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Das suggerierten Kaiser und Kanzler seit Gründung des Deutschen Reiches: Deutschland stehe im Schatten, müsse endlich einen Platz an der Sonne erhalten, also ihn sich verschaffen, müsse also aufrüsten; es brauche eine Flotte, um alle Küsten der Welt zu kontrollieren, damit deutsche Kaufleute überall ihre Tüchtigkeit beweisen, also alle anderen niederkonkurrieren könnten. Denn der ersehnte, beanspruchte, immer ungestümer geforderte Normalzustand ist erst erreicht, wenn der deutsche Imperialismus schrankenlos herrscht, global. Deutsche Humanisten – Oppositionelle wie Heine, Tucholsky, Ossietzky, Brecht – wünschten sich Deutschland ebenfalls als ein normales Land, aber sie verstanden darunter etwas ganz anderes: nicht über und nicht unter anderen Völkern und Staaten, sondern gleich unter Gleichen. Solches Gleichheitsdenken ist das genaue Gegenteil dessen, was imperialistische Propaganda uns einzubleuen versucht. Deutschland ist der wirtschaftlich und politisch stärkste Staat in der Europäischen Union, Exportweltmeister. Deutsche Medienkonzerne herrschen über die öffentliche Meinung in anderen Ländern, zum Beispiel auf dem Balkan. Deutschland nimmt sich heraus, dort über Werden und Vergehen von Staaten zu entscheiden (Jugoslawien, Serbien, Kosovo). Deutsche Truppen stehen auch in Afghanistan und etlichen anderen Ländern mit dem Anspruch, dort für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Deutschland maßt sich an, gemeinsam mit sieben anderen hochgerüsteten Staaten über die Geschicke der ganzen Welt zu entscheiden und damit die UNO zu degradieren – wie sich der deutsche Imperialismus einst auch über den Völkerbund erhob. Bündnisse (mit Nachbarn, aber auch mit den USA) sind zeitweilige Zweckbündnisse, an die sich der deutsche Imperialismus nur so lange hält, als sie ihm helfen, seine Herrschaft auszudehnen. Auf Dauer respektiert er keine Verpflichtungen; er entzog sich nach 1945 dem Abschluß eines Friedensvertrags, er sprengte die Schlußakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und den 2+4-Vertrag wie auch die bundesdeutsche Verfassung von 1949, die nach und nach zur Karikatur ihrer selbst geworden ist. Dieser größenwahnsinnige deutsche Imperialismus, der sich selber für normal hält, gehört hinter Gitter. Gibt es besonderen Anlaß, mich darüber aufzuregen? Ja, Heiligendamm, wo die verdammten acht Heiligen einflogen, statt sich in Guantanamo zu treffen, wo sie ganz sicher gewesen wären; man lese das soeben im Scheunen-Verlag erschienene Buch »Das war der Gipfel«. Aber nein, jeden Tag liefert der deutsche Imperialismus neuen Grund und neuen Anlaß zur Empörung, zum Beispiel die Ankündigung des oberkommandierenden Ministers Jung, entführte Passagierflugzeuge abzuschießen, obwohl das Bundesverfassungsgericht das ausdrücklich untersagt hat (keine Verfassungsschutzbehörde wird diesen Verfassungsfeind anprangern – oder arbeitet da etwa doch irgendwo ein rechtlich denkender Beamter mit Zivilcourage?). Und das Empörendste ist die Heuchlerpose, die Unverschämtheit, mit der sich die Täter immer wieder als Opfer hinstellen. Nachlesen läßt sich das in dem Buch »Die normalisierte Nation« des gelegentlichen Ossietzky -Mitarbeiters Marcus Hawel. In der Bundesrepublik Deutschland – das arbeitet Hawel klar heraus – bedeutete Normalisierung von Anfang an vor allem »Vergangenheitsbewältigung« in dem Sinne, die Erinnerung an die Nazi-Verbrechen auszuschalten