Den Aufsatz kommentieren Der angeschlagene RieseDer Krieg der USA gegen den Irak ist politisch-ökonomisch betrachtet ein Rückzugsgefechtvon Gregor Kritidis (sopos)Selbst wenn es den USA gelingen sollte, den irakischen
Widerstand zu brechen und eine Marionettenregierung in Bagdad zu installieren
- dieser Krieg wird allenfalls dazu führen, den relativen Niedergang der
USA als vorherrschende Weltmacht zu bremsen, verhindern wird er ihn nicht. Dafür sprechen eine Reihe von Indizien: Im Vorfeld des Krieges waren die US-Regierung und ihre Verbündeten mit einer unerwartet breiten Opposition konfrontiert. Diese setzte sich aus unterschiedlichen Kräften zusammen, die in ihrer Opposition gegen die US-Außenpolitik zusammenwirkten. Zum einen positionierte sich im Gegensatz zu den Kriegen gegen Jugoslawien und Afghanistan die deutsche Regierung gegen einen Angriffskrieg auf den Irak und stärkte dadurch entscheidend die Front der wichtigsten US-kritischen Regierungen Frankreich, Rußland und China. Die diplomatischen Bemühungen der Regierung Bush, ihre einseitige Aggression auch noch durch den UN-Sicherheitsrat absegnen zu lassen, geriet infolgedessen zu einem diplomatischen Desaster ersten Ranges. Selbst bürgerliche Medien in der westlichen Welt kritisierten unerwartet scharf die plumpen Versuche der Bush-Administration, mit Fälschungen, Drohungen und Erpressungen eine Mehrheit für einen Krieg gegen den Irak zusammen zu bekommen. Zum anderen geriet die "Koalition der Willigen" durch die weltweit erstarkte Antikriegsbewegung auch in ihren eigenen Ländern erheblich unter Druck. Diese Opposition, so unterschiedlich sie auch motiviert ist, verweist auf tieferliegende Verwerfungen in den bisherigen internationalen Kräfteverhältnissen. Keinesfalls kann der Alleingang der USA als ein Zeichen ihrer Allmacht gewertet werden. Im Gegenteil, sowohl die Aggressivität der Bush-Administration als auch der weltweite Widerstand gegen den Irak-Krieg sollten als Schwäche der politischen und sozialen Eliten in den USA gewertet werden. Ein untrügliches Indiz dafür ist der relative Niedergang der US-Wirtschaft, wie er sich in der Handelsbilanz der USA niedergeschlagen hat. André Gunder Frank und Emmanuel Todd haben auf diesen Umstand hingewiesen:[1] Das Handelsbilanzdefizit der USA beträgt mittlerweile ca. 400 Milliarden US-Dollar im Jahr,[2] d.h. die USA importieren in Dollar gerechnet mehr Waren als sie exportieren. Gegenüber wichtigen Handelspartnern wie China, Japan, der Europäischen Union und Mexico, aber auch gegenüber Staaten wie Israel, Rußland und der Ukraine weist der US-Handel eine negative Bilanz auf.[3] Selbst die ca. 15%ige Aufwertung des Euro gegenüber dem Dollar hat diesen Trend bisher nicht umkehren können, zumal die Abwertung vieler Währungen infolge der Wirtschaftkrisen in Lateinamerika, Asien und Rußland weltwirtschaftlich faktisch zu einer Deflation geführt haben. Ausgeglichen wird dieses Ungleichgewicht bislang durch Kapitalzuflüsse in die USA, obwohl mittlerweile auch die US-Leistungsbilanz negativ geworden ist. Die Folge: Der Dollar ist massiv überbewertet, d.h. die Währungsrelationen decken sich immer weniger mit den wirtschaftlichen Austauschverhältnissen. Solange die Wirtschaft in den USA scheinbar dynamisch expandierte, wurden diese Ungleichgewichte von der Konjunktur und dem damit einhergehenden hypertrophen Börsenboom überlagert. Eine kapitalistische Wirtschaft kann jedoch schlechterdings nicht permanent wachsen: "Man kann nicht ewig Maschinen produzieren, ohne irgendwann einmal Güter des Endverbrauchs herzustellen".[4] Bislang hing die US-Konjunktur an der Verschuldung vieler Konsumenten und Unternehmen in den USA, denen suggeriert wurde, man sei in eine Phase krisenfreien Wachstums übergegangen. Begünstigt wurde diese Überschuldung durch eine Politik niedriger Zinsen, die Kredite in einem selten dagewesenen Maße verbilligte. "Das ganze Instrumentarium kapitalistischer Wirtschaftspolitik (...) ist letzten Endes ein Versuch, die Kette, die die kapitalistische Produktion an den Massenkonsum bindet und damit dem Profitsystem gefährliche Grenzen setzt, so lang wie möglich zu machen".