Den Aufsatz kommentieren Unsichtbares Theater um einen angekündigten KriegDer menschenverachtende Diktator Saddam Hussein hat eine Chance nicht gehabtvon Marcus Hawel (sopos)Dienstag, den 18. März 2003, 2.30 Uhr (MEZ) Mit einem Präventivkrieg bricht die US-Regierung das Völkerrecht. Sie hat kein Mandat dafür. Aber auch die Legitimierung eines Krieges durch die UNO würde diesen Krieg nicht gerecht machen. In seiner in Deutschland um 2 Uhr nachts live ausgestrahlten Rede erklärt der US-Präsident, George W. Bush, dem irakischen Diktator und damit auch der irakischen Bevölkerung, wie nicht anders erwartet, den Krieg. Eine Frist von 48 Stunden, in denen Saddam Hussein den Irak verlassen könnte, um einen Krieg, nicht aber einen Einmarsch der US-Streitkräfte abzuwenden, wird vermutlich Hussein unbeeindruckt lassen. Diese Frist dient denn auch mehr dazu, den noch im Irak befindlichen ausländischen Diplomaten und UNO-Inspektoren genügend Zeit zu geben, sich in Sicherheit zu begeben. Die 135 UNO-Waffeninspektoren haben gestern ihre Kontrollen abgebrochen und verlassen mit vielen Diplomaten aus den Botschaften in Bagdad innerhalb der nächsten 48 Stunden den Irak. Es gab bereits gestern dieses untrügliche Zeichen, daß ein Angriff der US-Streitkräfte & "willigen" friends in unmittelbare zeitliche Nähe gerückt ist. Es konnte sich nur noch um wenige Tage handeln. Gleichwohl ist der Krieg seit längerem schon längst im Gange. Denn seit Wochen fliegen Kampfjets über dem Irak Luftangriffe, um die irakische Luftabwehr systematisch auszuschalten und damit das Risiko einer bevorstehenden Bodenoffensive zu minimieren. Die US-Regierung hat die UNO-Diplomatie, den Irak mit friedlichen Mittel zur Entwaffnung zu zwingen, für gescheitert und damit für beendet erklärt. Man sei auch diese letzte "diplomatische Meile" geschritten, tönte es bemerkenswert scheinheilig. Aber niemand der Akteure macht sich Illusionen darüber, daß hier ein politisches Theater aufgeführt wurde. Bis zuletzt wird ein Schein der Verfahrensmäßigkeit aufrechterhalten, der längst kein Schein und keine Verfahrensmäßigkeit mehr ist. Das wissen die Kriegstreiber der Regierungen aus den USA, England und Spanien. Das wissen die vermeintlichen Kriegsgegner der Regierungen aus Frankreich, Rußland, China und Deutschland. Das weiß der Rest der Welt. Die Wirklichkeit ist kümmerlich. Hoffnungen in das Gremium des UNO-Sicherheitsrates zu legen, es könne darüber ein Krieg gegen den Irak verhindert werden, waren von Anfang unmöglich, denn die Junta um George W. Bush hatte ja keinen Zweifel daran gelassen, sie werde den Angriffsbefehl der US-Streitkräfte auch ohne UNO-Mandatierung erteilen, wozu sie sich vom US-Kongreß mit großer Mehrheit bereits am 11. Oktober 2002 ermächtigen ließ. Die Begründung klang so, als habe sich der amerikanische Präsident den Präventivkriegsgedanken des Preußen Otto von Bismarck zueigen gemacht. Der hatte sich seinerzeit auf Friedrich den Großen berufen und erklärt, daß in Zeiten, in denen das Reich von außen mit Krieg bedroht werde, ein Angriff nicht ruhig abgewartet werden dürfe: "In solchen Lagen ist es die Pflicht der Regierung und die Nation hat das Recht, von der Regierung zu fordern, daß, wenn wirklich Krieg nicht vermieden werden kann, dann die Regierung denjenigen Zeitpunkt wählt, ihn zu führen, wo er das Land, für die Nation mit den geringsten Opfern, mit den geringsten Gefahren geführt werden kann." (Otto von Bismarck zit. n. K. E. Jeismann: Das Problem des Präventivkriegs im europäischen Staatensystem mit besonderem Blick auf die Bismarck-Zeit, Freiburg/München 1957, S. 86f.) Mit einem Präventivkrieg bricht die US-Regierung das Völkerrecht. Sie hat kein Mandat dafür. Aber auch die Legitimierung eines Krieges durch die UNO würde diesen Krieg nicht gerecht machen. Seit den terroristischen Anschlägen vom 11. September 2001 fühlten sich die USA von einer sogenannten "Achse des Bösen" bedroht, von der Bush das erste Mal in einer Rede zur Lage der Nation am 29. Januar 2002 sprach und zu der neben Nordkorea auch der Iran und der Irak gehörten. Ein Zusammenhang mit dem Terrornetzwerk al-Kaida, das für die Anschläge vom 11. September verantwortlich gemacht wurde, konnte indes nicht nachgewiesen werden und darf auch als ziemlich unwahrscheinlich gelten. Die Gründe für einen Waffengang der USA gegen Saddam Hussein haben sich beinahe im zweiwöchentlichen