Den Aufsatz kommentieren Gefesselte RiesenDie Wirtschaftskrise bringt nicht nur das Kapital in Schwierigkeiten, sondern fordert auch die Gewerkschaften herausvon Jeannine GeißlerIn der letzten Zeit waren die Gewerkschaften Opfer einer regelrechten Diffamierungskampagne. Als "Betonköpfe" und "Blockierer" wurden sie dargestellt, FDP-Chef Westerwelle brandmarkte sie gar als "Plage für unser Land". Das hat seinen Grund: Wenn es eine Kraft gibt, die die neoliberale Politik in Deutschland aufhalten könnte, ist es die organisierte Arbeiterbewegung. Die Medienkampagne gegen die Gewerkschaften hilft, die schärfsten Angriffe auf die Bevölkerung seit Jahrzehnten durchzusetzen. Doch auch von anderer Seite her geraten die Gewerkschaften unter Druck. Viele Mitglieder sind enttäuscht, weil die Gewerkschaften ihrer Aufgabe, die Arbeiter vor den Angriffen des Kapitals zu schützen, immer weniger nachkommen. Einige Linke klagen schon seit je her über die "reformistischen" Gewerkschaften und sehen in ihnen womöglich den "verlängerten Arm des Kapitals". Derzeit sieht es so aus, als ob die jüngste Erfahrung diesen Kritikern Recht gebe. Während sich der Unmut über den Sozialabbau 2004 noch in Protesten Luft machte, scheint das neue Jahr unter ungünstigen Zeichen zu stehen. Ein Gefühl von Krise und Perspektivlosigkeit macht sich breit angesichts der Einführung von Hartz IV und der Niederlagen bei sämtlichen betrieblichen Auseinandersetzungen von Siemens bis Opel. Die Gewerkschaften haben schon bei den Montagsdemos nicht an ihre Mobilisierung zu den Massendemonstrationen gegen die Agenda 2010 am 3.4.2004 angeknüpft, im Gegenteil: sie rudern immer weiter zurück in ihrer Kritik an der Regierungspolitik. Warum kommen die Gewerkschaften ihrer Aufgabe, die Arbeiter zu schützen, so wenig nach? Warum sind die Gewerkschaften überhaupt wichtig?Seit sich Arbeiternehmer[1] in Gewerkschaften organisieren, stehen sie dem Unternehmer nicht mehr ohnmächtig gegenüber, sondern können ihrerseits eine gewaltige Macht entfalten. Gemeinsam sind sie stärker. Wenn sie kollektiv streiken, haben sie die Möglichkeit, das gesamte Produktionssystem lahm zu legen. Daher ist Solidarität das Grundprinzip jeder gewerkschaftlichen Aktion. Ohne sie würde jeder Streik scheitern. Gewerkschaften sind kollektive Institutionen der Arbeitnehmer und deswegen tun sie "gute Dienste als Sammelpunkte des Widerstands gegen die Gewalttaten des Kapitals"[2], so schon Karl Marx. Potentiell sind sie die stärkste organisierte soziale Kraft in Deutschland. Keine andere Organisation ist in der Lage, innerhalb kurzer Zeit Hunderttausende zu mobilisieren. Vor allem kann keine andere Organisation durch das Kampfmittel des Streiks die Macht entfalten, die Unternehmer dazu zwingt, Kürzungen zurückzunehmen. Viele Dinge, die uns heute selbstverständlich erscheinen, wurden in der Vergangenheit von ihnen erkämpft: neben der geregelten Arbeitszeit mit festem Gehalt, Überstundenzuschläge, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, bezahlte Pausen, Urlaubs- und Weihnachtsgeld, Maßnahmen zur Sicherheit am Arbeitsplatz usw. Gelegentlich mussten allerdings die Arbeiter auch mit Streiks, die nicht von den Gewerkschaften autorisiert waren, sogenannten "wilden" Streiks, den Gewerkschaften auf die Sprünge helfen. Der jüngste wilde Streik fand im Herbst 2004 bei Opel statt. All die Errungenschaften der Arbeiterbewegung werden zurzeit von Unternehmerseite angegriffen. So wünscht sich Michael Rogowski, bis vor kurzem Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie, "ein großes Lagerfeuer, um das Betriebsverfassungsgesetz und die Tarifverträge hineinzuwerfen"[3]. Ganz oben steht die Abschaffung des Flächentarifvertrags