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Eine Gesellschaft wie die ägyptische, die überwiegend aus jungen Menschen besteht, besitzt ein revolutionäres Potential. Überalterte Gesellschaften wie die deutsche und die meisten in Europa dagegen nicht; sie stagnieren und haben es schwer, sich dem Neuen zuzuwenden. In Ägypten sind etwa 70 Prozent der Bevölkerung jünger als 30 Jahre. Die Jugendlichen haben aber aufgrund der wirtschaftlichen und sozialen Situation kaum eine Perspektive. Jeder dritte ist arbeitslos, politisches Engagement sehr schwach ausgeprägt. In unregelmäßigen Abständen demonstriert in den Straßen Kairos die Kefaya-Bewegung (»Kefaya« = »Genug«) gegen Hosni Mubarak und gegen Korruption, für Demokratie. Die ägyptische Regierung hat die Vorwürfe teilweise ein- und »demokratische Reformen« zugestanden. Aber kleinere Demonstrationen für mehr Freiheit wurden immer wieder durch massiven Polizei- und Militäreinsatz im Keim erstickt, zahlreiche Demonstranten verhaftet. In oppositionellen Kreisen sieht man deshalb der im Herbst stattfindenden Parlamentswahl mit großer Sorge entgegen: Man glaubt nicht daran, daß es zu einer wirklich demokratischen Wahl kommen wird. Die autoritären Verhältnisse wirken in einem noch umfassenderen Sinne er-drückend. Die meisten Ägypter sind aus materiellen Gründen erst im Alter von über 30 Jahren imstande zu heiraten. Bis dahin wohnen sie bei den Eltern, und die Religion verbietet den Jugendlichen Sex vor der Ehe. Folglich ist der Sex das Hauptthema unter Jugendlichen, wenn sie sich einmal dem autoritären Arm der Familie, der islamischen Gemeinde, der Schule oder der sozialen Nachbarschaftskontrolle entziehen können, zum Beispiel in den virtuellen Chat-Räumen. Ein junger Mann kann schwerlich ein Mädchen zu sich nach Hause mitbringen. Die Nachbarschaft und auch die Eltern wären alarmiert. Mann und Frau kennen unverheiratet kaum gemeinsame geschlossene Räume – in denen nur das eine, das Unsittliche, geschehen kann und muß. So denken alle. Deshalb werden die Räume niemals geschlossen; sie bleiben einsehbar und öffentlich, um keinen Verdacht aufkommen zu lassen. Nur Händchenhalten im Park ist erlaubt. Die hohe Arbeitslosigkeit verhindert die Emanzipation der Jugendlichen von der elterlichen, vor allem der väterlichen Autorität, weil sie von ihr abhängig bleiben. Damit aber finge es an. Die Zeit ist schwül, doch das nötige Gewitter kann nicht ausbrechen. Der westlich-moderne Glimmer, der seit längerer Zeit – auch durch den autoritären Staat befördert – Einzug in die Gesellschaft erhalten hat, bleibt auf der Oberfläche; er polarisiert die Gesellschaft: Auf der einen Seite treten Wohlhabendere auf, die sich die westlichen Standards und mit diesen auch die Freizügigkeiten leisten können. Das schafft Neid und schürt auch Haß. Auf der anderen Seite kommen viele nicht mit. Das gesellschaftliche Klima und die verzweifelte wirtschaftliche Lage treibt viele zu den islamischen Vereinigungen – weniger aus Religiosität, immer öfter aus schlicht materiellen Gründen. In der Schicht junger und mittelloser Frauen wächst die Zahl der Verschleierten besonders schnell. Der Anschluß an eine islamische Vereinigung löse viele Probleme, schreibt die ägyptische Schriftstellerin Salwa Bakr: Er befreit vom Konsumdruck. Eine junge Frau, die sich die moderne Kleidung nicht leisten kann, vermag sich unter einen preisgünstigen Schleier zu flüchten. Das Kleiderproblem ist damit in wirtschaftlicher Hinsicht gelöst, aber unter dem Schleier stechen die autoritären Normen der Religion noch tiefer ins Herz. Auch die Heirat ist für Mitglieder islamischer Vereinigungen preisgünstiger, wenn überhaupt erst möglich, da die teure Mitgift entfällt. Andere mittellose Mädchen können aus materiellen Gründen überhaupt nicht heiraten. Mit dem Schleier kommt also auch der Sex, aber zu welchem Preis? Die Jugend in Ägypten müßte gegen das Dreieck aus elterlicher, religiöser und staatlicher Autorität rebellieren. Aber der Schritt dahin erscheint zu groß. So steht der Gesellschaft vermutlich noch etwas bevor, das einem das Fürchten lehren kann. Wenn Mubarak und mit ihm sein Regime einmal weichen muß, könnte die Stunde nicht der Demokratie, sondern des islamistischen Staates schlagen. Kontext:
Erschienen in Ossietzky 15/2005 |
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