Den Aufsatz kommentieren Winter in DamaskusPräsident Baschar al-Assad führt das autoritäre Regime seines Vaters weitervon Siamend Hajo und Eva Savelsberg "Bevor der Verein genehmigt ist, dürfen seine Mitglieder weder aktiv werden, noch Vertreter der Europäischen Kommission in Damaskus treffen. Zuwiderhandeln kann mit Geld- und Freiheitsstrafe geahndet werden." Diese unfreundliche Antwort erhielten Anfang 2007 die Gründer einer lokalen NGO in Kamischli, einer Stadt in der Provinz Hassaka im überwiegend kurdischen Nordosten Syriens. Ein knappes Jahr zuvor hatten sie beim Ministerium für Arbeit und Soziales die Genehmigung eines gemeinnützigen Vereins zur Unterstützung von Straßenkindern beantragt. Die Gründung war der erste Schritt in einem EU-finanzierten Projekt zur Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen in Syrien. Die Drohung erfolgte, obwohl die AktivistInnen in Kamischli sich an geltendes syrisches Recht gehalten hatten. Dieses sieht vor, dass Anträge auf Vereinsgründung beim Ministerium für Arbeit und Soziales eingereicht werden. Innerhalb von sechzig Tagen sollen die Antragsteller eine Antwort erhalten. Ist dies nicht der Fall, können sie davon ausgehen, dass ihr Verein genehmigt wurde. Soweit die offizielle Gesetzeslage, die Realität sieht anders aus. Die Gründer der genannten NGO haben bis heute keine offizielle Antwort des Ministeriums erhalten, wohl aber mehrere Besuche des Geheimdienstes. Dieser entscheidet de facto über die Genehmigung von Vereinen - zumeist negativ. Erst recht gilt dies, wenn es um Vereine in den überwiegend kurdisch besiedelten Gebieten geht. Einer Studie von 2005 zufolge existieren in der Provinz Hassaka nur neun gemeinnützige Organisationen. Sie sind entweder kirchlich gebunden oder stehen der regierenden Baathpartei nahe. Explizit kurdische Vereine gibt es in ganz Syrien nicht, obgleich die Kurden acht bis fünfzehn Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen. Die Dynastie der al-AssadsAn der restriktiven Genehmigungspraxis hat sich nichts geändert, seit Baschar al-Assad vor knapp acht Jahren seinem Vater Hafiz al-Assad als Präsident Syriens folgte. Dieser hinterließ seinem Sohn ein ebenso autoritäres wie repressives System mit erheblichem Führerkult. Hafiz al-Assad, der Syrien seit 1970 regierte, hatte die 1940 gegründete Baathpartei - ihrer offiziellen Ideologie nach sozialistisch, arabisch-nationalistisch und populistisch - zugunsten seines persönlichen Einflusses entmachtet. Er war nicht nur Kopf der Exekutive, sondern zugleich Oberbefehlshaber der Armee und Generalsekretär der Baathpartei. Er ernannte Vizepräsidenten, Premierminister und Kabinett ebenso wie Richter, Geheimdienst- und Polizeichefs. Schlüsselpositionen in Militär und Geheimdienst wurden von einer kleinen, überwiegend alawitischen Machtelite kontrolliert, die ihren Einfluss verwandtschaftlicher Nähe und unbedingter Loyalität gegenüber dem Präsidenten verdankte. Bei den Alawiten handelt es sich um eine Strömung innerhalb des schiitischen Islam - im mehrheitlich sunnitischen Syrien eine kleine Minderheit. Gleichzeitig überließ Hafiz al-Assad Angehörigen der Sunniten Führungspositionen in Staat und Regierung, um diese in seinen Machtapparat einzubinden. Einem omnipräsenten Geheimdienst mit weitreichenden Befugnissen stand mit der Baath eine ebenso omnipräsente Partei gegenüber, die qua Gesetz über die Mehrheit im Parlament verfügte. Soziale Kräfte wusste Hafiz al-Assad durch die Schaffung baathistischer Massenorganisationen wie Gewerkschaften und berufsständischen