auf dem Wunschzettel der Unternehmer. Der Flächentarifvertrag ist deshalb von Bedeutung, weil er ein entscheidendes Mittel ist, die Konkurrenz unter den Arbeitnehmern aufzuheben. Dadurch, dass flächendeckend eine bestimmte Arbeitszeit und ein bestimmter Lohn festgelegt sind, ist die/der Einzelne vor der Willkür des Arbeitgebers ein Stück weit geschützt. Die Gewerkschaften mussten jahrzehntelang darum kämpfen. DGB-Gewerkschaften in der KriseObjektiv gesehen ist das Potential für eine gewerkschaftliche Organisierung sehr groß. Mehr Menschen als jemals zuvor leben unter dem Zwang, die eigene Arbeitskraft verkaufen zu müssen. Rechnet man das Heer der im Dienstleistungssektor körperlich Tätigen oder Routinetätigkeiten Ausübenden - man kann von einer Industrialisierung der Büroarbeit sprechen - zu der immer noch recht großen Masse der Industriearbeitnehmer hinzu, haben wir eine Arbeiterklasse, die noch nie größer und präsenter war als heute. Nach dieser weiten Definition kann man in der BRD etwa drei Viertel der erwerbstätigen Bevölkerung zur modernen Arbeiterklasse rechnen. Dementsprechend neu ist, dass die Gewerkschaften in einigen Bereichen immer mehr Bedeutung bekommen. Gerade in den Dienstleistungsbereichen, in denen oft vereinzelt gearbeitet wird, was gemeinhin einer kollektiven Organisierung und auch der Schlagkraft abträglich ist, konnten die Gewerkschaften in den letzten Jahrzehnten Fuß fassen. Trotzdem spricht man nicht nur wegen der sozialen Angriffe von einer Krise der Gewerkschaften. In den letzten Jahren haben die Gewerkschaften massiv an Mitgliedern verloren. Immer mehr stellen sich die Frage, wozu sie einer Gewerkschaft überhaupt beitreten sollen, wenn sie nichts Greifbares für einen erreicht. Warum stecken die Gewerkschaften so in der Krise? Der Druck der WirtschaftskriseTraditionell verteidigen Gewerkschaften die Arbeiter gegen die Angriffe des Kapitals. Außerdem bemühen sie sich darum, dass das Wachstum der Produktion nicht nur den Kapitalisten, sondern nach Möglichkeit auch den Arbeitern zu gute kommt. Diese Aufgabe zu erfüllen, ist jedoch schwierig, wenn die kapitalistische Wirtschaft wie zurzeit seit längerem in einer Stagnationskrise steckt. Die Verteilungsspielräume werden dann geringer. Nicht nur dass das Kapital den Lebensstandard der Arbeiter immer mehr angreift, um die Profite in der Krise zu halten - auch sicher geglaubte Errungenschaften werden plötzlich vom Kapital wieder in Frage gestellt. Wie stark sind die Gewerkschaften noch?Trotz hoher Mitgliederverluste sind die DGB-Gewerkschaften mit ihren knapp 7 Millionen Mitgliedern immer noch riesig - der DGB ist nach wie vor größter Gewerkschaftsdachverband der westlichen Welt. Jeder fünfte Arbeitnehmer hat einen Mitgliedsausweis in der Tasche. Die reine Masse spielt allerdings nicht unbedingt die zentrale Rolle bei der Kampffähigkeit. Obwohl z.B. in Frankreich der Organisationsgrad geringer ist als bei uns (etwa 10 %), sind die Kämpfe dort viel offensiver. Kürzungen konnten dort in den letzten Jahren verhindert werden. In der Mitgliedschaft hat sich im Laufe der Kämpfe ein starkes Selbstbewusstsein entwickelt - die Gewerkschaftsspitzen sind so stärker als in Deutschland unter Druck, dem kämpferischen Willen einen Ausdruck zu verleihen. Auch bei uns geht es anders: Wenn es eine Perspektive des Kampfes gibt, können Mitglieder gewonnen werden und Erfolge erreicht werden. Während die Gewerkschaften zwischen 1952 und 1968 lediglich 300.000 neue Mitglieder gewinnen konnten, so erhöhte sich die Mitgliedschaft in den wenigen Jahren zwischen 1968 und 1974 von 6,3 auf 7,4 Millionen.