Rhythmus gewechselt. Nachdem eine Verbindung zwischen dem irakischen Diktator und Usama Bin Laden nicht nachgewiesen werden konnte, sollte der Irak mit Krieg überzogen werden, weil Saddam Hussein die Weltgemeinschaft hinsichtlich seiner angeblichen versteckten Massenvernichtungswaffen, die er laut früherer UN-Resolution nicht besitzen darf, an der Nase herumführe. Am 8. November 2002 beschloß der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die von den USA und Großbritannien eingebrachte Resolution 1441. Diese Resolution, in der "ernste Konsequenzen" angedroht werden, falls die irakische Führungsclique nicht ihre Waffenarsenale offen lege und die vermeintlichen Massenvernichtungswaffen einschrotte, begriff die "Koalition der Willigen" bereits als ausreichende Legitimation für eine Kriegserklärung, falls der Irak ihr nicht nachkomme. Aber Saddam Hussein ließ bereits fünf Tage später verlautbaren, er werde die Resolution 1441 akzeptieren, die UNO-Waffeninspektoren ins Land lassen, ja sogar mit ihnen zusammenarbeiten. Weitere fünf Tage später reisten die ersten Inspektoren unter der Führung des Schweden Hans Blix und des Ägypters Mohammed Al-Baradei nach Bagdad. Während ihrer dreimonatigen Arbeit haben sie keine nennenswerten Verstöße gegen die Resolution 1441 feststellen können. Am 9. Januar 2003 legten Blix und Al-Baradei dem UNO-Sicherheitsrat ihren ersten, vorläufigen Bericht vor. Obwohl sie betonten, keinerlei Hinweise auf Massenvernichtungswaffen gefunden zu haben, warfen sie Saddam Hussein vor, nicht wirklich sämtliche Waffenprogramme offen gelegt zu haben. In ihrem umfassenden Bericht, den Blix und Al-Baradei am 27. Januar vorlegten, klagten sie eine bessere Zusammenarbeit mit dem Irak ein und forderten vom Sicherheitsrat zugleich mehr Zeit für intensivere Inspektionen, die ihnen von der US-amerikanischen Regierung nicht zugestanden werden mochte. George W. Bush erhöhte statt dessen den Druck gegen weitere diplomatische Bemühungen um eine friedliche Lösung des Irak-Konfliktes, indem er zusammen mit dem britischen Premier Tony Blair am 31. Januar verlautbaren ließ, die Zeit für eine diplomatische Lösung laufe langsam ab – es bliebe nur noch eine Frist von wenigen Wochen. Die deutsche und französische Regierung versuchte statt dessen dem Kriegskurs Steine in den Weg zu legen, nicht weil diese Regierungen so friedliebend sind, sondern weil ihre nationalen, d.h. wirtschaftlichen Interessen in der Region des Nahen Osten durch einen Krieg zunichte gemacht würden. Auch ging es um europäisches Selbstbehauptungsgerangel gegenüber den USA. Auch hatte Gerhard Schröder sich im Wahlkampf, insbesondere während seines Auftrittes in Goslar, mit seiner pazifistischen Rhetorik etwas zu weit aus dem Fenster gelehnt, um die Bundestagswahl zu gewinnen und konnte ohne Glaubwürdigkeitsverlust nicht mehr umschwenken. Wegen ihrer Verweigerungshaltung gegenüber den USA bekamen die Staaten Deutschland und Frankreich von US-Verteidigungsminister Rumsfeld das Etikett des "alten Europas" aufgepfropft, während die osteuropäischen Länder Polen, Ungarn und Tschechien wegen ihrer proamerikanischen Linie als "neues Europa" hochgelobt wurden. Am 5. Februar 2003 trug der US-Außenminister Colin Powell angeblich den Irak belastendes Material aus Geheimdienstquellen vor, mit dem Powell den Beweis führen wollte, daß die UNO-Waffeninspekteure seitens der irakischen Regierung getäuscht würden. "Wie viel Zeit braucht man, um zu erkennen, daß die Inspektionen nicht funktionieren?", frug er und hatte sich von der "Taube" zum "Falken" um 180 Grade gewandelt. Das fadenscheinige Material, das Powell vorlegte, aber taugte für keinen stichhaltigen Beweis. Als schließlich die Inspektoren wie die römischen Soldaten in Monty Pythons "Leben des Brian", die nach einer wiederholten Razzia einen Löffel gefunden hatten, Aluminiumröhren, die zur Herstellung von weitreichenden Raketen für ABC-Waffen geeignet seien, und leere Sprengköpfe für chemische Waffen fanden, waren dies für die US-Regierung die ersehnten Beweise, daß Hussein Massenvernichtungswaffen besitze. Aber genausowenig wie zehn leere Flaschen Wein schon zehn Mollis sind, so ist eine Aluminiumröhre noch keine ABC-Waffe und ein leerer Sprengkopf kein gefüllter chemischer Sprengsatz mit Reichweite. – Das interessierte die Clique um George W. Bush wenig, sie hatte ohnehin die Bringschuld von Beweisen