Den Aufsatz kommentieren Terrorismus und Krieg sind Barbareivon Utz Anhalt (sopos) Der Kampf gegen den Terrorismus ist ein Kampf auch gegen den Terrorismus, der dafür verantwortlich ist, daß die 200 reichsten Männer der Welt ein Vermögen haben, das das Bruttosozialprodukt der 40 ärmsten Länder übersteigt. Eine Politik gegen den Terrorismus ist eine Politik gegen den Terror der Ökonomie. Momentan scheint ein sogenannter Vergeltungsschlag unmittelbar bevorzustehen. Unter Mißachtung des Grundgesetzes haben die Politiker von Opposition und Bundesregierung ihren Einsatz versichert. Es wird sich um einen mittel- bis langfristigen Krieg handeln, der in den betroffenen Staaten ein Inferno hinterlassen dürfte, das mit dem von New York zumindest vergleichbar ist. Das enthält der Begriff Vergeltung. Die Bilder sind mehr als bekannt: weinende Kinder schreien nach ihren ermordeten Eltern, Menschen werden vermißt, letzte Grüße sind über Handy zu hören. Die religiös handelnden Terroristen von New York unterschieden nicht zwischen dem Symbol, das sie angriffen und dem Leben von konkreten Menschen. George W. Bush denkt leider in einer ähnlichen religiösen und symbolischen Logik wie viele Fanatiker, die sich religiös gebärden. Er spricht von Vergeltung. Es ist aber nicht möglich, Vergeltung zu üben, ohne Unschuldige zu treffen. Auch die Mörder von New York betrachteten ihren faschistischen Terror als Rache an dem, was die USA ihnen oder den Menschen in Ländern mit mehrheitlich islamischer Religion angetan hätten. Sie betrachteten die Ermordung von Tausenden als legitime Rache für die, wie sie meinten, Demütigung ihrer, das heißt islamischen Kultur. Der Fanatismus von Menschen, sich selbst und andere durch das Feuer zu vernichten, ist eine Folge der materiellen Hoffnungslosigkeit, nicht einer angeborenen Mentalität. Unermeßliches Leid ist in vielen Ländern der Welt an der Tagesordnung. Nun hat der Terror - oder genauer gesagt, die Realität: 40.000 Menschen sterben in diesem Weltwirtschaftssystem täglich an Hunger und an Krankheiten - den scheinbar virtuellen Kapitalismus der USA erreicht. Diejenigen, die in Ruanda Opfer von mörderischen Banden geworden sind, die irakische Zivilbevölkerung, die durch die Folgen des Krieges um Öl hunderttausendfache Grausamkeit erleiden mußte, fordern wie die Menschen in New York im Unterschied zu den Kriegshetzern in der US-Regierung nicht Rache an den Tätern, sondern Gerechtigkeit. Den Opfern von Terrorismus und Krieg ist es egal, ob sie durch ein zu einer Bombe umfunktioniertes Flugzeug ermordet werden oder durch Splitterbomben der NATO. Das Leben eines Zivilisten in New York ist genauso wertvoll wie das Leben eines Zivilisten im Kosovo, in Afghanistan oder anderswo auf der Welt. Mit dem Mittel des Krieges den Terror bekämpfen zu wollen, hieße den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Solange in diesem Weltwirtschaftssystem Milliarden von Menschen in Armut, Hunger und Tod getrieben werden, wird es einen Nährboden für terroristische Verführer geben. Nur eine Politik, die für den Menschen in der sog. Dritten Welt eine Perspektive bietet und ihnen ein menschenwürdiges Leben ermöglicht, stellt die Basis für Frieden dar. Die soziale und materielle Sicherheit ist die einzige Garantie gegen Terrorismus. Der Kampf gegen den Terrorismus ist ein Kampf auch gegen den Terrorismus, der dafür verantwortlich ist, daß die 200 reichsten Männer der Welt ein Vermögen haben, das das Bruttosozialprodukt der 40 ärmsten Länder übersteigt. Eine Politik gegen den Terrorismus ist eine Politik gegen den Terror der Ökonomie. Menschenrechte sind unteilbar. Krieg ist Terrorismus. Ökonomische Gewalt ist Terror. Kapitalistische Gewalt ist ein Nährboden des Terrors. Es kann nicht darum gehen, auf dem Pro- und Contra der Kriegsführung innerhalb der Logik der Gewalt zu argumentieren, vielmehr muß es darum gehen, Alternativen zu den mörderischen Konsequenzen der Neuen Weltordnung aufzuzeigen. Denkbar wären unabhängige international tätige Organisationen, die in Konfliktzonen zivile und soziale Strukturen verankern und verteidigen können, die die Armut, dem Nährboden des Terrors, entgegenstehen könnten. Notwendig ist aber auch eine grundlegende Änderung des bestehenden Weltwirtschaftssystems, welches dazu geführt hat, daß die 380 reichsten Milliardäre soviel Vermögen besitzen wie eine Milliarde Menschen zusammen. Die beste Terrorismusbekämpfung besteht darin, mit einem Bruchteil der 1000 Milliarden US-Dollar, die weltweit