Eine neue Partei muss soziale Bewegung zum Ausdruck bringen.
von Arno Klönne.
Eine neue Partei, die der Sozialdemontage der informellen großen Koalition
von Grün-Rot-Schwarz-Gelb entgegentritt, die sich mit der Entdemokratisierung
des Politiksystems nicht abfindet, die dem deutsch-europäischen militärischen
Interventionismus widerspricht? Die Diskussion darüber ist auf unerwartete
Weise öffentlich geworden.
Wer nicht der Meinung zuneigt, Parlamente und Wahlen seien völlig funktionslos
geworden, kann es nur nützlich finden, dass über wählbare Alternativen
(nicht nur) zu Rot-Grün laut nachgedacht wird.
Der Linken ist nicht damit geholfen, dass immer mehr Menschen sich aus
jeder Teilnahme am formellen Politikbetrieb verabschieden. Allerdings: Wahlen
sind nur eine Methode, um sich politisch einzumischen. Es wäre ganz falsch,
wenn die Debatte über eine neue Partei davon ablenken würde, dass
andere Formen politischen Engagements, zum Teil gerade erst wieder entdeckt,
zu nutzen und weiterzuentwickeln sind: außerparlamentarische Aktionen
und Bündnisse, Initiativen für direkte Demokratie (Bürgerbegehren
und Abstimmungen), solide Infrastrukturen für politische Debatten und
Verabredungen abseits der Parteipolitik.
Wahlauftritte haben nur Sinn, wenn sie soziale Bewegung zum Ausdruck
bringen. Parteistrukturen sind nur dann vor Entdemokratisierung einigermaßen
geschützt, wenn sie in Anregung und Kritik außerparlamentarischer
Akteure einbezogen sind.
Ein Wandel in der parteipolitischen Landschaft lässt sich nicht durch
einen "Linken Generalstab" zu Wege bringen, und er wird sich nicht
als "Abspaltung" von der SPD ergeben, dafür ist diese Partei,
was das Soziale und das Demokratische angeht, längst zu sehr ausgezehrt.
Ebenso wenig ist eine wählbare Alternative als Nebenprodukt gewerkschaftlicher
Organisationstätigkeit zu erwarten. Wenn der Vorsitzende des Deutschen
Gewerkschaftsbundes Michael Sommer beim Kongress des Arbeitnehmerflügels
der SPD den Eindruck erweckt hat, von den Gewerkschaftsspitzen sei in dieser
Sache so oder so alles abhängig – um dann für das "Drinbleiben
oder Reingehen" zugunsten der SPD zu plädieren, so hat er damit zwar
Bedürfnisse der Medien erfüllt, aber die gesellschaftliche Realität
nicht beachtet.
Die Gewerkschaften selber haben nur eine Zukunft, wenn sie mehr Demokratie
in der eigenen Organisationswelt entwickeln und sich darauf einlassen,
dass ihre Mitglieder selbst denken und entscheiden können.
In der etwas gespensterhaften Berichterstattung der Massenmedien über
Parteigründungspläne wird die übliche Personalisierung betrieben:
Steckt Jürgen Peters von der Gewerkschaft IG Metall hinter dem Projekt,
wie denkt der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di Frank Bsirske
darüber, ist vielleicht (nach den Landtagswahlen an der Saar) der ehemalige
SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine interessiert und wird PDS-Mann Gregor Gysi
mitmachen?
Das ist Fallenstellerei, denn auf diese Weise wird die Debatte gefangen
genommen in einem Politikverständnis, das dem derzeit herrschenden Machtspiel
verhaftet bleibt.
Demgegenüber ist klarzustellen: Über die Chancen einer Wahlalternative
auf Bundesebene zu reden, lohnt nur dann, wenn die Fixierung auf Stellvertreterpolitik
durchbrochen wird. Versuche dieser Art laufen an. Beispielsweise gründen
sich derzeit lokale, parteienunabhängige linke Initiativen für die
Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen. Selbstverständlich garantiert die
Berufung auf basisdemokratische Ideen noch nicht, dass der Weg zu einer undemokratischen
Partei wirklich vermieden wird.
Die Geschichte der Grünen bietet dafür ein Lehrstück, und der
Ex-Sponti Joschka Fischer lässt grüßen. Der beim Volke weit
verbreitete Verdacht, dass Parlamentarier und Profipolitiker dazu neigen, Statuserhalt
zum obersten politischen Ziel zu machen, ist nicht so banal wie er klingt.
Also muss man sich vorbeugend mit dieser Frage beschäftigen. Kurzum: Wahlpolitische
Alternativen haben sich nicht nur mit den Inhalten, sondern auch mit den Formen
von Politik auseinanderzusetzen.
Im Diskurs linker Gruppen liegt, wenn von einer parteipolitischen Neugründung
die Rede ist, der Gedanke an historische Fälle nahe: USPD, SAP und so
weiter.
Und schon drängt sich auch Resignation auf: Am Ende landeten die Reste
solcher Verselbstständigungen wieder in der SPD als "Volkspartei".
Die Geschichte der Parteibildungen in der einstigen deutschen Arbeiterbewegung
kann hier nicht erörtert werden, aber festzustellen ist: Solche historischen
Vergleiche sagen heutzutage nichts mehr aus.
Ein wesentlicher Grund für ihre Untauglichkeit: Die Sozialdemokratie selbst
hat ihre Geschichte längst hinter sich gelassen. Der Kapitalismus allerdings
hat überlebt, und er zeigt sich in aller seiner Energie. Es ist nicht
so, dass nur kleinste Minderheiten an den kapitalistischen Zuständen etwas
auszusetzen hätten, sie werden auch hierzulande für immer mehr Menschen
zum Ärgernis.
Da lässt sich vieles tun, auch neu beginnen.
Arno Klönne ist Professor für Soziologie und Autor zahlreicher Bücher,
unter anderem der "Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung".