Den Aufsatz kommentieren Schleichende GermanisierungRezension zu Samuel Salzborns Studie "Heimatrecht und Volkstumskampf"von Marcus Hawel (sopos)Für die schwarz-gelbe Bundesregierung waren die Vertriebenenverbände Kultursoldaten, von denen sie ihre nationalen Interessen in Osteuropa optimal vertreten ließ. Die öffentliche Erinnerung an Flucht und Elend der Vertriebenen aus den ehemaligen ostdeutschen Gebieten war lange Zeit in der Bundesrepublik ein Tabu; schließlich ging es um eine Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen ohne revanchistische Aufrechnung von Leid und Schuld. Das Thema der Vertreibung, das in all den vergangenen Jahrzehnten von den innen- wie außenpolitisch sehr einflußreichen Vertriebenenverbänden warm gehalten wurde, ist in den letzten Wochen wieder richtig aufgelebt, weil sich erstmals auch von links-liberaler Seite des Themas angenommen wurde: Günter Grass schrieb ein populär gewordenes Buch über den Untergang der Wilhelm Gustloff. Der SPIEGEL, Focus, Stern behandelten daraufhin auf breiter Fläche das Thema Vertreibung. In den Debatten geht es oft so larmoyant und normalisierend zu, daß der aufmerksame Leser sich fragt, wessen gespenstischer Geist sich hier Bahn bricht. Denn parallel dazu, das sollte in einen Zusammenhang gesehen werden, wünschen sich die Vertriebenenverbände eine finanzielle Entschädigung der deutschen Vertriebenen, die allein für die den „Sudetendeutschen" zugefügten Verluste in die Billionen gehen würde, wenn es etwa nach dem Vorsitzenden der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Österreich, Gerhard Zeihsel, ginge. Für Tschechien zöge das gleich den mehrfachen Staatsbankrott nach sich. Den Vertriebenenverbänden aber geht es nicht nur ums Geld, sondern ebenso um die Wiedergewinnung des verlorenen Landes; dies natürlich für die Vertriebenen, vor allem aber für Deutschland. Die CDU-Abgeordnete und Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen (BdV), Erika Steinbach, stampfte genauso wie Zeihsel in diese Richtung anläßlich der Äußerung des tschechischen Ministerpräsidenten Milos Zeman, der sagte, die „Sudetendeutschen" seien Hitlers Fünfte Kolonne in der Tschechoslowakei und die Benes-Dekrete im Verhältnis dazu eine „milde Strafe" gewesen. Eine ideologiekritische Studie über „Heimatrecht und Volkstumskampf" der Vertriebenenverbände ist bereits im vergangenen Jahr im Offizin-Verlag erschienen; sie könnte den Umgang mit dem Thema der Vertreibung versachlichen helfen, um sich gegen Instrumentalisierung seitens revanchistischer Interessensgruppen zu verwahren. Samuel Salzborn hat zu dem Thema bereits einiges veröffentlicht und bewiesen, daß er sich auskennt. Daß die FAZ (27.11.2001) ausgerechnet Herbert Hupka die Studie rezensieren ließ und dieser Salzborn eine „tendenziöse Absicht" unterstellt, ist bezeichnend. – Es kann aber nur als Kompliment bewertet werden, wenn Hupka schreibt: „Es gibt kaum eine Äußerung von Sprechern der Landsmannschaften und den jeweiligen Präsidenten des Bundes der Vertriebenen, die nicht kritisch zerfetzt wird." Salzborn zeigt auf, wie sich die Vertriebenenverbände auf eine völkische Kulturpolitik eingestellt haben, um „Volksgruppenrechte" für eine vermeintliche „deutsche Minderheit" in den osteuropäischen Staaten auf der Ebene des Völkerrechts zu etablieren, nachdem im Zuge der osteuropäischen Transformation und der deutschen Einheit 1989/90 die Bundesrepublik mit den osteuropäischen Nachbarstaaten bilaterale Verträge abgeschlossen und damit die Grenze an der Oder-Neiße Linie verbindlich anerkannt hat. Zuvor hatten die Vertriebenenverbände noch von einem Großdeutschland geträumt, welches während des kalten Krieges aber niemals zu realisieren gewesen wäre. Exemplarisch zeigt Salzborn an Polen auf, wie sehr diese völkische