Den Aufsatz kommentieren Vorgestern New YorkMorgen Bagdad, Kabul, Teheran, Karáchi? Nach dem Terror ist vor dem Kriegvon Utz Anhalt "Wer greift uns
an?" Die Bilder sitzen tief. Ohne eine Spur von öffentlicher Kritik wird von der NATO und den europäischen Regierungen angekündigt, daß das Völkerrecht gebrochen werden wird." The Second Day After. Olaf Henkel debattiert vor einem Bild des Brandenburger Tores mit Bankdirektoren und Vorsitzenden von Aktienvereinen über die Stabilisierung der Märkte, den Verlust an Human- und Produktionskapital in den USA. Das "schreckliche Ereignis" hat die Kurse nur kurzfristig durcheinander bringen können. Während Stoiber die Bewachung deutscher Flughäfen durch die Bundeswehr fordert und der Stereotyp des Islam als rassistisches Feindbild die Medienlandschaft beherrscht, rüsten die Herren der westlichen Welt zum Krieg. Mit einer unvorstellbaren Selbstverständlichkeit (der Terroranschlag auf New York war kein erklärter Krieg) bekennt sich die deutsche Bundesregierung zur bedingungslosen Unterstützung der USA bei jeglicher Maßnahme. Ohne eine Spur von öffentlicher Kritik wird von der NATO und den europäischen Regierungen angekündigt, daß das Völkerrecht gebrochen werden wird. Die Bilder sitzen tief. Statt politisch zu demonstrieren, sammeln sich Europäer und Amerikaner in überfüllten Kirchen. Der Feind, das Urböse, ist erkannt worden. Der grauenhafte Massenmord, höchstwahrscheinlich von ausgebildeten Selbstmördern eines durch die USA hochgezüchteten saudiarabischen Multimillionärs verübt, ermöglicht es den Reaktionären auf der anderen Seite, nachzuziehen. Während die westliche Zivilisation gegen die Barbarei in den Krieg zieht, werden in Windeseile zivilisatorische und demokratische Errungenschaften aufgelöst. Saddam wirft ein, daß die USA die Quittung für ihre Cowboy-Spiele bekommen hätten; Schily salutiert den USA mit verschärften Sicherheitsmaßnahmen, die er bereits vor dem weltgeschichtlichen Bruch in Manhattan mit dem für die Folterungen in Genua verantwortlichen italienischen Innenminister abgesprochen hatte; Putin, der Schlächter von Tschetschenien bietet seine Hilfe an. Die irreale Primitivsoziologie des clash of civilisations gewinnt durch die Exekutoren der Weltpolitik an Realitätsgehalt. Die Rhetorik der euroamerikanischen Politiker seit zwei Tagen läßt einen gemeinsamen Vergeltungsschlag der Herren der fortgeschrittenen kapitalistischen Staaten erwarten, der die Dimension eines mittelschweren Krieges bekommen könnte. Im Visier stehen die Schurkenstaaten Iran, Irak, Pakistan und Afghanistan. Sowohl der Terrorist Ibn Ladin als auch Bush folgen einem manichäistischen, einem dichotomen, religiös verblendeten Weltbild, in dem Gut und Böse klar festgeschrieben sind und die Erlangung des Guten durch die Vernichtung des Bösen erreicht wird. Ussama Ibn Ladin und George W. Bush sind dabei ideologische Feinde in einem Drama, in dem sie sich aufgrund einer ähnlichen Gedankenstruktur gegenseitig die Bälle zuwerfen können. Dem religiösen Terroristen, der aus einer Epoche (einem mythologisierten islamischen Mittelalter) die andere Epoche (europäische Aufklärung, Neuzeit) zu bekämpfen sucht, steht der mächtigste Mann der Welt gegenüber, der als fundamentalistischer WASP (White Anglo Saxon Protestant) alle Voraussetzungen aufweist, um "adäquat" reagieren zu können, da er neben dem Glauben an die jeweils modernste Technik das Alte Testament als Mikrochip gespeichert hat. Während Ussama Ibn Ladin seit Jahren erklärt, die "ungläubigen" Amerikaner zu töten: im Namen Allahs, verkündet Bush nach dem Massenmord, die Feiglinge zur Strecke zu bringen und beschwört Gott. Sowohl der Terrorist