Nach dem 11. September 2001, so hieß es, sei nichts mehr wie es war. Tatsächlich begann bereits 1990 mit dem Golfkrieg ein neues Kapitel in der Geschichte der internationalen Kriege. Nach dem Zusammenbruch der UDSSR ging die Weltmacht USA als Sieger des Kampfes um weltweite Dominanz hervor.
Das Mittel des Krieges läßt sich schwer von Herrschaft trennen – und doch ist meist dort, wo Krieg geführt wird, die Herrschaft nicht so stark gesichert, wie man glauben mag. Das Wechselspiel zwischen Macht und Gewalt deutet meist auf ein Machtvakuum hin, in der der Krieg »die Fortführung der Politik mit anderen Mitteln« darstellt. Dieser Ausspruch wirft auch ein Licht auf die Politik des vermeintlichen Friedens: Der »Krieg im Frieden« (Sartre) ist die Politik der vermeidlich ruhigen Zeiten.
( Mehr... ) Marcus Hawel, Vor 13 Jahren ereignete sich das Massaker von Srebrenica. Wie sich die Phrase der "humanitären Intervention" in der deutschen Außenpolitik etablierte [ Juni 2008 ]
Noch bevor in den 1990er Jahren die Formel von der "humanitären Intervention" wieder in der Legitimationsrhetorik in Mode gekommen war, schrieb Gerhard Stuby resümierend, die Phrase hinterlasse einen schalen Geschmack. "Welche Intervention in der jüngsten Geschichte erfolgte nicht aus ›humanitären‹ Gründen?" Hinsichtlich der dann wieder in Mode gekommenen Verschleierung "geostrategischer Interessen" durch Menschenrechtsrhetorik schrieb Michael Jäger: "Statt wenigstens von Menschenrechten zu schweigen, wo sie das elementare ökologische Menschenrecht nicht kennen und ja auch die sozialen Menschenrechte mißachten, setzen die Führer des Westens sie ein, um Enteignungs-Interessen damit zu bemänteln."
Eckart Spoo, Dem Feind ein Gesicht geben. Aus dem Ossietzky-Sonderheft "Nein zum Krieg gegen den Irak" [ Januar 2003 ]
Dem Feind ein Gesicht geben - das ist das Wichtigste, was Journalisten in Vorkriegszeiten zu tun haben, jedenfalls dann, wenn sie ihre berufliche Verantwortung wahrnehmen und helfen wollen, den Krieg zu verhindern. Aber in den Medien geschieht zumeist das Gegenteil: Man gibt dem "Feind" eine Fratze, macht ihn gerade dadurch zum Feind und läßt ihn nicht zu Wort kommen.
Oliver Klauke, Die Umarmung der unverbrüchlichen Freunde. Bushs historische Rede vor dem Bundestag [ Juni 2002 ]
George W. Bush benahm sich während seines Staatsbesuches in Berlin laut einhelliger Meinung überhaupt nicht wie ein Kriegstreiber, sondern wie ein wahrhaft weltmännischer Diplomat. Als hätte er ein Flugblatt der Globalisierungskritiker von attac gelesen, betonte er in seiner Rede vor dem Bundestag, daß der internationale Terrorismus sich in Ländern festsetze, in denen Armut und Elend vorherrschend seien und man deshalb eine bessere Welt schaffen müsse, um den Terror endgültig zu besiegen. Die historischen Vergleiche des George W. Bush, mit denen er unter dem schallenden Applaus seiner unverbrüchlichen Freunde den "Krieg gegen den Terror" auf die Höhe der geschichtlichen Tragödie zu heben sucht, erscheinen schon nach kurzem Hinsehen als eine Farce.
Anne Rieger, Warum Kriege geführt werden. [ April 2002 ]
Die Terroranschläge des 11. September 2001 sind nicht die Ursache des Afghanistan-Krieges. Sie wurden als Vorwand genutzt, um einen spätestens seit Juli 2001 in Erwägung gezogenen Krieg zu führen. Ursache sind militärische und ökonomische Interessen. Es geht um Ressourcen und Märkte, vor allem um Öl und Erdgas, die den gesamten Wirtschaftskreislauf in Fluß halten.
