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Sinn erklärt den Sinn der NeuwahlOtto Meyer Schröders Schachzug, sofort nach dem Wahldesaster in Nordrhein-Westfalen auf Neuwahl des Bundestages zu setzen, wird oft mit der schnellen Reaktionsfähigkeit eines erprobten Kämpfers erklärt: Der schwer Angeschlagene suche die sofortige Entscheidungsschlacht nach dem Motto »Ich gegen sie«, »Sieg oder Niederlage«, »Lieber ein schneller Untergang in Ehren als ein langes Dahinsiechen in zunehmender Schande«… Derartige Boxerqualitäten, so schwadroniert das politische Feuilleton, habe der noch amtierende Kanzler schon des Öfteren bewiesen. Einer der wissenden Schwätzer, Hans Ulrich Jörges vom s tern , ist sicher, daß dies allein Schröders einsame Entscheidung gewesen sei, höchstens noch kurz zu Hause abgesprochen mit Frau Doris und deren Tochter… Inzwischen gibt es klügere Einschätzungen (s. den Beitrag von Arno Klönne in Ossietzky 11/05). Aufschlußreich im Blick auf die Interessen der neoliberalen Systemveränderer ist auch jenes Kalkül, das »Deutschlands bester Wirtschaftsprofessor« ( Bild ), Hans Werner Sinn, Leiter des einflußreichen Münchener Ifo-Instituts (Institut für Information und Forschung), in Interviews und Talkshows gerne vorträgt: Baldige Neuwahlen seien auf jeden Fall »gut für die deutsche Wirtschaft«. Warum? Etwa weil mit dem gegenwärtigen Favoritenduo Schwarz-Gelb zwei sich sehr unternehmerfreundlich gebende Parteien die Regierungsmacht übernehmen könnten? Ach nein, so direkt will der Herr Professor sich da nicht festlegen, schließlich sei er »Wissenschaftler« und kein »Parteipolitiker«. Ja, weshalb er dann für die Neuwahl sei? Ganz einfach, erklärt Sinn, durch die vorgezogenen Wahlen sei auf jeden Fall gewährleistet, daß der unbedingt nötige Reformprozeß in Deutschland zügig weiter betrieben werde, sonst hätten uns 16 Monate Reformstillstand bevorgestanden. Zunehmender Unmut in der SPD und gar ein Anwachsen linker Opposition in den Gewerkschaften hätten nicht mehr beherrschbare Ausmaße annehmen können. Aber dann müsse der Herr Professor doch auch für den Wechsel von Schröder zu Merkel sein? Nein, als »Wissenschaftler« bleibe er parteipolitisch neutral, weil der Wahlausgang in jedem Fall gut sei für die deutschen Unternehmen: Wenn Schröder gewinne, werde dieser, gestärkt auch gegen seine linken Kritiker, seine Kanzlerschaft mit konsequenter Reformpolitik weiterbetreiben. Seine Agenda- und Hartzpolitik und deren Fortsetzung habe er ja bei der Ankündigung der Neuwahl ausdrücklich zur Abstimmung gestellt; ein Wahlsieg gäbe ihm alles Recht gegen die Nörgler. Und wenn Frau Merkel gewinne, sei das gut für Unternehmen und Geschäfte in Deutschland, denn sie habe ja sogar noch mehr Reformen versprochen. So oder so, »Deutschland« könne durch Neuwahl nur gewinnen. Ehrfürchtig vor so viel Weitsicht darf der Interviewer den Herrn Professor noch nach der dringendsten Reformagenda gleich nach der Wahl befragen. Dieser weiß, daß noch in diesem Jahr ein Niedriglohnsektor etabliert werden müsse, Hartz IV- und Sozialhilfe-Gelder werde es nur noch als kleinen Zuschuß bei Annahme zugewiesener Arbeitsplätze geben, außerdem würden Bil-ligjobs für all jene geschaffen, die in vorgezogener Rentenanpassung leben und mit Mini-Renten auskommen müssen. Denn nur eine sofortige und signifikante Lohnkostensenkung in allen Bereichen könne Deutschland wieder in Schwung bringen. Wahrscheinlich ist Sinn sich hierin mit Wirtschaftsminister Clement schon einig… Einiges spricht für dieses Herrschaftsszenarium: Neuwahl als pseudodemokratische Legitimationsbeschaffung für beschleunigten neoliberalen Systemumbau. Ähnlich hatte der IWF-Mann im Amt des Bundespräsidenten, Horst Köhler, schon