Den Aufsatz kommentieren Terror, Kriegshysterie und Demokratieabbauvon Gregor Kritidis (sopos) Historisches Bewußtsein und Denken in Zusammenhängen ist offensichtlich nicht mehr opportun und droht kriminalisiert zu werden. Wer sich nach dem 11. September noch eine eigene Meinung erlauben will, sei gewarnt: In Kriegs- und Krisenzeiten geraten die bürgerlichen Freiheitsrechte schnell ins Wanken. Kaum ein paar Tage hat es gedauert, und die Zivilisation, für die wir mit der Bundesregierung und den USA in den Krieg ziehen sollen, war am Ende. Jeder, der sich antiamerikanischer Positionen verdächtig macht, gerät nun ins Visier staatlicher Stellen oder wird in den Medien denunziert. Wie weit die Meinungsfreiheit bereits eingeschränkt ist, zeigt der Fall Wickert. Dessen Vergleich der Denkstrukturen von George Bush und Osama bin Laden war der Bildzeitung nicht nur eine Kampagne, sondern auch der ARD eine Abmahnung wert. Dabei hatte Wickert nur darauf angespielt, was jedem denkenden Menschen offensichtlich sein muß, wenn er die Rede des US-Präsidenten vor dem Kongreß gehört oder gelesen hat: der amerikanische Präsident argumentierte in einem klaren Freund-Feind Schema, bemühte religiöse Metaphern und drohte mit Gewalt auch gegen Unbeteiligte. Was anderes als religiösen Fanatismus offenbarten die Worte des Texaners Bush? Doch bereits weit harmlosere Aussagen brachten das christlich-konservativ und liberale Establishment auf. Nachdem der Siegener Lehrer Bernhard Nolz, Sprecher der "PädagogInnen für den Frieden" auf einer Friedenskundgebung vor einer Spirale der Eskalation gewarnt und die Schüler zur Kriegsdienstverweigerung aufgerufen hatte, titelte die "Bild": "Skandal bei Friedens-Demo: Lehrer greift Amerikaner an", und der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Paul Breuer, warf Nolz vor, "eine klammheimliche Freude über das in New York geschehene" zu empfinden. Die Forderung nach einem Berufsverbot unterstrich Breuer mit der Aussage, Nolz sei ein "Rad am Wagen des internationalen Terrorismus".[1] Ebenso bekamen zwei Lehrerinnen in Sachsen und ein Polizeibeamter in Hannover die neue Staatsraison zu spüren. Kritik an den USA bzw. Freude über die Terroranschläge lauteten die Vorwürfe, die disziplinarische Konsequenzen nach sich zogen. In Nordrhein-Westfalen gab es Strafanzeigen gegen Teilnehmer einer Mahnwache gegen den Krieg, und der dortige Innenminister Behrens verkündete, er rechne mit "Brandanschlägen, Mahnwachen und Kundgebungen".[2] Historisches Bewußtsein und Denken in Zusammenhängen ist offensichtlich nicht mehr opportun und droht kriminalisiert zu werden. Darf noch, um nur ein Beispiel zu nennen, daran erinnert werden, daß die CIA 1953 den Sturz der iranischen Regierung Mosaddegh, welche die Ölquellen nationalisieren wollte, betrieben hat? Daß die USA jahrelang das Folterregime des persischen Schahs gestützt haben? Daß gerade der Besuch dieses Schah 1967 Anlaß für eine Demonstration in Berlin war, in deren Verlauf der Student Benno Ohnesorg von einem Polizisten erschossen wurde? Damals galten schon Eierwürfe auf das Amerikahaus als "Terror", während ein rechtsextremistischer Terroranschlag auf eine studentische Versammlung von der Polizei als "Sylvesterscherz" verharmlost wurde. Die amerikanische Außenpolitik der letzten 50 Jahre, die stets der Maxime "So wenig Gewalt wie möglich, soviel Gewalt wie nötig" folgte, zieht eine Blutspur hinter sich her: Guatemala, Vietnam, Indonesien, Griechenland, Kambodscha, Nicaragua, Chile, Irak, Grenada, Türkei - diese Liste ließe sich in nicht unbeträchtlichem Ausmaß verlängern. Von der verdeckten Intervention bis zum offenen Krieg reichte die Einmischung. Der Terror mittels Flugzeugentführungen, das sei nur am Rande erwähnt, ist auch keine Erfindung aus dem arabischen Raum. Die französische Regierung ließ während des Algerienkrieges eine Maschine mit Funktionären der FNL entführen. Muß man sich wundern, daß es so viel Abneigung gegenüber der amerikanischen Politik gibt, die sich vereinfachend in Form eines dumpfen "Antiamerikanismus" entlädt? Anmerkungen[1] Zit. n. Ossietzky vom 6.10.2001. [2] Vgl. Indymedia.de. Kontext:
sopos 10/2001 | |||
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