Johan Galtung, September 11 2001: Diagnosis, Prognosis, Therapy. [ Dezember 2001 ]
Politics, like communication is seen in terms of who does what to whom, how-when-where, and why. The what-how-when-where of the September 11 attack in New York and Washington is clear; the problems are who and why. But why is at least clear up to a certain point. Like the presidential palace in Santiago, Chile, also bombed on a September 11 (1973) somebody had something against what happened inside some buildings: the capitalism of the US world trade and the militarism of the US Pentagon for year 2001; the politics of the Unidad Popular for year 1973.
Gregor Kritidis, Krise und Krieg. Der Krieg in Afghanistan ist ein Symptom für die gesellschaftliche Krise des Westens [ November 2001 ]
Die von der Bundesregierung geplanten bzw. bereits verabschiedeten Gesetze zur inneren Sicherheit zielen nicht in erster Linie auf den internationalen Terrorismus, sondern auf den potentiellen inneren Feind. Wer sich seiner Sache nicht sicher ist, muß zu autoritären Mitteln greifen. Dem Sozialabbau folgt der Demokratieabbau auf dem Fuß. Gleiches gilt für die "Antiterrormaßnahmen" in den anderen westlichen Staaten.
Johan Galtung, The United States, the West and the Rest of the World. [ November 2001 ]
The world will never be the same again after the terrible attack on the economic US, the military US, the foreign policy US, and on human beings like all of us. We embrace the victims of the violence, of all violence, in deep grief, and express our hope that those responsible will be brought to justice. A violence at this level can only be explained by a very high level of dehumanization of the victims in the minds of the aggressors, often due to a very deep level of unresolved, basic conflict. The word "terrorism" describes the tactics, but like "state terrorism" only portrays the perpetrator as evil, satanic, and does not go to the roots of the conflict.
Utz Anhalt, Die tödliche Logik des Terrors. Ein Spiegelbild des Neoliberalismus? [ November 2001 ]
Waren die Attentäter Zauberlehrlinge des Neoliberalismus, des Business as usual? Exerzierten sie eine neue innovative Strategie auf dem Militärmarkt? Im Bereich der Technik des Todes exerzierten die Mörder von New York in grausiger Konsequenz das Mantra des Neoliberalismus: Sie hatten eine vollkommen neue Idee, auf die niemand anders gekommen war. Hier waren sie, die Unternehmer mit Biß - die Typen mit Killerinstinkt - diejenigen, die die neoliberale Doktrin, in der nicht der Weg, sondern das Ergebnis zählt, in der Sieg in der Konkurrenz mit anderen alles ist, zur extremsten Konsequenz brachten - die totale Selbstverwirklichung als totale Vernichtung - eine Selbstüberhöhung des kapitalistisch-darwinistischen Fressen und Gefressen werden, vor der Olaf Henkel seinen Hut ziehen müßte.
Eckart Spoo, Warnung vor blinder Folgsamkeit. [ Oktober 2001 ]
Wenn wir nämlich einmal die Frage nach den Tätern beiseite schieben und uns mit der Frage befassen, wer Nutzen aus den Anschlägen zieht, können wir unschwer feststellen: Bushs Umfragewerte sind steil emporgeschnellt, d.h. er hat große Handlungsfreiheit gewonnen; gestiegen sind auch - in einem tiefen Konjunkturtal - die Aktien der Rüstungskonzerne; viele Länder sind unter Druck geraten, ihre Rüstungsprogramme zu erweitern und zu beschleunigen; widerspruchslos erhalten die USA in vielen Ländern Stützpunkte, Überflugrechte und die Ermächtigung zu geheimdienstlichen Aktivitäten; die Position der USA als einzige Supermacht wird ausgebaut und befestigt - ohne Rücksichten auf die Vereinten Nationen und aufs Völkerrecht; Kritik an imperialistischer Globalisierung wird als "antiamerikanisch" diffamiert, eingeschüchtert, marginalisiert; Militarisierung im Innern vieler Länder beschränkt die Möglichkeiten antikapitalistischer, radikaldemokratischer Opposition.
