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Doch dem ängstlichen deutschen Volk kann gar nicht gedroht werden, zumindest nicht mit staatlicher Aufrüstung, wäre es doch nach jüngeren Umfragen zu über 80 Prozent bereit, für vermeintlich mehr Sicherheit ein Stück persönlicher Freiheiten hinzugeben. So kramten nun sichtlich enthemmte, schily-scharfe Sicherheitsexpertenalte Pläne aus den Schubladen der Macht, schnürten sie zu voluminösen Bündeln und beklebten sie mit "Anti-Terror"-Etiketten. Just zu Weihnachten wurden die "Otto-Kataloge" in Windeseile parlamentarisch abgesegnet und ausgeliefert - Weihnachtspakete, die sich im neuen Jahr als Sprengstoff-Tornister gegen Bürgerrechte und liberal-rechtsstaatliche Strukturen erweisen könnten. Am 1. Januar traten die Gesetze in Kraft - und prompt verstummte auch die öffentliche Auseinandersetzung um Risiken & Nebenwirkungen dieser Art von Sicherheitspolitik, die da vorgibt (aber keineswegs plausibel belegt), mit der drastischen Einschränkung von Bürgerrechten könnten die Bürger tatsächlich vor Terror geschützt werden. Demontierte Bürgerrechte als Kollateralschäden staatlicher "Terrorismusbekämpfung"? Es handelt sich um die umfangreichsten Sicherheitsgesetze in der bundesdeutschen Rechtsgeschichte, die wahrlich nicht arm ist an freiheitsbeschränkenden Gesetzeswerken - von den Notstandsgesetzen in den 60ern über die Anti-Terror-Gesetze der 70er bis hin zum Großen Lauschangriff in und aus Wohnungen und zur Videoüberwachung im öffentlichen Raum. Bundesinnenminister Otto Schily spricht stolz von einem "epochalen Gesetzeswerk". Schon bislang waren "unsere ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger" die am intensivsten überwachte und diskriminierte Bevölkerungsgruppe in Deutschland. Nun werden sie unter Generalverdacht gestellt und einem noch rigideren Überwachungsregime unterworfen. Ohne den geringsten Nachweis, daß von ihnen mehr Terror ausgehe als von Deutschen, werden sie einer Sonderbehandlung unterzogen, die existentielle Folgen haben kann: Einschneidende Polizeimaßnahmen ohne Anlaß, geheimdienstliche Regelanfragen, extensiver Datenaustausch zwischen Ausländerbehörden, Polizei und Geheimdiensten können zur Verweigerung der Einbürgerung oder der Visum-Erteilung führen, zum Verlust des Arbeitsplatzes, zu Haft, Ausweisung oder Abschiebung und schließlich zur politischen Verfolgung durch die Heimatstaaten, aus denen sie geflohen sind. Die neuen Regelungen, die Ausländer zu einem gesteigerten Sicherheitsrisiko erklären, schaffen kaum mehr Sicherheit, sondern sind dazu geeignet, Ausländer zu stigmatisieren, ihren Aufenthalt in Deutschland zu erschweren und fremdenfeindliche Ressentiments zu schüren - ein wahres Kontrastprogramm zum regierungsamtlichen "Bündnis für Toleranz", das damit per Gesetz aufgekündigt sein dürfte. Ausgerechnet die Geheimdienste, deren Versagen offenkundig geworden ist, erleben nach den Terroranschlägen vom 11. 9. 2001 einen regelrechten Boom. Sie werden aufgerüstet und bekommen neue Möglichkeiten zur Überwachung der Telekommunikation, technische Mittel zur Ortung von Mobiltelefonen, auch wenn diese nur auf stand-by geschaltet sind, womit sich Bewegungsprofile ihrer Besitzer erstellen lassen. Darüber hinaus werden Banken, Post-, Telekommunikations- und Luftfahrtunternehmen verpflichtet, den Geheimdiensten Auskunft zu erteilen über Geldanlagen, Konten- oder Reisebewegungen oder auch über Verbindungs- und Nutzungsdaten ihrer Kunden (wer hat von wo wann mit wem wie lange telefoniert, ist mit wem wohin wie lange verreist oder hat Überweisungen in welcher Höhe an wen getätigt). Das sind schwerwiegende Eingriffe in Grundrechte, die jedoch gerichtlich nicht überprüft werden können. Wie überhaupt Geheimdienste Fremdkörper darstellen in einer Demokratie, weil sie weder transparent noch wirksam kontrollierbar sind. Tausende, möglicherweise Hunderttausende von Beschäftigten in sogenannten lebens- oder verteidigungswichtigen Einrichtungen werden künftig Sicherheitsüberprüfungen unterzogen, aber auch privatwirtschaftliche Einrichtungen, die der Versorgung der Bevölkerung dienen, wie Energie-Unternehmen, Krankenhäuser, pharmazeutische Firmen, Bahn, Post, Telekommunikationsunternehmen und sogar Rundfunk- und Fernsehanstalten. Menschen, die sich um "sicherheitsempfindliche Stellen" bewerben oder sie bereits innehaben, werden künftig in geheimdienstliche Überprüfungen einbezogen - möglicherweise auch ihre Lebenspartner und ihr soziales Umfeld. Arbeitnehmer als potentielle Sicherheitsrisiken - wo bleibt eigentlich der Protest der Gewerkschaften? Etliche der in den Sicherheitspaketen enthaltenen Maßnahmen betreffen alle in der Bundesrepublik lebenden Menschen - so die verschlüsselte Speicherung biometrischer Daten (z. B. Finger- und Handabdruck oder Gesichtsmaße) in