Ibn Ladin, der seine militärischen und strategischen Kenntnisse in von der CIA unterhaltenen Lagern im Krieg gegen das damals kommunistisch-regierte Afghanistan erwarb, als auch Bush folgen einem manichäistischen, einem dichotomen, religiös verblendeten Weltbild, in dem Gut und Böse klar festgeschrieben sind und die Erlangung des Guten durch die Vernichtung des Bösen erreicht wird. So werfen beide sich gegenseitig die Bälle zu und werden voraussichtlich auch in Zukunft in einer ähnlichen Logik handeln. Das Symbol des internationalen Kapitalismus existiert nicht mehr. Der Gründungsmythos der USA, die niemals auf ihrem eigenen Territorium geschlagen wurden, ist verletzt, das amerikanische Selbstbewußtsein getroffen, die materiellen Schäden astronomisch. Es wäre naiv, zu denken, daß die Reaktion der religiösen Fundamentalisten in Gods own country auf die Kriegserklärung der islamischen Faschisten mit etwas anderem als einem mittelschweren Inferno antworten würde. Vier Länder, die als Unterschlupf für die terroristischen Fanatiker islamischer Religionszugehörigkeit gelten, und die es in ihrer heutigen Form durch die Beihilfe der USA gibt, stehen nun im Fadenkreuz: Afghanistan, Pakistan, Irak, Iran. In Afghanistan sind seit einigen Jahren Theokraten an der Macht, die sich Taliban nennen und deren Banden in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts von den USA aufgerüstet wurden, um der damals noch bestehenden Sowjetunion ein Vietnam zu bereiten. Die Sowjetunion gibt es nicht mehr, die Robin Hoods der asiatischen Gebirge, die mit mittelalterlicher Ausrüstung gegen Panzer und Hubschrauber kämpften, zeigten sich verständlicherweise auch in ihrem Denken als mittelalterlich und sprechen Recht nach der Scharia, der islamischen Variante des alttestamentarischen Talions ("Auge um Auge, Zahn um Zahn"). 3000 islamische "Internationalisten", wie sich Ibn Ladins Terroristen nennen, sollen hier Quartier bezogen haben. Es wäre naiv, zu denken, daß die Reaktion der religiösen Fundamentalisten in Gods own country auf die Kriegserklärung der islamischen Faschisten mit etwas anderem als einem mittelschweren Inferno antworten würde. Die Taliban starteten aus Pakistan gegen die Sowjetunion, einem anderen Land, das den islamischen Terroristen als Operationsbasis dient und von den USA hochgerüstet wurde. Dann wäre da noch der Iran. Schah Reza Pahlevi, der in den 60er Jahren Persien zum Schaufenster des Westens und Folterkeller für die Bevölkerung aufbaute und in den USA beliebt war, weil er ihnen "sein" Öl im Austausch gegen seinen persönlichen Luxus quasi schenkte, wurde nach revolutionären Unruhen abgesetzt. An seine Stelle trat ein demokratisch gewählter Premierminister linkssozialdemokratischer Prägung, der den Fehler beging, daß er die Ölquellen des Landes unter nationale Kontrolle stellte. Er wurde ermordet, mit Hilfe der CIA. Pahlevi kam in das Land zurück und überzog die demokratische Opposition mit Terror. Danach war politische Zusammenkunft nur noch in den Moscheen möglich. Die Volksmudschaheddin wurden zum wichtigsten Kulminationspunkt der Anti-Schahbewegung. Sie stürzten den Schah und Chomeini kam. Die Folgen sind bekannt. Auch Saddam Hussein ist einer der besonders sympathischen Menschen, die von einem Vergeltungsschlag der NATO träumen dürfen. Ein Diktator wurde er für die USA erst nach dem Ende des ersten Golfkriegs. Zum Teufel (im Westen nennt man das Hitler) mutierte er im zweiten Golfkrieg, dem Ölkrieg, als er die Ölquellen Kuwaits besetzte. Damals sahen wir die Kriegsgreuel nur aus der Perspektive der Bordcomputer amerikanischer Bomber. Im Krieg und seinen Folgen starben mehrere 100.000 irakische