Den Aufsatz kommentieren Neues Geld, alte WerteDer Euro und die nationale Identitätvon Martin JanzEs ist noch gar nicht lange her, da schien unvorstellbar, daß die Deutschen sich so unspektakulär von ihrem liebsten Kind, der Deutschmark, verabschieden und das neue Geld, den Euro, so widerspruchslos annehmen würden. Angst ging damals um: Was wird aus der starken deutschen Mark, wenn sie mit der notorisch schwächelnden Lira, dem luftigen Franc, dem verschnupften Pfund und anderen zweit- bis drittklassigen europäischen Währungen vereinigt wird? Bald jedoch hatten alle ihre Hausaufgaben mehr oder weniger befriedigend erledigt oder vom Projekt einer gemeinsamen europäischen Währung Abstand genommen. Die Deutschen können sich auf die Kontinuität deutscher Krisenbewältigungsstrategien verlassen Dem Konsumenten ist es gleich, ob das Geld DM oder Euro heißt Auch dem wirtschaftlich eigentlich starken, wegen der finanziellen Last der Einheit zwischenzeitlich in Nöte geratenen Deutschland gelang es trickreich - man erinnere sich an die Höherbewertung des Bundesbankgoldes - die Kriterien des Maastrichter Vertrages zu erfüllen. Jetzt läuft die Volksaufklärung zur Einführung des Euro auf Hochtouren: "Wird die D-Mark auf dem Europa-Altar geopfert?" Das Gegenteil sei der Fall, denn "die Währungsunion ist im deutschen Interesse." "Wird der Euro so stabil wie die Mark?" Die "Kernfrage aus Sicht der besorgten Bürger" sei unbegründet, denn "noch nie seit der Gründung der EG waren die Preise und der Geldwert so stabil wie heute." "Geben die Deutschen in der Wirtschaft das Ruder aus der Hand?" Mitnichten, denn "... ein stabiles Währungssystem muß auch im Interesse der Deutschen sein. Ein starker und stabiler Euro würde der deutschen und der europäischen Wirtschaft im internationalen Handelsgeflecht nützen." Weshalb lassen die Deutschen sich mit solchen Durchhalteparolen ruhig halten, wie mit diesen drei der "25 wichtigsten Fragen und Antworten zum neuen Geld" aus der gleichnamigen Broschüre der Bundesregierung und des Europäischen Parlaments? Hat man ihnen nicht jahrzehntelang eingetrichtert, daß die D-Mark mehr ist als nur eine Währung, daß sie ein nationales Symbol ist und nationale Identität stiftet? Das liegt zum einen daran, daß sie als bürgerliche Subjekte einen gesellschaftlichen Naturinstinkt dafür haben, daß der alte Wert auch bei neuem Geld gesichert ist. Zum anderen können sie sich als deutsche Staatsbürger auf die Tradition und Kontinuität deutscher Krisenbewältigungsstrategien - auf die alten Werte - verlassen. Als bürgerliche Subjekte haben die Deutschen, wie alle Waren- und Geldsubjekte, die "Warenseele" verinnerlicht. Die gesellschaftlichen Verhältnisse erscheinen ihnen als zweite Natur. Das bürgerliche Subjekt ahnt aber, daß es mit dem Geld zugleich "seinen Zusammenhang mit der Gesellschaft in der Tasche mit sich trägt". (Marx) Man muß nicht wissen, was Geld ist, um es auszugeben - auch die Nationalökonomen haben keinen Begriff vom Geld, sie können nur beschreiben, wie es funktioniert; man muß und kann auch nicht verstehen, weshalb der Preis von einem Kilo Bananen vier Mark (oder zwei Euro) beträgt. Weshalb lassen die Deutschen sich mit solchen Durchhalteparolen ruhig halten, wie mit diesen drei der "25 wichtigsten Fragen und Antworten zum neuen Geld" aus der gleichnamigen Broschüre der Bundesregierung und des Europäischen Parlaments? Entscheidend ist allein, daß man sich darauf verlassen kann, für sein Geld den adäquaten Gegenwert zu bekommen. Mit anderen Worten: der Zusammenhang von Geld und dessen Geltung muß gewährleistet sein. Solange die viel beschworene Geldwertstabilität gesichert ist, solange der Bankautomat Scheine ausgibt, die in Waren umgesetzt werden können, solange ist auch die Identität des bürgerlichen Subjekts als Konsument nicht in Frage gestellt. Was die Banknoten ziert, sei es die deutsche Dichterin Anette von Droste-Hülshoff auf dem 20 Mark-Schein, sei es ein gotischer Spitzbogen auf dem 20 Euro-Schein, ist unter dieser Voraussetzung nebensächlich: Neues Geld - alter Wert!Sowenig das Geldsubjekt die Genesis der Geldform kennen muß, sowenig muß sich das bürgerliche Erkenntnissubjekt für die Grundlagen seiner eigenen Denkform interessieren. Darin muß ein theoretischer Satz lediglich dem Identitätspostulat A=A genügen, um als wahr zu gelten. Die Frage etwa nach dem Grund, weshalb es für uns so selbstverständlich ist, beispielsweise die besonderen Tierarten unter dem Allgemeinbegriff Tier zu subsumieren, gilt dem positivistischen common sense bereits als Metaphysik. Und das nicht einmal ganz zu unrecht. Denn die gesellschaftlich gültige Form des Denkens verweist auf die reale Metaphysik des Geldes. Die Paradoxie, daß das Geld eine dingliche Abstraktion ist, daß ein konkretes Ding die Erscheinungsform des abstrakt Allgemeinen, des Werts, ist, beschreibt Marx anschaulich: "Es ist als ob neben und außer Löwen, Tigern, Hasen und allen anderen wirklichen Thieren ... auch noch das Thier existierte, die