[4] Dazwischen lagen zahlreiche Streikbewegungen, darunter erfolgreiche Kämpfe wie der Streik im Öffentlichen Dienst 1974. In diesen Jahren gelang den Gewerkschaften mit dem Anstieg der bereinigten Lohnquote um 5 % ein für die Geschichte der Bundesrepublik einmaliger Umverteilungserfolg. Ähnliches zeigte sich in den 90er Jahren. Zwischen 1996 und 1998 wurden einige Angriffe der Kohl-Regierung zurückgeschlagen - trotz damaliger Wirtschaftsflaute. Im Herbst 1996 verhinderten z.B. Streiks bei Daimler die Umsetzung des Gesetzes zur Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Hierdurch verlangsamte sich der Abwärtstrend in der Mitgliederentwicklung. Macht uns die Wirtschaftskrise machtlos?Schon Marx wies auf bestimmte strukturelle Probleme der Gewerkschaften hin. Ist es zunächst ihre Aufgabe, die ökonomische Lage der Arbeiter zu verteidigen, dann kommen sie zwangsläufig regelmäßig in die Krise, wenn die kapitalistische Ökonomie nicht funktioniert und die Unternehmer alles daran setzen, ihre Probleme auf dem Rücken der Beschäftigten abzuwälzen. So haben wir derzeit, wie bereits erwähnt, eine sich seit den 1970er Jahren nicht wieder richtig erholte Wirtschaft. Es handelt sich um eine Stagnationskrise, an der auch kurze Booms nichts ändern. Wie können die Gewerkschaften auf die Wirtschaftskrise reagieren? Es stehen zwei Möglichkeiten offen. Einmal können die Gewerkschaften prüfen, ob nicht ihre "klassischen" Methoden wie Solidarität und möglichst breite Streiks helfen, auch in Zeiten der Stagnation die Arbeiterinteressen im Rahmen der ökonomischen Möglichkeiten zu verteidigen. Die andere Möglichkeit, auf die Marx hinwies, ist die Ausweitung des Kampfes ins Politische.[5] Wollen die Arbeiter erfolgreich kämpfen, dann müssen sie die Flucht nach vorne antreten, sie müssen die bestehenden Verhältnisse auch politisch in Frage stellen. Sie sind gefordert über Möglichkeiten nachzudenken, wie gegen die Spielregeln der Marktwirtschaft auch verstoßen werden kann. Auch heute sind aber Spielräume für den ökonomischen Kampf innerhalb der Marktwirtschaft vorhanden. Dem Druck, den die Unternehmer beispielsweise mit der Drohung der Standortverlagerung aufbauen, muss aber kämpferisch entgegnet werden, wie die beiden linken Gewerkschafter Bernd Riexinger und Werner Sauerborn betonen. Um dem Unternehmerdruck innerhalb eines Landes einigermaßen standzuhalten, hat die Arbeiterbewegung die Flächentarifverträge erkämpft. Hier kommt das Grundprinzip von Gewerkschaft zum Ausdruck: Sich zusammenzuschließen, um so die Konkurrenz der Arbeiter untereinander zu entschärfen und den Arbeitgebern ihr Erpressungspotential zu entziehen. Was also tun, wenn die Unternehmer außerhalb des Landes ziehen wollen? Der neuen ökonomischen Realität folgend, müssen sich die Arbeitnehmer dann internationale Strukturen schaffen, mit denen sie entlang der Wirtschafts- und Branchengrenzen für ihre Rechte streiten. Dafür bedarf es konkreter Strukturen, einer Streikkasse etc. - erst dann werden sie in der Lage sein, so Riexinger und Sauerborn, "dem Kapital das Machtmittel der Erpressung und des Ausspielens der ArbeitnehmerInnen der einen Länder gegen die der anderen Länder, das die Gewerkschaften derzeit so in die Defensive gebracht hat, zu entziehen."[6] Noch setzen die Gewerkschaften dem Druck der Standortkonkurrenz, verbal untermauert von Arbeitgebern und Bundesregierung, aber nichts entgegen: "Die Gegenseite, das Kapital, kündigt unter geänderten ökonomischen Bedingungen den Nachkriegskonsens auf und kehrt zurück zum offenen Klassenkampf. Die Gewerkschaften haben keine andere Chance als ebenfalls auf diese Grundlinie zurückzukehren und in einem sehr grundsätzlichen innergewerkschaftlichen Diskurs ihre Mitglieder und Funktionäre für diese strategische Perspektive zu gewinnen. Unbeeindruckt von den neuen Realitäten den sozialpartnerschaftlichen Trott in der gewerkschaftlichen Praxis fortzusetzen, würde zu noch schnelleren und einschneidenderen Positionsverlusten auf allen Feldern führen."