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Solange man wehrlose Länder durch Abwurf von Bomben verwüstete, ohne die eigenen Soldaten ernster Gefahr auszusetzen, blieb Krieg ein Medienereignis, das als spektakuläres kollektives Erfolgserlebnis die Sonn- und Feiertage einer an Gewaltdarstellungen gewöhnten Nation verschönte. Für alle, die an die guten Zwecke dieser jahrzehntelangen Militäraktionen in aller Welt glaubten, kamen die Anschläge vom 11.September 2001 "aus heiterem Himmel". Und deshalb glaubte Präsident Bush mit der Zustimmung seiner Landsleute rechnen zu können, wenn er in seiner Fernsehansprache vom 18. März 2003 behauptete: "Die Vereinigten Staaten und andere Nationen haben nichts getan, um diese Bedrohung zu verdienen oder dazu einzuladen." Er versprach: "Anstatt der Tragödie entgegenzutreiben, werden wir einen Kurs in Richtung Sicherheit einschlagen... Die USA haben die souveräne Autorität, Gewalt einzusetzen, um ihre eigene nationale Sicherheit zu garantieren." Der Mann, der das verkündete, stand und steht im Banne eines Geschichtsbildes, das sich nicht auf die heutige Situation übertragen läßt. Bush ist kein zweiter Roosevelt, der Hitler besiegen half. Und Saddam Hussein ist kein zweiter Hitler, der im März 2003 nur durch Waffengewalt davon abzuhalten war, Terrorakte zu verüben. Darum wissen die Völker der arabischen Welt dem selbsternannten Befreier offensichtlich keinen Dank für diesen militärischen Überfall auf ein zur Selbstentwaffnung bereites Land. Der in gewaltigen Demonstrationen in vielen Ländern sichtbar werdende Haß auf Bushs Amerika wird seinen Amerikanern nicht mehr Sicherheit, sondern ein Mehr an Verwundbarkeit bringen. Die amerikanische Fernsehnation ist enttäuscht und erschrocken über die Bilder von getöteten und gefangenen amerikanischen Soldaten - Bilder, die neben den Gefühlen der Nation auch das kollektive Denken nicht unberührt lassen werden. Man beginnt zu begreifen, daß ein Krieg mit Einsatz eigener Bodentruppen auch für die amerikanischen und englischen Soldaten Gefahren mit sich bringt, die man aus den bisherigen, in erster Linie mit Bomben und weittragenden Geschützen und Raketen geführten Kriegen nicht kannte. Was der amerikanische Präsident eben noch den irakischen Soldaten im Bewußtsein der eigenen Unverwundbarkeit ankündigte, daß nämlich niemand sich auf gegebene Befehle werde berufen können (Originalton Bush in seiner Fernsehansprache vom 18. März: "Kriegsverbrecher werden bestraft werden, und es wird keine Verteidigung sein, zu sagen: ›Ich habe nur Befehle ausgeführt‹"), droht nun auf die eigenen Soldaten zurückzuschlagen. Sie werden gefragt werden, warum sie völkerrechtswidrigen Befehlen gefolgt sind, und können nur auf eine Toleranz des Kriegsgegners hoffen, die ihr Präsident irakischen Soldaten ausdrücklich verweigert hat. Als Bilder der ersten gefangen genommenen amerikanischen Soldaten gezeigt wurden, fiel Kriegsminister Rumsfeld spontan das Völkerrecht ein, auf das er bisher gepfiffen hatte. Er behauptete, die Genfer Konvention verbiete eine solche Abbildung von Kriegsgefangenen (was in dieser Allgemeinheit nicht stimmt). Der Mann wußte also, daß es eine Regel des Völkerrechts gibt, Kriegsgefangene vor Gewalt, Beleidigung und Neugier zu schützen, eine Regel, an die sich seine Regierung noch nie gehalten hat. In der selben Sendung des Fernsehens wurden amerikanische Aufnahmen von irakischen Kriegsgefangenen hinter Stacheldraht gezeigt. Und auch die Fotos von gefesselten und mit verbundenen Augen zum Knien gezwungenen Gefangenen in Guantanamo sind noch nicht vergessen. Die Berufung auf das Völkerrecht nimmt sich im Munde eines Politikers, der für den völkerrechtswidrigen Angriff auf Irak Mitverantwortung trägt, einigermaßen erstaunlich aus. Eben glaubte die US-Regierung noch im Gefühl eigener Unverwundbarkeit nach dem Recht des Stärkeren verfahren zu können, ohne