Den Aufsatz kommentieren Die Blockaden von HeiligendammEin Sieg für das Grundgesetzvon Utz Anhalt (sopos) Die Bundesregierung, die zuständigen Polizeibehörden, Innenminister Schäuble und andere Funktionsträger des Staates versuchten, zum G 8 Gipfel in Heiligendamm im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland festgeschriebene Grundrechte außer Kraft zu setzen - vor allem das Recht auf Versammlungsfreiheit, die Pressefreiheit und die Trennung von Polizei und Militär. Kritischen Journalisten wurde die Akkreditierung nicht erteilt, ihnen also verboten, ihrer Dokumentationspflicht nachzugehen. Die Polizisten behinderten Presseleute vor Ort bei der Berichtserstattung, schüchterten kritische Medien ein. Ein Demonstrationsverbot erstreckte sich auf eine "Bannmeile" etliche Kilometer um den Zaun herum, der die G 8 Herrschenden vor der Demokratie schützen sollte und selbst bereits eine Einschränkung der Demonstrationsfreiheit darstellte. Das Bundesverfassungsgerecht beurteilte die "erweiterte Demonstrationsverbotszone" zwar als verfassungswidrig, ließ sie aber dennoch zu. Einige zehntausend Menschen ließen sich von dem Angriff auf die Versammlungsfreiheit und damit auf das Grundgesetz nicht beirren. Sie verteidigten das Grundgesetz, zogen in verschiedenen Zügen querfeldein in die "verbotene Zone" und machten den staatlichen Übergriff auf die Versammlungsfreiheit gegenstandslos. Hunderte Oppositionelle wurden in Vorbeugehaft genommen - wegen der Assoziation zur Nazizeit heißt das heute Unterbindungsgewahrsam - in Käfige gesperrt, die an Guantanamo erinnern.[1] Ihnen wurde das Recht auf einen Anwalt verwehrt; sie bekamen stundenlang kein Wasser oder ärztliche Behandlung. Doch das Vorhaben der Polizei, das demokratische Recht auf Versammlungsfreiheit zu verhindern, scheiterte. Angeblich war Deeskalation das Motto des Polizeieinsatzes. Das erschien all jenen fragwürdig, die nach Heiligendamm kamen, um gegen die G8-Herrschenden zu demonstrieren und der Staatsgewalt zum Opfer fielen: Permanente Polizeikontrollen bereits im Vorfeld, Hausdurchsuchungen bei bekannten Oppositionellen, Verhaftungen von Kritikern wegen Transparenten, auf denen die Freiheit für die politischen Gefangenen gefordert wurde, Wasserwerfer- und Schlagstockeinsätze gegen friedliche Demonstranten, das Umkreisen gesamter Camps, Pfeffersprayeinsätze aus geringer Entfernung in die Augen, schwere Körperverletzungen von Aktivisten - all das wirft die Frage auf, was denn eine Eskalation sein soll, wenn dies alles Deeskalation sei. Dazu schürte die Polizei Ängste durch Falschaussagen. So sollten Clowns die Polizei mit "Säure" besprüht haben - in Wirklichkeit war es Seifenlauge für Seifenblasen. "Maskierte Gewalttäter" des "schwarzen Blocks" entpuppten sich als Zivilpolizisten; die Polizei verbreitete frei erfundene Gerüchte: So sollten Demonstranten mit Rasierklingen gespickte Kartoffeln werfen. Die von der Polizei geschürten Ängste und die Hetze der BILD-Zeitung "Wollt ihr Tote, ihr Chaoten" ging Hand in Hand. Am 2. Juni 2007 war es zu gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen Polizei und Anderen gekommen. "Andere" ist deswegen der richtige Begriff, da eine Kenntnis darüber, wer die Anderen waren, wer die Gewalt auslöste, d.h. inwieweit es sich um Globalisierungskritiker oder agens provocateurs handelte, ungeklärt ist. Der bewiesene Einsatz von Polizeiprovokateuren lässt die Konfrontation vom 2. Juni in neuem Licht erscheinen. In jedem Fall gelang es den G8-Kritikern - nicht der Polizei - die Aktionen gegen den Gipfel mit einem Höchstmaß an Kreativität, Phantasie und zivilem Ungehorsam, aber gewaltfrei zu gestalten. Auch der in den Massenmedien