Den Aufsatz kommentieren Die doppelte Spaltung Europas und die Zukunft der Europäischen Unionvon Gregor Kritidis (sopos) aus der Serie: "Geldautomat" von S. Früh-Peter Die Revolte im europäischen Süden hat mit Macht die Frage der Zunkunft Europas, insbesondere der Zukunft der Eurozone auf die Tagesordnung gesetzt. Je mehr sich die Krise durch die Gesellschaften Europas frißt, desto stärker werden die bisherigen Selbstverständlichkeiten in Frage gestellt: Die konsequente Verweigerung der Fünf-Sterne-Bewegung Grillos, sich für eine Fortsetzung des europäischen Austerity-Kurses in die Pflicht nehmen zu lassen, die in scharfen Tönen vorgetragene Kritik französischer Sozialisten an der Bundesregierung, der Vorschlag der griechischen SYRIZA für eine "Allianz des Südens", das Votum der zypriotischen AKEL für einen Austritt aus der Eurozone – die Druckwelle aus dem europäischen Süden hat mittlerweile Brüssel erreicht, wie EU-Komissionspräsident Barrosos Plädoyer für ein Ende der Spardoktrin belegt. Vielstimmig ist auch das Konzert in Deutschland, nachdem Oskar Lafontaine in der Saarbrücker Zeitung offen für eine Rückkehr zu den nationalen Währungen plädiert hat. Damit ist freilich die Hand an eine heilige Kuh gelegt, die auch von der politischen Linken sorgsam gehütet wird: Die europäische Union respektive die Währungsunion gilt als eine zivilisatorische Errungenschaft, hinter die nur Barabaren zurückfallen können. Selbst im wissenschaftlichen Mainstream überwog eine "pauschal positive Bewertung des europäischen Integrationsprozesses".[1] Die Kritik an der EU ist in Deutschland eine Domäne der radikalen Rechten und damit per se mit emanzipatorischer Politik unvereinbar. Konsequenter Weise hat mit der Alternative für Deutschland eine Partei mit wohlstandschauvinistischen Tendenzen sich dieses Themas bemächtigt. Angesichts von Umfragen, die darauf hindeuten, dass viele Mitglieder der Linkspartei mit der Kritik der AfD am Euro sympathisieren, wird der Vorstoß Lafontaines erklärbar. Daß er dabei jedoch hinter die Debatte in Südeuropa zurückfällt, spricht nicht für eine besonders durchdachte Strategie. Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte ist die europafreundliche Position der politischen Linken von SPD bis Linkspartei unmittelbar einleuchtend. Damit ist allerdings wenig über den realen Problemkomplex ausgesagt, der sich insbesondere mit der europäischen Währungsunion verbindet. Denn eine einheitliche Währung setzt entweder vergleichbare ökonomische Bedingungen voraus – hier ist Hans Olaf Henkel zuzustimmen – oder die Bereitschaft zu einer weitreichenden regionalen Umverteilung, wie sie für Deutschland bis dato über den Länderfinanzausgleich erfolgt und in Bezug auf die EU von Vertretern und Sympathisanten der AfD als "Transferunion" diffamiert wird.[2] Von einer Umverteilung innerhalb Europas im Sinne der Angleichung aller Lebensverhältnisse wird in Deutschland aber bestenfalls zögerlich und am liebsten überhaupt nicht gesprochen. Gänzlich außer aller Kritik steht auch das Glaubensbekenntnis zu den Maastrichter Konvergenzkriterien, die als Zwangsmittel gegen alle Staaten der Eurozone zur Anwendung kommen, vor allem gegen die soganannten "Defizitsünder". Das wachsweiche Gerede über die "Konstruktionsfehler" des Euro kann jedoch kaum noch verdecken, daß die gemeinsame Währung in der gegenwärtigen Krise gerade aufgrund dieser "Fehler" ungebremst eine Wirkung entfaltet, die selbst bei wohlwollender Betrachtung nur als desaströs bezeichnet werden kann.