vor einem Jahr in seiner Antrittsrede im Reichstag zu Berlin gemahnt: »Wir« (er meinte die global agierenden deutschen Kapitalisten) könnten uns »trotz aller Wahlen kein einziges verlorenes Jahr für die Erneuerung Deutschlands mehr leisten«. Das heißt: Wahlausgänge wie in Schleswig-Holstein oder Nordrhein-Westfalen sind zu vernachlässigen oder müssen so aufbereitet werden, daß sie dem »Reformkurs« zuträglich werden. Im März dieses Jahres in seiner Rede vor Unternehmerverbänden wurde Köhler noch drängender: Nötig sei – nach dem »mutigen Anfang« (Agenda- und Hartzgesetze) – »eine umfassende Erneuerung von Wirtschaft und Gesellschaft«. Dazu sollten sich Regierung und Opposition »zusammensetzen«, sie stünden »in patriotischer Verantwortung«. Verlangt wird also die offene Absprache für eine als alternativlos ausgegebene neoliberale Einheitspolitik oder die Bildung einer großen Koalition. Schröders Beraterstab im Kanzleramt, unterwiesen auch von den Konzernlobbyisten wie McKinsey, Roland Berger oder Bertelsmann, wird die Ultimaten der Kapitalfraktionen nüchtern analysiert haben: Wie können wir uns das Vertrauen der wirtschaftlich Mächtigen erhalten? Doch nur, wenn es uns weiterhin gelingt, die Gewerkschaften ruhigzustellen. Münteferings Heuschrecken-Entlastungskampagne drohte eindeutig in die falsche Richtung zu laufen, sie hatte Geister gerufen, die man lieber in der Flasche gelassen hätte. Die Führungsschicht der Gewerkschaften, in der viele immer noch ihr SPD-Parteibuch wie ein Kreuz mit sich herumtragen und einige sogar im SPD-Parteivorstand zähneknirschend ausharren, hatte sich von Müntefering ermuntert gefühlt, ihrer Basis zu beweisen, daß, wenn auch kaum spürbar, doch noch der alte Klassenkampfgeist in ihrer Partei weht und eine fast erloschene Glut zum Lodern gebracht werden kann. Die »Heuschreckenliste« des Vorsitzenden Müntefering war schon der Versuch einer Deeskalation: Nur einige Finanzhaie sind böse, alle anderen gute, brave, patriotische Unternehmer, denen die Politik helfen muß! Doch der Geist eines generellen Antikapitalismus wuchs an und ließ sich so schnell nicht wieder einfangen. Dem mußte ein Ende bereitet werden, Schröder (als gehorsamer Kanzler des Kapitals und keineswegs als die große Politikerpersönlichkeit mit den einsamen Entscheidungen) hatte die Notbremse zu ziehen. Und dieser Neuwahl-Ruck zeigt inzwischen schon seine erhoffte Wirkung: Die Chefs von DGB, IG Metall et cetera stellen ihre Kritik an Hartz IV und den anderen Agenda-Gesetzen ein und wollen sich bis zum Wahltag fest hinter ihre SPD scharen. Um Merkel und Westerwelle mit deren Gewerkschaftsentmachtungsplänen zu verhindern… Hat Sinn den Sinn einer Neuwahl richtig analysiert? Hat die Bevölkerung nur die Wahl zwischen Pest und Cholera? Und ist unser demokratisches System schon so weit zu Grunde gerichtet, daß die gekauften Gurus der wirtschaftlich Mächtigen uns unsere Ohnmacht zynisch und voller Häme um die Ohren schlagen dürfen? –Immerhin quält sich da doch noch ein »Linksbündnis« als »Wahlalternative« in den Ring. Kämen die Akteure aus PDS und WASG mit guter Fraktionsstärke ins Parlament, könnten sie unter Umständen dazu beitragen, daß den etablierten Parteien nur die große Koalition übrig bleibt – was die längst existierenden Machtkartelle für jedefrau und jedermann offenlegen würde. Daß die neue Linkspartei endlich zur Bündelung und Etablierung einer wahrhaft emanzipatorischen Opposition beiträgt und nicht alsbald sich ebenfalls korrumpieren läßt, wird man wünschen und auch durch außerparlamentarische Bewegungen unterstützen müssen. Garantieren läßt es sich nicht. Kontext:
Erschienen in Ossietzky 14/2005 |
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