Kulturpolitik immer noch darauf zielt, auf Umwegen, das „Ganze" Deutschlands wieder herzustellen. Die Vertriebenenverbände sorgen sich mit Rückgriff auf die Vergangenheit um die erfinderische Rekonstruktion einer „völkischen deutschen Minderheit", welche als völkerrechtlich anerkanntes Rechtssubjekt zum Bezugsobjekt der offiziellen Politik wird, um die Durchsetzung von nationalen Interessen durch Verweis auf die Existenz einer bevölkerungspolitischen Massenbasis und ihrer, mit denen der Bundesrepublik identischen Interessen legitimieren zu können. Solche Politik wird dann als vorsorgliche und verantwortungsvolle Friedenssicherung in Europa ausgegeben, die im Ergebnis aber den Konflikt absichtlich schürt, um ihn dann mit den Mitteln einer hegemonialen Kulturpolitik zu befrieden: Kulturkampf als Fortsetzung des völkischen Krieges mit anderen Mitteln. Das Scheitern der von den Nationalsozialisten intendierten Vorherrschaft in Europa wird somit nachträglich für Osteuropa teilweise relativiert. Salzborn hebt hier als bemerkenswert hervor, daß die Vertriebenenverbände das „Volksgruppenrecht" als Bestandteil des Völkerrechts zu etablieren versuchten, und er benennt das zutreffend als „Einfallstor der Irrationalität in die völkerrechtliche Jurisprudenz". Mit der allmählichen Umsetzung eines „Volksgruppenrechtes" auf nationalen und internationalen Ebenen wurde die rechtliche Vorraussetzung dafür geschaffen, einen völkischen Kampf um Hegemonie mit den Mitteln einer aggressiven Kulturpolitik in Osteuropa führen zu können, der von dem revanchistischen Alptraum getragen wird, daß die ehemaligen ostdeutschen Gebiete auch nach der verbindlichen Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze doch noch nicht verloren seien. – Die Folgen können verheerend sein, weil hier einer Ethnisierung des europäischen Kontinents Vorschub geleistet wird, die in einer völkisch-politischen Neuordnung Europas münden könnte und ein erhebliches Sicherheitsrisiko darstellt für den Fall, daß die politische Integration Europas scheitern sollte. Die Früchte dieser völkischen Kulturpolitik sind mittlerweile sehr weit fortgeschritten: die bevölkerungspolitische Massenbasis einer „deutschen Minderheit" in Polen hat sich in dem Zeitraum zwischen 1989 und 1998 kontinuierlich vergrößert – trotz der massiv angestiegenen Aussiedlerzahlen in den ersten Jahren nach 1989. Immer mehr polnische Staatsbürger haben sich zur deutschen Kultur bekannt und damit eine „deutsche Identität" angenommen. In dem ehemaligen Gebiet „Oberschlesiens" gibt es nunmehr ein weitverzweigtes, überraschend gut ausgebautes und mitgliederstarkes Netzwerk an politischen und kulturellen Deutschtumsverbänden und damit einen sehr hohen Organisationsgrad, der vor allem durch die Einführung von deutschsprachigen Zeitungen und Schulen zustande gekommen sei, so Salzborn. In vielen Regionen hat diese „deutsche Minderheit" auch auf Kommunalebene in Parlamenten und Regionalvertretungen erheblichen politischen Einfluß gewonnen. Der Sprache komme in diesem völkischen Kulturkampf eine sehr zentrale Funktion zu. Die wichtigste Eigenschaft der Sprache bestehe darin, so heißt es bei Benedict Anderson, auf den sich Salzborn bezieht, vorgestellte Gemeinschaften hervorzubringen, in denen besondere Solidaritätsgefühle vorherrschen. Der konstruktive, erfinderische Charakter, die Fiktivität, die schließlich einen realen Gehalt bekommt, kann in diesem Zusammenhang gar nicht oft genug betont werden, weil es der Kulturpolitik, die sich völkischer Mittel bedient, die legitimatorische Grundlage entzieht. Die massive Anstrengung, in Osteuropa eine deutsche Identitätskonstruktion zu manifestieren, hätte gewiß nicht in diesem Umfang und in diesem Ausmaß geschehen können, wenn es nicht eine bedeutende institutionelle Förderung