[3] Ein historischer Blick zurück gibt einige Aufklärung: Die Diskussion über die Einführung fester Wechselkurse mit dem Ziel einer einheitlich Währung bekam mit der deutsch-französischen Übereinkunft Ende der 1970er Jahre konkrete Gestalt. Dabei waren vor allem zwei Ziele verbunden: Einerseits sollte eine Alternative zu Dollar und Yen geschaffen werden, andererseits sollte ein einheitlicher Binnenmarkt geschaffen werden. Obwohl das Europäische Wechselkurssystem EWS in der Krise 1992/93 erschüttert wurde – Italien und Großbritannien schieden aus dem EWS aus – hielt man am Ziel der Währungsunion fest. Dafür gab es insbesondere von deutscher Seite gute Gründe: Deutschland war und ist die Nationalökonomie mit dem höchsten Produktivitätsniveau; der Verbund in einer Einheitswährung mit weniger produktiven Ländern beinhaltet eine Tendenz zur realen Unterbewertung und stützt den Export in Drittländer; zudem können innerhalb der Eurozone die Länder der Peripherie nicht mehr abwerten und haben damit einen strukturellen Wettbewerbsnachteil. Mit anderen Worten: Die Eurozone ist für die großen deutschen Kapitalgesellschaften neben dem Kredithebel das stärkste Mittel wirtschaftlicher Expansion. Die Deindustrialisierungseffekte in der europäischen Peripherie, die denen in Ostdeutschland nach der deutsch-deutschen Währungsunion in nichts nachstehen, illustrieren diesen Zusammenhang. aus der Serie: "Geldautomat" von S. Früh-Peter Die Währungsunion war von Beginn an jedoch nicht nur ein politisches Projekt wirtschaftlicher Expansion, sondern diente ebenso dem Ziel, Löhne und Transfereinkommen massiv zu senken, indem ein "optimaler Währungsraum" geschaffen wird.[4] Die Entfesselung der ökonomische Konkurrenz sollte die Tarifsysteme auf nationaler Ebene untergraben und verhindern, dass die Gewerkschaften wirksame Tarifkartelle etablieren. Die Kritik an der Währungsunion, wie sie zu Beginn der 1990er Jahre in Deutschland insbesondere von linken und gewerkschaftsnahen Intellektuellen, aber auch aus den Reihen der PDS geäußert wurde, hat sich mehr als bestätigt. Die Krisendynamik seit 2007 hat nun die wirtschaftlichen Ungleichgewichte zwischen den Länder des Euro und die soziale Polarisierung massiv zu Tage treten lassen. Die negative Handels- und Leistungsbilanz Frankreichs gegenüber Deutschland – von den anderen Ländern des europäischen Südens ganz zu schweigen – spricht eine eindeutige Sprache. Vor diesem Hintergrund sind die Versuche, sich aus der Zwangsjacke der Währungsunion zu befreien, nachvollziehbar. Faktisch vertieft die maßgeblich von der Bundesregierung bestimmte Austerity-Politik die "nationale" und vor allem – und das ist entscheidend – die soziale Spaltung Europas. Aus diesem Grund ist zu differenzieren, wer sich mit welchen Argumenten gegen die europäische Politik und damit gegen die Eurozone wendet. Die Linksparteien des europäischen Südens haben gute Gründe, für ein Ende der Austeritätspolitik, einen Schuldenschnitt sowie – in der Konsequenz folgerichtig – für einen Austritt aus dem Euroraum zu kämpfen.