Den Aufsatz kommentieren Souveränität in der postbipolaren WeltZum Vorkrieg gegen das iranische Atomprogrammvon Marcus Hawel (sopos) Der globale Krieg gegen den Terrorismus, insbesondere der Angriff auf den Irak, hat gezeigt, was Staaten benötigen, um einen solchen Angriff zu verhindern, den sie befürchten müssen, zumal sie auf der Liste potentieller Angriffsziele stehen: eine Atombombe. Der Iran strebt nach einem eigenständigen Atomprogramm, das möglicherweise auch dem Zweck dient, Atombomben zu bauen. Allerdings beteuert der iranische Präsident Ahmadinedschad, das Programm zur Urananreicherung diene rein zivilen Zwecken der Energieversorgung. Er habe nicht vor, eine Atombombe zu bauen. Die internationale Energiebehörde (IAEO) bestätigt, daß im Iran keine Anzeichen für eine nicht-zivile, d.h. militärische Nutzung des Atomprogramms zu erkennen seien. Vielmehr komme der Iran seinen Verpflichtungen gemäß des von ihm unterzeichneten Atomwaffensperrvertrags nach.[1] Zugleich verbittet sich die iranische Führung eine Einmischung des Westens in Fragen der staatlichen Souveränität, die nur das iranische Volk etwas angingen. Mittlerweile wird auch die Vokabel des Krieges in der noch diplomatischen Auseinandersetzung gebraucht. Der Westen bestreitet, bereits organisatorische Vorbereitungen eines militärischen Angriffs zu unternehmen, schließt aber einen militärischen Angriff als Option grundsätzlich nicht aus.[2] Ein weiterer US-Flugzeugträger wurde in den Persischen Golf geordert. Der US-Enthüllungsjournalist und Pulitzer-Preisträger von 1970, der den Folterskandal im Gefängnis von Abu Ghraib mit aufdeckte, sagte am 25. Februar 2007 auf CNN, das Pentagon sei bereits mit ernsthaften Planungen eines Luftangriffs auf den Iran beschäftigt. Die USA könnten innerhalb von 24 Stunden angreifen, falls George W. Bush den Befehl dazu gebe.[3] Der iranische Präsident wiederum läßt verlautbaren, daß man auch auf einen Angriff vorbereitet sei. Gehört dieser verbale Schlagabtausch, der inzwischen in die Eskalationsspirale einer Kriegsrhetorik eingetreten ist, bloß zum diplomatischen Spiel des Aufbaus und der Abwehr einer Drohgebärde? Oder befinden wir uns bereits im Vorkrieg, da gilt, daß Drohungen auch in die Tat umgesetzt werden müssen, will man seine Glaubwürdigkeit nicht aufs Spiel setzen? In den westlichen Öffentlichkeiten herrscht großes Mißtrauen gegenüber dem Atomprogramm des Iran. Dieses Mißtrauen wäre nicht so groß, würde der iranische Präsident nicht gleichzeitig auch eine antisemitische Rhetorik in seinen öffentlichen Reden an den Tag legen. Aber die wahren Kriegsgründe wären anders gelagert, antisemitische Ausfälle in der Rhetorik können einen Krieg gegen den Iran lediglich besser legitimieren. Im Kern geht es darum, daß der Iran eine anti-westliche Politik betreibt, gleichsam eine Politik, die den Interessen des Westens fundamental zuwiderläuft. Souveränität in der (post-)bipolaren WeltordnungNach einem Satz von Carl Schmitt ist Souverän, wer über den Ausnahmezustand verfügt. Wendet man diesen Satz auf die heutige Zeit an, dann kommt man zu dem Ergebnis, daß in der postbipolaren Weltordnung nur noch ganz wenige Staaten souverän sind.[4] Der globale Krieg gegen den Terrorismus, insbesondere der Angriff auf den Irak, hat gezeigt, was Staaten benötigen, um einen solchen Angriff zu verhindern, den sie befürchten müssen, zumal sie auf der Liste potentieller Angriffsziele stehen: eine Atombombe. Während des Kalten Krieges galt die Verfügungsgewalt über Atombomben als das "entscheidende Merkmal der Souveränität".