Den Aufsatz kommentieren Die Konkurrenzmaschine des Gutmarkts in neoliberalen ZeitenDas Fundraising der NGOsvon Utz Anhalt Was sind NGOs?In den Protesten von Seattle und Prag zeigte sich öffentlichkeitswirksam eine Konfrontationsstellung zwischen NGOs und Konzernen. In den USA wurde im Vorfeld der Proteste von Seattle von Aktivisten der NGOs gezielt auf die Produktion von medienwirksamen Bildern hingearbeitet. NGO ist die Abkürzung für Non-Government-Organisation, zu deutsch "Nichtregierungsorganisation". Diese Vereine nehmen eine wichtige Stellung im Aufbau des europäischen Zivilgesellschaftskonzepts ein, in dem ehemals staatliche Aufgaben partiell übertragen werden. Der einheitliche Begriff subsummiert unterschiedlichste Teilbereichspolitik wie Menschenrechte, Naturschutz, medizinische Versorgung von Kindern in Afrika, Dorfprojekte von indigenen Gruppen, kirchliche und alternative politische Initiativen. Die Subsumption ist schwierig, denn sowohl eher rechte Gruppen wie der World Wide Fund for Nature wie auch eher kritische Gruppen wie Amnesty International sind NGOs. Was sie vereint, ist, daß sie nichtstaatlich sind und einen nicht-kommerziellen Status haben. Dennoch sind sie prinzipiell nicht antistaatlich oder antikapitalistisch. In den Protesten von Seattle und Prag zeigte sich öffentlichkeitswirksam eine Konfrontationsstellung zwischen NGOs und Konzernen. In den USA wurde im Vorfeld der Proteste von Seattle von Aktivisten der NGOs gezielt auf die Produktion von medienwirksamen Bildern hingearbeitet. Trainingsprogramme dienten dazu, möglichst effektive Agit-Prop Bilder zu liefern. Da NGOs nicht-kommerziell sind, finanzieren sie sich über staatliche Subventionen und Spendengelder, bzw. Mitgliedsbeiträge. Die 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts standen im Zeichen des Protestes. Gruppen wie Greenpeace zeigten Verbrechen an der nichtmenschlichen Natur durch gezielte Interventionen und Akte des begrenzten Regelverstoßess auf, indem sich ihre Aktivisten zum Beispiel an Atomkraftwerke ketteten oder mit Schlauchbooten Walfangschiffe blockierten. Die 90er Jahre waren, nach einer Verankerung dieses Bewußtseins in der Bevölkerung, für die NGOs die Zeit der Lösungsvorschläge und alternativen Konzepte. Aus den Aktivisten von einst wurden Experten und Fachleute. Diese Professionalisierung bedingte mit der zunehmenden Größe der einzelnen Organisationen die Schaffung von Verwaltungsstrukturen mit hauptamtlichen und bezahlten Mitarbeitern. Naturschutzvereine wie der NABU zum Beispiel begannen, Naturschutzgebiete zu kaufen, statt nur auf die Naturschutzproblematik aufmerksam zu machen. Einzelne NGOs wie die Gesellschaft für bedrohte Völker oder Amnesty International haben inzwischen offiziellen Berater- und Beobachterstatus in internationalen Gremien wie der UNO. Im Nato-Krieg waren weit über 100 NGOs im Kosovo. Was den Großteil der NGOs verbindet, ist die Lobbyarbeit. Da sie Petitionen an Parlamente und Politiker schicken, steigt ihre Bedeutung mit der Anzahl von Personen aus verschiedenen Interessengruppen, die sie als Mitglieder und Förderer ihrer Organisationen in die Waagschale werfen können, um ihre Ziele zu vertreten. In der Protestphase vieler NGOs war das Wort Lobby noch negativ besetzt. Lobby implizierte eine Verschwörung, eine finanzträchtige Camarilla, die gegen die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung mit gekauften Politikern und einflußreichen Wirtschaftskreisen ihre Machtinteressen durchsetzte - wie die Atomlobby, die Chemielobby oder die Agrarlobby. Der Begriff Lobby beinhaltete in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts Strukturen im