[5] Insbesondere die Masse der griechischen Bevölkerung hat die Mitgliedschaft des Landes in der Eurozone teuer mit einem Verlust aller wesentlichen sozialen und demokratischen Rechte und polizeistaatsartigen Verhältnissen bezahlen müssen. Die griechische Linke versucht daher fieberhaft, ihre internationalen Kontakte auszubauen. Gegenwärtig sind die machtpolitischen Perspektiven einer "Allianz des Südens" allerdings noch äußerst eingeschränkt. Die Ablehnung des Euro, wie sie die AfD propagiert, ist dagegen aus gegenteiligen Motiven gespeist. In der neoliberalen Glaubensgemeinschaft repräsentiert die neue Partei den fundamentalistischen Flügel, der gerade weil die Maastrichter Kriterien von den Ländern der europäischen Peripherie nicht erfüllt werden können, auf die Einhaltung der wahren Lehre pocht. Die Agitation gegen Steuermilliarden, die angeblich an die faulen Südeuropäer verschenkt werden, hat nichts mit der Verteidigung sozialer und demokratischer Rechte zu tun, sondern resultiert aus einer – allerdings nicht gänzlich unbegründeten – Sorge um die Geldwertstabilität und die Sicherheit von Geldvermögen. Die großen Kapitalgesellschaften, das hat erneut der Fall der "Zypernrettung" gezeigt, schrecken vor der unverhüllten Enteignung von Eigentum nicht zurück.[6] Die Doppelmoral der Erregung, in deren Bugwelle die AfD an die Öffentlichkeit trat, ist jedoch augenfällig: Einem Rentner sein Konto leerzuräumen, soll skandalös sein, ihm die Rente wegzunehmen, dagegen ein ökonomisch gebotetener Beitrag zur Konsolidierungspolitik. Die Linke hat keinen Grund, in diesen Tenor einzufallen. Gegen die zeitweilige Schließung von Banken, die Konfiszierung von hohen Vermögen oder Kapitalverkehrskontrollen ist prinzipiell überhaupt nichts einzuwenden. Die Zypern"rettung" hat nur gezeigt, was alles möglich ist, wenn der politische Wille und die ökonomische Macht dazu vorhanden sind. Von einer Spaltung der Eurozone in zwei Teile – etwa entlang der Grenze südlich des flämischen Teils Belgiens und westlich des Rheins – ist Europa aber trotz aller Spekulationen sehr weit entfernt. Die Währungsunion ist ein gemeinsames politisches Projekt der europäischen Eliten, und bislang ist keine gesellschaftliche Kraft in Sicht, die den Status Quo ernsthaft in Frage stellen könnte. Für eine "Allianz des Südens", die es auf einen Bruch mit Berlin ankommen lassen würden, gibt es vor allem in Frankreich keine durchsetzungsfähigen Partner. Was sich gegenwärtig vollzieht, ist also eine Vertiefung der europäischen Union unter deutscher Führung analog zur Vereinigung Deutschlands im 19. Jahrhundert unter der Führung Preußens. Diesmal allerdings nicht mit Blut und Eisen, sondern mit den Mitteln des Kredits und des Knebelvertrages. Die Hauptkonfrontation in der EU besteht also gegenwärtig vor allem in der Frage der Austeritätspolitik, gegen deren Lockerung in Deutschland mit der massiven Förderung wohlstandschauvinistischer Poritionen polemisiert wird.[7] Problematisch dabei ist weniger, dass die deutschen Eliten – niemand könnte sie besser repräsentieren als das Duo Merkel – Schäuble – mit Geschick und Härte ihre Interessen vertreten, sondern dass mangels Opposition in ganz Europa der Eindruck entstehen muß, diese Politik werde mehrheitlich von großen Teilen der Bevölkerung mitgetragen. Grüne, SPD und große Teile der Linkspartei verhalten sich so wie die Nationalliberalen gegenüber Bismark: Man kriecht auf den europäischen Leim und gibt dafür demokratische Positionen dutzendweise preis. Dafür gibt es freilich handfeste materielle Gründe: Die Exportindustrien in Deutschland haben dermaßen vom Euro