Den Aufsatz kommentieren Friede, Freude, PflastersteineÜber das Versagen der bürgerlichen Medien nach den Blockupy-Protesten.von Ralf Hoffrogge Dieser Artikel erschien zuerst in dasDossier.de am 24.05.2012 Polizisten an der Konstablerwache, Frankfurt (Foto von Blogotron, veröffentlicht unter http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Blockupy5.jpg ) Vielen Aktiven, die am vorigen Samstag und Sonntag von den Blockupy-Protesten aus der Frankfurter Innenstadt in ihre Heimatstädte zurückkehrten, musste der Montag wie eine Art Aschermittwoch erscheinen - zumindest was die Tagespresse anging. Ihr Protest, der im Vorverkauf als Geisterbahn durch die Medien dampfte, zwischendurch mangels Interesse kurz abgesetzt wurde, gipfelte schließlich in der massenmedialen Premierenshow am 19. Mai irgendwo zwischen Halloween und Karneval. Die Polizei habe sich blamiert - die Aktionen dagegen seien bunt, kreativ, fröhlich und vor allem eines gewesen: friedlich. Daher landeten sie dann konsequent am Montag danach auch nicht mehr auf den Titelseiten. Eine der größten Kundgebungen, die die Stadt Frankfurt in diesem Jahrtausend gesehen hat, durchgesetzt gegen eine Orgie von Verboten und einen martialischen Polizeieinsatz, 25.000 Teilnehmerinnen aus ganz Europa, der größte Protest gegen Merkels Krisenregime, den Deutschland bisher gesehen hat - und selbst die heimische Frankfurter Rundschau hatte dafür nur einige Spalten im Lokalteil über. Lediglich einige linke, von vornherein interessierte Medien berichteten auch am Montag noch. Ohne Glasbruch keine Berichterstattung?Welche Lehren sollen die Protestierenden daraus ziehen? Offensichtlich kann es in Deutschland nur zwei Sorten von Protest geben: die eine ist gewalttätig, chaotisch und gehört daher verboten, die andere ist friedlich und bunt, erlaubt und gelobt - aber gleichzeitig auch uninteressant. Denn Inhalte spielten bei der Berichterstattung rund um die Frankfurter Blockupy-Proteste keine Rolle. Die sozialen Bewegungen in Deutschland werden stattdessen gebetsmühlenartig in eine Gewaltdebatte hineingedrängt, obwohl sie seit mehreren Jahren einen immer breiteren Konsens der gewaltfreien Militanz entwickeln und damit neue Anhänger aus allen Schichten gewinnen. Seien es die friedlichen Camps und Blockadezüge in Heiligendamm 2007 oder die Castor-Proteste seit 1997, die überaus erfolgreichen Straßenblockaden gegen Neonazis in Dresden und anderswo - überall gab es einen Aktionskonsens, der Gewalt strikt und verbindlich ausschloß. Lediglich kontrollierte und gemeinsam diskutierte Sachbeschädigungen wurden begrenzt zugelassen - wie etwa das Entfernen von Steinen aus dem Gleisbett beim »Castor Schottern« seit 2010. Die Steine wurden dann nicht geworfen, sondern ordentlich neben das Gleisbett gelegt. Der Höhepunkt dieser neuen Kultur linker Gewaltfreiheit ist sicherlich die Samstagsdemonstration von Blockupy 2012. Trotz wochenlanger Dämonisierung, trotz massiver Demonstrationsverbote, trotz einer Belagerung der Stadt durch 5000 Polizeibeamte, die sich schließlich massiv in die Abschlussdemonstration hineindrängten, ging keine einzige Scheibe zu Bruch. Geschweige denn, dass ein Polizist oder gar ein Banker angegriffen wurde, wie es Polizei und Medien herbeigeredet hatten. In einer derart aufgeheizten Stimmung gegen solch selbsterfüllende Prophezeiungen vorzugehen, ist eine einzigartige Leistung der beteiligten Gruppen und Bündnisse, der Demonstrationsleitung, der Rednerinnen und vor allem der Demonstrierenden selbst. Dennoch hat diese Leistung scheinbar keinen Nachrichtenwert. Die Polizei habe sich blamiert, konnte man immer wieder lesen - aber der Mythos des linken Gewalttäters wurde weiter gepflegt. Immer wieder durfte auch die