Interessenvertretungen zu neutralisieren, die zugleich Instrument persönlicher Bereicherung und sozialer Kontrolle waren. Unabhängige Organisationen wurden nicht zugelassen. Von entscheidender Bedeutung war zudem die Einbindung der urbanen sunnitischen Wirtschaftselite. Unter Hafiz al-Assad kam es zu einer - wenn auch sehr begrenzten - ökonomischen Öffnung. Es entwickelte sich ein staatlich-privates Netz von Patronage- und Klientelbeziehungen, in dem die Korruption gedieh und von dem nicht zuletzt die Präsidentenfamilie und ihre Günstlinge profitierten. Gleichzeitig schreckte das Regime nicht vor dem Einsatz brutaler Gewalt gegenüber Oppositionellen zurück, sei es durch das Militär, sei es durch systematische Folter von Gefangenen. Die quasi-dynastische Machtübernahme durch Baschar al-Assad im Jahr 2000 wurde von seinem Vater sorgfältig vorbereitet. Zentrale Führungsfiguren seines Machtapparats wurden auf Loyalität gegenüber dem Nachfolger eingeschworen. Dieser stand jedoch nicht nur qua Geburt für Kontinuität, sondern nährte als junger, in London ausgebildeter Technokrat auch die Hoffnung auf Veränderung. Der so genannte "Damaszener Frühling" - eine Phase in 2001, während der sich zahlreiche Diskussionszirkel gründeten, die versuchten, Reformen öffentlich zu diskutieren - währte jedoch nur kurz. Er wurde abgelöst durch die Verfolgung all derjenigen, die es gewagt hatten, politische und wirtschaftliche Veränderungen zu fordern. Auch der bislang letzte Baath-Parteitag im Juni 2005 hat keine nennenswerten Reformen auf den Weg gebracht. So wurde beispielsweise das seit März 1963 in Syrien geltende Notstandsrecht, das die verfassungsrechtlich garantierten Freiheitsrechte weitgehend aufhebt und den Sicherheitskräften erhebliche Spielräume eröffnet, nicht abgeschafft. Beschlossen wurde lediglich, es zukünftig nur noch anzuwenden gegen "Verbrechen, die die Staatssicherheit bedrohen". Dieser Vorwurf wird freilich gegen so gut wie alle politischen Oppositionellen erhoben. Blockierte InternetseitenDass sich die Hoffnung, Baschar al-Assad würde für eine politische Liberalisierung des Landes stehen, als ungerechtfertigt erwiesen hat, zeigt nicht zuletzt der Umgang mit dem Internet. Zu Beginn seiner Amtszeit sprach Assad sich für einen liberaleren Umgang mit diesem Medium aus. So entstanden immer mehr Internetcafés, selbst in kurdischen Städten wie Kamischli im abgelegenen Nordosten des Landes. Inzwischen steigt die Zahl derjenigen, die wegen regimekritischer Publikationen im Internet inhaftiert werden. Zahlreiche Webseiten sind blockiert, unter anderem Googleblog, YouTube, die Seiten syrischer Oppositionsparteien sowie libanesischer Zeitungen. Seit letztem Jahr sind in Syrien zugelassene Internetseiten verpflichtet, jeden Artikel und Kommentar namentlich zu kennzeichnen, seit März 2008 müssen die Inhaber von Internetcafés die persönlichen Daten sämtlicher Nutzer anhand ihrer Personalausweise schriftlich festhalten. Selbst die wirtschaftlichen Reformen, die Baschar al-Assad sich auf die Fahnen geschrieben hatte, kommen nur langsam voran, vor allem, weil eine echte Reform des öffentlichen Sektors bestehende Machtverhältnisse gefährden würde. Einige Beobachter gehen sogar davon aus, dass sich die mafiösen Strukturen unter Baschar noch verfestigt haben. Ein Großteil der Einnahmen aus dem Ölgeschäft soll in die Kassen des Präsidenten und seiner Entourage fließen. Die Bevölkerung leidet hingegen unter hoher Arbeitslosigkeit, viele leben am Rande des Existenzminimums. Auf diese Weise fördert das Regime ein Problem, das es dem