[5] Im Kontext des Kräftegleichgewichtes in vergleichbaren Waffengattungen, aber vor allem hinsichtlich des atomaren Zerstörungspotentials zwischen West und Ost besaß die Atombombe aber mehr den Charakter einer politischen als einer militärischen Waffe. Die Atombombe diente zur Abschreckung; ihre Existenz sollte garantieren, daß es zu einem militärischen Einsatz ihrer nicht kommt, sofern militärische Parität besteht.[6] Die Abschreckungsdoktrin bedeutete gegenüber dem durch das Völkerrecht mehr oder weniger eingeschränkten ius ad bellum durchaus einen schmalen zivilisatorischen Fortschritt. Zwar schließe ihre paritätische Existenz nicht aus, so Gerhard Stuby, daß die Atommächte weiterhin nach militärischer Überlegenheit streben, dennoch gehöre ein solches Streben eben zur Glaubhaftigkeit und damit zur immanenten Logik der Abschreckung wie auch die tatsächliche mehr oder weniger glaubhaft vorgetragene kaltblütige Einsatzbereitschaft. "In dem Augenblick jedoch, in dem man das militärische Potential lediglich auf seinen Abschreckungseffekt reduzierte, akzeptierte man zumindest verbal das Gewaltverbotsprinzip und gestand grundsätzlich zu, daß militärisches Potential auf Verteidigung, d.h. hier auf Vergeltung eines vorausgegangenen Angriffs beschränkt bleiben müsse. Eine Militärstrategie des Blitzkrieges, d.h. also des überraschenden Erstschlages, konnte damit offen nicht propagiert werden."[7] Gleichwohl war die Phase der atomaren Abschreckungspolitik kein nachhaltiger zivilisatorischer Fortschritt, denn mit Auflösung der bipolaren Weltordnung und dem Wegfall der militärischen Parität, erhielt das ius ad bellum wieder Vorrang vor der Abschreckung, zumal mittlerweile der Einsatz von Atomwaffen in Form von mini-nukes nicht mehr bedeutet, gleich die ganze Welt atomar zu vergiften. Nach 1989/90 verlor denn auch mit dem Untergang der Sowjetunion die atomare Abschreckung zunächst an Bedeutung, und die USA als einzig verbliebene Supermacht machten zunehmend ihr ius ad bellum gegenüber NATO und UN gleichsam als ein exklusives Recht geltend; sie müssen keine ernsthaften Gegenschläge befürchten, weil ihnen keine militärische Macht gewachsen ist. Blick zurück: Deutscher GaullismusAuch die Bundesrepublik versuchte einmal in die Verfügungsgewalt von nuklearen Waffen zu kommen. Für die BRD galt aber nicht nur, daß sie nicht über eigene nukleare Waffen verfügen durfte, sondern ihre staatliche Souveränität war auch allgemein aufgrund ihres Status als Rechtsnachfolgerin des von den Siegermächten zerschlagenen "Dritten Reiches" bis 1989/90 eingeschränkt. Unter imperialen Gesichtspunkten war die BRD während des Kalten Krieges mithin von "Zweitklassigkeit" gekennzeichnet, und sie hatte ein besonderes Interesse an der Einbettung in eine Sicherheits-, Verteidigungs- und Allianzpolitik aufgrund der als heikel empfundenen exponierten strategischen Lage an der Nahtstelle zwischen den beiden verfeindeten Blöcken.