als vandalierende Mob dargestellte "schwarze Block" hielt sich an die Absprachen, die Proteste entschlossen, aber friedlich durchzuführen. So blockierten auch viele "Schwarze" die Eisenbahn friedlich und ließen sich von der Polizei nicht provozieren, obwohl bei den Schienen viele Steine lagen. Gerade dieser Friedlichkeit, dem hohen Ausmaß an Organisation und den genauen Absprachen, an die sich alle hielten, ist die Enttarnung von fünf Zivilpolizisten zu verdanken. Diese hatten sich ganz in schwarz gekleidet, wie "prototypische Autonome", gingen laut Zeugenaussagen von Gruppe zu Gruppe und versuchten, die Menschen zur Gewalt gegen Polizisten anzustacheln. Die Sinnlosigkeit ihrer Vorschläge, das unkoordinierte Verhalten und die vorherigen Absprachen auch mit den Autonomen, machten die Provokateure verdächtig; dann erkannte sie ein Demonstrationsteilnehmer. Demonstranten übergaben die Polizeiprovokateure der Polizei laut Zeugenaussage mit den Worten: "Behaltet Eure Gewalttäter für euch." Was für ein Rechtsverständnis Polizisten haben, die, um Demonstranten in ein schlechtes Licht zu rücken, Steine auf ihre eigenen Kollegen werfen, ist klar: Mit Demokratie oder Rechtsstaat hat es nichts zu tun. Steinwürfe wurden in Schnellverfahren als gefährliche Körperverletzung und schwerer Landfriedensbruch verurteilt. Wenn die Zeugenaussagen stimmen, begingen Polizisten gefährliche Körperverletzung an Polizisten und Landfriedensbruch - verbunden mit Anstiftung zu Straftaten; nur dem Verantwortungsbewusstsein der Demonstranten ist es zu verdanken, dass der Einsatz von Provokateuren nicht zu sinnloser Gewalt führte. Bei all dem handelt es sich um Einzelheiten. Die grundsätzliche Linie zeigte sich folgendermaßen: Kontrollen, Demonstrationsverbote, der Einsatz von 16.000 Polizisten, Ingewahrsamnahme von Hunderten, willkürliche Verhaftungen, das Behindern von Journalisten, diente dazu, die G8 von der Kritik abzuschotten. Presse über die G8- Herrschenden war nur erwünscht, wenn es sich um "Hofberichterstattung" handelte. Zehntausende von Menschen umgingen die Polizeiüberwachung - trotz massivster Verletzung ihrer Freiheitsrechte und dem Versuch, eine ganze soziale Bewegung zu kriminalisieren, blockierten die Zufahrtswege zum Tagungsort der G8-Herrscher und badeten vor Heiligendamm. Sie führten mit allen Mitteln des kreativen Protests, zu Lande und zu Wasser und in der Luft, die Verlogenheit der G8-Tagung vor. Sie verteidigten durch ihre gleichermaßen kollektive wie kooperative Organisation die Menschenrechte und das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere Artikel 20 unserer Verfassung.[2] Auch wenn die Pläne der Schäubles, den bürgerlich-demokratischen Rechtsstaat in einen Überwachungsstaat sowie den Bürger vom entfalteten Träger der Demokratie zum präventiv Verdächtigen zu verwandeln, damit nicht vom Tisch sind, so demonstrierten doch Demokraten, dass Demokratie von der freiheitlichen Aktivität der Menschen abhängt, nicht von den unterdrückerischen Gesetzesvorhaben derjenigen, die "weniger oder keine Demokratie wagen" wollen. Die Blockade von Heiligendamm zeigt aber auch, dass Menschenrechte nicht vom Himmel fallen, sondern immer wieder von neuem errungen werden müssen. Wenn Tausende von Menschen denjenigen, die unsere Freiheitsrechte beschneiden, ein Ya Basta , ("Es reicht") entgegenrufen, ist viel erreicht. Anmerkungen:[1] Siehe Peter Nowak: "Viele offene Fragen nach dem Ende des G8-Gipfels", in: telepolis. [2] Siehe Marcus Hawel: Freiheitssinn und Widerstandsrecht Zur Aktualität von Artikel zwanzig, Absatz vier, Grundgesetz, in: sopos 5/2007. Kontext:
sopos 6/2007 | ||||||
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