Den Aufsatz kommentieren Schachmatt am Kaukasusvon Gregor Kritidis (sopos) Nüchtern betrachtet ist die Nato durch die Kaukausus-Krise mit ihren imperialen Ausdehnungsbestrebungen an die Grenze russischer Machtpolitik gestoßen. Es hatte genug rhetorische Vorwarnungen gegeben: Die nachdrückliche Opposition Rußlands gegen die Zerstückelung Jugoslawiens und insbesondere die Sezession des Kosovo von Serbien; die Rede Putins auf der Münchener Sicherheitskonferenz, auf der er die Pläne eines Raketen-Abwehrschilds in Osteuropa scharf kritisierte; die deutliche Positionierung zu den innenpolitischen Auseinandersetzungen in der Ukraine - wo immer die Nato-Staaten offensiv und teils mit militärischen Mitteln die Westorientierung ehemaliger realsozialistischer Staaten forcierten und die eigene Einflußsphäre ausdehnten, leistete Rußland hartnäckigen politischen Widerstand. Die herrschende Meinung im Westen wollte dies nicht sehen, glaubte man doch das Recht und die Moral auf seiner Seite. Nun ist das von einer teilweise aggressiven antirussischen Rhetorik begleitete Erwachen aus dem Träumen der Selbstgerechten mit einer harten Realität konfrontiert: Im Kaukasus hat die russische Regierung die Verbündeten der Nato schachmatt gesetzt und der ohnehin wenig konzeptionierten US-Außenpolitik eine empfindliche Niederlage bereitet.[1] Zweifelsohne ist die russische Reaktion auf den Krieg Georgiens gegen Südossetien durch das Völkerrecht ebensowenig gedeckt wie das militärische Abenteuer der Regierung in Tiflis. Die diplomatische Position der westlichen Staaten ist aber auch deswegen so schwach, weil sie sich selbst vollkommen delegitimiert haben, im Namen universeller Rechte aufzutreten. Es sollte nicht vergessen werden, daß in diesem Konflikt Rußland nur die das Völkerrecht ignorierende Position nachvollzieht, die der Westen in Bezug auf Jugoslawien geltend gemacht hat: Insbesondere die deutsche Regierung hat mit dem Argument des Selbstbestimmungsrechtes der Völker die Gründung eigener Staaten und damit einen ungebremsten Nationalismus forciert. Die heutigen Verlautbarungen russischer Regierungsvertreter nehmen sich gemäßigt aus gegenüber der damaligen Propaganda. Es war immerhin ein deutscher Außenminister, der verkündete, Serbien müsse "sterbien". In Bosnien hat sich gezeigt, welche Konsequenzen es hat, Staatsgrenzen nach völkischen Maßstäben legitimieren zu wollen. Die "ethnischen" Vertreibungen waren dieser Konzeption inhärent und wurden von der westlichen "Wertegemeinschaft" bei aller berechtigten Empörung über das Massaker von Srebrenica und die jahrelange Belagerung von Sarajewo nolens volens akzeptiert.[2] In Bezug auf den Kosovo hat sich diese Politik völkerrechtlich vollkommen ad absurdum geführt und ist nun zum Bumerang für den Westen geworden. Die griechische Tageszeitung Eleftherotypia hat diesen Aspekt nüchtern auf den Punkt gebracht: "In diesem konkreten Fall ist die internationale Gemeinschaft jedoch mit einem Paradoxon konfrontiert, für das sie selbst einen entscheidenden Teil der Verantwortung trägt: Brüssel und Washington haben die Unabhängigkeit des Kosovo anerkannt, trotz des nachdrücklichen Widerstands Rußlands, das vor der Schaffung eines Präzedenzfalles eindrücklich gewarnt hat."[3] Selbst die FAZ, deren Berichterstattung über die russischen "Aggressoren" an Interessenorientierung wenig Zweifel ließ, konnte sich der Erkenntnis dieses Zusammenhangs nicht gänzlich entziehen: Die Zeit habe gegen Georgien gearbeitet, "zumindest seit es den albanischen Kosovaren gelungen ist, ihre Eigenständigkeit von wichtigen Staaten völkerrechtlich anerkennen zu lassen".