jährlich in Rüstung investiert werden, lokale und regionale Basisprojekte zu fördern, soziokulturelle Stabilität zu schaffen, die Zerstörung von sozialen Zusammenhängen und der nichtmenschlichen Natur aufzuhalten und zurückzudrängen. Eine glaubwürdige Antwort auf den Terror der islamischen Faschisten kann nicht im Gegenterror bestehen - der selbst wiederum nur Terror nach sich ziehen würde -, sondern im multikulturellen und sozialen Dialog. Dieser könnte in den Ländern der sog. Dritten Welt die Kräfte stärken, die an einer antimilitaristischen, einer demokratischen und einer sozialen Emanzipation arbeiten. Sicherheit für die Menschen im Westen und in der sog. Dritten Welt kann nur durch zivile Konfliktlösungen und eine antimilitaristische Weltinnenpolitik geschaffen werden, die den vermeintlich oder wirklich Anderen in seiner Andersartigkeit gleichberechtigt respektiert und dieses Andere nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung wahrnimmt. Eine Politik, die die Menschen auf der ganzen Welt wirksam vor Terror und Krieg schützen möchte, müßte ihr Waffenarsenal drastisch reduzieren und die soziale Infrastruktur stärken, sie müßte gerade die Freiheit, die Selbstbestimmung jedes Einzelnen durch gesellschaftliche Freiräume, durch Bildung und Wohlstand ermöglichen. Auch das Völkerrecht erkennt diese Zusammenhänge. Nach dem geltenden Völkerrecht hat ein Staat wie jedes Individuum das Recht auf Selbstverteidigung, mehr aber auch nicht. Alles, was über die konkrete Bestrafung der Mörder von New York und somit über eine konkrete Vermeidung der Gefährdung der USA hinausgehen würde, wäre vom Völkerrecht nicht gedeckt, wäre Mord. Wir stehen nicht vor dem Konflikt Zivilisation und Barbarei - kein Staat der Welt hat in der Vergangenheit keine Grausamkeiten begangen -, es ist kein Konflikt zwischen Gut und Böse, sondern zwischen Reich und Arm. Solange drei Viertel der Weltbevölkerung von einem Viertel ausgebeutet werden, solange Menschen aus der sog. Dritten Welt in neokolonialistischer Manier als minderwertig betrachtet und gedemütigt, in ihrer Menschenwürde verletzt und geschändet werden, solange wird der Haß und die mit ihm verbundene Logik des Terrors und Krieges einen Nährboden finden. Friedenspolitik stabilisiert Gesellschaften, Kriegspolitik zerstört sie. Die Religionsstifter, von denen heute so oft die Rede ist, Jesus Christus und Mohammed, sahen Terrorismus und Krieg als Mißachtung ihrer Ethik und als Frevel an. Für beide waren Gerechte nur diejenigen, die Hungrigen zu essen gaben, Durstigen zu trinken und Fremden Obdach. Der monumentale Kampf des Guten gegen das Böse, den Bush ausruft, ist eine Abkehr von den humanen Grundsätzen des Christentums, die besagen: "Wer das Schwert nimmt, der wird durch das Schwert umkommen." In der Geschichte des Islam erkannte Mohammed die Gleichberechtigung des Anderen, indem er Jesus Christus als Verkünder der Worte Gottes mit einschloß. Diese einfache Botschaft wurde aber noch von keinem Staat der Welt eingelöst. Wer redet denn heute von der demokratischen Opposition in Afghanistan, von den kritischen Stimmen in den USA, die die Kriegspolitik ihres Landes im letzten Jahrhundert und heute verurteilen, wer redet denn heute von denen, die sich in Deutschland im zweiten Weltkrieg für ihre Menschlichkeit und gegen die Befehle ihrer Generäle gewandt haben? Wer redet denn von den amerikanischen GIs, die vor fast zehn Jahren im Krieg um die Ölquellen Kuwaits sich geweigert haben, auf ihre Brüder zu schießen? Wer redet von der israelischen Friedensbewegung? Wer redet von den Muslimen und den Christen, die Flüchtlinge aufgenommen und vor der Abschiebung in Folter und Tod geschützt haben? Wer redet davon, daß Christentum nicht nur Kreuzzug, sondern auch Gleichheit aller Menschen bedeutet? Wer redet davon, daß Dschihad nicht Krieg, sondern sich bemühen, ein ethisch verantwortungsbewußtes Leben zu führen, bedeutet? Wer redet davon, daß der Gruß der Moslems Friede sei mit dir heißt? Antimilitaristische und friedenssichernde Politik bewährt sich gerade in kriegerischen und friedenszerstörenden Zeiten wie diesen. Die Menschen in der Welt haben aber ein Recht auf den Sieg der Vernunft über die Logik der Friedhöfe. "Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!" lautete die Losung derer, die unter Einsatz ihres Lebens gegen Nazi-Deutschland kämpften. Ihr Kampf darf nicht vergebens gewesen sein. Kontext:
sopos 10/2001 | ||||||
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