Spannungsfeld zwischen Clique und Mafia. Das Konzept einer Lobbyarbeit wie die NGOs es heute in Deutschland vertreten, entspricht der Integration und Institutionalisierung von öffentlicher Gegenmacht und Teilen der Neuen Sozialen Bewegungen. Der Erhalt und Aufbau der Lobby wird durch Mitgliedschaften finanziert. Den Mitgliedern wird in Vereinszeitschriften und Jahresberichten Rechenschaft abgelegt über die Arbeit ihrer Organisation. Das FundraisingDer Werber muß apologetisch die Ziele der NGO vertreten können und jeglichen Einwand von Seiten des Passanten im Vorfeld ersticken. Die Mitarbeiter der NGOs sind mit ihrer fachlichen Arbeit vollbeschäftigt und können sich nicht zusätzlich um die Saturierung und Anwerbung von Förderern bemühen. Was in den USA und Großbritannien schon lange Praxis ist, wird nun auch hierzulande eingeführt, das Zauberwort heißt: Fundraising. Um die Lobby der NGO zu vergrößern, reicht es nicht, wenn lediglich sowieso schon Beitrittswillige geworben werden. Auch Menschen angeworben, die aus persönlichem Antrieb die NGO nicht unterstützen würden, gilt es zu gewinnen. Solche Überzeugungskunst überfordert die erlernten Fähigkeiten der meisten Aktiven der NGOs. Zusätzlich besteht auf dem NGO-Markt eine extreme Konkurrenz. Wer schon für den BUND, das DRK oder die Tierschutzorganisation Vier Pfoten spendet, möchte nicht noch zusätzlich Geld für eine weitere "gute Sache" ausgeben. Viele NGOs reagieren auf diese Problematik mit Outsorcing. Der Werbeblock wird einer Marketingfirma übergeben, die von der NGO bezahlt wird. Die Werber der Marketingfirma stehen zwar als Vertreter der NGO am Werbestand, sind aber freie Handelsvertreter, die nach Leistung bezahlt werden. Abgesehen von einer Sockelprämie, die den Unterhalt deckt, erhalten sie einen Betrag pro geworbenen Mitglied. Werbung folgt dabei den gleichen Strategien wie in anderen Bereichen: Ein Produkt muß verkauft werden, das derjenige, der es haben soll, nicht haben möchte. Um ihm dieses Produkt schmackhaft zu machen, werden Verkaufsstrategien erlernt, die den Kunden einwickeln sollen. Binnen weniger Minuten muß das potentielle Mitglied dazu verpflichtet werden, einen monatlichen Beitrag an Amnesty International oder Menschen gegen Minen zu zahlen. Der Werber muß apologetisch die Ziele der NGO vertreten können und jeglichen Einwand von Seiten des Passanten im Vorfeld ersticken. Ansonsten ergibt sich möglicherweise eine spannende Diskussion über Naturschutz oder Menschenrechte, jedoch nicht das erwünschte Resultat: das fördernde Mitglied. Die Gesprächssituation ist funktional. Die Werber von Marketingfirmen wie Wesser GmbH oder Dialog Direct verkaufen denBUND genauso wie Greenpeace oder Menschen gegen Minen. Das Verkaufsgespräch bleibt identisch, nur die Begriffe werden verändert - es geht um Strategien auf dem Markt. Die Argumentation muß so zurechtgelegt sein, daß restlos jeder vom Produkt überzeugt werden kann. Im Fundraising ist Voraussetzung, daß dem Umworbenen die Reflexion über die Mitgliedschaft genommen wird. Ein Werbegespräch idealerweise läßt keinen Raum, den Inhalt zu hinterfragen. Während einige Marketingfirmen auf Drückermethoden setzen (psychische Gewalt wie Einschüchterungen und Drohungen, Hausbesuche, überfallartige Angriffsgespräche, die keine Zeit zum Nachdenken lassen) verwenden andere die "softe" Methode ("sachliche" Gespräche, coole Sprüche, Animationsgags). Mitgliederwerbung ist der Krieg um Profit, in dem ein Werber, der nicht, wie es im Fachjargon heißt, "Leute schreibt", aus dem Geschäft draußen ist. Im Verkaufsgespräch darf kein negatives Wort Verwendung finden. Kritik an Positionen des Kunden, selbste wenn diese in offenem Gegensatz zu den Zielen der NGO stehen, ist ein Kündigungsgrund. Der Inhalt muß für jeden kompatibel gemacht werden. So befindet sich der Werber in einer Extremsituation, da er sowohl Anlaufstelle für die Frustration der Passanten ist ("Was sollen wir uns denn um die Neger kümmern, um uns Deutsche kümmert sich auch keiner...")