[4] Daß Rußland seinerseits die Sezessionsbewegungen in Abchasien und Südossetien unterstützt, die von Georgien mit militärischen Mitteln zu verhindern versucht wurde, liegt in dieser fatalen Logik. Für die russische Seite war der Vormarsch der georgischen Truppen eine günstige Gelegenheit, bot diese militärische Aggression des kleineren Nachbarn doch die Gelegenheit, mit einem Gegenschlag machtpolitisch Fakten zu schaffen, ohne daß die Nato intervenieren konnte, wollte sie nicht selbst ohne zureichende Legitimation die Gefahr eines Flächenbrandes heraufbeschwören. Die russische Regierung hatte lange gewartet, bis sich die Nato aufgrund ihrer inneren Widersprüche matt setzen ließ. Der konkrete Auslöser dieses Krieges liegt neben innenpolitischen Legitimationsproblemen in dem Versuch der Regierung Saakaschwili, Georgien Nato-tauglich zu machen. Auf der Nato-Tagung im April in Bukarest hatten Berlin und Paris im Hinblick auf die russische Position sich dem Ansinnen der US-Regierung widersetzt, Georgien den Weg in die Nato zu ebnen, und zwar mit dem Argument, man dürfe kein Land mit offenen Territorialfragen aufnehmen. Der militärische Vormarsch georgischer Truppen in Süd-Ossetien kann vor diesem Hintergrund als Versuch gewertet werden, diese offenen Fragen zu klären, bevor Rußland zu einer Anerkennung von Südossetien und Abchasien schreitet. Ein Bericht in der Süddeutschen Zeitung ist in dieser Hinsicht erhellend: "Aber nicht die Demokratiebewegung [gemeint ist die Regierungsübernahme durch Saakaschwili in der sogenannten Rosenrevolution; GK] war das Hauptproblem für Rußland, sondern der klare Wunsch Georgiens nach einer Nato-Mitgliedschaft. Der politische Konflikt eskalierte auf dem Nato-Gipfeltreffen im April in Bukarest. Deutschland, das dem zunehmend selbstherrlich agierenden Saakaschwili skeptisch gegenübersteht und eine Vermittlung mit Rußlands Interessen anstrebt, stand an der Spitze einer Gruppe von Nato-Mitgliedern, die Georgiens Aufnahme in ein spezielles Vorbereitungsprogramm für die Mitgliedschaft zunächst verhinderte. Wenig hilfreich war für die georgische Regierung außerdem, daß sie im Vorfeld der Parlamentswahlen zu Beginn dieses Jahres die Opposition gewaltsam niederhielt. Die Regierung in den USA mußte den Widerstand mit Unwillen akzeptieren. Washington hätte gerne ein klares Signal der Unterstützung für Georgien ausgesandt und damit Rußland demonstriert, daß der Einfluß des Westens nun in den Kaukasus reicht. Nun zeigen russische Panzer, wer das Land kontrolliert."[5] Es spricht nicht für die Weitsicht der US-amerikanischen Außenpolitik, trotz der um Ausgleich bemühten Position Frankreichs und Deutschlands der georgischen Regierung diplomatisch Rückendeckung gegeben zu haben. Und letztlich war Washington selbst nicht bereit, militärisch direkt zu intervenieren. Die Regierung Saakaschwili konnte angesichts der Rüstungslieferungen des Westens - bei dem georgischen Kriegsgerät handelt es sich zu 75% um Material aus Nato-Staaten, der Rest soll aus der Ukraine stammen[6] - sich durchaus in dem Glauben wiegen, man werde im Falle einer Konfrontation mit Rußland vom Westen unterstützt. Dies um so mehr, als Seitens der USA kein gegenteiliger Eindruck erweckt worden ist - daß der US-Regierung angesichts zahlreicher Militärberater die Mobilmachung der georgischen Armee verborgen geblieben ist, ist kaum wahrscheinlich. Warum aber hat Washington Georgiens Regierung nicht von ihrem Kriegsabenteuer abgehalten? Hat man geglaubt, Moskau würde tatenlos zusehen, wie der Westen seinen Einfluß im Kaukasus konsolidiert? Nüchtern betrachtet - und diese Nüchternheit dürfte bei der Mehrheit der Staatengemeinschaft überwiegen - ist die Nato durch die Kaukausus-Krise mit ihren imperialen Ausdehnungsbestrebungen an die Grenze russischer Machtpolitik gestoßen. Es ist abwegig zu glauben, Rußland habe sich außenpolitisch isoliert; verläßt man die geistige Provinz, die in manchen westlichen Gazetten vorherrscht, kann man feststellen, daß das Nato-Protektorat im Kosovo mitnichten allgemeine diplomatische Anerkennung gefunden hat. Bei Abchasien und Südossetien handelt es sich eher noch als im Falle des Kosovo völkerrechtlich um provisorische Staaten mit De-facto-Regierungen. Das militärische Vorgehen Georgiens in Südossetien hat zweifellos gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot verstoßen und Rußland eine Legitimation für einseitige Schritte gegeben. Es ist damit zu rechnen, daß Moskau nun versuchen wird, die internationale Anerkennung der Unabhängigkeit Süd-Ossetiens und Abchasiens durchzusetzen. Warum das weniger erfolgreich sein soll als die Anerkennung des Kosovo ist unerfindlich. Es wird sich zeigen, inwieweit der Westen in der Lage ist, den Status Quo ante wiederherzustellen. Selbst ein nachgeholter Beitritt Georgiens in die Nato dürfte dazu nicht ausreichen. Es sind schlicht antirussische Ressentiments, wenn etwa Klaus-Helge Donath in der taz diesen Kontext ignorieren zu können glaubt: "Wer den Konflikt vom Zaun gebrochen hat, wird durch die Kriegshandlungen nebensächlich. Rußland führt einen Angriffskrieg auf fremden Staatsgebiet".