Ausweispapieren. Aus der Sicht des Datenschutzes ist zwar gegen Fälschungssicherheit von Personaldokumenten nichts einzuwenden - mal abgesehen davon, daß Schläfer mit im Ausland ausgestellten Papieren trotzdem nicht entdeckt worden wären. Aber die biometrische Totalerfassung der gesamten Bevölkerung ist nicht nur ein unverhältnismäßiger Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht, sondern auch eine grandiose Mißtrauenserklärung an die Bevölkerung. Alle, die künftig einen Paß oder Ausweis beantragen, werden biometrisch vermessen - müssen sich behandeln lassen wie bislang nur Tatverdächtige oder Kriminelle im Zuge einer Erkennungsdienstlichen Behandlung. Innenminister Schily beruft sich dabei gerne auf Spanien. Allerdings verschweigt er, daß es sich bei den Fingerabdrücken in spanischen Ausweisen um ein Relikt aus faschistischen Zeiten handelt. Und er verschweigt auch, daß dieses vermeintliche "Anti-Terror"-Instrument dem Terror der baskischen ETA nie Einhalt gebieten konnte. Mit all den neuen Befugnissen wird der Datenschutz gelockert - frei nach Schilys Motto, der Datenschutz sei hierzulande ohnehin "übertrieben" worden, gerade so, als hätten die Terroranschläge sonst verhindert werden können. Für seine zweifelhaften Verdienste um den Datenschutz erhielt Schily übrigens Ende letzten Jahres den Negativpreis "BigBrotherAward", für den er sich längst überqualifiziert hatte. Anscheinend befinden wir uns in einem nicht erklärten Ausnahmezustand, in dem die Kompetenzen und Befugnisse aller Sicherheitsorgane erweitert, die machtbegrenzenden Trennungslinien zwischen Polizei, Geheimdiensten und Militär durchbrochen, ganze Bevölkerungsgruppen verdächtigt, ganze Lebensbereiche mit Rasterfahndungen überzogen werden - und ganz nebenbei wird eine der ältesten rechtsstaatlichen Errungenschaften, die Unschuldsvermutung, aufgegeben, die Beweislast wird umgekehrt: Nicht der Staat muß die Schuld eines Verdächtigen beweisen, sondern der Verdächtige seine Unschuld. Die neuen Sicherheitsgesetze machen den Ausnahmezustand zum Normalzustand eines autoritären Sicherheitsstaates, in dem Rechtssicherheit und Vertrauen verlorengehen. Und auf europäischer Ebene haben sich die Mitgliedstaaten auf eine Terrorismusdefinition verständigt, die so weit gefaßt ist, daß darunter selbst solche Straßenproteste wie in Genua oder Sitzblockaden vor Atomkraftwerken oder politische Streiks in Versorgungsbetrieben fallen könnten. Terror stärkt den Staat und entwertet Freiheitsrechte - das hat sich immer wieder und jetzt besonders deutlich gezeigt. Nur in wenigen Fällen haben die Sicherheitspolitiker bisher plausibel dargelegt, daß ihre Gesetze zur Bekämpfung einzelner Erscheinungen von Terrorismus tauglich sein können. Dazu gehören Maßnahmen zur Erhöhung der Flugsicherheit und zur Kontrolle internationaler Geldströme, möglicherweise auch die Abschaffung des Religionsprivilegs im Vereinsrecht. Doch vollkommen unverdächtige Selbstmord-Attentäter hätten wohl mit keiner der neuen Regelungen rechtzeitig enttarnt werden können. Die Anschlagsserie in den USA hat bestätigt, wie verletzlich hochtechnisierte Gesellschaften sind. Absoluten Schutz vor Gefahren und Gewalt gibt es nirgendwo, schon gar nicht in einer solchen Risikogesellschaft und schon gar nicht vor fanatischen Selbstmord-Attentätern, wie das Beispiel Israel fast täglich zeigt. Die Anschlagsserie in den USA gilt vielen Politikern als Angriff auf Demokratie, Freiheit und die offene Gesellschaft. Die politischen Reaktionen auf die Terroranschläge könnten jedoch wesentlich größeren, nachhaltigeren Schaden an Demokratie, Freiheit und Bürgerrechten anrichten, als es die Anschläge selbst vermochten. Der Liberale Burkhard Hirsch stellte Ende letzten Jahres unter der Überschrift "Abschied vom Grundgesetz" zu Recht die Frage, ob wir angesichts all dieser Gesetzesverschärfungen "ein demokratischer Rechtsstaat bleiben". Er bescheinigte Otto Schilys "Sicherheitspaket" insgesamt Respektlosigkeit "vor Würde und Privatheit seiner Bürger" sowie "totalitären Geist". Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Außer vielleicht die Frage, warum sich die Bürger - anders als etwa in Zeiten der Volkszählung - das alles gefallen lassen, warum sich so wenig Widerstand regt. Immerhin regt sich mehr Widerstand, als das brave Fernsehpublikum ahnt. So fand zum Beispiel am 13. Januar im Kölner Theater "Comedia Colonia" unter dem Titel "Heimatfront" ein denkwürdiger langer Abend voller Musik ("Dicke Luft", Wenzel & Band, Kozmic Blue), Theater und Kabarett (Heinrich Pachl, Matthias Deutschmann, 3Gestirn u.a.) sowie Lesungen, Interviews und politischer Rede (Ursula Nölle, Mohssen Massarrat, Rolf Gössner) "zur Stärkung der Kampfmoral" statt.
Erschienen in Ossietzky 2/2002 |
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