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Es kann sein, daß einige Krawallbrüder mitkommen, möglicherweise auch solche im staatlichen Undercoverdienst, wie zumeist bei derartigen Gelegenheiten. Wie auch immer, eine Revolution steht nicht an. Doch der oberste Innenminister sieht die Stunde der Exekutive gekommen. Er malt das Schreckensbild einer Überflutung durch Chaoten an die massenmediale Wand und gleich auch seine Mittel zur Rettung vor dieser Gefahr: »vorbeugender Unterbindungsgewahrsam«, »beschleunigte Gerichtsverfahren«, Gefangenen-Sammelstellen, Haftlager. Der regional zuständige Staatsmann tröstet: Von diesen Zugriffen werde nur »im äußersten Fall« Gebrauch gemacht. Und die alleroberste Staatsspitze merkt beruhigend an, selbstverständlich sei gegen friedlichen Protest im Prinzip nichts einzuwenden. Aber es geht zu wie bei den Radio-Eriwan-Auskünften: Zu gleicher Zeit läßt eine Bundesbehörde an die tausend Polizisten zu einer Razzia in oppositionsverdächtigen Wohngemeinschaften, Buchläden und Kulturzentren ausschwärmen, um nachzuspüren, ob sich vielleicht Anhaltspunkte für »kriminelles Vereinigen« finden lassen – ohne vorzeigbare Ergebnisse. Terroristen werden jedenfalls nicht entdeckt. Aber das muß nichts heißen, denn wer kein Terrorist ist, kann ja noch einer werden. Darüber erfährt man, wiederum zur gleichen Zeit, Aufklärung im Fernsehen, wo – in Abänderung des vorgesehenen Programms – erschreckende Filme über frühere politische Gewalttäter gebracht werden... Mal angenommen, dies alles geschähe in der Russischen Föderation und Angela Merkel hieße Wladimir Wladimirowitsch Putin – ein Sturm der Entrüstung wäre in der westlichen Welt ausgebrochen. Politiker würden Sanktionen gegen den »Polizeistaat Rußland« fordern, NGO’s wären in Marsch gesetzt worden, um der bedrängten russischen Opposition zur Hilfe zu kommen. Nun liegt Heiligendamm aber auf deutschem Territorium, und die Bundesrepublik Deutschland ist, wie man weiß, eine in der Wolle gefärbte freiheitliche Demokratie, ihr Innenminister ein leidenschaftlicher Verfechter von Bürgerrechten. Also wird der Sprecher von Pax Christi, des katholischen Friedensbundes, wohl unter Halluzinationen gelitten haben, als er in den »präventiven Sicherheitsmaßnahmen« deutscher Behörden »Einschüchterung, Diffamierung und Kriminalisierung demokratischer Proteste« erblickte. In der deutschen veröffentlichten Meinung, selbst bei den in Opposition befindlichen Parteien, regte sich nur beiläufige Kritik an den Botschaften des Innenministers und den Handlungen der Bundesanwaltschaft. Die polizeistaatliche Vorbereitung des G-8-Gipfels an der Ostsee wird offenbar weithin als völlig normal angesehen. Nur selten wird die machtarrogante Absurdität dieser Veranstaltung wahrgenommen – aus einem der Ausnahmekommentare sei hier zitiert: »Mit gigantischem Aufwand wird der Badeort zum Hochsicherheitstrakt aufgerüstet. Allein elf Millionen Euro verschlingt der Sicherheitszaun..., die Gesamtkosten haben die 150-Millionen-Euro-Marke schon jetzt überschritten. Das ist Wahnsinn..., eine Politik, die die Menschen zu Zaungästen macht, die hinterher die Zeche auch noch zahlen dürfen« (Nicole Hille-Priebe in der Neuen Westfälischen, Bielefeld). Die seit einiger Zeit ablaufende Revitalisierung des Themas »RAF« hat dazu beigetragen, den politischen Diskurs in der Bundesrepublik von den gesellschaftlichen Realitäten abzulenken. Kein Mensch, der einigermaßen bei Verstand ist, wird imaginierte »Rote Armeen« als geeignete Mittel der Konfliktaustragung in G-8-Staaten auch nur in Erwägung ziehen können, und Molotow-Coctails gegen den Zaun in Heiligendamm einzusetzen, wäre kriminell und dumm dazu. Wirklichkeitsnah und höchst aktuell ist die Frage nach »terroristischen Vereinigungen« in einem anderen Sinne: Könnte man nicht auf der Suche nach solchen Aktivitäten demnächst im Hotel Kempinski in Heiligendamm unter den Staatsgästen selbst fündig werden? Verdachtsmomente – vor allem gegen Mister G1 – liegen zahlreich und gewichtig vor. Wäre da nicht »Unterbindungsgewahrsam« angezeigt? Noch steht hinter einer solchen Frage kein hinreichender Druck, aber das muß nicht so bleiben. Heiligendamm ist nur eine Station – im Prozeß der Operationen von »Führern der Welt« und in dem des Widerstandes, den sie provozieren. Sicherheitszäune halten nicht ewig. Kontext:
Erschienen in Ossietzky 10/2007 |
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