individuelle Incarnation des ganzen Thierreichs." An anderer Stelle bezeichnet er die Logik als "das Geld des Geistes". Und der Philosoph Alfred Sohn-Rethel ergänzt, daß das Geld "die bare Münze des reinen Verstandes ist". Das heißt nichts anderes, als daß die gesellschaftlich gültige Form des Denkens - der reine Verstand - in der Warenform und damit in der Geldform begründet liegt. Der Geldname, ob die DM also Euro oder sonst wie heißt, ist für das identitätslogische und deshalb ideologische Bewußtsein des bürgerlichen Subjekts nebensächlich. Doch die Individuen sind unter der Voraussetzung kapitalistischer Vergesellschaftung nicht nur bürgerliche Subjekte, sie sind zugleich und notwendig Staatsbürger. Als Konsumenten gleichen sie sich wie ein Ei dem anderen. Erst als Deutsche, Franzosen, Engländer werden sie ihrer objektiven Bestimmung gerecht, Personifikation des Kapitals zu sein. Deutschland ist auf dem besten Weg - unabhängig davon, ob das Geld nun DM oder Euro heißt - voller Stolz in die Zukunft zu schreiten. Denn so wie das Kapital, ökonomisch betrachtet, nur sein kann, wenn es in konkurrierende Einzelkapitale zerfällt, kann es, politisch-ökonomisch gesehen, nicht ohne die - national durchaus verschiedenen - politischen Formen sein. Im Unterschied zu den seit dem 18. Jahrhundert ausgeprägt bürgerlichen Gesellschaften der westlichen Staaten, in denen sich die Bürger von Anfang an mit "ihrem" Staat identifizieren konnten (der gesunde Menschenverstand rationalisiert dies als "Patriotismus"), gedieh in Deutschland, wo kein einheitlicher Staat herrschte und kein einheitlicher Markt existierte, die Idee einer projektiven Identifikation: einer Identifikation mit dem, was noch nicht ist.In der Volksgemeinschaft, dem per Definition immer erst noch zu vollendenden Projekt der zu spät gekommenen deutschen Nation, findet diese in die Zukunft gerichtete Identifikation ihren adäquaten Ausdruck. Sie benötigt zwingend die antisemitische Projektion einer "Gegenrasse", auf die alle negativen Aspekte der krisenhaften Vergesellschaftung übertragen werden können. Die Gründlichkeit, mit der der deutsche Vernichtungsantisemitismus schließlich zu Werke ging, zeigt, wie sehr die Deutschen gelernt haben, völkische Homogenität durch "Einfühlung in den Tauschwert" herzustellen, wie Walter Benjamin diese spezifisch deutsche Variante nationaler Identifikation bezeichnete. "Einfühlung in den Tauschwert" darf nicht ökonomisch (miß)verstanden werden. Ware, Geld und Kapital sind nicht primär ökonomische Kategorien, es sind Kategorien der politischen Ökonomie. Sie bezeichnen ein Verhältnis von Menschen, dessen wesentliche Eigenschaft darin besteht, von allem Konkreten, das sie verbindet, zu abstrahieren. Wie aber soll man sich mit etwas derart abstraktem wie dem Tauschwert identifizieren können? Identifizieren kann man sich mit Menschen oder aber mit Dingen. Deshalb meint "Einfühlung in den Tauschwert" Identifikation mit den gegenständlichen Formen des nationalen Reichtums. Diese sind zum einen symbolisiert durch eine starke Währung, woraus bisher die Rolle einer starken Mark für das nationale Selbstwertgefühl resultierte. Nationaler Reichtum stellt sich aber nicht zuletzt durch militärische Stärke dar. Rüstungsproduktion und Kriege sind nicht nur notwendige Momente zur ökonomischen Vernichtung des Werts. Als Symbole militärischer Stärke sind sie zugleich wesentliches Moment nationaler Identität. Nachdem das Resultat der völkischen Homogenität des NS - die Vernichtung der europäischen Juden - mittlerweile den von Staats wegen ausgelobten Gründungsmythos des postfaschistischen Nachkriegsdeutschland darstellt, findet das wiedervereinigte Deutschland nach und nach auch militärisch zu alter Größe zurück. Der erste Kampf-Einsatz der Bundeswehr außerhalb Europas konnte nun auch ohne die zynische Bezugnahme auf "unsere Vergangenheit" durchgesetzt werden. Deutschland ist auf dem besten Weg - unabhängig davon, ob das Geld nun DM oder Euro heißt - voller Stolz in die Zukunft zu schreiten. Und sollte sich in der unausweichlichen Krise die Einheit von Tauschwert und Gebrauchswert erneut gewaltsam Geltung verschaffen, dann wird sich nicht nur zeigen, daß die zweite Natur der kapitalistischen Gesellschaft ein hochfragiler, in sich widersprüchlicher Prozeß ist. Es droht dann die Stunde deutscher Vernichtungspolitik zu schlagen, mit der schon einmal ein barbarischer Ausweg aus der Krise beschritten wurde. Dann wird auch das neue Geld, wie von manchen erhofft, den Umschlag zivilgesellschaftlicher Friedhofsruhe in völkisch-nationalen Wahn nicht verhindern können: Neues Geld - alte Werte! Martin Janz ist Mitarbeiter der initiative sozialistisches forum (www.isf-freiburg.org), von der soeben das Buch Flugschriften. Gegen Deutschland und andere Scheußlichkeiten erschienen ist. Der Artikel erschien zuerst in der Nr. 257 der iz3w - blätter des informationszentrums 3. welt. Kontext:
sopos 1/2002 | ||||||||||||
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