[1] und zu jedem Mist, der ihm an den Kopf geworfen wird, lieb lächeln darf, als auch dazu gezwungen ist, den größten Schwachsinn zur Argumentation heranzuziehen.[2] Bei einem Verkaufsgespräch handelt es sich also keinfalls um eine inhaltliche Diskussion. Mitgliederwerbung ist der Krieg um Profit, in dem ein Werber, der nicht, wie es im Fachjargon heißt, "Leute schreibt", aus dem Geschäft draußen ist. Fazit und AusblickEs ist durchaus angebracht, humanistische oder ökologische Projekte zu unterstützen. Nichtkommerzielle Organisationen benötigen finanzielle Mittel. Viele der NGOs, die Fundraising betreiben, stehen dem Neoliberalismus kritisch gegenüber. In den neoliberalen Deregulierungen, die gesellschaftliche Wirklichkeit sind, sind auch NGOs den Marktmechanismen unterworfen. Die Frage stellt sich, welche Art der Gratwanderung bei dieser Form der Finanzierung möglich ist. Die Einübung des Werberituals ist mit Gehirnwäsche verbunden. Der Werber sagt nicht, was er denkt, sondern was voraussichtlich die größte manipulative Wirkung erzielt. Wenn er sich durch die Sinnhaftigkeit "seiner" NGO aufputscht, so ist dies zwar Beiwerk zum Werbegespräch, aber letztlich Nebensache. Die Logik des Fundraising ist der Double-Bind-Mechanismus des Sachzwangs. Unter ökonomischen Gesichtspunkten ist die Einsetzung eines speziellen Werbeblocks von Profis effizient. Gefangen in solcher Logik des Sachzwangs lösen sich allerdings Inhalte der NGOs auf. Eine aufklärerische Werbung wäre keine Werbung mehr. Da nach Canetti Sprache und Kommunikation in direkter Verbindung zur Substanz des Gesagten stehen, ist die manipulative und subjektive Anknüpfung an die Mentalität und die unbewußten Bedürfnisse des Angeworbenen ein gelungenes Geschäft - Mehr aber auch nicht. Es mag zwar sinnvoller sein, dem Kunden statt Harry Potter Amnesty International zu verkaufen, der Mechanismus bleibt aber gleich. Die manipulative Affirmation betrifft nicht nur den Fundraisingblock, sondern auch viele der NGOs selbst. Inhaltlich ergibt sich dabei die Frage nach der Kritikfähigkeit. Eine Basis der Politik der NGOs ist die konstruktive Auseinandersetzung. Durch ihr moderates Auftreten machen sich Vertreter "seriöser" NGOs erst glaubwürdig. Das Prinzip der Konstruktivität verbirgt jedoch einen totalitären Beigeschmack. Den Kapitalismus und die Klassengesellschaft zu benennen, gelte beispielsweise als "nicht konstruktiv" - es transzendierte die Grenzen des Bestehenden. Was im Werbeblock auf die Spitze getrieben wird, gilt wesensmäßig auch für die NGOs. NGOs liefern Fakten, bieten Regierungen und Gremien alternative Konzepte, stellen die Experten, diese Konzepte auch durchzusetzen. In Teilbereichen und für konkrete Projekte ist das sinnvoll, als Perspektive für linke Politik zumindest problematisch. Anmerkungen[1] So erlebt in einem Werbegespräch für Menschen gegen Minen in Koblenz. [2] So geisterte bei Dialog Direct die Erfolgsstory von den Werbern umher, die in Leipzig junge Neonazis für Amnesty International geworben hatten, indem sie ihnen erzählten, daß die Flüchtlingarbeit dazu diene, die Flüchtlinge nicht nach Deutschland kommen zu lassen. Sicher eine Räuberpistole, aber die Art des Humors zeigt schon, worauf es ankommt. Kontext:
sopos 3/2001 | |||||||||||||||
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