[8] Sicherheitspolitik von Adenauer bis Kohl konzentrierte sich auf die verdeckte Frage, inwiefern die Bundesrepublik Deutschland im Bereich der Sicherheitspolitik jener zweitrangigen Rolle, die ihr aufgrund einer eingeschränkten Souveränität allgemein auferlegt wurde, umgehen könnte. Daß aufgrund des Nicht-Besitzes von nuklearen Waffen der westdeutsche Staat zwangsläufig eine "mindere Rolle im Kreis der Verbündeten" spielen mußte, war überdies für Franz Josef Strauß mit der "nationalen Würde" nicht zu vereinbaren. Strauß verfolgte darum als Verteidigungsminister das Ziel, nukleare Waffen unter die Verfügungsgewalt des westdeutschen Staates zu bringen; es ging hier nicht mehr bloß um Wiederbewaffnung, sondern um die Frage der Gleichberechtigung innerhalb der westlichen Mächte, vor allem mit Großbritannien und Frankreich.[9] Der sogenannte "deutsche Gaullismus"[10] markierte seit Mitte der 1960er Jahre den Anfang eines Ablösungsprozesses von den Siegermächten. Frankreich war unter der Politik von Charles de Gaulles Anfang der 1960er Jahre zu einer selbständigen Atommacht aufgestiegen und nahm einen Sonderstatus innerhalb der NATO und gegenüber den USA ein. Strauß und Adenauer hofften auf ein Bündnis mit Frankreich, um so zur eigenständigen Atommacht aufzusteigen, bzw. an der französischen Atommacht partizipieren zu können. Die französische Regierung zeigte sich zunächst sogar interessiert, dann aber folgte aufgrund internationalen Drucks, nicht zu letzt auch seitens der Anti-Atom-Bewegung[11] die Aufgabe der Pläne. Die französische Regierung machte einen Rückzieher in ihrer Annäherung an die deutschen Gaullisten. Die rot-gelbe Bundesregierung schlug schließlich eine andere Richtung ein. 1969 wurde ein Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet. Heftiger Gegner der Vertragsunterzeichnung war der CSU-Vorsitzende Strauß, der den Vertrag als "Versailles kosmischen Ausmaßes" bezeichnete. Bundeskanzler Willy Brandt vertröstete hingegen die Gegner des Vertrages auf eine absehbare Zukunft: "Wenn es eines Tages die Vereinten Staaten von Europa geben wird, so sind sie nicht gebunden durch den Nichtverbreitungsvertrag, sondern können eine Atommacht werden."[12] Zurück zur alten Logik der militärischen Parität?Für Staaten, die von der imperialen Strategie der USA und zunehmend auch der EU bedroht werden, gilt nach wie vor die Abschreckung als ein Verteidigungsszenario, insofern sie über Atombomben - wie etwa Pakistan oder vermutlich das kommunistische Nordkorea - verfügen und damit sich diplomatische Beziehungen zu den USA, EU etc. erzwingen, statt wie der Irak "einfach" angegriffen zu werden. Nun strebt der Iran nach einem eigenständigen Atomprogramm, das unter Umständen auch dem Zweck dient, Atombomben zu bauen. Aus der Perspektive des Iran wäre das Streben nach einer Atombombe durchaus rational. Ob es auch vernünftig ist, das ist eine andere Frage. Die Nutzung von Atomenergie steht generell jenseits von gut und böse; sie ist schlicht gefährlich und deshalb unvernünftig. Aber der iranische Präsident könnte nach einem Mittel suchen, um zu verhindern, daß sich der Westen, insbesondere die USA, immer wieder in die staatlichen Angelegenheiten des Irans und der gesamten Golfregion auch mit Waffengewalt einmischen, um die Kontrolle über die reichhaltigen Erdölressourcen zu bekommen. Wenn der Iran nach einem Mittel sucht, sich und die Golfregion unantastbar zu machen und dieses Mittel in einem Atomprogramm gefunden hat, vermöge dessen der Iran zur zweiten regionalen Großmacht aufsteigt, dann wären verantwortlich an dieser Logik diejenigen, die in dem letzten Jahrzehnt völkerrechtswidrige Angriffskriege geführt haben. So mag darin auch der Hauptgrund liegen, warum der Westen ein eigenständiges Programm zur Urananreicherung im Iran mit allen Mitteln wird zu verhindern