Den Aufsatz kommentieren Bluthund SchilyÜber die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch die Herrschendenvon Marcus Hawel (sopos) Einer muß der Bluthund werden."
Das Prinzip der innerstaatlichen Feinderklärung droht sich vor allem gegen Ausländer muslimischen Glaubens oder arabischer Herkunft zu richten. Diese Menschen geraten vorrangig in das Raster und stehen damit unter kategorischem Terrorismusverdacht. Die Terroranschläge auf die Symbole der kapitalistischen Weltmacht USA, durch die vermutlich über 6000 Menschen gestorben sind, dienen in Deutschland den Herrschenden als Katalysator für den Ausbau eines autoritären Strafrechtsstaates. Durch die Anschläge in New York, ist in der Bundesrepublik das Thema der äußeren und inneren Sicherheit zu einer alles andere überlagernden Debatte geworden. Die allgemeine Hysterie überflügelt dabei sogar diejenige aus den Siebzigern, als die RAF aktiv gewesen und die Herrschenden das linke Sympathisantentum zu innerstaatlichen Feinden erklärte. Man bezeichnet fälschlicherweise den Terrorismus als Krieg und den Krieg nicht als Terrorismus. Weil sich aufgrund des ausgerufenen Bündnisfalls der NATO (Art. 5) nicht nur die USA, sondern die gesamte sogenannte zivilisierte Welt im Kriegszustand wähnt, stehen jetzt vor allem die vermeintlichen Feinde im eigenen Land auf der Zielscheibe. Es handelt sich um einen invisible enemy, der im Dunkeln operiere und deshalb schwer zu fassen sei. Fieberhaft versuchen die Behörden des BKA und des Verfassungsschutzes ein neues Täterprofil zu erstellen, welches im Rahmen der Rasterfahndung das Ausfindigmachen des Feindes ermöglichen solle. Die breite Rasterfahndung soll dem sogenannten sleeper auf die Schliche kommen. Das Prinzip der innerstaatlichen Feinderklärung droht sich dabei vor allem gegen Ausländer muslimischen Glaubens oder arabischer Herkunft zu richten. Diese Menschen geraten vorrangig in das Raster und stehen damit unter kategorischem Terrorismusverdacht. Der Bundestagspräsident Wolfgang Thierse ermahnte zwar Journalisten und Politiker, man dürfe jetzt nicht von einem Kampf gegen den Islam sprechen, aber die harsche Antwort vom obersten Staats-Anwalt der Republik, von Innenminister Schily erfolgte sogleich: "Doch, doch!". - Nun ist zu befürchten, daß dem offiziellen Rassismus der staatlichen Vernunft, wie er von Schily und anderen propagiert wird, ein Rassismus des Ressentiments, der auf der Straße in Pogromstimmung Schily's Parolen exekutiert, folgen wird. Personen wie der deutsch-türkische Politiker Cem Özdemir bekommen schon massenweise Schmähbriefe, in denen sich ein Rassismus in struktureller Gleichheit zum Antisemitismus entlädt, der in Deutschland eine lange und schlimme Tradition hat. Die Regierung Schröders nutzt dieses Klima, um in der rechten Mitte, wo - wie jeder weiß - die Wahlen zu gewinnen sind, auf Stimmenfang zu gehen. Der Mann fürs Grobe, der den konservativen Parteien das Wasser abgraben soll, heißt Otto Schily. Nun ist zu befürchten, daß dem offiziellen Rassismus der staatlichen Vernunft, wie er von Schily und anderen propagiert wird, ein Rassismus des Ressentiments, der auf der Straße in Pogromstimmung Schily's Parolen exekutiert, folgen wird. Gegen Opportunismus gibt es keine Psychopharmaka. Von der Geisteskrankheit der Intellektuellen sind prominente Personen betroffen wie Horst Mahler und Bernd Rabehl, die ins rechte Lager abgedriftet sind. Schily scheint ihnen zu folgen. Der Bundesinnenminister war einmal der linke Anwalt der Achtundsechziger; er ging