[7] Die Rolle der GewerkschaftsfunktionäreWarum lassen sich die Gewerkschaften in einen Abwärtsstrudel hineinziehen, statt ihre Funktion als Vertretung der Interessen der Arbeitnehmer wahrzunehmen? Als Organisationen der Arbeiter werden sie vom Kapital angegriffen, mit Zuckerbrot, aber auch mit der Peitsche. Das Kapital sucht nach Schwachstellen in den gewerkschaftlichen Organisationen. Oft wird es bei den Funktionären fündig. Die Stärke der Gewerkschaften rührt daher, dass sie die Arbeiter organisieren können. Dazu bedarf es aber in aller Regel Organisatoren: die Gewerkschaftsfunktionäre. Diese sind mit den einfachen Arbeitern nicht einfach identisch, sonst wären sie ja keine eigenständigen Organisatoren mit eigener besonderer Autorität gegenüber den Gewerkschaftsmitgliedern. Sie haben eigene Interessen, die sie nicht automatisch im Einklang mit den Arbeitern verfolgen. Hier setzt das Kapital an - mit Zuckerbrot, aber eben auch mit der Peitsche. Hitler beispielsweise gebrauchte die Peitsche. Er sperrte die Funktionäre in Konzentrationslager. In der BRD kam dagegen oft das Zuckerbrot zur Anwendung. Höhere Gewerkschaftsfunktionäre verdienen nicht schlecht und pflegen den Lebensstil höherer Angestellter. Nach getaner Gewerkschaftsarbeit wartet womöglich eine staatliche Stelle für die Pension auf sie. So ist etwa eine Quote der "Sozialattachées" im Ausland für Gewerkschaftsmitglieder reserviert. Es gehört allerdings auch zur Natur des Klassenkampfes, dass solche Einflussnahmen keine Einbahnstraße sind. So werden die Funktionäre nicht einfach nur gekauft, auch umgekehrt wandert mit ihnen gewerkschaftlicher Geist in die staatlichen Behörden. Dem Bundesarbeitsministerium wurde beispielsweise unterstellt, es sei zu "gewerkschaftsnah". Zeitweise war die Leitungsebene dieses Ministeriums zu 100 % "organisiert", der CDU-Arbeitsminister Blüm beispielsweise war IG Metall-Mitglied. Dies war der Hintergrund, weshalb dieses Ministerium inzwischen aufgelöst wurde. Natürlich müssen auch solche angepassten Funktionäre hin und wieder mal kämpfen. Sie müssen ja den Gewerkschaftsmitgliedern, aber auch dem Kapital zeigen, dass sie benötigt werden. Ihr eigenes Schicksal sehen sie aber in erster Linie mit den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen verbunden. Im Zweifelsfall, das zeigt die Geschichte, werden sie in aller Regel die bestehenden Verhältnisse verteidigen. Deshalb auch ist eine Basisorganisierung der einfachen Gewerkschaftsmitglieder wichtig, um Druck auf den Apparat ausüben zu können. Auf die Funktionäre stützt sich naturgemäß die Regierung Schröder. Mittlerweile kann gesagt werden: Es bedurfte der mit den Gewerkschaften geschichtlich eng verwobenen SPD, um die einschneidenden Sozialkürzungen auf den Weg zu bringen. Die Regierung Kohl kam Mitte der 1990er Jahre mit ihrem Sozialabbau gegen die kampfbereite Arbeitnehmerschaft ins Stocken. Schröder dagegen, der die Bundestagswahl 1998 mit Lafontaine und dem Slogan "Arbeit und soziale Gerechtigkeit" gewann, gilt heute als der Beweis schlechthin, dass es zur neoliberalen Politik keine Alternative mehr gibt, wird sie doch sogar von der SPD verfolgt. Das deutsche Kapital setzt auf Schröder, weil dieser mit einer anderen Taktik vorgeht. Aufgrund der hegemonialen Stellung der Sozialdemokratie in den Gewerkschaften kann er deren Widerstand von "innen" schwächen. Die Rolle der Funktionäre stellt den Hintergrund dar zur Feststellung Bernd Riexingers, dass die Gewerkschaftsführungen die nach dem Aktionstag vom 3.4.2004 zum Greifen naheliegende Zuspitzung der gesellschaftspolitischen Kämpfe gegen Hartz IV nicht nur verspielt, sondern auch nicht gewollt haben.