Den Aufsatz kommentieren Déja VuWar der Attac-Kongreß Auftakt einer neuen sozialen Bewegung?von Christian Stock Wer in den 80er Jahren in der Friedensbewegung aktiv war, hatte eine Menge déja-vu-Erlebnisse. "Wenn die Forderungen von Attac Regierungsprogramm wären, müßte man sie von links kritisieren" - mit diesem Eingeständnis verblüffte Werner Rätz, Mitgründer von Attac-Deutschland, schon vor dem Auftakt des Attac-Kongresses in Berlin. Auf die Frage, warum er sich dann so engagiert für diese Ziele einsetzt, meinte er, daß sie eben noch nicht Realität seien, und daß man nach ihrer Verwirklichung eine bessere Ausgangsposition hätte. Aber auch wenn die führenden Köpfe immer wieder betonen, Attac sei eine soziale Bewegung, so ist der NGO-Charakter doch unübersehbar. Er äußert sich nicht nur in der Fokussierung auf Reformforderungen wie z.B. der Einführung der Tobinsteuer, sondern auch im deutlich wahrnehmbaren top-down-Ansatz. Sowohl die Themen als auch die Aktionsformen von Attac werden von den Führungsgremien vorgegeben; Expertentum und Informationsvorsprung spielen eine prominente Rolle. Deutlich wird das nicht erst, wenn auf dem Kongreß nach den straff organisierten Podiumsrunden die Diskussion für das Auditorium eröffnet wird. Im Vergleich zu den rhetorisch versierten Politprofis auf der Bühne - von Oskar Lafontaine über Susan George bis Jean Ziegler - erscheinen die meisten Äußerungen aus dem Publikum unbedarft. Eine gemeinsame politische Linie oder politische Kultur ist nicht erkennbar. Äußerungen, die mehr staatliche Handlungsfähigkeit gegenüber den internationalen Finanzmärkten fordern, werden genauso frenetisch beklatscht wie jene, die die antineoliberale Verklärung des (Sozial)Staates kritisieren. Überhaupt drängt sich schon wenige Minuten nach Kongreßbeginn der Eindruck auf, als ginge es weniger um politische Analyse als um moralische Erbauung. Die Beifallsstürme selbst an Stellen, an denen die Redner gar keinen Beifall vorsehen, die Begeisterung für linkspopulistische Aussagen wie "hinter jedem verhungerten Kind steht ein Mörder" (Jean Ziegler) oder die Ergriffenheit, wenn der Vorsitzende der brasilianischen Landlosenbewegung MST, Joao Batista de Oliveira, beim Betreten der Bühne die Faust reckt - all das verweist auf die Ventilfunktion, die der Kongreß für heimatlos gewordene Linke und Ex-Grüne hatte. Nicht nur deshalb hatte die Veranstaltung 'old- school'-Charakter. Wer in den 80er Jahren in der Friedensbewegung aktiv war, hatte eine Menge déja-vu-Erlebnisse. Mit Horst-Eberhardt Richter oder Lafontaine waren Hauptredner aufgeboten, die schon damals bei keiner Großveranstaltung fehlen durften. Und auch das Sammelsurium der Gruppen auf dem "Markt der Möglichkeiten" unterschied sich kaum von früheren Zeiten: Neben dem Stand der von christlichen Gruppen getragenen Entschuldungskampagne "erlassjahr.de" warb die "Zeitschrift für den Aufbau der bolschewistischen Partei Deutschlands" für ihr Anliegen, und nicht nur die beiden Standbelegschaften nahmen's mit achselzuckendem Amüsement zur Kenntnis. "Vielfalt" lautete das Credo des Kongresses - eine euphemistische Umschreibung für Beliebigkeit. Doch täte man dem Kongreß und auch Attac Unrecht, beide lediglich als NGO-dominiertes, diffuses Sammelbecken aller, die irgendwie gegen "den Neoliberalismus" sind, abzutun. Der mit über 3000 Besuchern über allen Erwartungen liegende Zuspruch zeigt, daß Attac über die Fähigkeit verfügt, Globalisierungskritik und in Teilen auch Kapitalismuskritik (so verkürzt und zahnlos sie vielen Linksradikalen auch erscheinen mag) zu bündeln. Es wäre falsch, Attac aus linker Sicht als politischen Gegner zu begreifen. Denn auch die Mehrheit der Kongreßbesucher wird sich auf Dauer nicht mit Forderungen à la Tobinsteuer zufrieden geben - das wurde in den Diskussionsbeiträgen immer wieder deutlich. Die derzeit große, nicht zuletzt durch den Medienhype geschürte Attraktivität von Attac-Deutschland kann ihren Nimbus schnell verlieren, wenn der radikale Flügel der Anti-Globalisierungsbewegung mittels vermehrter Aktivitäten das Feld nicht mehr alleine Attac überläßt. Dessen Erfolg speist sich zu einem erheblichen Teil aus der simplen Tatsache, daß ein politisches Vakuum gefüllt wurde, das durch den Niedergang der Autonomen ebenso entstanden ist wie durch die FDPisierung der Grünen. Was aber, wenn Militante zukünftig Steine für die Tobinsteuer werfen? Mit dem internationalistischen BUKO (Bundeskongreß entwicklungspolitischer Aktionsgruppen) oder dem konfrontativ ausgerichteten internationalen Bewegungsnetzwerk peoples global action (dessen Maschen in Deutschland bislang allerdings noch arg löchrig sind) sind durchaus Strukturen vorhanden, die zumindest das Potential haben, eine Alternative oder Ergänzung zu Attac zu bilden. Der BUKO, der seinen immerhin schon 24. Kongreß unlängst in München abhielt, ist nach wie vor ein wichtiges Forum aller, die weltweite Herrschaftsstrukturen radikal in Frage stellen wollen. Nicht umsonst warf sich Attac-Kongreßleiter Peter Wahl höchstpersönlich in Bresche, um in Berlin vor 300 Zuhörern mit BUKO-Vertreter Markus Wissen über dessen Kritik an der Staatsfixierung von Attac zu diskutieren. Bei allem showdown zwischen Attac und BUKO gab es aber mehr Gemeinsamkeiten, als beide Seiten wahrhaben wollen. Beide sprachen sich entschieden gegen den Afghanistankrieg aus; die Begründungen unterschieden sich nur durch semantische Feinheiten. Und beiden ist gemein, daß sie von den Grünen nichts mehr erwarten. Ein wichtiger Unterschied ist jedoch, daß für Attac die linke Sozialdemokratie ein wichtiger Ansprechpartner ist, während sich der BUKO nur auf soziale Bewegungen positiv beziehen will. Vor welchen Auseinandersetzungen Attac steht, zeigt sich am deutlichsten an der Gewaltfrage. Noch erhielt Susan George für ihre Parole von der "political pollution" durch gewalttätige Demonstranten großen Beifall. Was aber, wenn Militante zukünftig Steine für die Tobinsteuer werfen, wie es ein Autonomer bei einer der vielen Diskussionsveranstaltungen über "Genua" unlängst nur halb im Spaß ankündigte? Vielleicht war es ja kein Zufall, daß der Attac-Kongreß an jenem geschichtsträchtigem Ort stattfand, an dem mit dem Vietnamkongreß schon mal eine Bewegung ihren Auftakt nahm, die an der Gewalt- und Organisationsfrage zerbrach. Christian Stock ist Mitarbeiter des
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sopos 11/2001 | |||
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