gegen den US-Imperialismus auf die Straße und sammelte Geld für die Befreiungskämpfer des Vietkong, "was ihn heute nicht hindert, die USA eifernd zu Vorkämpfern für Menschenrechte hochzujubeln, als hätte es das Massaker von My Lai nie gegeben"[1]; er stand neben Rudi Dutschke am Grab von Holger Meins, als dieser rief: "Holger, der Kampf geht weiter." Terror lasse sich nicht mit der Abschaffung des Rechtstaates bekämpfen, hatte Schily als RAF-Anwalt erklärt. Heute zitiert der Sheriff der Nation Wilhelm von Humboldt: "Sicherheit ist die Voraussetzung von Freiheit." - Schily war auch bis Anfang des Jahres 2001 Mitglied bei der Humanistischen Union. Dort trat er ein für die Maxime Benjamin Franklins: "Wer für die Sicherheit die Freiheit aufgibt, verliert beides." Aber als Bundesinnenminister trat er ohne Begründung aus der Bürgerrechtsorganisation aus, offensichtlich "weil Inhaber hoher Regierungsfunktionen (...) Schwierigkeiten damit haben, Menschenwürde und Freiheitsrechte als zentrale Orientierungspunkte der politischen Arbeit auch in der Exekutive zu akzeptieren", wie der HU-Vorsitzende Till Müller-Heidelberg kürzlich feststellte.[2] Mit anderen Worten, das Regierungshandeln scheint in einem notwendigen Gegensatz zu einem authentischen Einsatz für Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes zu stehen. Den Kritikern seines Werdeganges kontert Schily schroff mit Georges Pompidou: "Nur Idioten ändern sich nicht." - Und manche ändern sich zu Idioten. Schily, der Bluthund, der Gegenwarts-Noske, der Anwalt des Staates, der die nationalen Interessen notfalls gegen den Willen der Bevölkerung abdichtet aus Gründen der Staatsräson. Nichts hat sich in dieser Hinsicht seit der Niederschlagung des Spartakusaufstandes, den der SPD-Reichswehrminister Gustav Noske 1919 zu verantworten hatte, bei den wehrten Sozialdemokraten in dieser Hinsicht geändert. Sie kommen als Konkursverwalter an die Macht und holen für den kapitalistischen Staat die Kastanien aus dem Feuer, in dem sie notfalls auch zu autoritären Bluthunden werden. Acht Wochen vor der Bundestagswahl des Jahres 1998 trumpfte Schily zum ersten Mal mit konkreten Vorschlägen zur Verschärfung des Strafrechtsstaates auf. Für DIE ZEIT kommentierte damals Martin Klingst auf der Titelseite: "Getrieben von ihrer uralten Angst, im Kampf gegen Kriminelle als hasenfüßig zu gelten, will die SPD mit aller Macht Bundesinnenminister Manfred Kanther den Sheriffstern entreißen. Sie erkennt nicht, daß diese Plakette an einer sozialdemokratischen Brust deplaziert wirkt."[3] Im Parteiprogramm der SPD tauchte an zentraler Stelle ein Begriff von rechts-konservativen Verfassungspatrioten auf: Bürgerrecht auf Sicherheit. - Diesen Kampf-Begriff hatten konservative Verfassungsrechtler erfunden, um die bürgerlichen Freiheitsrechte einzuschränken, weil diese die Verbrechensbekämpfung behinderten. "Es ist traurig, aber wahr", schrieb Klingst, "die Bundessozialdemokraten wirken wie geklonte Unionschristen." Kanther wollte in der nächsten Legislaturperiode vor allem die Arbeit der Polizei und die des Geheimdienstes miteinander vernetzen. Herausgekommen wäre eine Novelle der Notstandsgesetze, die schon damals nie hätten eingeführt werden dürfen und schon längst hätten wieder abgeschafft werden müssen. Die Notstandsgesetze hängen aber noch immer wie ein drohendes Damoklesschwert in der Luft und können jederzeit, wenn es die Herrschenden für angebracht halten, das innenpolitische Klima vergiften. Darin bezeugt der Staat ein grundsätzlich feindseliges