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Im Haus herrscht deshalb kalte Wut. "Nieder mit den Bildungsstätten! Fördert das Hotelgewerbe!" Als an einem dieser eisigen Dezembertage Schulleiter Eberhard Kremer die Teilnehmer der letzten Lehrgänge verabschiedete, hingen im Foyer noch die Protest-Transparente des Hauspersonals. Letzte Zeichen des monatelangen Kampfes gegen die Schließung. Tausende Gewerkschafter hatten sich daran mit Resolutionen und einer Demonstration vor der entscheidenden Abstimmung im Gewerkschaftsrat beteiligt. "Springen ist besser als kriechen", hieß eine populäre Parole. Die Gewerkschaftsbasis reagierte erschreckt. Denn außer dem Haus in Springen schließt ver.di zum Jahresende weitere fünf Bildungseinrichtungen, darunter eine Jugendbildungsstätte. Rund 130 Arbeitsplätze gehen verloren. Elf andere Bildungshäuser will ver.di (vorerst?) erhalten - elf für 2,9 Millionen Mitglieder. Noch im September 2001 hatte es in den "Eckpunkten der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit in ver.di" geheißen: "Die Bildungsnachfrage (der fünf Gründungsgewerkschaften von ver.di) ist eigentlich höher als deren eigene Bettenkapazität." Folgenlos rügten die "Eckpunkte" damals, daß ver.di mehr als 60 Prozent seiner Seminare in Hotels statt in den eigenen Häusern veranstaltet. "Die Gewerkschaften würden jeden Unternehmer, der Aufträge und somit Arbeit auslagert und eigene Abteilungen schließt, an den Pranger stellen - und das zu Recht", empörten sich die Angestellten in Springen. Vergeblich. In Springen verlieren 41 Beschäftigte ihren Arbeitsplatz. Einige wenige werden versetzt. Dem Rest bot der Gewerkschaftsvorstand Auflösungsverträge an. Betriebsbedingte Kündigungen sind bei ver.di bis 2007 ausgeschlossen. Doch auch Abfindungen, die auf den ersten Blick nicht schlecht dotiert erscheinen, ersetzen in Zeiten von Massenarbeitslosigkeit keine Jobs. Von der IG Druck und Papier erbaut war "Springen" seit 1966 die gewerkschaftspolitische Bildungsstätte für Drucker, Setzer, Journalisten und andere Medien- und Kunstschaffende. In herrlicher Panoramalage auf dem Geisberg bei Wiesbaden machten sich Aktivisten fit für die Arbeit als Betriebsräte und Vertrauensleute. Viele weiteten hier erstmals ihren Blick über den Horizont der Bild-Zeitung hinaus. Tausende Gewerkschafter wurden hier qualifiziert für den tagtäglichen Kleinkrieg mit dem Kapital. Büffelten Arbeitsrecht und diskutierten über gesellschaftliche Veränderungen in Räumen, die die Namen von Karl Marx, Clara Zetkin, Bert Brecht, Kurt Tucholsky, Carl von Ossietzky und anderen Vordenkern und Mitstreitern der Arbeiterbewegung trugen. Deren Tradition wurde in Springen als Verpflichtung für die Zukunft verstanden, ebenso das antifaschistische Erbe. Nicht alle ver.di-Funktionäre hat das gefreut. Begründet wurde die Schließung vor allem finanziell. Andere Überlegungen zählten wenig. "Für die einfachen Mitglieder sind die Schulen oft der konkret erlebte Ort von Gewerkschaft. Hier machen sie Erfahrungen von Gemeinschaft und Solidarität, hier werden Freundschaften geknüpft, die oftmals über Jahre andauern und bei Betriebsräten auch zu wichtigen Netzwerken für ihre Arbeit ausgebaut werden." Solche Warnungen vor immateriellen Verlusten, wie sie Beschäftigte einer norddeutschen Druckerei an den ver.di-Vorstand richteten, verhallten. Mehr Eindruck auf die Gewerkschaftsführung machte die Aussicht, angesichts sinkender Mitgliederzahlen schnell rund zwölf Millionen Euro Defizit ausgleichen zu können, das der Betrieb der sechs Häuser angeblich jährlich verursacht. (An anderer Stelle sprach ver.di-Bildungsleiterin Dorothea Müller von einem Fehlbetrag von nur 5,9 Millionen Euro). Da halfen auch Gegenkonzepte nichts. Das Haus in Springen machte gerade mal 200 000 Euro Verlust im Jahr - etwa so viel wie 2003 die Sicherung der leerstehenden Gebäude kosten wird. Bildung gibt es nicht zum Nulltarif. Doch die ver.di-Spitze pochte auf Betriebwirtschaft - ohne zu überzeugen. Denn gemessen an den jährlichen Beitragseinnahmen der nach eigener Einschätzung weltgrößten Gewerkschaft in Höhe von geschätzten 395 Millionen Euro betragen die Defizite der Bildungseinrichtungen gerade mal drei Prozent, rechneten Kritiker vor. Verglichen mit den 16 Millionen Euro Mietkosten pro Jahr für die ver.di-Bundeszentrale am Potsdamer Platz in Berlin sind diese Defizite das 0,75-fache. Und im Vergleich mit den kräftig erhöhten Gehältern der 18 ver.di-Bundesvorstandsmitglieder (rund 2,4 Millionen Euro) belaufen sich die Gesamtdefizite der Bildungsstätten auf das Fünffache - nutzen aber Tausenden. Wieviel darf gewerkschaftliche Bildung kosten? Dem Haus in Springen wurde ein Modernisierungsbedarf von 1,5 Millionen Euro für die nächsten Jahre angekreidet. "Doch als wir dann anboten, einen konkreten Investitionsplan vorzulegen, hat sich kaum noch jemand dafür interessiert", berichtet bitter ver.di-Betriebsrat Klaus Bretthauer. Wenn sich kein Käufer für die "Rote Burg" findet, fällt in zwei Jahren die Abrißbirne. Das alte Werbeplakat der IG Druck und Papier, das seit Jahren neben dem Wilhelm-Liebknecht-Raum die Richtung wies, hängt bereits nicht mehr. Dort stand: "Unser Ausweg heißt Bildung." Kontext:
Erschienen in Ossietzky 25/2002 |
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