeit zu gehen und dadurch die Kritik in das Bürgertum zu tragen, als mit den Regierungsgrünen zusammenzuarbeiten. Die auch von Müller favorisierte Funktion, auf die Regierungsgrünen Druck auszuüben, das eine Wiederbelebung des von der rot-grünen Regierung einseitig verratenen Spannungsfeldes zwischen parlamentarischer Arbeit und Protestbewegung der Geschichte der 80er Jahre impliziert, wäre zweckmäßig für die Regierungsgrünen, nicht für die kapitalismuskritische Bewegung. Die wenigen Relikte der Grünen, die sich wie Christian Ströbele, einer kritischen und linken Tradition verbunden fühlen, wurden zu Recht während des NATO-Überfalls auf Jugoslawien von Kriegsgegnern dazu aufgefordert, endlich aus dieser Partei auszutreten. Die Bündnisgrünen haben die Gewaltenteilung preisgegeben, Aufklärung, Gleichheit und Solidarität in einer fiktiven "Neuen Mitte" aufgelöst und sind zur billigen Jobmaschine für unpolitische Funktionsträger und Opportunisten geworden. ATTAC ist ein Bündnis gegen den Neoliberalismus. Ein Bündnis, wie es sich in wohltuender Weise durch seine Toleranz, seine Entwicklungsfähigkeit und seine Vielfalt auszeichnet. Bündnispolitik, die das bestehende transzendieren kann, zeichnet sich eher durch das antiautoritäre Sowohl-als-Auch aus als durch das autoritäre Entweder-Oder. Das Einfühlungsvermögen in verschiedene Perspektiven ist das Kennzeichen einer basisdemokratischen Auseinandersetzung. Stefanie Christmann und Dieter S. Lutz schreiben: "Wollen die Bürger sich nicht endgültig selbst entmündigen, müssen sie endlich ihre ureigensten Interessen erkennen und wahrnehmen."[9] Bürger, die von diesem Menschenrecht Gebrauch machten, trugen bei den letzten Castor-Protesten ein Plakat mit der Aufschrift: "Wer hat uns verraten? Bündnis 90/ Die Grünen." Die deutschen Demonstranten in Genua demonstrierten dort gegen Schröder und gegen Fischer. Die einzige Partei in der BRD, die sich keine neoliberale Wirtschaftspolitik auf die Fahnen geschrieben hat und die Chance hat, über ein Prozent zu gelangen, ist die PDS. PDS-Politiker waren auch die einzigen, die parlamentarisch gegen die militärische Umsetzung der "nicht aufhaltbaren Liberalisierung", gegen den Nato-Krieg protestierten. Das Spannungsfeld zwischen einer außerparlamentarischen Bewegung und parlamentarischen Forderungen aufzubauen wäre in der bundesrepublikanischen Parteienlandschaft wohl nur mit der PDS möglich. Die Zukunft emanzipatorischer Politik liegt allerdings außerhalb der Parlamente. Anmerkungen:[1] Stefanie Christmann, Dieter S.Lutz: Die Zerstörung der Vernunft in Zeiten des Krieges. Zum Demokratieverlust nach 1989. S.238. [2] Eberhard Seidel: "Die Grünen merken nichts", taz vom 15.August 2001. [3] Ebd. [4] A.a.O., S.3. [5] Ebd. [6] Ebd., wörtliches Zitat. [7] "Sie sind ja richtig gemäßigt". Interview mit Kerstin Müller, taz vom 25./26. August 2001, S.3. [8] Ebd. [9] Stefanie Christmann, Dieter S.Lutz, a.a.O., Klappentext. Kontext:
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