Den Aufsatz kommentieren Lebendige VergangenheitDie Kontinuität von Deutschlands völkischer Balkan-Politikvon Matthias Küntzel Je näher die deutsche Außenpolitik der eigenen Leiche im Keller kommt, desto wirkungsvoller muß der Blick auf sie verwehrt werden. Geschichte freilich kehrt, je heftiger sie abgewiesen wird, desto traumwandlerischer zurück. Zufällig war mein Radio eingeschaltet, als der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Gernot Erler, im Deutschlandfunk zur Perspektive Mazedoniens und des Kosovo Stellung nahm. In Anbetracht des »albanischen Strebens nach Separation in Mazedonien und im Kosovo« müsse man »nach der Zukunft der Grenzen in dieser Region (fragen), ob sie eigentlich für uns unantastbar sind, oder ob man bereit wäre, diese zum großen Teil ja willkürlich gezogenen Grenzen in irgendeiner Weise, natürlich nach einem entsprechenden politischen Prozeß, zu verändern.« Schon der Inhalt dieser Worte bietet Zündstoff genug. Wer auf dem Balkan Grenzen infrage stellen und Staaten zerteilen will, schafft Präzedenzfälle und nimmt Kriege in Kauf. Nicht nur auf dem Balkan: Man stelle sich vor, Erler hätte so über die Revision der »willkürlich gezogenen« deutsch-polnischen Grenze oder über »das Streben nach Separation« der in der Türkei lebenden Kurden parliert. Mehr noch als der Inhalt erstaunte mich deshalb der nonchalante Gestus, mit welchem Erler das Programm der UÇK in die Sprache des durchschnittlichen Zuhörers übertrug sowie die Selbstverständlichkeit, mit der der Radiomoderator Erlers Revisionismus beipflichtete. Diese »Selbstverständlichkeit« ist das Rätsel, vor dem jede Kritik der deutschen Kosovo-Politik steht. Wird nicht jeder noch so provokante Vorstoß der deutschen Außenpolitik im stillschweigenden Einverständnis unterstützt? Offenkundig konnte Erler, als er die Neuordnung des Balkans empfahl, spezifische Gedankenformen im Bewußtsein seiner Zuhörer voraussetzen. Eines dieser Selbstverständlichkeits-Konstrukte lautet: »Es ging nicht anders.« Ob rückblickend Rudolf Scharpings Kriegsrhetorik und Joschka Fischers Hufeisenplan gerügt werden oder nicht: An der Prämisse, daß es zur Bombardierung Jugoslawiens keine Alternative gegeben habe, hält man fest. Warum muß jeder Anflug von Zweifel und die Ahnung, daß ausgerechnet unsere »Regierungslinke« an einem Kriegsverbrechen beteiligt gewesen sein könnte, aus dem Bewußtsein gedrängt werden? Weil jede andere Sicht Konsequenzen zeitigte, die nur eine kleine Minderheit zu tragen bereit ist: Nicht nur den Bruch mit Rot-Grün, sondern die grundsätzliche Infragestellung all dessen, für das man in Deutschland stolz sein und stolz bleiben will: Lernfähigkeit aus der Geschichte, Friedenswille und demokratisierte Öffentlichkeit. Die Rationalisierungen, die für das »Es ging nicht anders« nachgeschoben werden, sind demgegenüber zweitrangig und widersprechen sich oft selbst. So wird für die deutsche Kriegsbeteiligung sowohl der angebliche Völkermord eines Milosevics wie auch das angebliche Agieren der USA, die die »Submacht« Deutschland in diesen Krieg hineingezwungen habe, verantwortlich gemacht und eine eigenständige deutsche Rolle bei der Anbahnung dieses Krieges dementiert. Warum muß jeder Anflug von Zweifel und die Ahnung, daß ausgerechnet unsere »Regierungslinke« an einem Kriegsverbrechen beteiligt gewesen sein könnte, aus dem Bewußtsein gedrängt werden? Ganz von selbst funktioniert auch der anti-slawische Affekt, der sich am Beispiel des Kosovo als a priori-Sympathie für die albanische Sache manifestiert. Auch wer wenig von der Region weiß, hegt keinen Zweifel, daß den albanisch-sprachigen Jugoslawen ein unabhängiges Kosovo alsbald zuzugestehen sei: Als Fischer auf dem Höhepunkt