Den Aufsatz kommentieren Tatort Stadion - Das Eckige am RundenRezensionvon Sven Ehlers (sopos) "Soll ich etwa ein Lagerfeuer im Wohnzimmer machen?" Anthony Yeboah auf die Feststellung des "Kicker", er wohne "wie ein deutscher Musterbürger" Bei PapyRossa erschien - ganz aktuell - ein Buch, das sich mit dem Eckigen am runden Leder beschäftigt oder wie Gerd Dembowski, einer der Herausgeber des Buches, neben Jürgen Scheidle, es formulierte, mit den "Kanten des runden Leders" - kurz: mit dem "Tatort Stadion". Dem Buch vorweg sorgte eine Ausstellung für Furore. Mit der Wanderausstellung vom "Tatort Stadion" schafften es die Macher bis in die Sportteile der großen Zeitungen, besonders deshalb weil sie sich durch eine selten gewordene Tugend ausgezeichnet haben: sich das Maul nicht verbieten zu lassen. Die Ausstellung zog Parallelen zwischen Äußerungen der DFB-Führungsetage, insbesondere deren Präsidenten Mayer-Vorfelder und dem Rassismus in den Stadien. Mayer-Vorfelder wird darin wie folgt zitiert: "Was wird aus der Bundesliga, wenn die Blonden über die Alpen ziehen und stattdessen die Polen, diese Furtoks und Lesniaks, spielen?" Und an anderer Stelle sagt er: "Wenn beim Spiel Bayern gegen Cottbus nur zwei Germanen in den Anfangsformationen spielen, kann irgendetwas nicht stimmen." Mit dieser kritische Haltung mußten sich die Macher viel Antipathie aussetzen: Der DFB strich kurzerhand die dringend benötigten Gelder und forderte alle Vereine auf, die Ausstellung zu boykottieren. In Berlin wurde sie zweimal mit Leuchtspurmunition beschossen und im Netz ziehen Rechte Analogien zur Wehrmachtsausstellung. Wie gut oder schlecht die Ausstellung ist, soll hier nicht erörtert werden. Ein Artikel hierzu findet sich in der Jungle World. An dieser Stelle interessiert nur das Buch zur Ausstellung. Und das, um es vorweg zu nehmen, ist ausgezeichnet. Bundestagspräsident Thierse, der die Ausstellung eröffnete drosch mit Phrasen der Marke: "Fußball kann Freundschaften zwischen Fans aus unterschiedlichen Städten, Regionen oder Ländern entstehen lassen, Offenheit, Gastfreundschaft, Integration und Völkerverständigung fördern. Die weltweite Faszination am Fußball eröffnet also Chancen für friedliches, tolerantes Miteinander - auf dem Spielfeld wie in den Stadien, aber auch weit darüber hinaus." auf die Ausstellung ein. Entgegen dieses Lobes, - hier paßt das Wort Freuds: "Gegen Angriffe kann man sich wehren, gegen Lob ist man machtlos." - geht das Buch kritisch mit dem Thema um. Hätte der Bundespräsident sich die Ausstellung angesehen oder gar das Buch gelesen, so wäre ihm vielleicht nicht entgangen, daß die Autoren dieser Beschreibung des Fußballs nicht zustimmen würden. Die große These des Buches ist, daß die Phänomene des Rassismus, Sexismus, Antisemitismus und Nationalismus in erster Linie gesellschaftliche sind, aus der gesellschaftlichen "Mitte" stammen und im Fußball "wie durch ein Brennglas an Schärfe gewinnen." Das Buch zeigt mit wieviel feinerer Nadel die Autoren als der des Ghostwriters des Bundespräsidenten nähten. In fünfzehn Aufsätzen beschäftigen sie sich mit den Zusammenhängen zwischen Rassismus, Antisemitismus, Sexismus sowie Homophobie und Fußball. Besonders Marvin Chlada und Gerd Dembowski beschreiben in ihrem Aufsatz, der mein persönlicher Favorit ist, mit den Instrumenten der kritischen Theorie und der Psychoanalyse Anna Freuds wie über das Medium Fußball "die Werte der Herrschenden die der Beherrschten" werden. "Solange die Gesellschaft nicht Kritik, sondern Anpassung honoriert, das Individuum entwertet wird, weder mit- noch selbst bestimmen kann, wird der Einzelne seine Wut über die tägliche Entwürdigung herunterschlucken und seinen Schmerz und seine "Freude" z.B. im Fußballstadion herausbrüllen." Mit scharfem Blick zeichnen sie die braune Vergangenheit des DFB und die Rolle des Fußballs zur Herausbildung des teutschen Nationalgefühls heraus. Ein Extralob verdient der Versuch mit den Studien des Frankfurter Institutes für Sozialforschung über den autoritären Charakter zu einer Physiognomie des Fans zu gelangen. Hier wäre Raum für noch tiefere Analysen. Kleinere Kreise ziehen die Artikel von Gerd Kolbe und Martin Endemann: Brillant recherchiert beschäftigt sich der erste mit der Vergangenheit von Borussia Dortmund im Nationalsozialismus als Beispiel für einen Verein, der nicht oder kaum mitgemacht hat und der zweite mit dem Antisemitismus im deutschen Fußball. Beide Artikel zeichnet vor allem eine exzellente Sachkenntnis aus, die durch eine Fülle interessanter und wichtiger Details unterfüttert wird. Artikel von Jürgen Scheidle und Klaus Walter über Fremdenfeindlichkeit im Amateurfußball, Antje Hagel/Steffie Wetzel über Sexismus im Stadion, Andreas Buderus über die Medien als Katalysator des Rassismus, Marcus Flor zu Deutscher Sportpolitik, Jürgen Scheidele über rechte Fußballfans in Italien und ein weiterer von Demobowski über Homophobie markieren die obere Tabellenhälfte. Auch wenn die weiteren Artikel des Buches etwas Schwächer sind - vornehmlich Beschreibungen von Fan-Projekten, die in eine bessere Zukunft weisen sollen sowie eine empirische Untersuchung, die im Duisburger Wedau-Stadion durchgeführt wurde, muß betont werden, daß das Buch und damit auch die schwächeren Artikel in der höchsten Liga spielen und das ist zur Zeit, die von Eisenbergs Fußball, soccer, calcio. Was auf den ersten Blick nach einer losen Aufsatzsammlung aussieht, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als zusammenhängendes Ganzes. Auch wenn die Herausgeber den Anspruch der Vollständigkeit weit von sich weisen, so fehlt doch nichts von dem, was man als "heißes Eisen" bezeichnen würde. Die Probleme und Mißstände, die der Mikrokosmos Fußball aus dem Großen der Gesellschaft importiert, werden allesamt gebührend behandelt. Die allergrößten Stärken hat das Buch m. E. in der Kritik der politischen Verortung des DFB, denn gerade hier wird deutlich, auf welch braunen Füßen der organisierte deutsche Fußball steht. Kontext:
sopos 4/2002 | |||
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