Verhalten und Mißtrauen gegen seine Bürger. Im SPD-Parteiprogramm tauchte an zentraler Stelle ein Begriff auf: Bürgerrecht auf Sicherheit. - Diesen Kampf-Begriff hatten rechts-konservative Verfassungspatrioten erfunden, um die bürgerlichen Freiheitsrechte einzuschränken, weil diese die Verbrechensbekämpfung behinderten. Mit dem Rot-Grünen Regierungswechsel hatten so manche gehofft, es werde von nun an etwas freier im Lande zugehen. Aber der Kanther-Klon steht dem Original in nichts nach. Auch er sieht nun im Namen der Terrorismusbekämpfung die engere Zusammenarbeit der Geheimdienste und der Polizei für gekommen. Wenn BND und Verfassungsschutz tatsächlich miteinander verzahnt werden und enger mit der Polizei zusammenarbeiten, so kommt dies der Schaffung einer für die Bundesrepublik qualitativ neuen Polizei gleich - einer politischen Polizei, die ihren eigenen geheimen Nachrichtendienst besitzt und mit weitreichenden Exekutivkompetenzen ausgestattet ist. Damit hätte man eine Stasi geschaffen oder vielleicht sogar eine Geheime Staatspolizei (GESTAPO) - es ist keineswegs so, als ließen sich keine historischen Vergleiche ziehen. In der bundesrepublikanischen Nachkriegsgeschichte hatte man es noch nicht wagen können und wohlweißlich auf die Einrichtung solcher zutiefst repressiven Institutionen des Staates verzichtet. Bald ist es wieder so weit, der Kampf gegen den Terrorismus - und der Kriegszustand sowieso - dienen den Herrschenden als Rechtfertigung für den Einsatz staatsterroristischer Mittel. Aus Angst vor der Gefährdung der Inneren Sicherheit soll es auch möglich werden, die Bundeswehr im Innern einzusetzen. Daß so etwas bisher noch aufgrund eines entsprechenden Passus im Grundgesetz unmöglich ist, kommt nicht von ungefähr. Das Militär ist strukturell bedingt per se eine rechte Institution, im Nationalsozialismus konnte es wie auch SA und SS unkontrolliert im Innern wüten; das sollte in Deutschland nicht noch einmal geschehen. - Schily rechtfertigt die beabsichtigte Militarisierung der Innenpolitik als Antwort auf eine vermeintliche allgemeine Verschiebung der Grenzziehung zwischen polizeilichen und militärischen Mitteln. In der Außenpolitik sei es längst ersichtlich, daß dem Militär - etwa bei UN-Einsätzen im ehemaligen Jugoslawien - polizeiliche Aufgaben zukommen; bald also auch im Innern und das gegen jede historische Erfahrung, die einmal als Warnung galt. Aber auch damit ist es nicht genug: Zusätzlich soll der Datenschutz eingeschränkt werden, damit Geheimdienste, Polizei und Militär besser, schneller und leichter gegen Verdächtige aus der Bevölkerung, gegen vermeintlich terroristische Umtriebe der Bürger vorgehen können. Der Rasterfahndung, die nie hätte eingeführt werden dürfen, würden somit neue Daten- und Informationsquellen zugespielt werden: Kaufverhalten, Konsumverhalten, auffälliges Verhalten im Straßenverkehr, Reisegewohnheiten etc., alles ist für die Rasterfahndung von Interesse, um dem sleeper - der, solange er schläft, ein ziemlich unauffälliges Leben fristet, auf die Schliche zu kommen. Aber es geht nicht nur gegen die ausländischen Muslime arabischer Herkunft, die im Zusammenhang der Terroranschläge in New York als Hauptverdächtige im Vordergrund stehen. Neben ihnen drohen auch weitere Gruppen ins Visier der Staatsmacht zu geraten: Ausländer, die als Asylbewerber oder Einwanderer ins Land kommen wollen und von denen die Behörden auf Schily's Wunsch bald schon einen Fingerabdruck verlangen könnten, sowie die außerparlamentarische Linke, die derzeit