versuchen. Natürlich möchte man auf gar keinen Fall auch ein neuerliches atomares Wettrüsten in Gang setzen. Doch auch der Grund für ein neuerliches Wettrüsten bestünde genau darin, daß die Weltmächte nach der Kontrolle streben und jeder Staat bestrebt ist, die eigene Kontrolle nicht zu verlieren. Steigen der Iran und gegebenenfalls auch andere Ölstaaten zu Atommächten auf, wären sie militärisch unangreifbar, zumindest weniger angreifbar, was ihnen eine komfortable Position bei ökonomischen Verhandlungen um Öl- und Gaslieferungen an den Westen, China und andere von den Ressourcen maßgeblich abhängigen Mächte verschafft. Dies dürfte der wahre Grund dafür sein, warum der US-Vizepräsident Richard Cheney jüngst sagte: "Es wäre ein schwerer Fehler, wenn ein Land wie Iran eine Atommacht werden würde"[13]. Die Preise für Rohöl und Gas könnten um so mehr steigen (wovon auch Rußland oder z.B. Venezuela profitierten, weshalb ihre Position zum Iran eine andere ist als die der USA), wie sich die Opec als ein Kartell und Monopol ausbaut und mittels militärischer Gewalt davon nicht abgebracht werden kann. Die immer knapper werdenden Ressourcen könnten auf dem Weltmarkt zu stetig steigenden Preisen verkauft werden; der am meisten Bietende in der Konkurrenz zwischen den USA, Japan, EU, China und Indien bekäme den Zuschlag, der auf anderen Wegen als dem Handel nicht mehr zu durchkreuzen wäre. Daran ist jedem einzelnen Konkurrenten natürlich nicht gelegen, würde doch ein extrem hoher Ölpreis empfindliche Auswirkungen auf das wirtschaftliche Wachstum haben und ein Teil des gesellschaftlichen Reichtums aus den reichen Industrieländern abgezogen werden. Da man befürchten muß, daß in der letzten Phase der Ressourcenausbeutung - wann auch immer, aber in absehbarer Zeit diese beginnen würde oder vielleicht schon begonnen hat - die Weltmächte in einen äußerst gefährlichen Konflikt um die Zuteilung von Öl und Gas sowie andere Rohstoffe wie Wasser miteinander geraten und ein Weltkrieg daraus entstehen könnte, wie wäre es dann, wenn einzelne Opec-Staaten zu Atommächten aufgestiegen sind?[14] Ein Ressourcenkrieg ist schon längst im Gange. Saudi-Arabien war bislang das entscheidende Ölförderland. Die Saudis konnten den Ölpreis durch die Veränderung ihrer Fördermenge - und über die Opec - maßgeblich beeinflussen. Der Irak ist seit 1990 ins Fadenkreuz der USA gelangt, weil die Kapazitäten der Saudis dauerhaft nicht ausreichen. Auf den Iran hatten die USA seit 1979 ihre Kontrolle verloren. Droht ein Krieg gegen den Iran?Die zentrale Frage ist nun: Ist den Weltmächten zur Verhinderung dieses Szenarios es wert, in den nächsten Jahren - also rechtzeitig - einen Krieg gegen den Iran zu führen? Es gibt sogar Anzeichen, daß dies unmittelbar bevorsteht. Der Druck auf den Iran wird kontinuierlich erhöht. Alles daran erinnert an den Vorkrieg gegen den Irak. Angeblich existieren bereits Listen mit möglichen Angriffszielen.