Den Aufsatz kommentieren Nach dem Ende der Geschichte ist vor dem Arabischen FrühlingRezensionvon Utz Anhalt (sopos) Srécko Horvat: Nach dem Ende der Geschichte. Vom Arabischen Frühling zur Occupy-Bewegung. Laika Verlag 2013. Das Ende der Geschichte sei gekommen, triumphierte 1992 der Neokonservative Francis Fukuyama. Der Zusammenbruch des Sowjetsystems markierte demzufolge den Aufbruch in den letzten Entwicklungsschritt der Menschheit – die "liberale Demokratie" sei das letzte Ziel der Gesellschaften und weltweit gültig. In ähnlich abendländisch-religiöser Verzückung halluzinierten die Gurus des gerade untergegangenen "Realsozialismus" dieses "Paradies der Arbeiter" als ein himmlisches Jerusalem auf Erden. Horvat verrät im Untertitel seine Zweifel am Ende der Geschichte. Der Arabische Frühling und die Occupy-Bewegung belegen, dass Geschichte heute geschieht, unvorhergesehen machen die Menschen ihre Geschichte; es geht voran und zwar auf der Straße; "Der Engel der Geschichte" sei auferstanden, betont der Autor. Horvat steht dem angeblichen Sieg des liberalen Kapitalismus als Linker und Kritiker gegenüber. Er verfällt aber nicht in den Fehler, diesem wie die Bolschewisten einen ganz großen Wurf entgegen zu setzen, sondern ging auf die Suche: Er sprach mit Slavoj Zizek, der Fukuyama als neokonservativen Ideologen angriff ebenso wie mit dem Angegriffenen. Er hörte dem ehemaligen Résistance-Kämpfer Stéphane Hessel zu, dessen Aufruf "Empört euch" zum Bestseller einer vermeintlich apathischen Jugend Europas wurde. Hessel fordert darin die Menschenrechte ein, die die Regierungen Europas verletzten. Michael Hardt stand Horvat Rede und Antwort über eine neue Solidarität. Zygmunt Baumann prägte das Modell der Postmoderne und äußert sich über die Rolle Europas heute. Seiner Auffassung nach sollte die Geschichte Mitteleuropas als Vorbild für heutigen Flüchtlingsbewegungen dienen. Denn hier könnte der Schlüssel liegen zu einem Gegenentwurf für die neuen Stammeskriege. Der britische Literaturprofessor Terry Eagleton kritisiert den Glauben an die neuen Medien, weil "auf der Welt ohnehin zuviel gequasselt wird." Technologie sei immer zweischneidig, das gelte auch für das Internet: Es würde für Unterdrückung ebenso genutzt wir für Befreiung. Der Soziologe Frank Furedi berichtet über eine "Kultur der Angst", die die Bilder bestimme, mit denen die Menschen im Westen die Welt deuten. Amoz Oz ist Literaturprofessor in Israel und schreibt für einen gerechten Frieden zwischen Israelis und Palästinensern. Horvat diskutiert mit ihm das Verhältnis von Liebe und Politik, von der großen Geschichte und dem privaten Leben. Slavoj Zizek, Philosoph aus Slowenien, erzählt von "Utopien, die in tiefer Scheiße geboren werden" und von der "Traurigkeit der politischen Korrektheit." Nähe zwischen Menschen gelte heute als traumatisch und die Zweckehe erlebe eine Wiederkehr. Gianni Vattimo, Mitglied des Europäischen Parlaments, sagt Skeptisches über die Einheit Europas. Die Rechten hätten die Herrschaft übernommen und Europa sei ein politisches Monstrum. Philip Zimbardo wurde berühmt für eine psychologische Studie. In diesem "Stanford-Gefängnis-Experiment" teilte er Studenten in Gefangene und Gefängniswärter. Die identifizierten sich mit ihren Rollen: Zimbardo brach das Experiment ab, weil die "Wärter" die "Gefangenen" misshandelten. Der Psychologe sagt, Menschen wissen nicht wirklich, wer sie sind. Die meisten Menschen verhielten sich meistens gut und täten nichts Böses. Doch sie kennen andere Menschen nicht, und wenn Menschen Macht bekommen, fügten sie Anderen Schaden zu, ohne dies bewusst zu tun. Macht ermutige, Schlechtes zu tun und dieses Schlechte als gut zu begreifen. Das System trüge die Schuld für die Folterungen in Abu Ghraib. Interviews mit Tariq Ali, Wang Hui, Raj Patel, Gianni Vattimo, Renata Salecl und Richard D. Wolff runden die von Horvat gesammelten Stellungnahmen zur Zeitgeschichte ab. Diese Vielfalt von Einblicken belegt kein "Ende der Geschichte", sondern ein Chaos, in dem intellektuelle Arbeit notwendig ist, um eine andere Gesellschaft als den entfesselten Kapitalismus zu entwickeln. Die Zeiten für kritische Theorien sind, so Horvat, famos. Doch: "Dort, wo die Linke scheitert, werden die Tore für die faschistische Variante des Kapitalismus weit geöffnet." Um die Gegenwart zu fassen, bietet "Nach dem Ende der Geschichte" ein Koordinatensystem für die Suche. Horvat liefert ein gutes Buch.AnmerkungInnerhalb der Redaktion ist eine Debatte um das Zitat von Fukuyama entbrannt, die im Folgenden ganz kurz skizziert sein soll: Falsch an Fukuyama ist, dass die beste aller möglichen realen Welten der liberale Kapitalismus ist, weil alles andere, was darüber hinausgehen wollte, gescheitert ist. Wie sich schon lange vor dem Arabischen Frühling gezeigt hat, etwa in den revolutionären Situationen in Südamerika, generiert die antagonistische Gesellschaft immer soziale Konflikte und Widerstand aus sich heraus. Soweit sind wir uns einig. Innerhalb der Redaktion wurde nun die Meinung vertreten, dass Fukuyama doch ein bisschen Recht hat, aber anders, als er es gemeint hat: Es gibt zwar soziale und politische Kämpfe, aber diese Kämpfe haben keinen geschichtlichen Charakter, weil sie auf der Stelle treten. Der Widerstand wird in der westlichen Welt verwaltet und in der restlichen Welt wird er mit brutalen Mitteln und mit Hilfe des Westens niedergeschlagen. Da das Verhältnis zwischen Widerstand und Herrschaft so dysproportional wie vermutlich noch nie in der Geschichte ist, bleibt der Widerstand ohnmächtig. Insofern also doch ein "Ende der Geschichte". Dieser Ansicht wiederum hält ein anderer Teil entgegen, dass noch gar nicht geurteil werden kann, inwiefern die Kämpfe "auf der Stelle treten". Insbesondere wenn man den eurozentristischen Blick ablegt, gibt es spannende Veränderungen mit neuen Akteuren und Allianzen, neue Denkansätze und "Themenfelder". "Widerstand" steckt immer im Spannungsfeld sich verändernder Kräfteverhältnisse. Wer hätte an eine Revolution in Ägypten geglaubt, bevor sie da war? Niemand. Wer also sieht sich befugt, nun die Zukunft zu deuten? Diskussionbeiträge zur Debatte sind herzlich willkommen! Kontext:
sopos 5/2013 | |||
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