Editorial
Bildung – mit diesem Begriff wurde einmal nichts anderes als das Autonomiebestreben des aufstrebenden Bürgertums gegenüber dem Adel verbunden – verselbständigte sich nach vorübergehenden, kurzfristigen Hoffnungen, die das Proletariat auf Emanzipation in sie hegte, zu einer Quelle der Herrschaft über das Bestehende. Nicht zufällig lautete ein wichtiger Slogan der alten Arbeiterbewegung „Wissen ist Macht“ – man versprach sich von aufgeklärten Menschen eine vernünftigere Welt. Ein starker Flügel der 68’er Bewegung wurde als die „Antiautoritären“ bezeichnet. In ihnen lebte die Vision der befreiten Gesellschaft durch „bessere“ Kinder fort; nicht zu guter letzt waren sie es, die die Prügelstrafe aus den Schulen verbannten und den Wissenschaftszweig der Pädagogik mit befreitem Leben füllten. Doch auch sie mußten – nicht zuletzt wegen mangelnder theoretischer Reflexion des Bildungsbegriffes – sich dem Bestehenden anpassen. Durch ihre Tradition war es immerhin wieder möglich geworden, Bildung zum Schlagwort für die Partizipation der Unteren am Gesamten wiederzubeleben.
( Mehr... ) Marcus Hawel, Humboldt als Quelle der Wertschöpfung. Deutsche Geisteswissenschaften im Prozess der Internationalisierung [ November 2008 ]
Der Zwang zur Selbstbehauptung nationaler Geisteswissenschaften war und ist stets zu verspüren – sei es aufgrund tumber Überheblichkeit und Großmannssucht vergangener Zeiten oder als Folge der gegenwärtigen Herabsetzung des Geistes zu einem Marktsegment, in dem das kapitalistische Konkurrenzprinzip zwingend vorherrschend ist und die Ellenbogen der Geisteswissenschaftler sowie die der Kultur-Lobbyisten und -Technokraten im Sinne der national-ökonomischen Standortlogik ausgefahren werden müssen.
Tippy Joel, GATS und Bildung. [ Januar 2004 ]
GATS ist die Abkürzung für "General Agreement on Trade in Services". Es ist 1995 als erstes Abkommen für die weltweite Liberalisierung der Dienstleistungsmärkte in das Vertragswerk der Welthandelsorganisation (WTO) aufgenommen. Das Abkommen nimmt als definitorisches Hilfsmittel eine Unterteilung in zwölf Sektoren vor, um seinen Geltungsbereich zu bestimmen, da es keine allgemein geteilte Abgrenzung von Dienstleistungen zu Gütern gibt.
Gregor Kritidis, Die Forderung nach Studiengebühren für Kinder Besserverdienender geht in eine falsche Richtung. Armen und Reichen Studierenden ist es gleichermaßen erlaubt, unter Brücken zu schlafen, sofern sie zu deren Finanzierung beitragen [ Dezember 2003 ]
Die Frage der Einführung von Studiengebühren ist seit den Studierendenprotesten 1997/98 das zentrale Kriterium, an dem sich der Fortschritt der "neoliberalen" Gegenreformen an den Hochschulen festmachen läßt. Während der Protestwelle 1997/98 bildeten viele Studierende - so diffus viele Probleme damals auch blieben - in diesem Punkt ein klares Bewußtsein aus: Studiengebühren, in welcher Form und unter welchem Label auch immer, werden die soziale Polarisierung innerhalb und die Ausgrenzung aus der Universität erheblich verschärfen.
Marcus Hawel, Kunde Student aux barricades?. Plädoyer für eine erinnernde Neubestimmung von Solidarität [ Dezember 2003 ]
Wenn also die Einführung einer Vermögensteuer eine vernünftige Forderung von Linken ist, was wäre dann gegen die Einrichtung einer Studiengebühr für Studenten aus vermögenden Verhältnissen von einem linken Standpunkt aus einzuwenden, wenn diese nicht den Länderkassen zum Stopfen ihrer Haushaltslöcher, sondern den Universitäten, d.h. genauer: ihren nicht vermögenden Studenten zu gute käme, so daß diese von dem Zwang befreit wären, neben ihrem Studium zu arbeiten? Einen direkten Einwand hätte ich nicht, wohl aber einige indirekte.