[15] Noch wird es von offizieller Seite dementiert. Aber wieviel davon im Augenblick nur eine Drohgebärde ist, die dem Zweck dient, Druck für eine diplomatische Lösung aufzubauen, wird sich in den nächsten Wochen und Monaten erst erweisen. Offensichtlich ist der Wille zum Krieg auf Seiten der USA vorhanden. Das Vermögen könnte im Augenblick fehlen. Der amerikanische Präsident George W. Bush hat zuviel Glaubwürdigkeit verspielt in der westlichen Welt, aber vor allem in der US-amerikanischen Bevölkerung, die sich mehrheitlich gegen den Präsidenten stellt und einen Truppenabzug aus dem Irak fordert - nicht, damit dieselben Truppen anschließend in den Iran einfallen. Fehlende Legitimation ist für die USA allerdings bisher kein Grund gewesen, einen Krieg zu unterlassen, wie das Beispiel Vietnam gezeigt hat. In der US-amerikanischen und britischen Öffentlichkeit haben sich die Aufdeckungen der wahren Kriegsgründe für den Einmarsch in den Irak - etwas verspätet - zu öffentlichen Skandalen entwickelt, die das Vertrauen in die eigene Regierung, in die Geheimdienste und Militärs rapide schwinden ließ. Tony Blair und George W. Bush haben keine Mehrheiten mehr; solange wie sie noch im Amt sind, dürfte es schwer werden, einen Krieg gegen den Iran, nicht jedoch eine "kleine Bombardierung" durchzusetzen. Weder die EU noch Japan oder China, am wenigsten das selbst Ressourcen liefernde Rußland sind im Augenblick willens dazu. Alle profitieren sie vom Antiamerikanismus in der Golfregion und sind an Geschäften interessiert, solange man eben noch Geschäfte machen kann. Daß sich das auf der bilateralen politischen Ebene zuweilen und immer deutlicher anders anhört,[16] deutet lediglich darauf hin, daß in der Politik in den seltensten Fällen die Richtung eines politischen Handelns durch ein einziges Motiv angeleitet wird, und die Zurückhaltung in Zustimmung und Unterstützung umschlagen wird, wenn ein Angriff auf den Iran erst einmal beschlossene Sache ist. Der Iran befolgt eine Logik, von der er nur um den Preis des Verlustes der eigenen Kontrolle ablassen kann, weil diese Logik von den USA und der EU in Gang gesetzt wurden, in dem sie völkerrechtswidrige Kriege in Jugoslawien, Afghanistan und gegen den Irak geführt haben: Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand verfügt, in diesem Fall in der Golfregion. Selbst die rein zivile Nutzung der Atomenergie folgt derselben Logik: Im Bewußtsein der Endlichkeit der eigenen Ressourcen geht es dem Iran darum, wie er angibt, in der Energiegewinnung langfristig nicht vom Westen abhängig zu werden. Auch diese Argumentation ist rational, und sie wäre insofern legitim, als sich die westlichen Staaten sowie China, Indien etc. dieses Recht ebenfalls herausnehmen.[17] Aber sowohl für den Westen wie auch für den Iran und andere Erdöl- oder Gaslieferanten besteht eine vernünftige Lösung nur darin, sich bereits mittelfristig vermöge regenerativer Energiegewinnung von den fossilen Trägern unabhängig zu machen. Alles andere steuert langfristig auf einen Weltkrieg zu. Bedroht ein iranisches Atomprogramm die Existenz Israels?Wenn der israelische Staat zu der Ansicht gelangt, daß er durch ein iranisches Atomprogramm, das von den westlichen Mächten nicht verhindert wird, bedroht wird, werden ganz sicher die Atomanlagen im Iran durch israelische Kampfflugzeuge bombardiert werden. Da dies so sicher angenommen werden kann, kann es sein, daß manch einer darauf spekuliert, die "Kastanien" von Israel "aus dem Feuer holen" zu lassen. Das wäre aber insofern unklug, weil es den Staat Israel zum Buhmann für eine Politik stempelt, die von den USA und der EU zu verantworten ist. Die Israelis werden mit allen Mittel versuchen, zu verhindern, daß sie vorgeschickt werden. Das Krisenszenario verhält sich nüchtern betrachtet aber etwas anders. Unzweifelhaft ist der iranische Präsident Ahmadinedschad ein Antisemit. Er steht dem Prototyp eines schiitischen Islamismus, d.h. der