der Vertriebenenverbände durch die Bundesregierung gegeben hätte, die sich allein für den Zeitraum von 1988 bis 1998 auf über 33 Millionen DM belief – hinzu kommt eine Projektmittelförderung in Höhe von etwa 68 Millionen DM, die den Vertriebenenverbänden in demselben Zeitraum vom deutschen Staat für eine „grenzüberschreitende Kulturarbeit", d.h. für ihre Arbeit im osteuropäischen Ausland zugute gekommen ist. Salzborn spricht deshalb von einer „finanziellen und ideellen Protektion" durch die Bundesregierung, was man auch an der engen Verbindung zwischen den Vertriebenenverbänden und hochrangigen CDU/CSU- und FDP-Politikern sehen kann, die mit Grußbotschaften und Festvorträgen auf Veranstaltungen der Vertriebenenverbände in Erscheinung treten. Indem also zwischen der schwarz-gelben Bundesregierung und den Vertriebenenverbänden eine enge Beziehung bestanden hat, die auf wesentliche Übereinstimmungen in der Außenpolitik und auf ein volkstumspolitisches Verständnis der deutschen Nation zurückgeht, sieht Salzborn in den Vertriebenenverbänden, die für eine Realisierung des „Rechts auf die Heimat" gekämpft haben, den verlängerten ideologischen Arm der deutschen Außenpolitik zur Wahrung und Unterstützung einer völkischen, kulturellen deutschen Identität in den von Deutschland nach 1945 abgetrennten Gebieten. Für diese Bundesregierung waren die Vertriebenenverbände „kulturelle Mittlerorganisationen" – man könnte auch zuspitzen: Kultursoldaten, von denen sie ihre nationalen Interessen auf der Ebene von Kulturpolitik optimal in den osteuropäischen Ländern vertreten ließ. Auf diese Weise hat sich diese konservative Bundesregierung hinsichtlich ihrer dubiosen Außenpolitik für Osteuropa aus der Schußlinie genommen, nicht aber aus der politischen Verantwortung. – Salzborn zeigt überzeugend auf, daß der Vorwurf, einen „völkischen Partikularismus" als außenpolitisches Konzept zu betreiben, nicht nur auf die Vertriebenenverbände, sondern auch auf die Bundesregierung zutrifft – zumindest für den für die Studie erhobenen Zeitraum. Mit dem rot-grünen Regierungswechsel 1998 bricht Salzborn seine Studie ab. Der gewählte Zeitraum von zehn Jahren mag sicher groß genug sein, um allgemein zutreffendes über Gehalt und Wandel der Politik der Vertriebenenverbände herauszufinden, und der Regierungswechsel im Herbst 1998 bietet sich auch als politische Zäsur an. Zu erwarten wäre, daß eine rot-grüne Bundesregierung eine grundlegend andere Außenpolitik gegenüber den osteuropäischen Staaten betreibt und folglich auch die enge Beziehung zwischen den Vertriebenenverbänden und der Bundesregierung aufgekündigt hat. Jedenfalls sollte man erwarten dürfen, daß die außenpolitischen Konzepte der Vertriebenenverbände nicht mehr mit der von rot-grün interpretierten Staatsräson in Einklang zu bringen sind. Kann man sich aber darauf verlassen, nach all dem, was in der ersten Amtsperiode von Gerhard Schröder vorgefallen ist? Nein, man kann es nicht, und so ist es ein wenig schade, daß Salzborn den untersuchten Zeitraum seiner Studie nicht noch auf wenigstens zwei weitere Jahre ausgedehnt hat. Die Studie hätte einen noch größeren Gebrauchswert bekommen. Für das Wahljahr 2002, in dem Bundeskanzler Gerhard Schröder von dem obersten Schutzpatron der Sudentendeutschen, Edmund Stoiber, herausgefordert wird, wäre es von besonderem Interesse herauszufinden, inwieweit die rot-grüne Bundesregierung zu diesem Thema tatsächlich eine wirkliche Alternative ist. Es ist schon verdächtig, daß Schröder seinen Staatsbesuch in Tschechien anläßlich der Äußerungen von Milos Zeman abgesagt hat und sich gegenüber den Vertriebenenverbänden auffällig zurückhält, um keine Konfrontation einzugehen. Literatur: Kontext:
sopos 4/2002 | ||||||||||||
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