Den Aufsatz kommentieren Zur Dialektik der BildungDie noch kritischen Studenten brauchen eine geistige Waffe für ihren Kampf gegen die Einebnung der Bildungvon Marcus Hawel (sopos)"Ich soll, wie man mir später sagte, ungewöhnlich wenig Lärm gemacht haben, woraus man schloß, daß ich entweder bald eingehen müsse oder daß ich, falls es mir gelingt, die erste kritische Zeit zu überleben, sehr dressurfähig sein werde. Ich überlebte diese Zeit. Dumpfes Schluchzen, schmerzhaftes Flöhesuchen, müdes Lecken einer Kokosnuß, Beklopfen der Kistenwand mit dem Schädel, Zungenblecken, wenn mir jemand nahekam - das waren die ersten Beschäftigungen in dem neuen Leben. In alledem aber doch nur das eine Gefühl: kein Ausweg. Ich kann natürlich das damals affenmäßig Gefühlte heute nur mit Menschenworten nachzeichnen und verzeichne es infolgedessen, aber wenn ich auch die alte Affenwahrheit nicht mehr erreichen kann, wenigstens in der Richtung meiner Schilderung liegt sie, daran ist kein Zweifel." Die Reflexion auf die subtilen Formen kapitalvermittelter Autorität und Herrschaft würde heutzutage Bildung ausmachen ... Das Alltagsbewußtsein versteht unter Bildung nichts anderes als ein praktisches Mittel, die berufliche Laufbahn vorteilhafter zu gestalten. Die Worte Bildung und Ausbildung werden viel zu oft synonym verwendet; unter beiden wird unbegriffen nicht mehr verstanden als der Erwerb von Vorkenntnissen für spezielle Berufe. Daß selbst unter Politikern, Journalisten und Universitätsangehörigen gleichermaßen die Einebnung der Bildung zur Ausbildung vorangetrieben wird, macht die Brisanz der aktuellen Bildungskrise aus. Das, was sich als Verfall der Bildung, "auch in der Schicht der Gebildeten selber"[1] bezeichnen ließe, geht einher mit dem Verlust von Geschichtsbewußtsein, des Wissens um die Gewordenheit dessen, was ist. Ohne dieses Wissen fehlt die kritische Distanz zum Bestehenden, die nötig ist, um dieses adäquat zu erklären. Was sich hier als Zurichtungsgeschichte der Bildung lesen läßt, ist aber stets auch die Geschichte ihrer Sozialisierung und damit ihrer Aneignung durch die Beherrschten, die sich jedoch letztendlich als mißglückte Befreiung erweist. Dieser Zusammenhang verweist auf die Dialektik von Emanzipation und Repression, die hier in einem kurzen historischen Abriß skizziert werden soll. Denn heute ist es um so wichtiger, einen neuen Bildungsbegriff zu entfalten, dessen Stachel, von den aktuellen gesellschaftlichen Verhältnissen angespitzt, diese wiederum besser zu treffen vermag, um sie in eine gewollte Richtung vor sich her zu treiben. Solch neuer Bildungsbegriff wäre in weiten Teilen kaum vom alten zu unterscheiden. Im wesentlichen bestünde er in der Erinnerung von bereits Vergessenem, im Aufsammeln von Liegengebliebenem, im Aufbewahren von noch nicht zerstörter Wirklichkeit, aber auch in der bestimmten Negation. - Er wäre damit ein Teil jener Kraft, die als wirkliche Bewegung den bestehenden gesellschaftlichen Zustand aufhöbe, insofern er nicht nur seine theoretische sondern auch praktische Dimension vollständig erfaßte. Der Begriff der Bildung, selbst einer antagonistischen Gesellschaft entsprungen, war einmal voller Widersprüche und Mehrdeutigkeiten, die schon die Anzeichen seiner Verkehrung in Aneignung und Anpassung markierten. "Die philosophische Bildungsidee auf ihrer Höhe wollte natürliches Dasein bewahrend formen. Sie hatte beides gemeint, Bändigung der animalischen Menschen durch ihre Anpassung aneinander und Rettung des Natürlichen im Widerstand gegen den Druck der hinfälligen, von Menschen gemachten Ordnung."[2] Auf der einen Seite zielte Hobbes auf die Bändigung der Einzelnen, durch die allein der Krieg aller gegen alle beendet werden könnte, und die Menschen in eine durch Recht und Vernunft gelenkte Ordnung eingebunden würden. Andererseits befand sich für Rousseau die gesellschaftliche, von Menschen gemachte Ordnung in einem unvernünftigen Zustand und mußte überwunden werden, indem die Menschen Vernunft und Natürlichkeit wieder ins Recht setzen und ihnen gemäß handeln sollten. Die beiden Spannungspole, zwischen denen sich der Bildungsbegriff bewegte, waren die des Besonderen und Allgemeinen; einmal Bildung als Bilden des Subjekts, das andere Mal als Bilden des gesellschaftlichen Ganzen. In dem Augenblick, in dem eines der beiden Momente herausfällt, gelangt das bloß Vorhandene zur Allherrschaft. Mit anderen Worten: das Ganze ohne die Einzelnen verändern zu wollen, ist genauso absurd und muß unzweifelhaft scheitern wie der Versuch, die Einzelnen unter Beibehaltung des Ganzen verändern zu wollen. Beide Wege sind Sackgassen im bloß Bestehenden. Das Bestehende würde als gottgewollte, natürliche oder gesetzlich richtige Ordnung akzeptiert, als Rahmen, über den nicht hinausgeschritten werden darf. Ganz gleich, inwiefern das bloß Vorhandene vernünftig oder unvernünftig ist, es dient als Orientierung, als Maßstab fürs Handeln und Denken der Einzelnen. Herrschaft wird nicht mehr infrage gestellt, sie verschleiert und maskiert sich mithin als Freiheit. Emanzipation ist damit nicht mehr zu denken und rückt aus dem Blickfeld des Einzelnen. Er ist zur Anpassung an eine gegebene Gesellschaft gezwungen und muß sich gleichmachen gegenüber dem Bestehenden, welches aber nur, weil es ist, noch lange nicht vernünftig sein muß. Wo das Bilden, das Verändern des gesellschaftlichen Ganzen nach Kriterien der Vernunft aus dem Bildungsbegriff herausfällt, setzt das Prinzip des Einzelnen sich an die vakante Stelle und befördert das Partikularinteresse zum Selbstzweck. Das Ganze wird dann unter anderem bestimmt durch das survival of the fittest als Herrschaft des Konkurrenzprinzips, gesteuert durch das Profitinteresse. Dagegen opponierte die Bildungsidee und war zugleich darin verstrickt. Bildung "galt stillschweigend als Bedingung einer autonomen Gesellschaft: je heller die Einzelnen, desto erhellter das Ganze."