Westen gegenüber gerne zu bekämpfen vorgibt: die Ausbreitung des radikalen Islam, insbesondere unter jungen Männern. Die weitgehende Beibehaltung des status quo in Syrien seit dem Jahr 2000 kann nicht damit erklärt werden, dass ein junger, unerfahrener Präsident sich gegen die "alte Garde" seines Vaters nicht hat durchsetzen können. Er hat dessen ausgedehnte Machtbefugnisse nicht allein geerbt, sondern nutzt diese auch, um sich seine persönliche Herrschaftsbasis zu schaffen. Schätzungsweise drei Viertel aller Top-Positionen in Politik, Verwaltung und Militär sind seit seinem Amtsantritt neu besetzt worden. Entscheidend für den reformerischen Stillstand dürfte vielmehr Assads Bewusstsein darüber sein, dass seine eigene politische Zukunft an das übernommene Herrschaftssystem fest gebunden ist. Nicht mehr als geduldetTragfähige zivilgesellschaftliche Strukturen haben sich unter diesen Bedingungen bis heute in Syrien nicht entwickeln können - schon gar nicht in den kurdischen Gebieten, die unter Baschar al-Assad mehrfach zum Schauplatz gewalttätiger Auseinandersetzungen wurden. Im März 2004 kam es nach einem Fußballspiel in Kamischli zu aufstandsähnlichen Szenen, als die Fans der kurdischen Mannschaft den Präsidenten der kurdischen Regionalregierung im Irak, Masud Barzani, hochleben ließen, während die Fans des arabischen Teams Saddam Hussein priesen. Die Sicherheitskräfte griffen auf Seiten der Saddam-Fans ein. Die folgenden tagelangen Unruhen dehnten sich auf andere Städte in der Region und bis Efrin, Aleppo und Damaskus aus. Regierungsgebäude wurden angegriffen, über 30 Demonstranten getötet, mehrere Hundert verletzt und rund 2.000 Personen festgenommen. Im Frühjahr 2005 kam es erneut zu Massendemonstrationen, im Anschluss an die Ermordung des kurdischen Scheichs Khesnawi, die dem syrischen Geheimdienst angelastet wird. Khesnawi galt als Vermittler zwischen der kurdischen und der islamischen Opposition in Syrien und pflegte Kontakte ins westliche Ausland. In beiden Fällen gelang es den syrisch-kurdischen Parteien, Demonstrationen mit zehntausenden Teilnehmern zu organisieren. Das Regime zu Reformen zwingen konnten sie nicht. Dies liegt zum einen daran, dass ihr Einfluss auf ein kleines Gebiet im abgelegenen Nordosten begrenzt ist. Kontakte zur - ohnehin sehr schwachen - arabischen Opposition bestehen kaum. Zum anderen verfügt keine der syrisch-kurdischen Parteien über ein klares Konzept, welche politischen, sozialen und ökonomischen Reformen umgesetzt werden sollen. Ihre Forderungen beschränken sich auf kurdenspezifische Anliegen wie die Wiedereinbürgerung der 120.000 Kurden (siehe Kasten). Dass sämtliche kurdische Parteien illegal sind und nur so lange geduldet werden, wie es dem syrischen Geheimdienst opportun scheint, schränkt ihren Handlungs- und Entwicklungsspielraum erheblich ein. Schließlich behindert die schiere Anzahl der existierenden Parteien - aktuell sind es dreizehn - die Formulierung gemeinsamer Forderungen. Dass die diversen Spaltungen dabei weniger ideologischer als vielmehr persönlicher Art sind, macht das gemeinsame Agieren noch komplizierter. Innerhalb der Parteien kann von demokratischen Strukturen keine Rede sein: Entscheidungen trifft allein der jeweilige Parteivorsitzende, oftmals über Jahre und sogar Jahrzehnte dieselbe Person. Parteiunabhängige kurdische Menschenrechtsaktivisten gibt es nicht. Wie wenig die kurdischen Parteien dem syrischen Staat entgegen zu setzen haben, wurde am Abend des 20. März 2008 deutlich. Einige hundert junge Männer hatten sich in Kamischli versammelt, um