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Typisch ist Nordrhein-Westfalen, Hochburg der SPD. Im Juni gab der dortige Finanzminister Peer Steinbrück bei der Vorstellung des Haushaltsentwurfs für das Jahr 2003 die Absicht bekannt, für alle Langzeit- und Zweitstudierenden eine Studiengebühr von 650 Euro pro Semester einzuführen, und Ministerpräsident Wolfgang Clement pries sie als »zukunftsbezogenes Steuerungsinstrument« an. Wer die Regelstudienzeit um mehr als drei bis vier Semester überschreitet oder ein zweites Fach studiert, der soll vom nächsten Jahr an zahlen. Die massiven Proteste der Studierenden – immerhin wurden viele nordrhein-westfälische Hochschulen im Sommersemester ein bis zwei Wochen bestreikt – haben nur einen Teilerfolg gebracht. Die von der Landesregierung ebenfalls vorgesehene Gebühr von 50 Euro pro Semester, die von allen Studierenden erhoben werden sollte, ist erst einmal vom Tisch. Man geht jetzt nach derselben Methode vor wie in anderen problematischen Fällen: Ein Teil der Pläne wird zurückgezogen, so daß die Masse der ursprünglich Betroffenen zunächst aufatmen kann. Für eine Minderheit wird die neue Regelung aber Wirklichkeit. Es trifft wie üblich diejenigen, die sich am schlechtesten wehren können. Wer nun denkt, das es sich bei den Langzeitstudierenden, die den größten Teil dieser Minderheit ausmachen, um eine kleine Gruppe handelt, der irrt. An den nordrhein-westfälischen Universitäten gehört ungefähr jeder Fünfte dazu. Rechnet man diejenigen mit ein, die ein Zweitstudium aufgenommen haben, so dürfte fast ein Viertel der Studierenden von der neuen Regelung betroffen sein. Die Gründe für das Überziehen der Regelstudienzeit sind unterschiedlich. Hauptsächlich liegen sie wohl in dem drastischen Rückgang der staatlichen Förderung (BaföG) und der Notwendigkeit, während des Studiums für den Lebensunterhalt arbeiten zu müssen. Der Anteil der Studierenden, die BaföG bekommen, ist allein in den letzten zehn Jahren von einem Drittel auf weniger als ein Fünftel gesunken (in den alten Bundesländern auf 17,1 Prozent). Der durchschnittliche Förderbetrag beläuft sich auf etwas über 300 Euro. Daß diese Summe nicht ausreicht, um davon zu leben, ist offensichtlich. Gerade ein Prozent der Studierenden lebt ausschließlich vom BaföG. Die übrigen erhalten Unterstützung durch die Eltern und/oder müssen einer Arbeit nachgehen. Letzteres gilt für zwei Drittel der Studierenden. Über 30 Prozent des monatlich zur Verfügung stehenden Geldes wird inzwischen durch Jobben verdient. 1982 waren es 19 Prozent. Bei den über 30jährigen Studierenden sind es sogar fast 90 Prozent. Der Zwang zur Arbeit neben dem Studium hat sich in den letzten 20 Jahren kontinuierlich erhöht – eindeutig bedingt durch die Reduzierung der staatlichen Unterstützung. Je mehr die Studierenden für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssen, desto weniger Zeit bleibt ihnen für das Studium. Nach der jüngsten Erhebung des deutschen Studentenwerks verringert sich die Zeit, die für das Lernen aufgewendet wird, mit jeder Stunde Jobben um eine halbe Stunde. Da zwei Drittel der Studierenden allein während der Vorlesungszeit knapp 14 Stunden pro Woche arbeiten, fehlen ihnen wöchentlich sieben Stunden zum Studieren. Daß sich dadurch die Studiendauer erhöht, liegt auf der Hand. Besonders betroffen sind diejenigen Studierenden, die aus finanziell schlechter gestellten Familien kommen. Die massive Einschränkung der staatlichen Förderung zwingt vor allem sie zur Arbeit während des Studiums. Die Konsequenz ist eindeutig: Wer von den Eltern keine oder nur eine geringe finanzielle Unterstützung bekommt, der muß mehr Zeit für das Geldverdienen aufwenden und verliert damit Zeit für das Studium. So produziert der Staate ein Problem und bestraft die Betroffenen dann mit Gebühren. Eine solche Politik verschärft die soziale Auslese unter den Studierenden. Heute studieren nur zwölf Prozent der Arbeiterkinder, aber drei Viertel derjenigen, deren Väter Beamte sind. Von den vier sozialen Herkunftsgruppen, in die das deutsche Studentenwerk die Studierenden unterteilt, hat die oberste in den letzten 20 Jahren stark zugelegt, die beiden unteren dagegen haben deutlich verloren. 1982 kamen noch 17 Prozent der Studierenden aus der höchsten und 23 Prozent aus der untersten. Heute kommen 33 Prozent aus der obersten und nur noch 13 Prozent aus der untersten. In den höheren Semestern wächst der Anteil der beiden unteren Herkunftsgruppen. Das deutsche Studentenwerk sieht den Hauptgrund für das längere Studium »in der vergleichsweise hohen Erwerbstätigkeit, insbesondere zur Sicherung des Lebensunterhalts«. Die Einführung von Studiengebühren für Langzeitstudierende wird daher vor allem diejenigen treffen, die es sowieso schon schwer haben, und den Anteil der Arbeiterkinder an den Hochschulen weiter senken. Wie führende SPD-Politiker auf eine solche Entwicklung reagieren, hat der Bremer Bürgermeister Henning Scherf in einem Interview über die private »International University of Bremen« demonstriert, die vom Land Bremen mit ungefähr 140 Millionen Euro Steuergeldern subventioniert wird. Er antwortete der Zeit auf die Frage, wie denn die »Parteigenossen« auf seinen »Abschied von den altlinken Reformvorstellungen« reagierten, kurz und knapp: »Ein paar Jusos beschweren sich. Ich sage ihnen wie meinen Enkelkindern: Klar verstehe ich euch, hab ich früher auch gesagt.« Das war’s dann. Kontext:
Erschienen in Ossietzky 16/2002 |
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