[3] Die Ideale bürgerlicher Emanzipation waren bereits in der Emanzipationsphase des Bürgertums ideologische Verschleierungen bürgerlicher Partikularinteressen. Das Fortschreiten des Ganzen wurde als quasi naturwüchsiger Effekt angesehen, der aus dem persönlichen Fortkommen der Einzelnen resultiert, angestachelt durch das Konkurrenzverhältnis, in dem sie zueinander sich befanden. Der notgedrungene Überlebenskampf der Einzelnen wurde zum Prinzip eines vernunftsgemäßen Fortschreitens des Ganzen erhoben (invisible hand). Dieses widersprüchliche Verhältnis zwischen der Bildung des Ganzen und der der Subjekte sollte durch das Postulat der Einheit von Besonderem und Allgemeinem geglättet werden.[4] Denn bürgerliche Gesellschaft als "System allseitiger Abhängigkeit"[5] gäbe dem Untergang sich preis, verselbständigten sich die individuellen Besonderheiten gegenüber dem allgemeinen Interesse. Das individuelle Interesse war nur insofern frei und gut zugleich, als es nicht im Widerspruch stand mit dem allgemeinen Interesse. - Was aber war und ist auch heute noch dieses allgemeine Interesse der bürgerlichen Gesellschaft? Es ist das zum Allgemeinen sich aufgeschwungene Partikularinteresse des Kapitals. Es ist das Kapitalinteresse, das sich mit der Gründung des politischen Staates seinen institutionellen Rahmen schuf und damit Zugang zum Gewaltmonopol erlangte. Die bürgerliche Bildungsidee ging demnach ein apologetisches Verhältnis zu den Partikularinteressen ein, indem sie Entfesselung und Festigung gegebenenfalls auch Bändigung des Konkurrenzprinzips, niemals aber seine Negation als Freiheit verstand. Freiheit blieb in diesem Sinne bürgerliche Freiheit und verstieß gegen ihren Anspruch auf Allgemeinheit, weil Menschen nur als Bürger Menschen waren.[6] Des weiteren "konstatieren wir die Tatsache", schrieb Marx, "daß die sogenannten Menschenrechte (...) nichts anderes sind als die Rechte des Mitglieds der bürgerlichen Gesellschaft, d.h. des egoistischen Menschen, des vom Menschen und vom Gemeinwesen getrennten Menschen. (...) Es ist schon rätselhaft, daß ein Volk, welches eben beginnt, sich zu befreien, alle Barrieren zwischen den verschiedenen Volksgliedern niederzureißen, ein politisches Gemeinwesen zu gründen, daß ein solches Volk die Berechtigung des egoistischen, vom Mitmenschen und vom Gemeinwesen abgesonderten Menschen feierlich proklamiert".[7] Dieser Widerspruch steckte auch im Begriff der Bildung. Das Bürgertum, das in England im 17. Jahrhundert und in Frankreich im 18. Jahrhundert ökonomisch herrschend geworden war, hatte keineswegs damit automatisch auch die politische Macht übernommen; hierzu waren blutige Revolutionen nötig. Durch diese wurde allerdings das egoistische Individuum des Marktes von seinen ständischen Fesseln befreit - und damit die Konkurrenz entfesselt - aber nicht das Individuum von Markt und Konkurrenz. Bildung war also unterm Zwang des Profitinteresses zugleich Mittel der Emanzipation einer partikularen Klasse - insofern Fortsetzung von Herrschaft - und Anpassung an das Konkurrenzprinzip.[8] ... vermöge des eigenen Geistes sich selbst im Bestehenden zu verorten, zu reflektieren auf die eigene Rolle, die man im Bestehenden spielt, auf die Funktion, die man unbewußt und automatisch ausübt. Wo Bildung einerseits durch ihre Funktionalisierung zur Ausbildung transformierte, wurde sie auf der Seite ihrer Verdinglichung zur bloßen Kultur; übrig blieb die Inthronisierung der kulturellen Erzeugnisse, die als Produkte einer ganzen Kultur verstanden werden, aber als längst verdinglichte vom Einzelnen als zweckfreie Kulturgüter konsumiert werden. Lange Zeit verfügte hierbei das Bürgertum über das Monopol jener Bildung, die als sogenannte Kultur verdinglicht war - das letztlich auf der herrschaftlichen Ausgrenzung des Proletariats von der Muße beruhte. Das Proletariat, das zu jener Zeit nichts besaß außer seiner Arbeitskraft, die es Tag für Tag in die Fabrik tragen mußte, war tendenziell außerstande, sich zu bilden - dafür hätte es der freien Zeit und der Distanz zum Betrieb bedurft. Allerdings konnte andersherum die Reduzierung des Arbeitstages nicht zur proletarischen Befreiung führen vermittels der Aneignung von Bildung in der freien Zeit, weil damit nicht gleichzeitig Ausbeutung und Entfremdung außer Kraft gesetzt waren. "Versuche zur pädagogischen Abhilfe mißrieten [deshalb unter der Sozialdemokratie; M.H.] zur Karikatur. Alle sogenannte Volksbildung - mittlerweile ist man hellhörig genug, das Wort zu umgehen - krankte an dem Wahn, den gesellschaftlich diktierten Ausschluß des Proletariates von der Bildung durch die bloße Bildung revozieren zu können."[9] Was dem Bürgertum unter der Hand zur bloßen Aneignung von Kulturgütern entglitten war, erwies sich für die Arbeiter lediglich dem persönlichen Fortkommen im Bestehenden als nützlich. Bildung erlangte in den Händen der Arbeiter ihre emanzipatorische Dimension keineswegs zurück. Die proletarische Aneignung kam einer Anpassung an die bestehenden Herrschaftsverhältnisse gleich, über die groteskhaft die Befreiung angestrebt wurde.