[8] Je näher der Wahltermin für die nächste Bundestagswahl rückt, umso größer wird der Druck innerhalb der Gewerkschaften werden, jede Kritik an der SPD-Regierung fallen zu lassen, da die Funktionäre personell und karrieremäßig mit der SPD immer noch am besten können. An dieser Stelle ist eine wichtige Einschränkung zu machen: Nicht alle Funktionäre spielen dieses Spiel mit. Eine außerordentlich wichtige Entwicklung der letzten beiden Jahre war die Loslösung wichtiger Teile des Gewerkschaftsapparates, wenn auch in der Regel nicht an der Spitze, von der SPD. Die Gründung der Linkspartei Arbeit und soziale Gerechtigkeit - Die Wahlalternative ist Ausdruck dieses Bruchs von Teilen der Gewerkschaften mit der Kürzungspolitik. Wir müssen heute von mindestens drei verschiedenen Strömungen innerhalb der Gewerkschaften ausgehen: Am regierungsfreundlichsten sind die "Schröderianer" unter der Führung des Vorsitzenden der Gewerkschaft IG BCE Hubertus Schmoldt. Daneben gibt es eine große sozialpartnerschaftliche Strömung, geführt von Frank Bsirske (ver.di) und Jürgen Peters (IG Metall). Diese Strömung fordert einen Politikwechsel, der die Nachfrage ankurbeln soll. Sie glauben, Regierung und Unternehmen durch Appelle und etwas Druck wieder zum alten Modell zurück zwingen zu können: "Wir wollen eine andere Politik, wir wollen aber keine andere Regierung" (Jürgen Peters im Spiegel-Interview). Aber es hat sich wie beschrieben auch eine kleine Strömung von Gewerkschaftslinken gebildet, deren Stärkung ein wichtiges Element zur Erneuerung der Arbeiterbewegung ist. Was tun?Die heutigen Gewerkschaften sind wie gefesselte Riesen mit teilweise stark erschlafften Muskeln und schlechter Koordination. Große Teile des Körpers und der Zellen haben vergessen, welche Kraft der Riese entwickeln kann. Um wieder Muskeln zeigen zu können, müssen sich die Gewerkschaften unabhängig von Staat und Kapital, also auch unabhängig von der SPD-Regierung, organisieren - ausschließlich im Interesse der Arbeiter. Gleichzeitig muss die internationale Zusammenarbeit enger und besser organisiert werden, damit die Arbeiter nicht international gegeneinander ausgespielt werden können. Wichtig ist jedoch auch der zweite Aspekt, den Marx ansprach. Um "ökonomisch" erfolgreich zu sein, müssen die Arbeiter über das Ökonomische hinaus handeln. Sie müssen ökonomische Kämpfe mit politischen verbinden. Streiks können Wahlen im Sinne der Arbeiter beeinflussen. Die großen Gewerkschaftsproteste ab 1996 trugen ihren Teil zur Abwahl Kohls bei. Gleichzeitig können politische Bewegungen auf der Straße (z.B. Attac) oder linke Parteien den Arbeitern im ökonomischen Kampf den Rücken stärken und etwa die Debatten in der Öffentlichkeit zu ihren Gunsten verschieben. Was potentiell ökonomisch möglich ist, hat der "wilde Streik" bei Opel Bochum im letzten Herbst gezeigt. Gegen (!) die Gewerkschaftsführung und zu einer Zeit, als die Tarifverhandlungen bei Daimler Chrysler und Siemens schon zu Ungunsten der Belegschaften ausgegangen waren, legten die Kollegen für 6 Tage die Arbeit nieder. Dieser Streik deutete an, wie mächtig die Arbeitnehmer sein können, wenn sie gemeinsame, solidarische Aktionen organisieren: Aufgrund von Zulieferausfällen standen auch an anderen Standorten die Bänder still, fast wäre die Produktion des Mutterkonzerns General Motors in ganz Europa zum Erliegen gekommen. Dieser Druck kann aber nur aufrechterhalten werden, wenn andere Teile der Belegschaft dazu kommen, andere Belegschaften von anderen