[7] Eine derartige inhaltliche Entschiedenheit in den Medien hätte man sich bei der Bombardierung Belgrads 1999 gewünscht. Aus der mitunter sehr eingeschränkten Perspektive der Berliner Kochstraße dürfte man jedoch für derartige Widersprüche nur schwache Sensoren haben. Die Alternative zur Strategie der Nato nach dem Fall der Mauer wäre gewesen, mit Rußland auf dem Balkan und im Kaukasus zu einem völkerrechtskonformen Interessensausgleich zu kommen. Statt dessen wurde die Büchse der Pandora geöffnet und eine Kette blutiger Stellvertreterkriege in Gang gesetzt, bei der die internationale Ordnung ebenfalls in Schutt und Asche gelegt worden ist. In Zukunft gilt ungebremst das Recht des Stärkeren. Die FAZ hat genau das zur außenpolitischen Maxime Deutschlands erhoben. In Bezug auf den Nato-Krieg gegen Jugoslawien hieß es dort: "Daß die Nato aus reiner Menschenliebe Milliarden verfeuert, muß man nicht glauben. Wer Hegemonie beansprucht, muß damit beginnen, sie zu demonstrieren - mit oder ohne Völkerrecht".[8] Das 20. Jahrhundert bietet genügend Anschauungsmaterial dafür, wohin das langfristig führen wird. Für die Linke in Deutschland gilt es, sich auf die Perspektive einer dauerhaften Verschärfung der internationalen Widersprüche einzustellen. Da die sozial abhängigen Schichten keinerlei direkten Einfluß auf die außenpolitischen Geschehnisse nehmen können, wird es darauf ankommen, in internationaler Kooperation den überall zu beobachtenden nationalistischen Tendenzen entgegenzuwirken und durch innenpolitischen Druck die sozialen und politischen Eliten von außenpolitischen Aggressionen abzuhalten. Bisher ist im Falle Afghanistans in dieser Hinsicht noch wenig geschehen. Im Zweifelsfall wird es nur möglich sein, wie etwa in der Endphase des Vietnamkrieges durch massenhafte Befehlsverweigerung die militärischen Apparate zu zersetzen und handlungsunfähig zu machen. Anmerkungen:[1] Der Krieg gegen den Irak hat den USA eine Reihe Probleme eingebracht, mit denen Washington zu Beginn ihres Krieges nicht gerechnet hatte, etwa die faktische Aufwertung der Rolle des Iran und die Unmöglichkeit, das Land zu befrieden. Und im Falle Afghanistans freute sich die CIA in den 80er Jahren, daß die Sowjets dort in der Falle säßen. Nun sitzen die verbündeten Nato-Staaten darin - die Truppenstärke der Nato-Verbündeten hat annähernd den Stand der sowjetischen Besatzungstruppen in den 80er Jahren erreicht. [2] Nirgendwo hat die internationalistische Idee eines freien Balkan einen stärkeren Ausdruck gefunden als im Durchhaltevermögen der Bewohner Sarajevos während der Belagerung durch die faschistischen Truppen des Herrn Mladic, die sich selbst gegen die Beeinflussungsversuche islamistischer Eiferer in erstaunlichem Maße resistent gezeigt haben. Man findet den Geist Sarajevos in so großartigen und gleichzeitig traurigen Filmen wie "Esmas Geheimnis" von Jasmila Zbanic, in dem die Frauen, die unter dem Krieg am meisten gelitten haben, in einer Sequenz nicht ohne ironische Distanz auf Tito trinken. [3] Online-Ausgabe v. 10.8.2008. [4] FAZ v. 11.08.2008. [5] SZ v. 9.8.2008. [6] To Ethnos online v. 10.08.2008. [7] taz v. 11.8.2008. Jürgen Gottschalk hat in derselben Ausgabe dagegen eine brauchbare Analyse vorgelegt. [8] Zitiert nach Marcus Hawel: Die normalisierte Nation. Vergangenheitsbewältigung und Außenpolitik in Deutschland. Hannover 2007. S. 250. Dr. Gregor Kritidis ist Sozialwissenschaftler und Mitherausgeber der sopos. Kontext:
sopos 8/2008 | ||||||
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