Utz Anhalt, Von Bagdad nach Pristina und von Pristina nach Kabul. [ Oktober 2001 ]
Die Pipeline soll überall langgehen dürfen, nur nicht durch das Hoheitsgebiet der alten Herrscher. Mit der Bezwingung Rest-Jugoslawiens sicherten sich die USA einen Zugang zum Mittelmeer. Über den NATO-Partner Türkei ist der Zugang nach Mittelasien ermöglicht. Das Nadelöhr auf der anderen Seite, um an den Reichtum des Kaukasus und Mittelasiens heranzukommen, ist Afghanistan. Ein Sturz der Taliban und die Etablierung einer amerikafreundlichen Regierung würde die Möglichkeit der Erschließung der Ölquellen durch den Bau einer transafghanischen Pipeline in greifbare Nähe rücken lassen.
Rosalind P. Petchesky, Phantom Towers. Feminist Reflections on the Battle between Global Capitalism and Fundamentalist Terrorism [ Oktober 2001 ]
While I do not see terrorist networks and global capitalism as equivalents or the same, I do see some striking and disturbing parallels between them. I picture them as the phantom Twin Towers arising in the smoke clouds of the old - fraternal twins, not identical, locked in a battle over wealth, imperial aggrandizement and the meanings of masculinity. It is a battle that could well end in a stalemate, an interminable cycle of violence that neither can win because of their failure to see the Other clearly. Feminist analysts and activists from many countries - whose voices have been inaudible thus far in the present crisis - have a lot of experience to draw from in making this double critique. Whether in the UN or national settings, we have been challenging the gender-biased and racialized dimensions of both neoliberal capitalism and various fundamentalisms for years, trying to steer a path between their double menace. The difference now is that they parade onto the world stage in their most extreme and violent forms.
Michael Fischer, »It's down, it's down!«. Terror, Krieg und Zivilisation zu Beginn des 21. Jahrhunderts [ September 2001 ]
»Schurkenstaaten« werden mit williger Unterstützung kommerzieller und populistischer Medienkonzerne konstruiert, »das Böse« allmählich auf diesem Planeten lokalisiert, der Krieg ist beschlossene Sache, es soll kein einmaliger Militärschlag sein, sondern ein »Feldzug«, das Leben von hunderttausenden Menschen, denen erst »das Böse« übergestülpt und dann das Fell über die Ohren gezogen wird, steht jetzt auf dem Spiel.[9] Symbolischer Akt trifft auf symbolischen Akt und dazwischen werden unzählige Menschen zerrieben.
Marcus Hawel, The Invisible Enemy. Über die Kriegshetze zur Vorbereitung der "Operation Noble Eagle" [ September 2001 ]
Noch bevor die politische Herkunft der Attentäter ausfindig gemacht werden konnte, stand die Reaktion der amerikanischen Militärmacht fest. Auf eine Kriegserklärung muß Krieg folgen. Krieg freilich führt man in der modernen Welt gegen Staaten oder Organisationen, die von Staaten unterstützt werden, nicht aber gegen einzelne Terroristen. Und weil die Reaktion der amerikanischen Militärmacht schon fest stand, ist die Suche nach dem Feind, die Konstruktion des Feindbildes davon beeinflußt - nicht umgekehrt.
Utz Anhalt, Vorgestern New York. Morgen Bagdad, Kabul, Teheran, Karáchi? Nach dem Terror ist vor dem Krieg [ September 2001 ]
Zu King Kong, Godzilla und Independence Day kommt nun das Spätprogramm: Charles Bronson und John Wayne, gemischt mit Mission Impossible, Rambo und The Night of the Living Dead. Die Nebenrollen des Italowesterns werden gespielt von einigen Hilfssheriffs; Bodensatz, der aus dem Absinth der Jauchegrube neben der Pferdetränke an die Spitzen der europäischen Regierungen gelangt ist.
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