Standorten, andere Belegschaften von anderen Konzernen und schlussendlich andere Belegschaften anderer Branchen. Genau das hat aber im letzten Herbst gefehlt. In Bochum haben die Opel-Arbeitnehmer gestreikt, in Rüsselsheim nicht. Dabei hat General Motors bewusst die Ausspielung der verschiedenen Standorte gegeneinander eingesetzt. Warum streikten gerade die Kollegen in Bochum? Es gab eine linke, kämpferische Basisvernetzung, die das Selbstbewusstsein der Kollegen stärkte und sich für die Interessen der Beschäftigten einsetzte. Bedingung dafür waren zwei Erkenntnisse: Dass die Zeit der Sozialpartnerschaft zu Ende ist, und dass die Gewerkschaften sich aus der Umklammerung der SPD lösen müssen. In Zukunft muss internationale Aktionsfähigkeit hergestellt werden. Strukturen wie Euro- und Weltbetriebsräte, die mit Leben gefüllt werden, können dazu genutzt werden. Die Verbindung zu den sozialen Bewegungen, die mittlerweile vielfach unter Beweis gestellt haben, dass sie international handlungsfähig sind, kann dazu einen Beitrag leisten. Aber auch konzerninterne Standortkonkurrenz, wie sie zuletzt im neuen Haustarifvertrag bei VW festgelegt wurde[9], muss überwunden werden. Riexinger und Sauerborn sprechen zudem politisch von einem Alternativprogramm zu den Themen Arbeitszeitverkürzung, Ausbau und demokratische Kontrolle des öffentlichen Sektors, Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums und demokratische Kontrolle der Wirtschaft. Die Forderung nach europaweiter Arbeitszeitverkürzung könnte z.B. ein Thema sein, um das man international streitet. Die neu gegründete Linkspartei Arbeit und soziale Gerechtigkeit kann dabei eine wichtige Rolle spielen. Nicht nur als Sprachrohr der sozialen Bewegung im Parlament, sondern als eine reale Unterstützung bei der politischen Arbeit auf der Straße, im Betrieb oder in der Universität. Mit dieser Strategie - internationale ökonomische Kämpfe, die mit einer politischen Perspektive verbunden sind - sind Erfolge zu erzielen. So haben die Beschäftigten der Möbelfabrik IKEA schon einen weltweiten Rahmentarifvertrag durchgesetzt. Hafenarbeiter besitzen mittlerweile eine weltweite Gewerkschaft und unabhängig von tarifrechtlichen Regelungen sind einige nordamerikanische Gewerkschaften, wie die "guilds", die Gilden, im Luftfahrtbereich heute schon von Mexiko bis nach Kanada organisiert. Mit einem Wort: Internationale Solidarität statt Standortkonkurrenz muss zum Leitbild der Gewerkschaften des 21. Jahrhunderts werden. "Kampfschule" Fußnoten:[1] Hierunter sind sowohl männliche als auch weibliche Beschäftigte zu verstehen. [2] Karl Marx: Lohn, Preis, Profit, in: MEW 16, S. 152 [3] Der Spiegel 44/2003, 25.10.2003. [4] Arno Klönne / Hartmut Reese, Kurze Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung, Frankfurt/Main 1986, S. 262. [5] Vgl. Karl Marx: Lohn, Preis, Profit, in: MEW 16 [6] Bernd Riexinger / Werner Sauerborn, Gewerkschaften in der Globalisierungsfalle, Supplement der Zeitschrift Sozialismus, 10/2004, S. 27. [7] Bernd Riexinger / Werner Sauerborn, a.a.O., S. 8f. [8] Vgl.: Christoph Jünke, 6.Konferenz der Gewerkschaftslinken - Trotz Niederlagen Aufbruchstimmung, in: SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2005. [9] Aufträge für den Bau eines neuen Modells werden konzernintern ausgeschrieben, die verschiedenen Werke konkurrieren also direkt miteinander, dabei werden Kriterien wie die Anzahl der angebotenen Überstunden eine Rolle spielen. [10] Oskar Negt, Wozu noch Gewerkschaften? Eine Streitschrift, Göttingen 2004, S. 139ff. Dieser Artikel ist zuerst erschienen in: Linksruck Argumente, Heft Nr. 6, Februar 2005. Kontext:
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