[10] Der Gedanke, die Befreiung des Proletariates allein über die Ermöglichung der Arbeiterbildung anzustoßen, ohne die kapitalistischen Produktionsverhältnisse selbst anzugreifen, entlarvte sich als reformistische sozialdemokratisch-bürgerliche Ideologie. Er diente zum einen dazu, die Arbeiter zu "Verhandlungspartnern" für das Bürgertum zu erziehen, um die Fortexistenz der bürgerlichen Gesellschaft um jeden Preis zu garantieren.[11] Zudem erwies es sich als nützlich, die Fertigkeiten der Produzenten dem historischen Gang gemäß der Entwicklung der Produktivkräfte anzupassen. Die Sozialdemokratie verwechselte den Fortschritt von Fertigkeiten und Kenntnissen mit dem Fortschritt der Menschheit, der Emanzipation der Gesellschaft von Herrschaft.[12] Bildung, die seitdem als stetige Verbesserung von Fertigkeiten und Kenntnissen begriffen wird, erhält immer deutlicher den auschließlichen Charakter von Ausbildung. Wenn in diesen Tagen im studentischen Protest gegen die Bildungsmisere die Ideologie des Neo-Liberalismus angegriffen wird, durch deren Umsetzung Bildung verkäme zur bloßen Ausbildung, die eine Ideologie der Anpassung an das Bestehende und eine Unterwerfung unters Kapitalinteresse darstellt, so wird oft übersehen, daß Bildung bereits in ihrer Entwicklung unterm Liberalismus ihrem Anspruch nicht standhalten konnte. "Erstarrt das Kraftfeld, das Bildung hieß, zu fixierten Kategorien, sei es Geist oder Natur, Souveränität oder Anpassung, so gerät jede einzelne dieser isolierten Kategorien in Widerspruch zu dem von ihr Gemeinten und gibt sich her zur Ideologie, befördert die Rückbildung."[13] - Mit dem historischen Fortschreiten des Bürgertums ging die Rückbildung einer denkerischen und emanzipatorischen Kraft parallel; dort noch schneller, wo das Bürgertum sich erst gar nicht wirklich emanzipierte: in Deutschland. Von dem Widerspruch zwischen Ideal und Wirklichkeit lebte lange Zeit weltbürgerliche und proletarische Empörung über uneingelöste Ideale, bis auch diese vergessen waren und damit der Widerspruch eingeebnet. Seitdem setzt Herrschaft des Kapitals sich fort aufgrund ihrer Verschleierung. Von diesem objektiven Verblendungszusammenhang sind auch die Universitäten betroffen. - Sie sind nicht eo ipso Orte des emanzipatorischen Bewußtseins. Die Forderung nach allgemeinem Zugang zu den Hochschulen ("Bildung für alle") bedeutet unter gegebenen Umständen, jedem Menschen unabhängig seiner Herkunft das Recht einzugestehen, über andere Menschen qua angeeigneten Wissens zu herrschen. Die Ideologie der Chancengleichheit sichert dem Kapital zudem den von dem Stand der Produktivkräfte abhängigen Bedarf an fachspezifisch ausgebildeten technischen und wissenschaftlichen Arbeitskräften. Von Zeit zu Zeit gerät das Ausbildungssystem in die Krise, weil es nicht rechtzeitig auf die sich wandelnden Anforderungen des Kapitals zu reagieren vermag. "Diese mit mehr oder minder großen Phasenverschiebungen in fast allen spätkapitalistischen Ländern auftretende Krise ist vielmehr nur das Symptom einer Gesellschaft, die durch ihre antagonistischen Widersprüche daran gehindert ist, eine von der historischen Entwicklung vorgezeichnete neue Stufe der gesellschaftlichen Elementarbildung (...) in geplanter Weise und auf Massenbasis zu institutionalisieren."[14] Jene neue Stufe scheine, so Negt, in der Veränderung der Berufsstruktur ebenso durch wie auch in der neuen Vergesellschaftungsqualität der Arbeitskraft. Dies verweist auf die Bildung des gesellschaftlichen Ganzen im Sinne seiner Umstrukturierung gemäß der ökonomischen Anforderungen, denen es unterliegt und schwerfällig hinterherhinkt. Dies ist also nicht allein ein Problem des Ausbildungssystems. Mit der "Demokratisierung" der Schulen und Hochschulen, die Ende der 50er Jahre dieses Jahrhunderts begann, erhöhte sich der Anteil der jungen Menschen aus proletarischen Familien an den Universitäten stetig. Mit der Sozialisierung der Bildung ging aber auch einher eine Inflation des "Wertes" von hohen Schulabschlüssen. "Die aus den kulturell am stärksten benachteiligten Familien stammenden Schüler oder Studenten", - Bourdieu bezeichnet diese als intern Ausgegrenzte, - "erlangen am Ende einer häufig mit schweren Opfern bezahlten langen Schulzeit aller Wahrscheinlichkeit nach nur einen entwerteten Titel, und wenn sie scheitern, was für sie noch das wahrscheinlichste Schicksal darstellt, dann sind sie zu einer zweifelsfrei stigmatisierenden und noch totaleren Ausgrenzung verurteilt als in der Vergangenheit: In dem Maße stigmatisierender, als sie anscheinend 'ihre Chance' gehabt haben und als die Institution Schule tendenziell immer ausschließlicher die soziale Identität definiert; noch totaler in dem Maße, als ein immer größer werdender Anteil der Plätze auf dem Arbeitsmarkt rechtmäßig und tatsächlich von den immer zahlreicheren Inhabern eines Diploms besetzt wird."[15] Interne Ausgrenzung funktioniert auch darüber, daß die finanziell am stärksten benachteiligten Studenten während ihres Studiums schlechtbezahlte Jobs annehmen müssen, um ihr Leben zu finanzieren. Darüber verlängert sich ihr Studium. Hinter langen Studienzeiten können aus Sicht der Herrschenden nur bummelnde Studenten sich verbergen. Bevorzugt werden deshalb schnelle Studenten, die - dieser Ideologie gemäß - die Fähigkeit zur Innovation und Leistung bewiesen haben. Der Bildung wird keine Zeit gelassen; Zeit kann sich das System nicht leisten; Zeit sei Geld. "Zeit aber steht für Liebe; der Sache, der ich Zeit schenke, schenke ich Liebe;" schreibt Horkheimer, "die Gewalt ist rasch."