Den Aufsatz kommentieren Der König ist tot, es lebe der KönigKommentar zur Absicht vorgezogener Bundestagswahlenvon Gregor Kritidis (sopos)Das Ende war abzusehen und kam dann doch überraschend: Nachdem ein relevanter Teil der sozialdemokratischen Wählerbasis der SPD in NRW die Gefolgschaft verweigert hatte, trat die SPD-Spitze die Flucht nach vorn an: Kaum waren die Wahllokale geschlossen verkündete der Parteivorsitzende Franz Müntefering, die Bundesregierung, genauer: der Bundeskanzler, strebe Neuwahlen noch in diesem Jahr an. Wie ein geschlagener General zieht Kanzler Schröder jetzt seine Truppen an die Heimatfront zurück, um etwaige innere Aufstände niederschlagen zu können. Ein langandauernder innerer Richtungsstreit, so das Kalkül, soll schon im Keim erstickt worden. Denn was läge nach so einer historischen Niederlage näher als die Frage nach den Ursachen? Es liegt auf der Hand, daß Rot-Grün nicht trotz sondern wegen der Agenda 2010 gescheitert ist; aber solange das in der SPD nicht ernsthaft bestritten werden kann - denn das hieße, auf einen Sturz der Parteispitze und einen Politikwechsel hinzuarbeiten, und dafür fehlt das Potential - kann Schröder seine Deutungsmacht behaupten. Bislang, so scheint es, hat dieses Manöver Erfolg. Die Parteirechte hat mit der Entscheidung, ohne Koalitionsaussage zugunsten der Grünen in den Wahlkampf zu ziehen, einen Punktsieg erreicht. Die SPD-Linke murmelt etwas von Politikwechsel und neuen Gesichtern, hat aber bisher nicht erkennen lassen, den innerparteilichen Richtungskampf offen aufnehmen zu wollen. Im Gegenteil, die Vertreter des linken Flügels haben betont, in der Partei bleiben und die Agenda 2010 nicht grundsätzlich in Frage stellen zu wollen. Wollte die SPD-Linke aber ernsthaft einen Politikwechsel, müßte sie es auf eine Machtprobe ankommen lassen und in der Konsequenz die Spaltung der Partei in Kauf nehmen. Für alles andere ist ihre innerparteiliche Basis zu schmal. Wahlweise die WASG oder eine neue Kooperation aus PDS und WASG stünden dann als Auffangbecken zur Verfügung. Zu einem Bruch mit der Partei werden es aber nur diejenigen anlegen, die in der SPD ohnehin gänzlich ohne Einfluß sind und die sich auch keine Chancen mehr auf eine höhere Parteifunktion oder ein Mandat machen können. Die Gewerkschaftsspitzen, namentlich DGB-Chef Sommer und IG-Metall-Chef Peters, haben sich überflüssiger Weise nach der Erklärung Lafontaines, für eine zu bildende linke Liste kandidieren zu wollen, gegen eine Spaltung des linken Lagers und damit gegen PDS und die WASG ausgesprochen. Diese Nibelungentreue zu Schröder produziert aber erst die Spaltung, und zwar die der Gewerkschaften: Mit der Existenz der PDS und der WASG auf der einen und der Schröder-SPD auf der anderen Seite ist die "Linke" ohnehin "gespalten". Indem Sommer und Peters nun faktisch für die SPD Partei ergreifen, agieren sie im DGB parteipolitisch. Für die Gesamtheit der Gewerkschaften ist dieser Kurs fatal: Anstatt sich aus dem Abwärtssog der SPD zu lösen und sich politische Spielräume offen zu halten übernehmen die Gewerkschaften die Haftung für eine Politik, die die Mehrheit der Lohnabhängigen an der Urne verworfen hat. Die ohnehin halbherzige Kritik an der Agenda 2010 und insbesondere an Harz IV wird damit im Nachhinein erneut desavouiert. Die mittleren und unteren Gewerkschaftsfunktionäre, die Gewerkschaftslinke allemal, haben alle Argumente auf ihrer Seite, diese Linie zu bekämpfen. Stellt man die Ereignisse der