oder so zu gestalten, daß sie die außenwirtschaftliche und außenpolitische Entfaltung nicht stört, nicht behindert, sondern möglichst sogar erleichtert. Mit all ihren Normalisierungsparolen forderte die BRD immerzu Anerkennung dafür, daß die Vergangenheit nunmehr endgültig bewältigt sei. Tatsächlich wurde – auch im Werk prominenter Schriftsteller – Schuld verdrängt, also gerade nicht bewältigt. Für sich selber und damit auch für uns alle erhob Martin Walser in seiner Paulskirchenrede Anspruch auf das Recht, von Auschwitz nichts mehr hören und sehen zu wollen, weil Deutschland schließlich ein ganz normales Land, die Deutschen ein ganz normales Volk geworden seien – als wüßte er nicht und als wüßte nicht die ganze Welt, daß Deutschland mit aller Macht einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat anstrebt, also für sich das Privileg fordert, ohne Wahl durch die UN-Vollversammlung für immer gemeinsam mit den Hauptsiegermächten des Zweiten Weltkriegs die Welt zu regieren. (Wer aber – was dem deutschen Imperialismus ganz fern liegt – Normalisierung im Sinne von Gleichberechtigung anstrebt, müßte auf Abschaffung solcher Privilegien hinarbeiten und heute vor allem der aggressiven US-amerikanischen Politik mit den Waffen des Völkerrechts entgegentreten.) Einleuchtend schreibt Hawel: »Die moralische Aufarbeitung der Katastrophe« – er meint Auschwitz – »ist auch von den politisch-ökonomischen Interessen der Gegenwart gelenkt. Diese Interessen sind, gepaart mit der psychischen Abwehr von Schuld, derart einflußreich, daß die Vergangenheit zum Spielball der Gegenwart wird, die sich die Traditionen neu erfindet …« Zum Scheußlichsten gehören Versuche wie die von Jürgen Habermas, die Moral gegen das Völkerrecht in Stellung zu bringen und so völkerrechtswidrige militärische Interventionen nicht nur zu rechtfertigen, sondern propagandistisch anzustacheln. Den serbischen Staatspräsidenten Slobodan Milosevic zum neuen Hitler zu erklären und ihn zu bekämpfen, war nach diesem Verständnis ein Akt der Selbsterlösung von der faschistischen Vergangenheit, in Wahrheit aber war es die Fortsetzung der alten imperialistischen Gewaltpolitik. Hawel beschäftigt sich in seinem Buch (seiner Dissertation) ausführlich mit der Zerschlagung Jugoslawiens, die gleich nach Wiederherstellung der Einheit Deutschlands begann und die der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber schon 1992 mit den Worten würdigte: »Kohl vollendet das, was Kaiser Wilhelm und Hitler nicht erreicht haben.« Kohl selbst nannte die Abspaltung Sloweniens und Kroatiens von Jugoslawien einen »großen Sieg für die deutsche Politik« – damals hauptsächlich mit viel Geld erkauft. Inzwischen, seit Gerhard Schröder, der sich der »Enttabuisierung des Militärischen« rühmt, gilt es als als Ausweis von Normalität, fremde Länder zu bombardieren. Wo Krieg und Kriegsverbrechen zur Normalität werden (der kluge US-amerikanische Journalist David Binder nannte Kohl und dessen Außenminister Genscher schon 1992 Kriegsverbrecher), da will ich gern als unnormal gelten, als nicht gescheit, als pervers - bitte schön. Hawel hat mir mit seinem materialreichen, herrschender Meinung mutig widersprechenden Buch geholfen, diese Konsequenz zu ziehen. Marcus Hawel: »Die normalisierte Nation – Vergangenheitsbewältigung und Außenpolitik in Deutschland«, Offizin Verlag, 448 Seiten, 24.80 € Kontext:
Erschienen in Ossietzky 19/2007 |
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