Menschen. Heute sind die Bilder aus New York da. Alles hat sich verändert. Die Welt ist eine andere als vor zwei Tagen, eine noch kältere, eine noch kriegerische, eine zunehmend religiös definierte. Das Stereotyp vom islamischen Fundamentalisten (die treffendere Bezeichnung wäre islamische Faschisten), dürfte sich verankern. Die Zivilisation versammelt sich als christliches Abendland in den Kirchen. Schröder kündigt an, daß das deutsche Volk in allen Belangen bedingungslos hinter den amerikanischen Freunden steht. Der Parteifunktionär Struck toppt mit der Aussage: Wir (die deutsche Volksgemeinschaft, Anm. U.A.) sind alle Amerikaner. John F. Kennedy hatte damals nur für sich gesprochen. Damals war der Kalte Krieg kurz davor, in einen heißen Krieg zu entflammen. Heute, da Manhattan immer noch in Flammen steht, erleben die USA das bisher größte Fiasko ihrer Geschichte. In der medialen Vermarktung in der Bundesrepublik wird die Realität der Konsumenten (in uralten Zeiten Bürger genannt) virtualisiert. Nicht King Kong, Gozilla oder Aliens vernichteten die Insignien des globalen Kapitalismus, sondern Menschen. Genausowenig wie es möglich ist, die Dimension der Bilder des brennenden World Trade Centers zu erfassen, ist es begreifbar, wie schnell sich die noch vorhandenen demokratischen Elemente in der Bundesrepublik auflösen. Über die Zukunft der Welt, Mitteleuropas und der USA diskutieren die Vertreter des deutsch-multinationalen Kapitals, der Konzerne offen. Sie diskutieren, welche (selbstverständlich völkerrechtswidrigen) Kriege die Antwort auf den Kriegsanschlag sein könnten, sie erhöhen das Mantra der Börsenkurse ins Lebendige, während das zehntausendfache Leiden der Menschen zum Ereignis reduziert wird. Wohin gehen die Aktienkurse? Einige fliehen zum Euro. Sie erholen sich bereits. Für die Toten in den USA gilt das leider nicht. Die Bevölkerung der einzelnen Staaten - soweit sie nicht heulend vor amerikanischen Kasernen oder in Ehrfurcht vor Münchener Kardinälen, dem Papst oder anderen Pfaffen steht - ist als Subjekt aus der Medienlandschaft verschwunden. Es treten vor allem die "großen Männer" auf, die Macher der Geschichte, Schurken wie Ussama Ibn Ladin und heilige Diktatoren der selbsternannten Zivilisation aus Kapital und Politik der fortgeschrittenen kapitalistischen Staaten. Die Beschlüsse des westlichen Ältestenrates werden dem Volk, das zunehmend als homogene Masse ideologisiert wird, gelegentlich verlautbart. Ein Kriegseintritt Deutschlands könne nur an den veralteten Waffen der Bundeswehr scheitern, nicht jedoch am Grundgesetz, das als Anachronismus aus einem vergangenen Zeitalter erscheint. Kritik der bürgerlichen Öffentlichkeit wird in der Bundesrepublik in Zukunft wohl gänzlich ausbleiben, wenn "islamisch" aussehende Flüchtlinge abgeschoben werden. Durch den Massenmord in Manhattan ist der Schub gegeben, die seit langem vorbereitete autoritative europäische Innenpolitik in die Tat umzusetzen. Wer wird sich in Zukunft wundern, wenn in der Bundesrepublik Personenkontrollen mit vorgehaltener Maschinenpistole durchgeführt werden: Es könnte sich ja um islamische Fundamentalisten handeln. Die Dynamik, die durch das Grauen in New York freigesetzt wurde, mündet auch in Europa in einen Albtraum. Die multikulturelle Gesellschaft wird zunehmend durch eine fundamentalisierte auch im jetzt wieder christlich verstandenen Abendland ersetzt. Alles ist möglich. Es kann noch schlimmer kommen. Auch hier. Immerhin steht ein Land in der Schußlinie, dessen Langstreckenraketen auch Mitteleuropa erreichen können: der Irak. Zu King Kong, Godzilla und Independence Day kommt nun das Spätprogramm: Charles Bronson und John