[16] Die neoliberalen Forderungen, Anreize für ein schnelles und Strafen gegen ein langes Studium einzuführen, sind Formen der Gewalt, die auf ein Verständnis des Menschen als Ware Arbeitskraft zurückzuführen sind. Nach kapitalistischen Prinzipien müssen diese Menschen als Humankapital optimal verwertet werden. Optimale Verwertung geht einher mit der Produktion egoistischer Idioten[17] und Automaten, die im Systemgetriebe optimal funktionieren, aber in Wahrheit kaum über soziale Qualitäten verfügen; - diese hätten sie erlernen können im politischen Engagement für eine Sache, in ganz normaler Beziehungsarbeit und auch in Gruppenarbeitsverhältnissen. Weil diese vorschnellen und fixen Studenten tendenziell auf diese Lebenssphären verzichten zugunsten eines schnellen Studiums - denn Betätigung in diesen Sphären bedeutet Aufenthalt und Verzögerung - verfügen sie kaum über soziale Fähigkeiten und verlassen die Hochschulen als Egoisten und Idioten, als Hypostasierung des Konkurrenzprinzips in ihrer Person, als willige Erfüllungsgehilfen des Marktes, als klassische, das Bestehende affirmierende Ja-Sager. Selbst ein verdinglichter Begriff von Bildung, verstanden als Prozeß, in dem das Subjekt Kulturgüter sich aneignet, - als habe Bildung etwas mit Besitz zu tun - scheint dieser Verwertungslogik gemäß den Profitinteressen bereits unpraktisch und umständlich zu werden. Etwas wert ist längst nicht mehr der, welcher Goethe und Schiller zitieren kann, sondern wer über bloße sogenannte Sekundärtugenden verfügt wie Redseligkeit, Charisma, Schläue und das ganze Spektrum der guten Manieren, die sich bereits in "guten Familien" erlernen lassen. Als ungebildet gelten diejenigen, die sich ungeschliffen, roh[18] und in diesem Sinne asozial gebärden. - Solche ungebildeten Menschen werden ebenfalls intern ausgegrenzt. Der Bildungsbegriff, auf den hier rekurriert wird, schien längst obsolet geworden zu sein; - er wiederholt sich als Farce: Bildung als "Umformung der ungeformten, primitiven Natur".[19] Daß Bildung offensichtlich wieder als Besitz guter Manieren verstanden wird, verweist um so deutlicher auf jene Rückbildung einer Gesellschaft, die sich einstellt, wenn, wie Adorno schreibt, "das Kraftfeld, das Bildung hieß, zu fixierten Kategorien" erstarrt ist - hier: zur fixierten Kategorie der Natur. Die Reflexion zielt zum einen auf das Selbst als den ganzen Menschen und denunziert die partikulare Funktionsbestimmtheit im Kapitalismus als unmenschlich: der Mensch geht in ökonomischen Kategorien nicht auf ... Was demgegenüber unter Ausbildung verstanden wird, trägt der Zunahme gesellschaftlicher Komplexität Rechnung: aufgrund immensen technischen Fortschritts nimmt auch die Spezialisierung in infinitesimalen Einzelbereichen zu. Die Tätigkeiten der nützlichen Arbeit sind weitgehend reduziert auf das bloße Kontrollieren der Maschinen, auf Verwaltung. - Die tendenzielle Beschränkung der Tätigkeiten auf das reine Verwalten macht die qualitative Neuerung in der Ausbildung aus. Gefragt ist der Fachmensch, dessen Fähigkeiten abgestimmt sind auf jene bürokratische Organisation, von der Max Weber schreibt, sie sei technisch jeder anderen Form überlegen.[20] "Fachmenschen müssen Autorität ausüben in Bereichen, in denen sie fachlich nicht qualifiziert sein können," schreibt Adorno, "während man ihrer besonderen, abstrakt-verwaltungstechnischen Eignung bedarf, damit der Betrieb funktioniert und in Gang bleibt."[21] Der Einzelne ist lediglich nur noch ein Rädchen in dem riesigen Apparat, der Gesellschaft ausmacht. Das, was die geistige Produktion von Kulturgütern noch voraussetzte und in diesen für den Rezipienten der Möglichkeit nach zum Greifen nahe lag, fällt der abstrakten Negation zum Opfer: Autonomie, Spontaneität und Kritik. "Autonomie: weil das Subjekt, anstatt sich bewußt zu entscheiden, in das je Vorgeordnete sich einfügen muß und will (...). Spontaneität schwindet: weil die Planung des Ganzen der einzelnen Regung vorgeordnet ist (...)Kritik schließlich stirbt ab, weil der kritische Geist in jenem Ablauf, der immer mehr das Modell von Kulturellem abgibt, stört wie Sand in der Maschine."[22] - Dieser Zusammenhang zerstört rückwirkend die Bedingungen der Möglichkeit einer emanzipativen Rezeption der Kulturgüter und insofern ihrer Rückführung in wirkliche, lebendige Kultur. Der Umschlag der Kulturgüter in Repressivität - kulturindustrieller Effekt - spielt der Kulturindustrie wiederum in die Hände: die ökonomische Verwertung der Kulturgüter bringt immense Profite und befördert zudem den Herrschaftserhalt. Der Neoliberalismus attackiert die sogenannte Überbürokratisierung aus Gründen der Effizienz und setzt an deren Stelle das Lean-Management, so daß auch in die noch-staatlichen Schnittstellen gesellschaftlicher Regulierungen Konkurrenzmechanismen und Profitlogik Einzug halten können. Privatisierung gesellschaftlicher Verantwortung um jeden Preis gilt als höchstes Ideal. Das affiziert seit drei Jahrzehnten nicht nur einen wie auch immer verstümmelten Bildungsbegriff, sondern grundsätzlich das Verhältnis von Staat, Kapital und Gesellschaft. Es ist das Resultat hauptsächlich zweier