vergangenen Woche in einen größeren Kontext, wird deutlich, wie zutreffend die Kritik und die Warnungen auch auf diesen Seiten gewesen sind: Diese Regierung war programmatisch schon am Ende, bevor sie überhaupt angefangen hatte. Die soziale Basis für eine sozial-ökologische Reformagenda war schon Anfang der 90er Jahre erodiert. Die Teilnahme am Jugoslawienkrieg, der Rücktritt Lafontaines, das Schröder-Blair-Papier, der "Ausstieg" aus der Atomenergie, die diversen Steuerreformen zugunsten der Unternehmen und Vermögenden, die Agenda 2010 - es hätte genug Anlässe gegeben, aus dem Scheitern von Rot-grün Konsequenzen zu ziehen. Aber Politik funktioniert anders. Man sollte sich nicht der Illusion hingeben, daß nun eine grundlegende politische Umorientierung unmittelbar bevorsteht. Denn mit den Wahlen in NRW ist zwar die Politik der SPD beerdigt worden, aber nicht einmal zweiter Klasse: Als politischer Zombie wird der Neoliberalismus Schröderscher Provenienz weiter sein Unwesen treiben. Dafür sprechen vor allem die absoluten Stimmengewinne der CDU. Die Wähler, die dieses Mal für die Union gestimmt haben, versprechen sich ja etwas von ihrer Stimmabgabe. In der CDU und ihrer Wählerbasis sind aber genau die gleichen Tendenzen zu beobachten wie in der SPD: Gegen die Hegemonie der Neoliberalen stehen die sozial-katholischen und sozial-konservativen Unterströmungen. Es wird seine Zeit dauern, bis auch diese Illusionen zerstört werden, denn die CDU wird - die französischen Konservativen wären da ein Vorbild - zunächst graduell den Kurs der Sozialdemokratie verschärfen. Man soll sich in diesem Punkt von der radikalen Rhetorik der Neoliberalen in der CDU und FDP nicht täuschen lassen: solange die zukünftige Oppositionsarbeit von SPD und Gewerkschaften von dem Geist ihrer bisherigen Politik getragen ist, besteht keinerlei Notwendigkeit, die Gewerkschaften zu zerschlagen und die SPD offensiv in die Enge zu drängen. Das würde nur unnötigen Widerstand provozieren, mit dem man nicht zu tun bekommt, wenn man die derzeitige Zermürbungstaktik der Lohnabhängigen fortsetzt. Und die haben auch die Gewerkschaften bisher nolens-volens mitgetragen. Die Kräfte von der PDS bis zum linken Rand der SPD und dem sozialkatholischen Flügel sollten versuchen, die eigenen Kräfte weiter zu sammeln und zu einer breiteren Kooperation zu kommen. Noch ist die vorherrschende Stimmung, bei aller Ablehnung neoliberaler Politikvorstellungen, weitgehend passiv und resignativ - ein idealer Nährboden für die Verbreitung allerlei reaktionärer Ideolologien. Sollte die Stimmung umschlagen, ist aber eine fundierte Orientierung, eine reale soziale Verankerung und Interventionsfähigkeit gefragt. Eine politische Kooperation von PDS und WASG bei den Bundestagswahlen wäre für alle an den Interessen der Lohnabhängigen orientierten Kräften, vor allem den Gewerkschaften, ein wichtiges Signal. Langfristig sollte die Spaltung in Ost und West innerhalb der Linken ohnehin überwunden werden. An zwei linkssozialdemokratischen Parteien ist auf Dauer kein Bedarf. Man kann darauf gespannt sein, ob aus einer solchen Kooperation eine dauerhafte Perspektive erwachsen kann, oder ob es zu einer Kombination der Mängel von WASG und PDS kommt. autoritäre Tendenzen, Bürokratismus, nationale und rassistische Unterströmungen - all das ist eben auch in WASG und PDS zu finden, und Oskar Lafontaine steht für diese Ambivalenz. Kontext:
sopos 6/2005 | ||||||
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