Wayne, gemischt mit Mission Impossible, Rambo und The Night of the Living Dead. Die Nebenrollen des Italowesterns werden gespielt von einigen Hilfssheriffs; Bodensatz, der aus dem Absinth der Jauchegrube neben der Pferdetränke an die Spitzen der europäischen Regierungen gelangt ist. Der eiskalte Gesichtsausdruck, die Knappheit und Kargheit der Sätze von George W. Bush, sein Vokabular von Wir werden den Feind finden, der sich im Dunklen verkriecht, bis zu Wir werden sie jagen und wir werden sie finden; nicht nur die, die diesen feigen Mord begangen haben, sondern auch die, die ihnen Unterstützung gewähren, mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln dürften einen Vorgeschmack auf den High Noon geben, der uns erwartet. Zu King Kong, Godzilla und Independence Day kommt nun das Spätprogramm: Charles Bronson und John Wayne, gemischt mit Mission Impossible, Rambo und The Night of the Living Dead. Die Nebenrollen des Italowesterns werden gespielt von einigen Hilfssheriffs; Bodensatz, der aus dem Absinth der Jauchegrube neben der Pferdetränke an die Spitzen der europäischen Regierungen gelangt ist. Während George seine Colts zieht, überfällt ein Bösewicht mit schwarzem Bart und Hakennase, der auch noch Ussama heißt, zum Beispiel den Buckingham Palace und schmeißt eine Tonne TNT in die Versammlung der königlichen Familie. Schurke Saddam frißt währenddessen amerikanische Kinder mit Messer und Gabel. Ein Fall für Super George - Programm aus. Leider ist das alles kein Trash-Movie. Der Club der Superhelden und Superschurken, der sich gegenseitig die Bälle zuwirft, hat keinesfalls vor, mit einer Raumsonde auf den Mond zu fliegen und dort Klartext zu reden. Die Differenzen der einzelnen harten Jungs untereinander haben in New York mehreren zehntausend Menschen das Leben gekostet, die in der globalen Splatterorgie um ihre Mitarbeit nicht gefragt wurden. Ähnlich wie die hunderttausenden Irakis. Ähnlich wie die 19.000 Kinder des Trikonts, die heute nicht wie die gesamte zivilisierte Welt auf der Seite Amerikas stehen konnten, weil sie an Hunger starben. Während die Multimillionäre des zivilisierten Westens den Verlust an Humankapital beklagen, versprechen andere Multimillionäre perspektivlosen Palästinänserjungen viele Frauen und andere Freuden im Jenseits - welches Ussama Ibn Ladin bisher allerdings noch nicht betreten wollte, obwohl es dort doch so wundervoll sein soll. In der nächsten Zeit wird vieles beim alten bleiben: Mütter werden weinen, wenn ihre Söhne als Soldaten in den Krieg ziehen. Und Gott oder Allah oder das Schicksal, die Vorrrrseeehung, wie der deutsche Mullah es 1939 nannte, wird mit ihnen sein, wenn ihnen die Gedärme aus dem Bauch quellen. Evangelen, Katholiken und andere Klerikale werden sich gegen jede Form von Fundamentalismus richten und die Waffen segnen. Irgendwie alles anders, aber doch gleich. Zum Begräbnis verkündet Henkel, daß das Opfer für die freie Welt nicht vergebens war: Der Dow-Jones ist gestiegen. Es ist 3.45 morgens. Es klopft: "Machen sie auf, Herr Anhalt, alle nichtfundamentalistischen Männer über 18 Jahre sollen mit Würde und Anstand die Freiheit der westlichen Zivilisation verteidigen." "Was heißt Krieg? Es geht um Gottes Wille. Da gibt es keine Drückeberger." Irgendwo im Museum vermodert ein uraltes Buch. Darauf steht: Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Die Welt ist nicht die, die sie vorher war. Und Schurken wie Ussama Ibn Ladin, George W. Bush oder Olaf Henkel ist restlos alles zuzutrauen. Glaubt den Lügen der Mörder nicht und laßt euch nicht von den eigenen täuschen. Kontext:
sopos 9/2001 | |||||||||
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