politischer Entscheidungen, daß der Staat kein Geld für Hochschulen hat, wenn gleichzeitig das Kapital Akkumulationsraten in schwindelnder Höhe verzeichnet. Zum einen verzichtet er gegenüber der Kapitalseite auf sein Expropriationsrecht, womit er sich einzig den Interessen des Kapitals willfährig zeigt. Zum anderen werden durch den bildungspolitischen Raubbau einem quasi naturwüchsigen privatwirtschaftlichen Wuchern, vermittelt durch die Anarchie des Marktes, die Tore geöffnet. Die neoliberale Ideologie der Privatisierung hinterläßt vom Staat nicht mehr als sein nötiges Gerippe - die Funktion des Gewaltmonopols[23] - und leistet dem survival of the fittest als totale Entfesselung der Konkurrenz zwischen den Vereinzelten Vorschub. Auf den höchsten Kommandoebenen des Kapitals nimmt aufgrund vorangeschrittener Zentralisierung und Monopolbildung die Konkurrenz zwar ab, auch wenn die Ideologie der Globalisierung genau das Gegenteil glauben machen will, die Beziehungen der Individuen auf den unteren Ebenen der Gesellschaft sind darum aber um so verstärkter durch Konkurrenz vermittelt, insofern die Individuen von Arbeitslosigkeit, Sozialabbau etc. bedroht oder sogar betroffen sind und je mehr die Globalisierungsideologie als Schreckgespenst ihre zweifelhaften, aber wirksamen Früchte trägt. Daß jene immer mehr werden, die nicht viel mehr zu verlieren haben als ihr vom Staat vergebenes Almosen, belegt die Tatsache des Auseinanderklaffens der Schere von Arm und Reich: immens angestiegene Arbeitslosigkeit bei gleichzeitigem hohen Zuwachs der Akkumulationsraten des Kapitals. - Das Kapital floriert nicht trotz, sondern aufgrund steigender Arbeitslosigkeit. Der Versuch, aus der kapitalistischen Agentur Hochschule eine Agentur gesellschaftlicher Emanzipation zu machen, muß fehlschlagen, solange Hochschule politökonomisch durchdrungen bleibt. - Durchdrungen wird die Hochschule politisch und ökonomisch nicht nur vermittels des mehr oder weniger direkten Zugriffs des Kapitals auf das Bildungssystem, sondern ebenso vermöge des studentischen Interesses, mit Hochschulabschluß einen angemessenen Beruf auf dem Arbeitsmarkt zu erhalten. Die Kritischen und Politischen Universitäten in Berlin (1967) und Frankfurt (1968) artikulierten symbolischen Widerstand gegen die bloße Indienstnahme der Hochschulen für Verwertungsinteressen. Möglich wurde diese Universität im Widerstand nur über die nach geltendem Recht illegale Besetzung im Zuge studentischer Streik- und Protestbewegung. Sowohl in Berlin wie auch in Frankfurt wurde versucht, die Universitäten durch Polizeieinsätze wieder zurückzuerobern. - Der vermeintliche Aufbau des Sozialismus in nur einer staatlichen Institution als Resultat isolierten akademischen Protestes erlitt seine Reintegration qua Flügelstutzung: gezähmt als Idee der Reformuniversitäten wurden die akademischen Proteste mit dem Kapitalinteresse wieder repressiv versöhnt, da die "wachsenden Widersprüche, die die Entwicklung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse hervorbrachte, und die zu ihrer Lösung nötigen höheren Organisationsformen des Kapitals, die zur Verwaltung sämtlicher Lebensäußerungen der Gesellschaft voranschreiten, (...) die Entwicklung 'exakter' Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in der Universität und die Ausbildung einer wachsenden Zahl von Wirtschafts- und Sozialtechnikern durch die Universität erforderlich [machten]. Die alte Aufgabe der Universität, Spitzenkader auszubilden, ist zu einer ihrer Randfunktionen geworden."[24] Die Hochschulen als Institutionen des bürgerlichen, d.h. kapitalistischen Staats können keine Agenturen eines libertären, sozialistischen Bildungsbegriffs sein, ohne gegen ihre staatliche Funktion zu verstoßen. Kein Staat würde auf Dauer eine Institution finanzieren, die die Aufhebung des Staates und des Kapitalismus, der eben diesen Staat notwendig macht, betriebe.[25] Viele der ehemaligen Studenten und gewordenen Staatsdiener, die vom langen Marsch durch die Institutionen eine Lösung sich versprachen, müssen heute, wenn sie ehrlich wären, eingestehen, daß der direkte Zugriff der staatlichen und kapitalen Disziplinarmühle auf diese über drei Jahrzehnte, sie mehr oder weniger zur Anpassung ihres Körpers[26] und Geistes hat bewegen lassen. Zum anderen zielt die Reflexion nicht minder auf das gesellschaftliche Ganze und denunziert die Einseitigkeit der Zweckbestimmung als Unfreiheit: auch Gesellschaft geht in ökonomischen Kategorien nicht auf. Bildung, die im Korsett der Kapitalinteressen stetig schlanker geschnürt wird, liegt so lange schon in Ohnmacht, daß kein bloßes Riechsalz ihr auf die Füße helfen könnte. Gesellschaft im Spätkapitalismus steht immer noch im Zeichen der Unfreiheit. Annähernd dieselben Mechanismen, mit denen der bürgerliche Bildungsbegriff es zu tun hatte, sind auch heute noch wirksam. Jedoch sind die Individuen in diese Mechanismen heute um so mehr verstrickt, je weiter der Verfall von Bildung vorangeschritten ist. Der Bildungsbegriff im Spätkapitalismus ist ein verfallener, ein Nicht-Begriff, der Spuren, die an größere Zeiten erinnern, in sich trägt. Zugleich könnte in diesen Spuren seine Revitalisierung angelegt sein. Wirkliche Bildung, die ihrem Anspruch gerecht würde, müßte sich, das Individuum und Gesellschaft vom Konkurrenzprinzip befreien.