Tradition von Chomeinis revolutionären Garden näher als dem autoritären Typus eines säkularen Herrschers a la Hussein oder Milosevic. Zugleich aber dürfte ihm ein Realitätssinn nicht abzusprechen sein. Dergestalt, wie Hans Magnus Enzensberger einst Saddam Hussein als "Wiedergänger Hitlers"[18] dämonisiert hatte und dies schon nicht auf Hussein zutraf, läßt sich nicht behaupten, Ahmadinedschad würde die Konsequenzen für einen Atomangriff auf Israel ignorieren, oder diese seien ihm gleichgültig. Würde der Iran eine Atombombenrakete auf Tel Aviv feuern, wäre, abgesehen von einem gleichrangigen Vergeltungsschlag auf Teheran, von der atomaren Zerstörung auch Palästina, Jordanien, Syrien und andere arabische Nachbarstaaten betroffen - ganz zu schweigen von Ost-Jerusalem, wo für den Islam einer der wichtigsten Heiligenstätten zu finden sind. Was in der islamischen und arabischen Welt sich gegen den Iran an Zorn und Haß auftürmen würde, ist sich sehr gut auszumalen. Einen nihilistischen Vernichtungswillen, der den eigenen Untergang und den der iranischen Bevölkerung mit einschließt, sowie den hunderttausendfachen Mord neben Juden auch den von Arabern und Muslimen in Kauf nimmt, ist bei der iranischen Führung nicht zu erkennen. Ahmadinedschad ist kein Psychopath, der nicht wüßte, daß eine Atombombe die Funktion einer politischen Waffe erfüllt. Wäre der iranische Präsident allen Ernstes bereit, eine Atombombe auf Israel zu werfen, hätte die ganze restliche Welt allen Grund ihn daran zu hindern: die Israelis, die Araber, Muslime, die iranische Bevölkerung, die Europäer, die USA usw. Die Verfügungsgewalt über eine Atombombe ist für Staaten ein Drohpotential, deren Durchschlagskraft in der rhetorischen Glaubhaftmachung ihrer Einsatzbereitschaft besteht. Aber außer fanatischen, nihilistischen Selbstmord-Terroristen wird niemand einen Teil oder gleich die ganze Welt in Schutt und Asche legen, nachdem man erfahren hat, welche Auswirkungen die Abwürfe von Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki gehabt haben. Dennoch ist es vernünftig, die weitere Verbreitung von Atomwaffen auf diplomatischem Wege zu verhindern und die vorhandenen zu zerstören. Krieg aber ist nicht die Lösung. Die Folgen eines Krieges gegen den Iran wären ähnliche wie im Irak und würden die Golfregion verheerend destabilisieren. Will man den Iran zu einem Verzicht auf die Bombe bewegen, muß ihm ein Abrüstungsprogramm angeboten werden, das alle umliegenden Staaten, inklusive Israel und die USA mit einschließt. Zu einer allgemeinen Abrüstung und Verzicht gehört auch die "zivile" Nutzung von Atomenergie, da diese von einer militärischen Nutzung nicht zu trennen ist. Ist man zu einem solchen Angebot seitens des Westens nicht bereit, muß man auch dem Iran ein Programm zur eigenständigen Urananreicherung zugestehen, zumal er den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet hat. Man könnte fordern, daß diese vertragliche Vereinbarung noch einmal gegenüber der UN erneuert wird und Inspektoren die Urananreicherung in regelmäßigen Abständen kontrollieren. Mehr, zumal drohend zu fordern, ist dann letztlich nicht drin und auch nicht legitim. Für die amerikanische und europäische Linke gibt es eine klare Aufgabe. Wir sollten als erstes fordern und selbst mit Kräften darauf hinwirken, die militärische Beweglichkeit des Westens durch subversive Aktionen einzuschränken. Eine weltweit wahrnehmbare Anti-Kriegs-Opposition