das kurdische Neujahrsfest Newroz zu feiern. Das Fest wurde von syrischen Sicherheitskräften unterbrochen, drei junge Männer erschossen, fünf teils schwer verletzt und weitere Personen festgenommen. Bereits in den Tagen zuvor waren zahlreiche Kurden in Damaskus, Aleppo und in mehreren Städten des kurdischen Nordosten inhaftiert worden, weil sie friedlich an den Giftgasangriff auf die irakisch-kurdische Stadt Halabja am 16. März 1988 erinnert und dabei kurdische Fahnen gezeigt hatten. Seit dem Regimesturz im Irak 2003 und der offiziellen Anerkennung der kurdischen Regionalregierung in der irakischen Verfassung sind auch die Kurden Syriens vermehrt aktiv geworden. Ihr gewachsenes Selbstvertrauen ist der syrischen Regierung ein Dorn im Auge. Offensichtlich hat diese deshalb beschlossen, die Kurden wieder aus der Öffentlichkeit zu verdrängen. Mit Erfolg: Die syrisch-kurdischen Parteien reagierten auf die Angriffe, indem sie ihre eigenen Newroz-Feiern absagten. Vor diesem Hintergrund war die Idee der EU, zivilgesellschaftliche, demokratische Strukturen durch die Finanzierung geeigneter Projekte zu stärken, durchaus richtig. Um die Förderung konnten sich internationale Organisationen bewerben, die jedoch einen legalen syrischen Partner vorweisen mussten - angesichts der restriktiven Genehmigungspraxis in Syrien fast ein Ding der Unmöglichkeit. Der Schwerpunkt der sechs zur Förderung ausgewählten Projekte lag im Bereich Capacity Building. Unterstützt werden sollten vor allem Journalisten, Rechtsanwälten, Menschen- und Frauenrechtsaktivisten, Jugendliche und Kinder. Eines der Projekte, das bereits erwähnte Zentrum für Straßenkinder, war geographisch im kurdischen Norden angesiedelt, ohne sich deshalb an eine ausschließlich kurdische Klientel zu wenden. Fatale Politik der EUDass die "European Initiative for Democracy and Human Rights" letztlich scheiterte, lag nicht allein an der syrischen Regierung, sondern auch an der inkonsequenten Haltung der EU. So hatte deren Delegation in Damaskus im Vorfeld des Programms versucht, die Zustimmung der syrischen Regierung für selbiges zu erhalten. Ohne Erfolg - der autoritäre Staat wollte nicht zu seiner eigenen Unterwanderung beitragen. Hieraus wurde jedoch von der EU nicht die Konsequenz gezogen, das Programm zu stoppen. Vielmehr ließ man die geförderten Gruppen mit dem Problem allein, lokal Genehmigungen für Projekte zu erhalten, die von der Zentralregierung nicht gewollt waren. Zugleich wies die EU immer wieder darauf hin, dass die syrische Gesetzgebung unter allen Umständen zu respektieren sei. "Das Ergebnis ist", so ein NGO-Mitarbeiter, der anonym bleiben möchte, "dass lediglich die wenigen Projekte umgesetzt werden konnten, deren Träger staatsnah genug waren. Etwa ein Projekt in einem palästinensischen Flüchtlingslager. Die anderen Projekte kamen entweder nie über die Genehmigungsphase hinaus, oder sie wurden wegen fehlender Erlaubnis dicht gemacht, wie die in Damaskus kurzfristig eröffnete Menschenrechtsbibliothek." Der lokale Initiator dieser Initiative, der syrische Rechtsanwalt Anwar Buni, wurde unter anderem wegen seiner Beteiligung an dem Projekt zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Die Politik der EU hat somit eher dazu beigetragen, Kritiker der syrischen Regierung mundtot zu machen, als die fragile Zivilgesellschaft im Land zu unterstützen. Siamend Hajo und Eva Savelsberg sind Mitarbeiter des Europäischen Zentrums für kurdische Studien in Berlin. Gefangen im eigenen Land Kontext:
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