sich um die in jahrzehntelangen Bemühungen der zivilisierten Staaten geschaffenen internationalen Mindestregeln einer humanitären Weltordnung kümmern zu müssen. Jetzt zwingen die ersten im Fernsehen gezeigten amerikanischen Gefangenen einen Exponenten dieser verantwortungslosen Politik dazu, seine bisherige Wurstigkeit beim Umgang mit Völkerrecht und Menschenrechten jedenfalls dann aufzugeben, wenn es um die eigenen Soldaten geht. Der Freiburger Völkerrechtler Kai Ambos nannte Rumsfelds Empfindlichkeit eine "Ironie der Geschichte" und fügte hinzu: "Selbst die mächtigen USA können dieses Recht manchmal brauchen." Freilich wird Rumsfeld lernen müssen, daß Kriegsvölkerrecht nicht nur für den Stärkeren, sondern für beide Seiten eines bewaffneten Konflikts gilt und daß sich auch eine Weltmacht wie die USA dem Recht beugen muß, wenn sie dessen Anwendung auch auf eigene Staatsbürger wünscht. Daß von gefangenen Soldaten der angreifenden Militärmächte Bilder gezeigt werden, wird bald Bushs und Rumsfelds geringste Sorge sein. Sie tragen Verantwortung dafür, daß ein paar hunderttausend amerikanischen Soldaten befohlen worden ist, einen völkerrechtswidrigen Krieg zu führen, und daß sie gewärtigen müssen, als Kriegsverbrecher behandelt zu werden, wenn sie in Feindeshand geraten. Wie werden irakische Soldaten mit Kriegsgefangenen verfahren? Wie wird die über zerstörte Wohnhäuser und getötete Zivilisten erbitterte Bevölkerung mit amerikanischen Soldaten umgehen, deren sie habhaft wird? Die Herren, die eine neue Weltordnung auf militärische Gewalt gründen wollten, können nur hoffen, daß die Iraker rechtstreuer sind als sie. Den amerikanischen Soldaten muß es wie Schuppen von den Augen gefallen sein, als die Bevölkerung sie nicht, wie von der Propaganda vorausgesagt, mit Blumen empfing. Mitte März hatte US-Vizepräsident Cheney ihnen noch weismachen wollen: "Saddam Hussein ist so unpopulär, daß uns die Iraker als Befreier begrüßen werden." Auch das Fernsehpublikum wartet noch vergebens auf die den Befreiern zujubelnden Iraker. Sie jubeln über abgeschossene US-Hubschrauber. Bilder, die der Fernsehnation ins Herz schneiden. Bushs Amerika wird sich auch mit der Vorstellung vertraut machen müssen, daß gefangene Amerikaner am weiteren Schicksal der überfallenen Nation zwangsläufig teilnehmen. Amerikanische Bomben und Raketen werden nicht nur irakische Zivilisten, sondern auch Kriegsgefangene gefährden. In belagerten Städten werden nicht nur Iraker hungern und dursten, sondern auch amerikanische Soldaten. Man versteht, weshalb Rumsfeld Wert darauf legen mußte, daß Bilder von gefangenen Amerikanern aus dem Fernsehen verschwinden. Sie hätten der Fernsehnation die Freude an manchen mit Feuer und Rauch geschmückten Erfolgsmeldungen vergällt. Die für diesen Krieg Verantwortlichen werden sich auch einem neuen Bewußtsein ihrer Soldaten gegenübersehen. Diese erfahren zum ersten Mal, was es heißt, "dem Tod ins Auge zu blicken", wie ein oft zitiertes Klischee lautet. Und zwar nicht nur dem eigenen Tod, sondern auch dem des Feindes. Heutige amerikanische Soldaten kannten das Töten im Kriege bisher nur als das Abwerfen von Bomben aus großer Höhe oder das Abschießen von Raketen auf ferne Ziele. Was sie mit ihren Waffen am Ziel anrichteten, blieb ihren Augen verborgen. In der pazifistischen Diskussion der 50er und 60er Jahre kannten wir den Begriff der "Distanztat", die das eigene Gewissen unberührt lassen kann, weil man ihren "Erfolg" nur in Form von Rauchwolken und Feuerbällen sieht. Schon damals hat es Menschen gegeben, die irgendwann erkannten, dass der von ihnen befehlsgemäß ausgeführte "Job", Bomben auf wehrlose Menschen abzuwerfen, ein Kriegsverbrechen war, das ihr Gewissen bis zur Unerträglichkeit belastete. Erinnert sei an den Briefwechsel, den der österreichische Philosoph Günther Anders mit einem der Hiroshima-Piloten geführt hat ("Off limits für das