[5] Die USA, genauer gesagt der US-Konsum (auch der staatliche, etwa in Form von Rüstungsausgaben), fungierten weltwirtschaftlich als eine Art "Cosumer in last resort" (Frank). Dank der scheinbar unversiegbaren Kapitalzuflüsse - eine Folge der unangefochtenen Stellung des Dollars als zentrales Tauschmittel - gelang es den USA, einen Teil des weltweit produzierten Reichtums abzuschöpfen. Im Gegenzug garantierten die USA politisch und militärisch die Kapitalakkumulation. Diese Politik muß irgendwann notwendigerweise an ein Ende kommen, da selbst der Dollar per Kreditschöpfung und Notenpresse nicht beliebig vermehrt werden kann, ohne seine Stellung als Weltgeld zu untergraben. Der relative Niedergang der US-Wirtschaft in den 90er Jahren - Frank spricht in diesem Zusammenhang von einem Papiertiger - hat nun die Fundamente der internationalen Stellung der USA unterhöhlt. In der gegenwärtigen Krise, gekennzeichnet durch die Vernichtung von Geldkapital an den Börsen einerseits und einem Verfall der Dollar-Preise infolge der Absatzkrise andererseits, wird deutlich, daß die Kapitalakkumulation an eine (vorläufige) Grenze gestoßen ist. Die Welt der Reichen erstickt an ihrem Reichtum, während anderswo die Menschen am Mangel des Lebensnotwendigsten verrecken. Der Irak hat 2000 seinen Ölhandel von Dollar auf Euro umgestellt, Nordkorea seinen gesamten Außenhandel, und der Iran droht, dasselbe zu tun. Die US-Administration versucht mit allen Mitteln, sich diesem Niedergang entgegenzustemmen und eine Abwertung der Geldvermögen zu verhindern bzw. die Kosten derselben auf andere abzuwälzen. Entscheidende Bedeutung kommt dabei dem militärischen Apparat zu: Solange die USA glaubwürdig den Eindruck aufrecht erhalten können, ohne ihre weltweite Präsenz sei das Weltwirtschaftssystem nicht zu sichern, bleibt auch das Vertrauen in den Dollar erhalten. Nach dem 11. September verfolgte die US-Administration daher eine Politik des "theatralischen Mikromilitarismus" (Todd), wobei sie mit ihren überlegenen Truppen schwache Gegner ins Visier nehmen. Diese Gegner sind jedoch alles andere als zufällig gewählt: Der Irak hat 2000 seinen Ölhandel von Dollar auf Euro umgestellt, Nordkorea seinen gesamten Außenhandel, und der Iran droht, dasselbe zu tun[6] - ein Hinweis darauf, was sich hinter der Parole von der "Achse des Bösen" tatsächlich verbirgt. Ökonomisch mag das mehr eine symbolische Bedeutung haben - politisch markieren solche Entscheidungen den zunehmenden Einfluß der EU. Der Krieg gegen den Irak ist vor diesem Hintergrund als Mittel im Konkurrenzkampf gegen die EU zu werten, die nicht nur den größten einheitlichen Wirtschaftsraum bildet, sondern mit dem Euro auch über eine potentielle Alternative zum Dollar verfügt. Die EU, das sei am Rande erwähnt, ist wirtschaftlich in weit größerem Maße vom Öl aus dem nahen Osten abhängig als die USA, d.h. die USA verfügen mit einer Kontrolle der nahöstlichen Ölproduktion über ein wichtiges Faustpfand in der globalen Konkurrenz. Der Waffengang am Golf ist eine deutliche Warnung an alle diejenigen Staaten, die sich dem Einfluß der USA zu entziehen trachten. Sollte sich der Feldzug gegen den Irak relativ kurz gestalten und sollte die Besatzung problemlos gestaltet werden können, könnten die USA ihre Position zunächst behaupten; bei längerer Kriegsdauer ginge die Sache aus Sicht der USA nach hinten los: Ähnlich der Abwertung des Dollars Anfang der 70er Jahre, als infolge der Kosten des Vietnam-Krieges der Goldstandard aufgegeben werden mußte, wäre ein deutlicher Wertverfall der US-Währung und eine Verschärfung der ökonomischen Lage die Folge. Aus Sicht der sozialen und politischen Eliten in Europa wäre das eine durchaus zweischneidige Entwicklung: eine Zuspitzung der politischen und sozialen Krise infolge einer langanhaltenden wirtschaftlichen Stagnation oder gar einer tiefen Rezession würde auch ihre ohnehin schwache innenpolitische Position untergraben. Die Konsolidierung der "Antiglobalisierungsbewegung" und die Manifestationen gegen den Krieg lassen zumindest die Möglichkeit einer breiten, systemoppositionellen Strömung aufscheinen. Die Vordenker eines neuen Etatismus wie Todd wissen, wie brüchig der soziale Kitt geworden ist, und daß den kanibalistischen Tendenzen des "freien" Marktes eine Schranke gesetzt werden muß. Anderfalls könnte sich die Prophezeiung von Keynes - bezogen auf die politischen und sozialen Eliten - bewahrheiten: "In the long run, we are all dead". Anmerkungen:[1] André Gunder Frank,
Die USA als Papiertiger. In: Wildcat-Sondernummer zum Irak-Krieg. Köln und
Potsdam 2003, S. 31-37. Emmanuel Todd, Weltmacht USA. Ein Nachruf. München
2003. Vgl. auch: Michael Schneider, Oh, Moon of Alabama. In. Freitag vom 23. März
2003. Kontext:
sopos 4/2003 | |||
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