[27] Die Formulierung von Bedürfnissen und Interessen, in denen der Mensch als Mensch sich selbst Zweck ist und dabei nicht dem falschen Schein seiner vermeintlichen Autonomie aufsitzt, hängt gerade von dem Vermögen der Reflexion auf die Fremdbestimmtheit seines Lebens ab, das bis in die intimsten Bereiche hinein vermittelt ist durch die kapitalistische Gesellschaft und ihren Äquivalententausch. Die Reflexion auf den Zwang totaler Vergesellschaftung, auf die subtilen Formen kapitalvermittelter Autorität und Herrschaft würde heutzutage Bildung ausmachen: vermöge des eigenen Geistes den objektiven Verblendungszusammenhang dieser Gesellschaft zu durchdringen, sich selbst im Bestehenden zu verorten, zu reflektieren auf die eigene Rolle, die man im Bestehenden spielt, auf die Funktion, die man unbewußt und automatisch ausübt. Selbstverortung im Ganzen heißt im Zusammenhang mit Bildung aber auch, das bloße Dasein in der Rolle, die Funktion, den gesellschaftlichen Zwang und Herrschaft infrage zu stellen. Die Reflexion zielt einerseits auf das Selbst als den ganzen Menschen und denunziert die partikulare Funktionsbestimmtheit im Kapitalismus als unmenschlich: der Mensch geht in ökonomischen Kategorien nicht auf. Im Kapitalismus ist er ausbeutbares lebendiges Mittel zu Zwecken außerhalb seiner selbst: der Selbstverwertung des Wertes. Andererseits zielt die Reflexion nicht minder auf das gesellschaftliche Ganze und denunziert auch hier die Einseitigkeit der Zweckbestimmung als Unfreiheit: auch Gesellschaft geht in ökonomischen Kategorien nicht auf. Kapitalistische Ökonomie und Staat sind Barrieren für den Fortschritt der Gesellschaft im allgemeinen und für das Leben der Individuen im besonderen. Bildung müßte heute, um Bildung zu sein, diese Problematik zum Gegenstand haben; sie wäre insofern bestimmte Kritik, Parteinahme fürs Nicht-Bestehende. Bildung hätte sich gerade auch auf das zu beziehen, was unterm Kapitalismus sich zurückbildet oder zugerichtet wird: zum Beispiel die Phantasie. Die gestalterische, schöpferische Kraft des Menschen, die Marx in den Grundrissen als lebendiges und gestaltendes Feuer beschreibt und als lebendige Arbeit bezeichnet,[28] erleidet im kapitalistischen Produktionsprozeß den Verlust ihres schöpferischen Glücks. Entwicklung, Entfaltung und Ausbeutung der Produktivkraft lebendiger Arbeit funktioniert qua Zurichtung der Phantasie und Kreativität. Euphemistisch wird es Disziplinierung genannt. Dahinter steht aber ein Gewaltverhältnis, vermöge dessen die Menschen auf Anpassung getrimmt werden, indem sie ihre Kreativität und Phantasie verlieren. Ihre Wünsche und Träume verblassen hinter der stumpfen Arbeit, die ihren Alltag bestimmt. Die wilden Energien der lebendigen Arbeit sind gebändigt, für das bestehende Ganze zwecks kapitaler Verwertung nutzbar gemacht. Ohne Phantasie aber keine Utopie. Ohne Utopie ebenso keine reflektorische Praxis, die eine befreite Gesellschaft und befreite Individuen zum Ziel sich nimmt. Das Denken des Ganz Anderen bedeutet heutzutage die Befreiung des Individuums von dem gesellschaftlich anbefohlenen Utopieverbot. Statt der Fetischisierung der Leistung und des Nutzens anheimzufallen, mithin die kapitalistische Produktionsweise als Selbstzweck im Denken zu reproduzieren, müßte Bildung bedeuten, die gesellschaftlich marginalisierte Ästhetik aus ihrem Schattendasein zu befreien und als politisierte ins Zentrum von Gesellschaft zu rücken. Bilden seiner selbst würde endlich bedeuten: sich selbst zugleich als Künstler und als den einzigartigen Marmor zu begreifen, den es zu formen und nicht zu verschandeln gelte. Ebenso ließe Gesellschaft als künstlerisches Projekt sich begreifen, die es weiterhin zu bilden gelte und deren Vollendung erst mit dem letzten Pinselstrich, der wirkliche Befreiung vergegenständlichte, erreicht wäre.[29] Die Ästhetik ist eine entscheidende Dimension der Freiheit; "sie verwirft Gewalttätigkeit, Grausamkeit und Brutalität und gehört deshalb zu den wesentlichen Qualitäten einer freien Gesellschaft - nicht als abgesondertes Reich 'höherer Kultur', sondern als Triebkraft und wirksames Motiv beim Errichten einer solchen Gesellschaft."[30] Kapitalistische Ökonomie und Staat sind Barrieren für den Fortschritt der Gesellschaft im allgemeinen und für das Leben der Individuen im besonderen. Bildung, um ihren ästhetischen Aspekt nicht beschnitten, erfordert ihrem Begriffe nach die Anerkennung einer emphatischen Wahrheit, die die menschlichen Dinge an dem mißt, "was sie selber bedeuten wollen".[31] Solch wahrem Interesse Advokat zu sein, bedeutet, Wissenschaft als "Wiederentdeckung der wahren Formen der in der bestehenden Wirklichkeit verzerrten und verneinten Dinge"[32] zu begreifen, denn "die Wahrheit liegt in der Phantasie, Zärtlichkeit und Leidenschaft der Opfer und nicht in der Rationalität der Unterdrücker."[33] Aber nicht nur für die Rationalität der Herrschaft ist Wahrheit das Andere, sondern auch dort, wo Vernunft gegen Herrschaft ihrem eigenen Anspruch nach sich wendet, aber zugleich Begehren und Phantasie unterdrückt. Beide Formen: Rationalität der Herrschaft und Herrschaft der Rationalität sind repressiv gegenüber dem ganzen Menschen, der sowohl das Bedürfnis nach einer befreiten, vernünftigen Gesellschaft als auch nach einer Befreiung seiner Lüste und Begehren von der Herrschaft des Realitätsprinzips verspürt. "An der Synthese selbst sind Sinnlichkeit, Phantasie und Verstand gleichermaßen beteiligt."