Gewissen"). Am 24. März stand ein ap-Bericht von Doug Mellgren in den Tageszeitungen, der so begann: "Sie haben es tausend Mal geübt, und doch hat es die jungen US-Soldaten dann in der Realität tief erschüttert: das Töten eines anderen Menschen im Kampf." In Tausenden von Kriegsdienstverweigerer-Verfahren ist diese jeden einigermaßen sensiblen Menschen zutiefst erschütternde Erfahrung des befehlsgemäßen soldatischen Tötens thematisiert worden. Da trafen immer wieder zwei grundsätzlich verschiedene Denkansätze aufeinander: die blutleeren Abstraktionen der Kriegsbefürworter, die hehre Kriegsziele formulieren und von Heldentum, Siegesgewißheit und Opferbereitschaft schwärmen, und im Gegensatz dazu die realistische Schilderung dessen, was im Kriege den Menschen, Tätern wie Opfern, zugefügt wird. Bisher sind Soldaten, die das Töten im Kriege als Gewissensbelastung empfinden, immer eine Minderheit gewesen. Aber die seelische Verwundbarkeit sensibler Menschen kann zum Problem für die auf dumpfe Befehlserfüller angewiesenen Kriegsführer werden. Denn auch Sensibilität kann ansteckend wirken. Und vielleicht gehört es zu den größten Ängsten der Herrschenden, daß die Verweigerung des befehlsgemäßen Tötens zur Massenerscheinung werden könnte, wenn den Menschen das Töten nahe geht. Wenn man die munteren Reden des Präsidenten hört, der den Krieg bis zum Endsieg weiterführen will (er spricht vom "totalen Sieg"), fallen einem Durchhalteparolen anderer Redner ein, über die die Geschichte ein vernichtendes Urteil gesprochen hat. Und man erinnert sich der historischen Erfahrung, daß Kriege nicht nur gewonnen, sondern auch verloren werden können - und daß mitunter beide Seiten verlieren. In der arabischen Welt steht das Urteil über Bushs Krieg bereits fest. In arabischen Zeitungen war zu lesen: "Ein Sieg zum Preis von Massakern ist eine Niederlage. Die USA haben den Krieg schon verloren." Aber auch gegenüber der eigenen Bevölkerung sind der amerikanische Präsident und seine Lobbyisten verwundbar geworden. Verlorene Kriege enthalten den Keim für die Niederlage und Demaskierung bisher anerkannter Autoritäten gegenüber denen, die bisher an sie geglaubt haben. Es wäre nicht zum ersten Mal, daß die von ihren politischen und militärischen Führern zum Töten und Sterben auf die Schlachtfelder geführten Menschen angesichts des Ausgangs eines Krieges begreifen, daß der wahre Feind im eigenen Land steht. So war es 1917 in Rußland. Und auch in Deutschland war die Zeit reif für die Revolution, als der deutsche Kaiser 1918 ins Exil flüchtete. Auch der schmähliche Verlauf des Vietnamkrieges hat revolutionären Bewegungen in aller Welt Auftrieb gegeben. Aus verpaßten, verratenen und gescheiterten Revolutionen ist für die Zukunft einiges zu lernen. Ich gehöre nun mal zu denen, die nicht glauben können, daß die kapitalistische Globalisierung mit ihren für alle Menschen immer sichtbarer werdenden Folgen das letzte Wort der Geschichte sein sollte. In unbegreiflicher Verblendung gegenüber den wirklichen Weltproblemen ist wieder einmal ein Krieg vom Zaun gebrochen worden, dessen wahre Ziele zu den verkündeten in schreiendem Gegensatz stehen. Und wieder einmal besteht die Chance, daß die mit hochtönenden Freiheitsparolen verführten Menschen irgendwann begreifen, wozu sie mißbraucht worden sind. Und daß sie sich einer Herrschaft entledigen, die sich zynisch und verlogen über die wirklichen Interessen der Menschen und elementare Menschenrechte hinwegsetzt. Der Angriffskrieg gegen Irak wurde als das einzig mögliche Mittel zur Beseitigung einer Bedrohung für Amerika und die Welt angekündigt. Er wird das Gegenteil bewirken: ein Mehr an Verwundbarkeit für die Angreifer und vermutlich noch andere Veränderungen der Welt, die nicht im Kalkül der amerikanischen Weltherrschaftskandidaten liegen.
Erschienen in Ossietzky 7/2003 |
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