hätte auch mittelbar Wirkungen auf die breite Bevölkerung im arabischen Raum und könnte perspektivisch eine Art positiver Bezugspunkt werden. Wir müssen auch eine Opposition im Iran unterstützen, die allerdings nur eine größere Beweglichkeit erhielte, wenn die Mehrheit der iranischen Bevölkerung nicht durch eine Aggression des Westens wieder an die Seite ihrer politischen Führung gedrängt wird. Es wäre viel geholfen, wenn die iranische Bevölkerung unter Anleitung ihrer oppositionellen Kräfte den iranischen Staat in den Griff bekommt. Anmerkungen:[1] Man muß allerdings einräumen, daß es eine klare Trennung zwischen ziviler und militärischer Nutzung von Atomenergie gar nicht gibt. - Vgl. Gregor Kritidis: Wettlauf der Dinosaurier um die fossilen Energiereserven. Keiner soll behaupten, man sei in diese Welt-Krise einfach so hineingestolpert, sopos 2/2006. [2] Vgl. USA warnen Teheran vor ›Fehleinschätzung der Lage‹, in: FTD-online vom 26. Februar 2007. [3] CNN vom 25. Februar 2007. [4] Im Prinzip trifft dieser Befund bereits auf die Zeit des Kalten Krieges zu, dennoch handelt es sich um eine neue Qualität. - Vgl. Michael Krätke: "Globalisierung und Nationalstaat", in: Widerspruch 51/2006. [5] Vgl. Franz Josef Strauß: Die Erinnerungen, Berlin 1989, S. 310. [6] Vgl. J. Strelzow: "Warum das annähernde militärische Gleichgewicht gewahrt werden muß", in: horizont, 27/1982, S. 10; zur militärischen Parität siehe auch Adelbert Weinstein: "Verwirrung in der Allianz. Die NATO und der Atom", in: FAZ vom 20. April 1982, S. 12. [7] Gerhard Stuby: Die "gefesselte" Souveränität der Bundesrepublik. Zur Entwicklung der BRD im Rahmen der US-Globalstrategie, Heilbronn 1987, S. 124. [8] Vgl. Gregor Schöllgen: Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Bonn 1999, S. 227. [9] Vgl. Stuby: Die "gefesselte" Souveränität der Bundesrepublik, a.a.O., S. 130. [10] Prominente Vertreter des "deutschen Gaullismus" waren u. a. Franz Josef Strauß (CSU), Konrad Adenauer (CDU) und auch der Verleger Axel Springer. [11] Vgl. Hans-Karl Rupp: Außerparlamentarische Opposition in der Ära Adenauer. Der Kampf gegen die Atombewaffnung in den 50er Jahren, Köln 1980. [12] Franz Josef Strauß und Willy Brandt zit. n. Volkhard Mosler: An Krieg wieder gewöhnen? Niemals! Die Rückkehr des deutschen Militarismus, Frankfurt am Main 1999, S. 32. [13] "USA warnen Teheran vor ›Fehleinschätzung der Lage‹", FTD-Online vom 26. Februar 2007, a.a.O. [14] Es ist ein Gedankenspiel, das seine Anregung darin findet, daß es für die Verhinderung von Atomkriegen durchaus förderlich war, wenn der gebürtige Deutsche und spätere britische Kernphysiker Klaus Fuchs 1943 wichtige Kenntnisse für den Bau der Atombombe an die Sowjets verriet. Was wäre wohl geschehen, wenn die USA über längere Zeit im alleinigen Besitz der Atombombe geblieben wären? [15] Siehe Nachrichten der BBC vom 20. Februar 2007; vgl. kurier.at: BBC: USA planen Angriff gegen Iran. [16] Siehe Petra Pinzler / Thomas Kleine-Brockhoff: "Mehr Peitsche, weniger Zucker. Die EU macht Ernst mit Sanktionen gegen den Iran - und gleichzeitig mißtraut sie Amerika", in: Die Zeit vom 15. Februar 2007. [17] Vgl. IPPNW-Presseinfo vom 12. Januar 2006: Kein Krieg gegen den Iran! IPPNW fordert diplomatische Lösung. [18] Vgl. Hans Magnus Enzensberger: "Hitlers Wiedergänger", in: Der Spiegel, Nr. 6 vom 4. Februar 1991. Kontext:
sopos 2/2007 | ||||||
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