Den Aufsatz kommentieren Das Dilemma einer verantwortungslosen WeltmachtDie Terroranschläge vom 11. September 2001 aus der Sicht eines Exil-Iranersvon Ali Satipy Sadeh Ich lebe seit 22 Jahren in Deutschland und habe hier Sozialwissenschaften studiert. Deutschland ist mein Exil und meine zweite Heimat geworden. Aus sozialpolitischen Gründen habe ich damals dem Iran den Rücken gekehrt. Ich lebte im Südwesten in der Grenzregion zum Irak, jedenfalls weit weg vom iranischen Zentrum Teheran. In dieser Grenzregion waren viele soziale Konflikte entbrannt, die ich aus nächster Nähe erfahren konnte, ohne Antworten auf sie zu finden. Es war die Zeit des Schahs, wir lebten in einem autoritären Regime, in einem repressiven Polizeistaat, der die sozialen Konflikte ignorierte, aber jede politisch-kulturelle Initiative von engagierten Menschen mit härtesten Sanktionen bestrafte. Es dauerte nicht lange, da waren sämtliche politischen Oppositionellen entweder außer Landes ins Exil geflohen, ins Gefängnis gesperrt oder sogar hingerichtet worden. Im Iran gab es praktisch keine Möglichkeit mehr, von seiner Vernunft öffentlich Gebrauch zu machen. Einzig in konspirativen Zirkeln, z.B. in den geheimen Koranschulen, konnte man den sozialen Fragen noch nachgehen, wenn auch unter der Autorität der schiitischen Führer. Im Ausland - besonders in einem europäischen Land - ließ sich der Zugang zu den allgemeinen sozialen Problemen besser finden. Nach einem anfänglichen Kulturschock konnte ich in Deutschland allmählich eine Hoffnung aufbauen, die sich auf verschiedene Aspekte des öffentlichen Lebens in der europäischen Welt gründete: freie Wahlen, Verfassung und andere demokratische Institutionen, die ich für einen Fortschritt der Menschheit halte im Vergleich zu den patriarchal-autoritären und feudalen Strukturen, wie ich sie aus dem Iran kannte. Dort, wo dem Menschen keine Achtung widerfährt, droht er die Achtung vor sich selbst zu verlieren. Wer die Achtung vor sich selbst verliert, verliert sie auch vor anderen. Im Exil fand ich die Freiheit, mich mit Karl Marx, Norbert Elias, Sigmund Freud und anderen Zivilisationstheoretikern auseinanderzusetzen. Ich kam schließlich zu der Einsicht, daß alle Menschen auf dieser Welt von ein und demselben Phänomen geleitet werden: Wenn er ungerecht behandelt wird, neigt der Mensch zur Gewalt. Gewalt aber zerstört Zusammenhänge und bringt neue Ungerechtigkeiten in die Welt. Eine Gewaltspirale setzt sich in Gang, die immer wieder Ungerechtigkeiten neben Ungerechtigkeiten wie Perlen zu einer Kette aneinanderreiht. Es gibt einen Automatismus der Gewalt, der immer wieder zu Kriegen führt. In Kriegen kulminiert Unterdrückung und Ausbeutung zu einer Explosion von Ungerechtigkeiten. Aufgrund meiner Sozialisation habe ich allen Grund dazu, die politischen Entwicklungen der letzten 22 Jahre im Iran als politische Fehlentwicklungen anzusehen, die zu einem sehr großen Teil die Folgen einer schlimmen Außenpolitik der USA und insofern von diesen mit zu verantworten sind. Die USA verhalten sich als Weltmacht aber sehr verantwortungslos. Ich habe in meinem Leben mehrere Terroranschläge gegen amerikanische Einrichtungen aus der Ferne miterlebt, die absolut nicht mit meiner Vorstellung eines gerechten Kampfes um Emanzipation zu vereinbaren sind. Wahrscheinlich hätte ich mich vor 20 Jahren dennoch bei einem dieser Terroranschläge, die gegen das amerikanische System gerichtet sind, klammheimlich gefreut. Aber meine persönliche Entwicklung hat mir geholfen, den 11. September als eine furchtbare Aktion anzusehen, deren Preis für die ganze Menschheit unbezahlbar ist. Ich bin betroffen von diesem Terror wie die meisten. Allerdings überrascht mich der Anschlag nicht. Aufgrund meines Studiums neige ich dazu, eine sozialpsychologische Erklärung für die Motive der Attentäter zu finden. Ich möchte vorweg sagen, daß nach Motiven zu suchen, um die Tat erklärbar zu machen, nicht bedeutet, die Tat zu rechtfertigen. Allgemein kann man feststellen: Dort, wo dem Menschen keine Achtung widerfährt, droht er die Achtung vor sich selbst zu verlieren. Wer die Achtung vor sich selbst verliert, verliert sie auch vor anderen. Im gesellschaftlichen Kontext der Weltpolitik - besonders der letzten 50 Jahre - sieht man die US-amerikanische Weltmacht rigoros in den Fußspuren der alten Kolonialherren