Polizei behaupten, gerade ihr massiver Einsatz habe Gewalt verhindert - eine Absurdität, denn der Ablauf der Ereignisse widersprach in jedem einzelnen Punkt den martialischen Gefahrenprognosen. Diesem Widerspruch keinen Nachrichtenwert beizumessen, ist ein unentschuldbares Versagen der deutschen Presse- und Medienlandschaft. Mit wenigen löblichen Ausnahmen wurde das absurde und hilflose Schauspiel einer Gewaltdebatte ohne Gewalttäter geführt, es dominiert die Sensationsgier und nicht die Analyse. Schon beim ersten Mai in Berlin konnte man in diesem Jahr ein einzigartiges Schauspiel beobachten: um die einzige brennende Mülltonne drängten sich 20 Fotografen. Die Sucht nach grellen Bildern verdeckt die reale Entwicklung der radikalen sozialen Bewegungen. Der völlige Wandel ihrer Taktik seit den 1990er Jahren ist keine Zeile wert.Wo die Versammlungsfreiheit aufhört …Ebensowenig berichtenswert scheint der geradezu gegenteilige Wandel der Sicherheitspolitik: Frankfurt 2012 ist nicht nur ein Höhepunkt der neuen gewaltfreien Militanz gewesen, sondern auch ein trauriger Höhepunkt bei der Aushöhlung von Grundrechten. Keine Gefahrenprognose rechtfertigt das Totalverbot aller Kundgebungen und Versammlungen in einer gesamten Stadt. Keine Gefahrenprognose rechtfertigt es, dass Hunderte von VersammlungsteilnehmerInnen in ihren Bussen schon auf den Autobahnen festgehalten und schließlich nach stundenlangen schikanösen und ergebnislosen Kontrollen in Vororten regelrecht ausgesetzt wurden, mit einem totalem Aufenthaltsverbot für die ganze Stadt, ohne Quartier, ohne Karte und mit dem Verbot, sich öffentlichen Verkehrsmitteln auch nur zu nähern. Dies alles ohne Rechtsgrundlage, sondern nur aufgrund einer ebenso vagen wie falschen »Gefahrenprognose«. Keine Zeitung hat es bisher gewagt, diese Vorgänge beim Namen zu nennen: Nötigung und Freiheitsberaubung. Doch statt ihren Blick auf diese Ereignisse zu richten, wartete am 19. Mai bei der Blockupy-Abschlußdemonstration eine Armee von Fotografen darauf, dass in den Glitzertürmen der Deutschen Bank ein Pflasterstein einschlägt. »Gewalt« nennt sich dass dann - obwohl eine Bank, deren Vorstand einmal Handwerksrechnungen im Wert von 50 Millionen Mark als »Peanuts« bezeichnete, auch eine Glaserrechnung nicht fürchten müßte. Doch die Sozialen Bewegungen sollten sich nicht Scheu machen lassen von den Scheuklappen der Medien. Denn Ihr Protest richtet sich nicht an eine Presse, die ihre Rolle als Kontrollorgan einer Demokratie längst vergessen hat. Die Proteste wenden sich direkt an die Bevölkerung und sind angetreten, Demokratie von unten radikal auszuweiten: »Wirkliche Demokratie jetzt« heißt eine ihrer Losungen. Sie treten damit »den Märkten« entgegen, die sich in Standortkonkurrenz und Krise längst als größte Feinde aller demokratischen Institutionen erwiesen haben und deren unternehmerisches Weltbild jede Idee von »Herrschaft des Volkes« ausschließt. Denn im Unternehmen regiert nicht die Bevölkerung, sondern der Eigentümer. Die neue Taktik gewaltfreier Militanz, mit der die sozialen Bewegungen diesen neuen Antikapitalismus einfordern, wird trotz Medienblockade nicht fruchtlos bleiben. Nach der Anti-Atombewegung und den Blockaden gegen Neonazis war es am Wochenende das allererste mal, dass auch ein Sozialprotest dieses Mittel gezielt und mit Massenbeteiligung eingesetzt hat. Dies ist ein nicht zu unterschätzender Durchbruch. Ralf Hoffrogge beschäftigt sich als Historiker mit Sozialprotesten und saß auf dem Weg nach Frankfurt im falschen Bus. Kontext:
sopos 6/2012 | |||
|
This page is part of the Sozialistische Positionen
website <http://www.sopos.org>
Contents copyright © 2000-2007; all rights reserved. Maintained by webmaster@sopos.org |