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Dieses Mal nutzt sie die Berufserfahrung, um zur Personalversammlung im Zuschauerraum der Oper ihre eigene Sache eindrucksvoll ins Bild zu setzen: die drohende Aussicht, daß etliche Kolleginnen und Kollegen des Schauspiel- und Opernhauses ins bereits millionenfach bevölkerte Schattenreich der Massenarbeitslosigkeit gestoßen werden. »Die Landesregierung hat dem Theater auferlegt, in den nächsten fünf Jahren jährlich ein Prozent des Budgets einzusparen«, erläutert Personalratsvorsitzender Martin Wetter. Bei 600 Beschäftigten im nicht-künstlerischen Bereich bedeute das, daß 30 Vollzeitarbeitsplätze in den nächsten fünf Jahren gestrichen würden. Hinzu kämen Stellenstreichungen durch die drohende Arbeitszeitverlängerung. Republikweit, so die Forderung der öffentlichen Arbeitgeber, sollen die Beschäftigen unbezahlt Mehrarbeit erbringen. Statt der tarifvertraglich vereinbarten 38,5 Stunden sollen alle Bediensteten künftig 41 Wochenstunden arbeiten, verlangt beispielsweise das CDU/FDP-Kabinett in Baden-Württemberg. Das wäre eine Verlängerung der Arbeitszeit um sechs Prozent – verbunden mit der erklärten Absicht, im selben Umfang Stellen zu streichen. »Bei uns am Theater würden dann weitere 36 Beschäftigte erwerbslos gemacht werden«, schimpft Personalrat Wetter und weiß, was damit sonst noch alles verbunden wäre: Arbeitsverdichtung für die verbleibenden Beschäftigten, Verkürzung ihrer Freizeit und Senkung des Stundenlohns. Gegen diese Aussicht protestieren immer wieder Beschäftigte quer durch die Republik. Einige Tausend folgten Warnstreikaufrufen von ver.di. Pfeifend zogen sie vor die Regierungssitze. Sie wollen sich querlegen, wenn die CSU-Staatsregierung in Bayern die 42-Stunden-Woche fordert, SPD und Grüne in Nordrhein-Westfalen 41 Wochenstunden verlangen oder das Land Niedersachsen »zur Zeit«, so Finanzminister Hartmut Möllring (CDU), eine Verlängerung um 1,5 Stunden auf 40-Wochenstunden anpeilt. »Wie Leibeigenen des 18. Jahrhunderts«, empört sich ver.di-Vorstand Kurt Martin, »haben die Regierungen den Beamten bereits die 40-Stunden-Woche verordnet.« Arbeitern und Angestellten können längere Arbeitszeiten nicht einfach diktiert werden. Aber ihr Tarifvertrag über die 38,5-Stunden-Woche im öffentlichen Dienst ist gekündigt. Er wirkt rechtlich zwar bis zum Abschluß eines neuen Tarifvertrags nach. Doch bereits heute pressen die öffentlichen Arbeitgeber ihren Beschäftigten per Einzelvertrag höhere Arbeitszeiten ab. Das geschieht regelmäßig bei Neueinstellungen und Beförderungen sowie bei der Entfristung von befristet eingerichteten Stellen. Schleichend entstehen so zwei Klassen von Menschen, die für dasselbe Geld unterschiedlich lange arbeiten müssen. So eindrucksvoll der Protest dagegen im einzelnen geäußert wird – angesichts der Größe der abzuwehrenden Gefahr nimmt er sich bislang eher bescheiden aus. In Bayern plant Edmund Stoiber laut ver.di, 7800 Landesbeamte wegzusparen. Otto Schily will im Bund, so die Antwort auf eine Anfrage im Bundestag, 2800 Beamtenstellen durch längere Arbeitszeiten entbehrlich machen. Im Landesdienst von Niedersachsen, das gerade 7000 Stellen im Zuge einer »Verwaltungsreform« streicht, würden weitere 2500 der Arbeitszeitverlängerung zum Opfer fallen. In Nordrhein-Westfalen will Rot-Grün bis 2007 sogar 11 000 Jobs im öffentlichen Dienst vernichten. Bundesweit seien 150 000 Arbeitsplätze in Ämtern und Behörden bedroht, schätzt ver.di-Vorsitzender Frank Bsirske. Seit Jahren sind Bund, Länder und Gemeinden, die seit der »Wende« 2,3 Millionen Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut haben, die größten Job-Killer der Republik. Bsirske versichert, mit ihm sei über längere Arbeitszeiten nicht zu reden. Schließlich gehe es nicht nur um ein paar Stunden. Vielmehr probten Unions-Strategen wie Edmund Stoiber oder Roland Koch im Tarifstreit des öffentlichen Dienstes eine »Durchbruchschlacht«. Im Visier sei die gesamte Wirtschaft. Daß es entsprechende Verabredungen mit Siemens-Chef Heinrich von Pierer aus dem Frühjahr 2004 gebe, werde nicht dementiert. Stoiber selbst äußert sich eindeutig. Schon am 28. März 2004 ließ er in Bild am Sonntag wissen: »Die Kündigung des Tarifvertrages über die bisherige 38,5-Stunden Woche im öffentlichen Dienst wird die Arbeitswelt in Deutschland verändern. (...) Wenn schon der öffentliche Dienst auf eine Wochenarbeitszeit von bis zu 42 Stunden kommt, wird dies auch für die anderen Wirtschaftszweige nicht ohne Auswirkungen bleiben.« Nicht erst seit dieser Drohung prasselt ein propagandistisches Trommelfeuer auf die Bürger nieder. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht die von Ifo-Chef Hans Werner Sinn angeführte Zunft des geballten ökonomischen Unsinns eine neue Sau durchs mediale Dorf treibt: Arbeitszeiten von 40 bis 48 Stunden, regelmäßige Samstagsarbeit, Streichung von Urlaub, Abschaffung von Feiertagen, Verbot von Teetrinker- und Raucher-Pausen, längere Lebensarbeitzeiten bis 67 Jahre und so weiter werden propagiert. Auf ökonomische Logik darf niemand hoffen in Zeiten, in denen ausgerechnet Touristik-Konzerne Vorreiter beim Streichen von Urlaubstagen sind. Die bereits von Karl Marx diagnostizierte »Sucht des Kapitals, immer mehr Lebenszeit der Menschen einzusaugen«, gilt nicht als gefährlicher Vampirismus. Sie wird als Heilmittel gepriesen, das gar nicht hoch genug dosiert werden könne: Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich mache Arbeit billiger, lasse deshalb die – bereits deflationär gesunkenen – Preise fallen, animiere so die Menschen, mehr zu kaufen, und das führe zu höherer Produktion und zu mehr Arbeitsplätzen. So reimt sich etwa der bisherige Industrieverbandspräsident Rogowski einen Kreislauf zusammen, den der Bremer Ökonom Rudolf Hickel »abenteuerlich« nennt: »Ein Handwerker, der länger arbeitet, hat dadurch nicht mehr Aufträge.« Die Unterstellung, daß die zur höheren Produktion erforderliche Nachfrage steigen werde, sei angesichts der durch Lohnverzicht immer geringer werdenden Kaufkraft nicht belastbar, urteilt Hickel. Wegen der fehlenden Nachfrage würden vielmehr weitere Arbeitsplätze abgebaut, die Arbeit werde verdichtet und auf noch weniger Schultern verteilt. Auch Unternehmer-Studien belegen diese Einschätzung. So kommt eine Untersuchung der Citigroup zu dem gleichen Ergebnis wie die Bundesagentur für Arbeit: Eine Verlängerung der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 37,8 auf 40,4 Stunden bei gleichem Lohn führe bis 2008 zu Beschäftigungsverlusten von bis zu zwei Prozent. In Stellen umgerechnet bedeute das, so die Rechnung der Wirtschaftsabteilung von ver.di, die Vernichtung von 800 000 Arbeitsplätzen. Der Bremer Arbeitszeitforscher Helmut Spitzley nennt Forderungen nach längeren Arbeitszeiten deshalb eine »Kriegserklärung an die junge Generation«. Die beginnt die Gefahr zu begreifen. An dem Tag, als die Theaterleute ihre Schattenrisse in die Stuttgarter Oper hängen, zieht die ver.di-Jugend mit riesigen Portraitfotos auf den Schloßplatz der Stadt: Bilder junger Auszubildender, denen droht, nach dem Ende ihrer Lehre in die Erwerbslosigkeit entlassen zu werden. Doch es gebe, so die Botschaft der Gewerkschaftsjugend an Passanten und Presse, eine Alternative: Arbeitszeitverkürzung! Würden die Beschäftigten ihre Arbeitszeit reduzieren, gewönnen sie »mehr Zeit zum Leben, Lieben und Lachen« und schüfen Bedarf, um Arbeit auf mehr (junge) Leute umverteilen zu können. Viele der angesprochenen Stuttgarter Bürgerinnen und Bürger sind, so das Ergebnis dieser Aktion, bereit, ihre Arbeitszeit zu reduzieren. Doch ver.di operiert defensiv. Erfolge wie bei der Deutschen Telekom, wo Beschäftigungssicherung durch Arbeitszeitverkürzung errungen werden konnte, blieben eine Ausnahme. Die meisten ver.di-Funktionäre mißtrauen der Devise, daß Angriff die bessere Verteidigung ist. Sie verweisen auf Untersuchungen über eine uneinheitlich entwickelte Bewußtseinslage in Betrieben und Verwaltungen (s. »Es ist Zeit. Das Logbuch zur ver.di-Arbeitszeitinitiative«, hg. von Frank Bsirske u. a., VSA-Verlag, 278 Seiten, 19.80 €). Erst »mittelfristig« könne deshalb »ein neuer Anlauf zur allgemeinen Arbeitszeitverkürzung« auf die Tagesordnung gesetzt werden, so die Beschlußlage. Dabei ahnt ver.di: Wer zu spät kommt, den bestrafen die Zeitdiebe. Die Redaktion Ossietzky hat wiederholt dargelegt und bekräftigt hiermit, daß beim heutigen Stand der technischen Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland die Vier-Tage-Arbeitswoche mit 28 Arbeitsstunden sowohl sozialpolitisch als auch volkswirtschaftlich sinnvoll und geboten ist. Die infolge der Massenarbeitslosigkeit entstandenen Löcher in den Sozialversicherungen und den öffentlichen Haushalten würden geschlossen. Eine etwas größere Kostenbelastung der Arbeitgeber würde dadurch und durch die Stärkung der Binnennachfrage aufgewogen. Unrealistisch kann die Forderung nach der 28-Stunden-Arbeitswoche nur denjeninigen erscheinen, die auf die Verdummungspropaganda von Unternehmerfunktionären und deren Schranzen in Politik, Medien und hochdotierten Beraterstäben hören und bereit sind, die reichlich strömenden Rationalisierungsgewinne allesamt der Kapitalseite zu überlassen. E.S.
Erschienen in Ossietzky 24/2004 |
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