wandern. Das westliche System hatte während des Kalten Krieges ein Feindbild aufgebaut. Alle Länder, die weder zum Westen noch zum Osten gezählt wurden, sind zur Manövriermasse der einen oder der anderen Weltmacht geworden; sie wurden entweder kontrolliert oder neutralisiert. Die Spirale aus Gewalt und Gegengewalt hat ihren Wendepunkt erst mit dem Tod von Khomeni gefunden. Der Kalte Krieg ist seit 1989/90 faktisch zu Ende; die Siegermacht USA scheint allerdings ohne Feindbild nicht auszukommen. Eine zivilisierte Gesellschaft muß in der Lage sein, in allen denkbaren gesellschaftlichen Belangen integrierend zu wirken. Das jedenfalls ist der Anspruch, den ich als Exil-Mensch habe; vielleicht ist es der wesentliche Anspruch eines jeden Menschen mit Exilerfahrung. Die USA haben versucht, ihre egoistischen Interessen durch Marionetten und mit Waffengewalt in der sogenannten Dritten Welt durchzusetzen - ohne Rücksicht auf die politischen und sozialen Emanzipationsprozesse in den jeweiligen Ländern. Mindestens drei Milliarden Menschen sind direkt oder indirekt von dieser egoistischen Interessenpolitik des Westens betroffen. Da der Iran zu einem dieser Länder gehört, in denen die CIA ihr Unwesen getrieben hat, möchte ich auf die iranischen Verhältnisse etwas näher eingehen. 1979 hat im Iran eine Revolution stattgefunden. Die Vorgeschichte dieser Revolution reicht bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges zurück. Unmittelbar nach 1945 ist im Iran mit Mossadegh eine bürgerliche Regierung an die Macht gekommen. Nach hartnäckigem Widerstand der Engländer gegen die Pläne der Verstaatlichung der Bodenschätze - vor allem des Erdöls, ist es dieser Regierung gelungen, sich vor dem internationalen Gerichtshof in Den Haag durchzusetzen. Mohamed Reza Schah Pahlawi war ins Exil nach Italien geflohen. Aber die USA konnten sich mit der Situation nicht abfinden. Mit einem Etat von nur 100.000 US-Dollar gelang es der CIA, die junge bürgerliche Regierung zu stürzen. Eine Verstaatlichung der Bodenschätze lag im fundamentalen Widerspruch zu den wirtschaftlichen Interessen der USA, weil die Bodenschätze durch westliche, d.h. vornehmlich durch englische und amerikanische Firmen ausgebeutet wurden. Eine Verstaatlichung hätte die Enteignung westlicher Kapitalisten bedeutet. Der Schah wurde wieder auf den Thron gesetzt. Der Schah baute nun mit der Unterstützung der CIA seine absolute Macht aus, indem er den Geheimdienst Savak aufbaute und Oppositionelle gnadenlos verfolgen ließ. Erwähnt werden muß in diesem Zusammenhang auch die Doktrin der "green revolution", die unter anderem in Lateinamerika und auch im Iran durchgesetzt werden sollte und von den USA vorangetrieben wurde. Der Schah hatte das Konzept der "green revolution" übernommen und nannte es weiße Revolution. Bestandteil dieser Doktrin ist es gewesen, die Länder radikal zu industrialisieren. Es sollten Landreformen durchgeführt werden. Bis zu diesem Zeitpunkt gehörte im Iran das Agrarland in erster Linie den traditionellen Eliten, d.h. den Großgrundbesitzern in Gestalt der königlichen Familie, den religiösen Stiftungen und Mullahs. Bewirtschaftet wurde das Land durch Bauern und Leibeigene, die in gemeinschaftsähnlichen Zusammenschlüssen von den Erträgen ihre großen Familien ernährten. Nun wurde das Land in kleine Parzellen aufgeteilt, so daß die zu größeren Gemeinschaften zusammengeschlossenen Familien sich von den Erträgen nicht mehr ernähren konnten. Sehr viele mußten die Parzellen gezwungenermaßen verkaufen, weil sie nicht mehr imstande waren, Saatgut oder Maschinen zu beschaffen, bzw. Bewässerungsanlagen zu betreiben. Das Land konzentrierte sich zusehends in den Händen der neuen Eliten, den Agrarkapitalisten. Aufgrund der Reformen wurden also nunmehr aus den kleinen Bauern landlose Arbeiter, die zwangsweise in die Großstädte ziehen mußten, weil sie auf dem Land nicht mehr überleben konnten. - Aus ihnen sind weit über 20 Millionen Slumbewohner in den Großstädten geworden, die mit wenig Hab und Gut und keinem wirklichen Dach über dem Kopf ein äußerst bitteres Leben fristen müssen. Vor diesem Hintergrund war es nur eine Frage der Zeit, bis ein sozial-religiöser Mensch wie Ruhola Khomeni gegen die Reform Widerstand organisierte. Er versprach Gerechtigkeit. Was Khomeni unter Gerechtigkeit verstand, war allerdings