umgedreht: die irakische Regierung müsse beweisen, daß sie keine Massenvernichtungswaffen besitze. Daß keine Massenvernichtungswaffen im Irak gefunden würden, sei ein Beweis dafür, daß Hussein diese versteckt halte. Auch der Fund von Raketen des Typs Al-Samud-2, die 150 Kilometer über der erlaubten Reichweite liegen würden, stellte keinen schwerwiegenden Verstoß gegen die UNO-Resolutionen dar. Am 1. März erklärte sich der Irak zudem bereit, die erwähnten Raketen zu zerstören. Hans Blix lobte sechs Tage später sogar die verbesserte Zusammenarbeit mit der irakischen Regierung, insbesondere die begonnene Zerstörung der Al-Samud-2-Raketen wertete er als "substantielle Abrüstungsmaßnahme". Für die Hardliner aus Washington, London und Madrid – die "Koalition der Willigen" – war dies kein Grund, von ihrem Kriegskurs abzulenken. Sie hatten am 24. Februar im UNO-Sicherheitsrat eine neue Resolution eingebracht, in der betont wurde, der Irak habe die Resolution 1441 "erheblich verletzt" und "es versäumt, die letzte ihm in der Resolution 1441 eingeräumte Chance zu ergreifen". Der Resolutionsentwurf sollte eine Grundlage für den bevorstehenden Krieg schaffen – er stellte den Versuch dar, den innenpolitisch wegen seines aggressiven Kriegskurs unter Druck geratenen britischen Premier Tony Blair wieder in eine stärke Position zu hieven. Aber eine Mehrheit für die nochmals überarbeitete Resolution, in der nun auch ein Ultimatum (17. März) an den Irak gestellt werden sollte, kam im Sicherheitsrat nicht zustande. Am 10. März kündigte die französische Regierung als ständiges Mitglied im Sicherheitsrat sogar an, von ihrem Veto-Recht Gebrauch zu machen. – So auch die russische Regierung. Am 17. März erklärte der US-Präsident die UNO-Diplomatie für beendet. Dem Krieg zur Entwaffnung und/oder Entmachtung Saddam Husseins stellt sich niemand mehr in den Weg. – Mit Ausnahme der weltweiten Friedensbewegung. Doch diese ist noch nicht präsent genug, um die Kriegstreiber nicht nur politisch unter Druck zu setzen, sondern auch zu Fall zu bringen. Colin Powell stellte ironisierend fest, er wisse nicht mehr, wie Saddam Hussein noch diplomatisch handeln könne. Hussein habe seine Chance gehabt und gründlich vertan. – Er könne nur noch das Land verlassen, um einen Krieg zu vermeiden. In diesem Fall würden die US-Truppen friedlich in Bagdad einmarschieren und ohne Krieg die Nachordnung gestalten. Aber der menschenverachtende Diktator Saddam Hussein – so sehr es auch für die irakische Bevölkerung begrüßenswert wäre, wenn er gestürzt würde oder freiwillig ginge – hat von vornherein keine Chance gehabt und sie deshalb auch gar nicht vertun können. – Der ehemalige amerikanische UN-Waffeninspekteur Scott Ritter äußerte in einem konkret-Interview: "Die UN-Waffeninspektoren hatten bis 1996 zwischen 90 und 95 Prozent der irakischen Programme für Massenvernichtungswaffen zerstört. Allein für das Atomwaffenprogramm müßte Bagdad Milliarden-Dollarbeträge investieren, um auf den Stand von 1991 zurückzukehren. Das würde entdeckt werden. Aber nicht alles Nuklearmaterial, das angeblich im Besitz des Iraks war, wurde gefunden. Material übrigens, dessen Existenz für uns nie gesichert war. Der IISS-Report geht jetzt einfach davon aus, daß Bagdad dieses Material noch hat. Und das gleiche gilt für die angeblichen chemischen und biologischen Waffen. Ich weiß genug von der Materie, um die Quellen zu kennen, die benutzt wurden. (...) Die angebliche Produktion des gefährlichsten Nervengifts VX in kristalliner Form haben wir nie beweisen können. Wir haben Tabun und Sarin gefunden. Beide Kampfstoffe verlieren selbst unter perfekten Lagerbedingungen in fünf Jahren ihre Wirkung. Wir haben die irakischen Tabun- und Sarinfabriken zerstört. Und selbst wenn es da einen nicht entdeckten Rest chemischer Waffen gab, wäre der heute wertlos. Das würde übrigens so ähnlich auch für biologische Kampfstoffe gelten." ("konkret", Heft 10/2002) Washington habe den Rauswurf der UN-Inspektionen im Jahre 1998 provoziert, sagt Scott Ritter: "Washington provozierte mit besonders aggressiven Inspektionen einen Konflikt, für den der Irak dann zur Strafe bombardiert wurde. Kein Wunder, daß Bagdad uns seitdem nur noch als außenpolitische Werkzeuge Amerikas betrachtete und die Inspektoren [zunächst; M.H.] nicht mehr ins Land zurück ließ." (ebd.) Kontext:
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