Gregor Kritidis, Wa(h)re Bildung. Bildungsreform als Zerstörung von "Humankapital"? [ November 2003 ]
Dem neoliberalen Bildungs(un-)verständnis, das der gegenwärtigen Politik zugrunde liegt, wird häufig ein an der Aufklärung orientierter "emanzipatorischer" Bildungsbegriff entgegengestellt. Der Begriff des "Humankapitals" beinhaltet die Reduzierung des Menschen auf eine verwertbare Größe. Doch was heißt dagegen emanzipatorische Bildung?
Christian Vasenthien, Bildung ist keine Ware!. [ November 2003 ]
Ein Wahlkampf, indem das Thema Bildung nicht aufgegriffen wird, ist kaum mehr vorstellbar. Um so merkwürdiger scheint es, daß in diesem öffentlichen Diskurs der Aspekt der Chancengleichheit auf Bildung unabhängig vom Geldbeutel keine herausragende Rolle spielt. Besonders in den Auseinandersetzungen über die PISA-Studie wurde deutlich, daß sich der Bildungsbegriff in einem Prozeß der Neubestimmung befindet. Während Bildung einst als grundlegendes Menschen- und Grundrecht und als Vorraussetzung zur individuellen Entfaltung der Persönlichkeit galt, findet sich die Bildung heute als ein wirtschaftliche Faktor neben anderen in den Diskussionen über die Effizienz und die Modernisierung des Wirtschaftsstandorts Deutschland wieder. Bildung wird dem globalen Wettbewerb unterworfen.
Marcus Hawel, Zur Dialektik der Bildung. Die noch kritischen Studenten brauchen eine geistige Waffe für ihren Kampf gegen die Einebnung der Bildung [ August 2003 ]
Das Alltagsbewußtsein versteht unter Bildung nichts anderes als ein praktisches Mittel, die berufliche Laufbahn vorteilhafter zu gestalten. Die Worte Bildung und Ausbildung werden viel zu oft synonym verwendet; unter beiden wird unbegriffen nicht mehr verstanden als der Erwerb von Vorkenntnissen für spezielle Berufe. Daß selbst unter Politikern, Journalisten und Universitätsangehörigen gleichermaßen die Einebnung der Bildung zur Ausbildung vorangetrieben wird, macht die Brisanz der aktuellen Bildungskrise aus.
Michael Hartmann, Bildungspolitik à la Clement. [ August 2002 ]
Nach dem Schock, den die PISA-Studie ausgelöst hat, fehlt es derzeit nicht an Lippenbekenntnissen zur Bedeutung der Bildung für die Zukunft Deutschlands. Bildung ist wieder ein zentrales Thema der Politik geworden. Die wohlfeilen Äußerungen, die im laufenden Bundestagswahlkampf gerade seitens der Sozialdemokratie zu hören sind, kontrastieren allerdings scharf mit der tatsächlichen Bildungspolitik, deren Grundmuster nach wie vor in erster Linie von den Finanzministern gezeichnet werden.
Marcus Hawel, Bildung und Bewußtsein im Fegefeuer des Neoliberalismus. Menschen aller Länder, vereinzelt Euch! [ Februar 2001 ]
Daß soziale Utopien nicht aufleben, hat vor allem damit zu tun, daß unter Bildung kaum etwas anderes mehr verstanden wird als ein praktisches Mittel, die berufliche Laufbahn vorteilhafter zu gestalten. Die Worte Bildung und Ausbildung werden viel zu oft synonym verwendet. Daß selbst unter Politikern, Journalisten und Universitätsangehörigen gleichermaßen die Einebnung der Bildung zur Ausbildung vorangetrieben wird, macht die Brisanz der aktuellen Bildungskrise aus.
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