als Globalisierungskritiker auch in Deutschland in Bewegung kommt. Eine parlamentarische Opposition, welche die Militarisierung der Innenpolitik verhindern könnte, gibt es derzeit nicht. Verfassungsänderungen, die einem permanenten Ausnahmezustand alle Ehre machen, sind ernsthaft zu befürchten. Eine parlamentarische Opposition, welche die Gesetzgebung zur Verschärfung des innenpolitischen Klimas verhindern könnte, gibt es derzeit nicht. Die Terroranschläge in New York haben in den Köpfen der Politiker nahezu aller Parteien einen Dammbruch bewirkt. Verfassungsänderungen, die einem permanenten Ausnahmezustand alle Ehre machen, sind deshalb ernsthaft zu befürchten. Die von der CDU/CSU angebotene Nationale Allianz der Entschlossenheit (Friedrich Merz) und die Bereitschaft, auch zwecks unpopulärer Maßnahmen für eine überwältigende parlamentarische Mehrheit zu sorgen, verheißen das Schlimmste. Unpopuläre Maßnahmen sind solche, die sich gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit richten, gegen den allgemeinen Willen, den ein demokratischer Staat zu vertreten beansprucht. Mit anderen Worten: unpopuläre Maßnahmen sind anti-demokratisch. - Gerechtfertigt werden sie mit dem Totschlagargument der Staatsräson. Notfalls halten es die Demokraten mit Hegel, der schon über das gemeine Volk sagte, daß es nicht wisse, was es wolle, was die Vernunft will. Im Bundestag existieren derzeit verfassungsändernde Mehrheiten. Das ist angesichts der derzeitigen Lage mehr als bedrohlich. Der Krieg gegen den Terrorismus hat wie schon einmal zu Beginn des Ersten Weltkrieges die politischen Lager zusammengeschweißt. Damals erfüllte der Nationalismus den ideologischen Zweck der Verschleierung der Klassengegensätze, um der revolutionären Arbeiterbewegung das Wasser abzugraben. Wilhelm II. wie auch andere Monarchen und Staatsmänner nutzten damals die Gunst der Stunde, nationale Identitäten über Klassen hinweg herzustellen, indem sie ein Wir-Gefühl durch die Bedrohung eines äußeren Feindes heraufbeschworen. Jeder Deutsche sollte sein Vaterland verteidigen, statt im Klassenkampf es zu schwächen. Der deutsche Monarch verkündete: "Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur Deutsche". - Nun sagt stellvertretend für den Rest der übergroßen Kriegskoalition Guido Westerwelle: "Regierung und Opposition müssen zusammenstehen. Es gibt in dieser Situation keine Regierungsparteien und Oppositionsparteien; in dieser Situation gibt es nur deutsche Verantwortung."[4] Düstere Zeiten zeichnen sich ab, die der radikale Liberale Ralf Dahrendorf schon vor einigen Jahren als das autoritäre Jahrhundert bezeichnet hat; er rief die Bürger dazu auf, für ihre Freiheitsrechte zu kämpfen. Bluthunde sind besonders in Deutschland an die Leine zu nehmen und haben in der Öffentlichkeit einen Maulkorb zu tragen, denn sie bellen nicht nur, sie beißen auch... Anmerkungen:[1] Hans Peter Schütz: "Schröders Roter Sheriff", in: Stern 39/2001, S. 46. [2] Till Müller-Heidelberg: "Die HU als älteste deutsche Bürgerrechtsorganisation", in: vorgänge, Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik, Heft 3/2001, S. 23. - "Otto Schily gehörte von 1977 bis 1979 sogar zum Vorstand der Humanistischen Union, war anschließend Beiratsmitglied sowie Mitunterzeichner des HU-Memorandums 'Wo beginnt der Kernbereich des Rechtsstaats?' (vgl. vorgänge 33, S. 123ff.)" - Ebd. [3] DIE ZEIT, vom 30. 07. 1998. [4] Neues Deutschland, vom 18. 09. 2001. Kontext:
sopos 9/2001 | |||
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