reaktionärer Antikapitalismus, d.h. die Wiederherstellung der traditionellen Verhältnisse. Die Bauern hatten aufgrund der Landreform ihren Besitz verloren, die feudalen Großgrundbesitzer aber ihr Eigentum. Unter Gerechtigkeit verstand er die Zurückgabe von Eigentum und Besitz. Auf der Basis der religiösen Strukturen wuchs über die Moscheen somit stetig eine religiöse Opposition gegen die "weiße Revolution" heran. Khomeni verstand es gut, eine Massenbasis aufzubauen, indem er gegen den "Schah als Marionette der Amerikaner" polemisierte. Das begann langsam Anfang der sechziger Jahre - Khomeni war ins Exil gegangen - und kulminierte 1979 in der iranischen Revolution. Die Bewegung, die maßgeblich von den religiösen Führern gelenkt wurde, hatte ein neues Selbstbewußtsein entwickelt. Zwar gab es vornehmlich in Teheran auch eine marxistisch-leninistische Studentenbewegung; aber die breite Masse folgte Khomeni - vor allem, nachdem er aus dem Exil zurückgekehrt war und sich an die Spitze der Bewegung gestellt hatte. Khomeni war ein geschickter Demagoge, der von der islamischen Gemeinschaft sprach und dahinter die reaktionären Interessen der Mullahs, um die es ihm eigentlich ging, verschleierte. Nur so konnte er die Massen von sich überzeugen. Aber die USA, die einen so emphatischen Begriff von Freiheit und Demokratie haben, wenn es ihr eigenes Land betrifft, unterstützten bisher vor allem Diktatoren und deren autoritäre Regime, wenn es ihren eigenen Interessen dienlich war. Khomeni kam an die Macht, jedoch bevor die Menschen wirklich erkennen konnten, daß er nicht ihre wirklichen Interessen vertrat, brach schon der Krieg gegen den Irak aus, von dem man weiß, daß die USA unter der Hand einiges dafür taten, daß er ausbrach. In der Logik des Kalten Krieges wurde der Irak für die USA zu einem Verbündeten. Acht Jahre dauerte der Krieg, der über zwei Millionen Iranern und Irakis das Leben gekostet hat. Das Land war verwüstet. Den Hardlinern im Iran gelang es vor diesem Hintergrund, ihre mittelalterlichen und archaischen Ansprüche durchzusetzen. Sie warfen die politische Entwicklung im Iran, was Gerechtigkeit und Demokratieentwicklung angeht, um Jahrzehnte wieder zurück. Die Spirale aus Gewalt und Gegengewalt hat ihren Wendepunkt erst mit dem Tod von Khomeni gefunden. Was sich seitdem entwickelt, sind kleine Schritte hin zu Demokratie und Besinnung im Rahmen einer kapitalistischen Modernisierung des Landes. Die Sympathien für das amerikanische System sind unter Iranern - vorsichtig ausgedrückt - nicht vorhanden. Das hat mit einem plumpen Anti-Amerikanismus nichts zu tun. Für die Antipathie gibt es verständliche Gründe. Nicht nur im Iran, sondern nahezu in der gesamten Dritten Welt, hat sich die amerikanische Politik wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert. Auch hat diese Antipathie überhaupt nichts mit dem Islam zu tun, denn die Antipathie ist keine religiöse Antwort, sondern eine politische Kritik angesichts der gesellschaftlichen Folgen der US-Außenpolitik. Wenn sich das, was am 11. September 2001 geschah, nicht in irgendeiner Form wiederholen soll, müssen die USA ihre Außenpolitik grundlegend ändern. Einzig die Unterstützung von demokratischen Emanzipationsprozessen ist vor einer Weltöffentlichkeit zu rechtfertigen. Aber die USA, die einen so emphatischen Begriff von Freiheit und Demokratie haben, wenn es ihr eigenes Land betrifft, unterstützten bisher vor allem Diktatoren und deren autoritäre Regime, wenn es ihren eigenen Interessen dienlich war. Insofern haben sich die amerikanischen Politiker und Militärs nicht als Vorkämpfer der Demokratie und Freiheit erwiesen; sie haben sich als Behüter von Willkür einen Namen gemacht und ziehen eine sehr lange Blutspur hinter sich her. Willkür und Diktatur sind der Nährboden für den Terrorismus, der sich nun auch gegen das amerikanische System richtet und unschuldigen US-Bürgern das Leben gekostet hat. Der Bumerang fliegt zurück und setzt eine neue Gewaltspirale in Gang, die endlich unterbrochen werden muß. Die USA sind diesmal Opfer ihrer eigenen Politik geworden. Ali Satipy Sadeh floh vor 22 Jahren
vor dem Schah aus dem Iran und ging ins Exil nach Deutschland. Er
lebt und studiert in Hannover.
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sopos 11/2001 | |||
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