[34] Gerade vermöge der Phantasie, vermittels derer die Realität mit der Idee, die Wirklichkeit mit der Möglichkeit konfrontiert wird,[35] erweist sich Kritik erst als wirkliches movens für Geschichte, neben der materiellen also auch die geistige Arbeit als bewegende Kraft, die das Bestehende zu transzendieren vermag. Das Dilemma aber, in dem solcher Bildungsbegriff sich befindet, ist sein metaphysisches Freischweben, da lediglich Einzelne sich seiner annehmen und als geistige Waffe einsetzen, aber doch vereinzelt bleiben. - Schließlich kömmt es darauf an, die Welt nicht nur zu interpretieren, sondern auch zu verändern. Die Beherrschten sollten Interesse an solchem Bildungsbegriff haben. Wo sie nicht selbst auf ihn verzichten, wird ihnen immer deutlicher auch noch der materielle Zugang verwehrt. Aber wo könnte auch der Ort dieses Zugangs sich befinden? Die Hochschulen in ihrem jetzigen Zustand sind es kaum. Anmerkungen:[1] Theodor W. Adorno, Theorie der Halbbildung, in: Soziologische Schriften 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 93. [2] Adorno, a.a.O., S. 95. [3] Adorno, a.a.O., S. 97. [4] So wähnte z.B. Hegel als herausragender Vertreter der bürgerlichen Philosophie Willen, Subjektivität, Besonderheit als autonome Begrifflichkeiten, die ihre Vernünftigkeit jedoch nur "in ihrer gegensatzlosen Einheit mit dem Allgemeinen" erhielten. - G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Anmerkung zu § 141. [5] Hegel, a.a.O., § 183. [6] Auch heute werden Bürgerrechte vom Staat nicht konsequent an alle Mitglieder einer Gesellschaft verliehen. Das Recht des Menschen, in den Genuß der Bürgerrechte zu kommen, wird davon abhängig gemacht, inwieweit er gleichzeitig den bürgerlichen Pflichten und Sitten sich unterwirft. - So entschied das Kölner Oberlandesgericht am 7.1.1998 auf Grund der Klage eines Musiklehrers, der sich durch das Lallen, Schreien und Stöhnen seiner geistig behinderten Nachbarn belästigt fühlte, daß diese künftig im Frühling und Sommer nur noch zu bestimmten Zeiten reden dürften. Das Urteil begründeten die Richter mit der Fremdartigkeit der von den geistig Behinderten artikulierten Laute. (Frankfurter Rundschau v. 10.1.1998) - Die Aberkennung des bürgerlichen Rederechts für geistig behinderte Menschen bedeutet, diesen nicht nur ein Recht zu nehmen, das die Sphäre des Bürgers berührt, sondern ebenso ihre Würde als Menschen zu nehmen. Behinderten allgemein ihre Geschäftsfähigkeit als Bürger abzuerkennen, bedeutet ebenso, ihnen ihre Mündigkeit als Menschen abzuerkennen. Im Umkehrschluß heißt dies: nur der gilt als Mensch anerkannt, der auch als Bürger anerkannt gilt, d.h. seinen bürgerlichen Pflichten nachkommen kann. Als erste Pflicht des Bürgers wird seine Geschäftsfähigkeit angesehen. [7] Karl Marx, Zur Judenfrage, MEW Bd. 1, S. 364 ff. [8] "Die Qualitäten, die dann nachträglich den Namen Bildung empfingen, befähigten die aufsteigende Klasse zu ihren Aufgaben in Wirtschaft und Verwaltung. Bildung war nicht nur Zeichen der Emanzipation des Bürgertums, nicht nur das Privileg, das die Bürger vor den geringen Leuten, den Bauern, voraus hatten. Ohne Bildung hätte der Bürger, als Unternehmer, als Mittelsmann, als Beamter und wo auch immer kaum reüssiert." - Adorno, a.a.O., S. 98. - Bürgerliche Bildung war auch hier schon Ausbildung, insofern sie es mit der Aneignung funktionellen Wissens zu tun hatte. [9] Adorno, a.a.O., S. 99. [10] Zugespitzter formuliert findet sich diese Paradoxie bei Peter Brückner: "Die Übernahme bürgerlich-kleinbürgerlicher Reputation, d.h. zunächst von Formalien, in Schichten der arbeitenden Bevölkerung erinnert an die Übernahme äußerer Merkmale der 'Herrenkultur' durch ein Kolonialvolk. Noch die Beschäftigung mancher Arbeiterbildungsvereine mit Goethe oder Schiller, während ihnen die Bourgeoisie das Fell über die Ohren zog, hat etwas von der Absurdität des Schlipses, den der ausgeplünderte Eingeborene sich umhängt. Hierin wurzelt letztlich die Bedeutung, die Statussymbole für breite Bevölkerungsmassen gewonnen haben." - Peter Brückner, Zur Sozialpsychologie des Kapitalismus, Hamburg 1981, S. 19. [11] Vgl. Brückner, a.a.O., S. 22 f. [12] Von der Dialektik zwischen Repression und Widerstand sind auch die Sozialdemokraten nicht verschont geblieben. "Das Unrecht erbt sich fort an dessen Widerstand. Er wiederum verstärkt das unterdrückende Prinzip, während zugleich das Unterdrückte vergiftet sich weiterschleppt. Alles schreitet fort in dem Ganzen, nur bis heute das Ganze nicht." - Theodor W. Adorno, Fortschritt, in: Stichworte. Kritische Modelle 2, Frankfurt a.M. 1969, S. 35. [13] Adorno, Theorie der Halbbildung, a.a.O., S. 96. [14] Oskar Negt, Plädoyer für einen neuen Bildungsbegriff, in: Keine Demokratie ohne Sozialismus. Über den Zusammenhang von Politik, Geschichte und Moral, Frankfurt a.M. 1976, S. 357. [15] Pierre Bourdieu et al, Das Elend der Welt. Zeugnisse und Diagnosen alltäglichen Leidens an der Gesellschaft, Konstanz 1997, S. 529. [16] Max Horkheimer, Begriff der Bildung, GS Bd. 8, S. 411. [17] Nicht zufällig geht der Idiot auf das alt-griechische idiotes - der Privatmann zurück. [18] Dieser Sachverhalt erinnert an Hobbes' Idee der "Bändigung des Animalischen". [19] Horkheimer, a.a.O., S. 410. - "Es gibt nichts Unbetretenes mehr. Es sieht so aus, als wäre überhaupt kein Stückchen unerfaßter Natur mehr übrig, weder draußen noch drinnen. (...) Symbolisch für das Drinnen ist die Tendenz des Großbetriebes, die menschlichen Beziehungen bis ins Kleinste zu regulieren. Nicht bloß werden Verkäuferinnen im Lächeln ausgebildet und der Betriebsleiter in Menschenbehandlung, sondern es wird gang und gäbe, das mühsam gelernte, wohl gar durch Psychotherapie bewirkte, unverpflichtende, neutrale Wesen, das durch Bekundung von Affekten sich keine Schwierigkeiten schafft und mit den Spielregeln der Gesellschaft auf gutem Fuße steht, als das natürliche anzusehen - und das natürliche in seiner Befangenheit als unnormal. (...) Der Prozeß der Bildung ist in den der Verarbeitung umgeschlagen." Ebd, S. 411. [20] Vgl. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, Tübingen 1980 (1921), S. 569 f. - "Eine einmal voll durchgeführte Bürokratie gehört zu den am schwersten zu zertrümmernden sozialen Gebilden. Die Bürokratisierung ist das spezifische Mittel, (...) 'Gemeinschaftshandeln' in rational geordnetes 'Gesellschaftshandeln' zu überführen. Als Instrument der 'Vergesellschaftung' der Herrschaftsbeziehungen war und ist sie daher ein Machtmittel allerersten Ranges für den, der über den bürokratischen Staat verfügt." - Ebd. [21] Theodor W. Adorno, Kultur und Verwaltung, in: Soziologische Schriften I, a.a.O., S. 127. [22] Adorno, a.a.O., S. 138. [23] Inwieweit auch dies vermittels seiner Instrumentalisierung durch einzelne Großkonzerne faktisch ad absurdum geführt werden kann, läßt sich z.B. in Nigeria gut beobachten. Zudem gehört auch in der sogenannten zivilisierten Welt die Privatisierung staatlicher Ordnungsaufgaben längst zum Alltag demokratischer Praxis und wird weiter ausgebaut. [24] Wolfgang Lefèvre, Reichtum und Knappheit. Studienreform als Zerstörung gesellschaftlichen Reichtums, in: Bergmann, Dutschke, Lefèvre u.a., Rebellion der Studenten oder die neue Opposition, Hamburg 1968, S. 122. [25] Auch an der Universität Hannover hat der Staat seiner Funktion alle Ehre gemacht, als gegen Peter Brückner 1977 im Zusammenhang mit der "Mescalero-Affaire" ein Disziplinarverfahren und damit der Beginn einer systematischen Zerstörung seiner Existenz als Hochschullehrer und Mensch eingeleitet wurde. [26] Sie nehmen auf ihren Sesseln meistens zu. [27] Damit kann nicht gemeint sein, daß es ausreichte, die Wolfsnatur (Hobbes) im Menschen zu bändigen, wie es auch der Protestantismus als religiöses Pendant zum Kapitalismus sich vorstellt. Es wäre fatal für emanzipative Praxis, zu glauben, wenn allein der Mensch sich besserte ("Bändigung des Animalischen"), wendete auch Gesellschaft sich zum Guten. Das Kapital hat Gesellschaft total im Griff. Die reale Subsumtion von Gesellschaft unters Kapital macht die Verhältnisse so steinern, daß nur materielle Gewalt sie aufzusprengen vermag. - "Freilich ist keine qualitative gesellschaftliche Veränderung, kein Sozialismus ohne die Entwicklung einer neuen Rationalität und Sinnlichkeit bei den Individuen selbst möglich: kein radikaler gesellschaftlicher Wandel ohne radikalen Wandel der Individuen, die seine Träger sind. Solche individuelle Befreiung bedeutet jedoch ein Überwinden des bürgerlichen Individuums (für das der Widerspruch zwischen privater Verwirklichung und gesellschaftlichen Verrichtungen konstitutiv ist) und gleichzeitig eine Wiederherstellung jener Dimension des Ichs, der Privatheit, die einst von der bürgerlichen Kultur geschaffen wurde. Aber das bürgerliche Individuum wird nicht dadurch überwunden, daß man gesellschaftliche Anforderungen einfach ignoriert, zum Drop-out wird und seinen eigenen Lebensstil praktiziert. Natürlich gibt es keine Revolution ohne individuelle Befreiung, aber auch keine Befreiung des Individuums ohne die der Gesellschaft. Das ist die Dialektik der Befreiung." - Herbert Marcuse, Konterrevolution und Revolte, Frankfurt a.M. 1973, S. 61. [28] Vgl. Karl Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, MEW Bd. 42, S. 278. [29] "Ist es nicht wenigstens außer der Zeit, sich nach einem Gesetzbuch für die ästhetische Welt umzusehen, da die Angelegenheiten der moralischen ein soviel näheres Interesse darbieten und der philosophische Untersuchungsgeist durch die Zeitumstände so nachdrücklich aufgefordert wird, sich mit dem vollkommensten aller Kunstwerke, mit dem Bau einer wahren politischen Freiheit zu beschäftigen?" - Friedrich Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen, Sämtliche Werke, Bd. 5, Darmstadt 1993, S. 571 f. [30] Marcuse, a.a.O., S. 82 f. - "Eine Frau hält auf dem Gemälde von Delacroix die Fahne der Revolution in der Hand und führt das Volk auf die Barrikaden. Sie trägt keine Uniform; ihre Brüste sind entblößt, und ihr Gesicht zeigt keine Spur von Gewalt. Aber in der Hand hat sie ein Gewehr - denn das Ende der Gewalt muß noch erkämpft werden." - Marcuse, a.a.O., S. 94. [31] Institut für Sozialforschung, Begriff der Soziologie, in: Soziologische Exkurse. Nach Vorträgen und Diskussionen, Frankfurt a.M. 1956, S. 18. [32] Marcuse, a.a.O., S. 84. [33] Marcuse, a.a.O., S. 113. [34] Ebd. [35] Marcuse spricht vom idealistischen Kern des dialektischen Materialismus. - Vgl. Marcuse, a.a.O., S. 85. Der Beitrag ist zuerst erschienen in: "Vom Nutzen der Kritik. Perspektiven der Studierenden und ihrer Proteste", herausgegeben von Susanne Schmidt und Marcus Hawel, mit Bezrägen von Eva Barlösius, Michael Buckmiller, Ursula Hansen, Marcus Hawel, Thomas Köhler/Jörg Gapski, Gregor Kritidis, Oskar Negt, Susanne Schmidt und Michael Vester, Hannover 1998. Kontext:
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