profitiert, dass eine Aufgabe dieser vorteilhaften Position die sozialen Konflikte in Deutschland massiv verschärfen würde. Daran haben auch die Gewerkschaften und die Linkspartei kein Interesse. Dass dieser Burgfrieden nun ausgerechnet von neoliberalen Dogmatikern vom Schlage der AfD gestört wird, ist eine besondere List der Vernunft, die auf Seiten der deutschen Linken bekanntlich selten eine Heimat findet. Es gibt freilich auch kritische Stimmen, die die Diskussion über die Zunkunft der europäischen Integration – und das ist vor allem eine Frage der sozialen und demokratischen Rechte – in Deutschland in emanzipatorischer Weise vorantreiben.[8] An vielen Orten haben sich Krisenbündnisse gebildet, die die Politik der Bundesregierung mit Nachdruck in Frage stellen. Eine der gegenwärtig wichtigsten Aufgaben ist es, diese Ansätze zu verbreitern, um die national bornierte Diskussion über die gegenwärtige Krisendynamik, ihre Ursachen sowie die Revolte im europäischen Süden auf eine reale Grundlage zu stellen. Anmerkungen[1] Hubert Zimmermann, Die Politikwissenschaft, der Euro und die Staatsschuldenkrise. Zeitschrift für Politikwissenschaft 1/12. S. 127-139. [2] Das ist zwar im Kern zutreffend, nur wird dabei übersehen, dass es in Europa bereits eine Transferunion gibt, deren Nutznießer die großen Kapitalgesellschaften in Nord- und Mitteleuropa sind. [3] Vgl. Claus Offe, Europa in der Falle. Blätter für deutsche und internationale Politik 1/2013. S. 67-80. [4] Vgl. Klaus Busch, Maastrichter Vertrag, EWS-Krise und optimaler Währungsraum. Gewerkschaftliche Monatshefte 9/1993. S. 439ff. [5] Dem Vorschlag eines Austritts aus der Eurozone wird etwa von Offe entgegengehalten, dass sich in diesem Fall die Schuldenproblematik verschärfen würde (vgl. Offe, a.a.O. S. 68). In Griechenland etwa wird aber vor allem über ein Schuldenaudit diskutiert, also eine Überprüfung des Zustandekommens der Staatsschulden und darauf basierend die weitgehende Einstellung des Staatsschuldendienstes. Mit anderen Worten: Ohne einen Schuldenschnitt würde ein Ausstritt aus dem Euroraum keinen Sinn machen. [6] Vgl. Tomasz Konicz, Zypern im Würgegriff. http://www.konicz.info/?p=2511#more-2511 [7] Exemplarisch dafür: Klaus-Dieter Frankenberger, Sündenbock Deutschland. FAZ v. 27.3.2013. [8] Vgl. neben der erwähnten Literatur z.B. Wolfgang Streek, "Kapitalismus zerstört Demokratie". http://www.ksta.de/politik/wolfgang-streeck--kapitalismus-zerstoert-demokratie-,15187246,22120864.html Forschungsgruppe "Staatsprojekt Europa" (Hrsg.), Die EU in der Krise. Zwischen autoritärem Etatismus und europäischem Frühling. Münster 2012. Rhea Tamara Hoffmann/Markus Krajewski, Staatsschuldenkrisen im Euro-Raum und die Austeritätsprogramme von IWF und EU. In: Kritische Justiz 1/2012, S. 2-17. Lukas Oberndorfer, Krisenbearbeitung in der Europäischen Union. Economic Governance und Fiskalpakt - Elemente einer autoritären Wende? In: Kritische Justiz 1/2012, S. 26-38. Sepp Wall-Strasser/Heinz Füreder/Gerhard Gstöttner-Hofer/Gerlinde Breiner/Manuela Hotz (Hrsg.), Europa am Scheideweg. Marktkonforme Demokratie oder demokratiekonformer Markt? Wien 2012. Die EU und der Euro in der Krise. Prokla Nr. 168. 3/2012. Kontext:
sopos 5/2013 | |||
|
This page is part of the Sozialistische Positionen
website <http://www.sopos.org>
Contents copyright © 2000-2007; all rights reserved. Maintained by webmaster@sopos.org |