der ersten Mazedonien-Krise die »albanische Frage« für »offen« erklärte, provozierte dieser Vorstoß hierzulande weder Irritation, noch Protest. Das wichtigste »Es-versteht-sich-von-selbst«-Konstrukt hat jedoch mit dem Verhältnis zum Nationalsozialismus zu tun: Die Gewißheit, daß im Kosovo zwischen alter Nazi-Politik und neuer deutscher Intervention nicht ein Spurenelement an Kontinuität besteht, ist Kernbestand der neudeutschen Identität. Bundeskanzler Schröder erklärte, die im Kosovo stationierten deutschen Soldaten trügen dazu bei, »historische Schuld und historisches Verbrechen, die im deutschen Namen begangen wurden, durch ein anderes Bild Deutschlands zu ersetzen«. Doch schon der logische Defekt der Schröderschen Formulierung - können Bilder Verbrechen »ersetzen«? - deutet die Bemühtheit dieser Prämisse an. Noch augenfälliger ist, daß sich die deutsche Öffentlichkeit in geradezu ohrenbetäubendes Schweigen hüllt, wenn es um die nationalsozialistische Herrschaft im Kosovo geht. Warum wurde über die kosovo-albanische SS-Division »Skanderbeg« bis heute kein Film gedreht und kein Essay verfaßt? Warum ist über die NS-Herrschaft im Kosovo so gut wie nichts bekannt? Das Kosovo und der NSWarum ist über die NS-Herrschaft im Kosovo so gut wie nichts bekannt? 1941 besetzte Deutschland Jugoslawien. Italien und Deutschland teilten das jugoslawische Kosovo in drei Besatzungszonen auf: Bulgarien bekam den an Mazedonien grenzenden Gebietsabschnitt zugesprochen. Deutschland sicherte sich die rohstoffreiche Gegend im Norden der Provinz, während der größte Teil des Kosovo unter italienische Kontrolle gelangte und im August 1941 mit dem italienisch beherrschten Albanien zu »Großalbanien« fusioniert wurde. Im September 1943 wurde Mussolini gestürzt und Großalbanien von deutschen Truppen besetzt. um die Landung der Alliierten an der albanischen Küste verhindern zu können, war man auf die Mithilfe albanischer Kollaborateure angewiesen. Die zuverlässigsten Verbündeten fanden die Nazis im Kosovo. »Dort wohnen die rassisch besten und politisch entschlossensten, soldatisch geeignetsten Elemente des albanischen Volkes«, schwärmte 1943 Hitlers Sonderbeauftragter für den Balkan, Hermann Neubacher. Von nun an war das Kosovo der Hebel der nazi-deutschen Albanienpolitik. Mit aktuell anmutenden Argumentationsmustern wurde seine Mehrheitsbevölkerung umbuhlt: »Die Deutschen erweckten den Eindruck«, schreibt der amerikanische Historiker B.J. Fischer, »daß erst jetzt, mit ihrer Ankunft, eine wirkliche Vereinigung des Kosovo mit Albanien erreicht würde (...) Die Deutschen versäumten es nicht, die Albaner darauf hinzuweisen, daß die Alliierten in Sachen Kosovo auffällig schweigsam gewesen sind - ein Hinweis auf deren Absicht, es erneut den Jugoslawen zurückzugeben - und daß die Alliierten weder eine albanische Exilregierung noch ein albanisches Exilkomitee anerkannt (...) haben.« Systematisch waschen deutsche Fachbücher das Besatzungsregime der Deutschen im Kosovo aus dem Blickwinkel albanischer Kollaborateure weiß. Während Italien noch versucht hatte, die antiserbischen Gewaltakte kosovo-albanischer Nationalisten in Schranken zu halten, ließ die deutsche Besatzungsmacht den Massakern an Serben freien Lauf. Noch im September 1943 wurde mit Berliner Unterstützung eine »Zweite Prizren-Liga« gebildet, deren Ziel »ein ethnisch reines Großalbanien« war. Die blutige Vertreibung der Serben fand unter deutscher Anleitung statt. Des weiteren rekrutierte die Wehrmacht ein Bataillon, das aus deutschfreundlichen Kosovo-Albanern bestand. Im Februar 1944 gab Hitler den Befehl, aus »diesem Bergvolk stolzer Waffenträger« (Neubacher) einen eigenständigen SS-Verband, die »SS-Division Skanderbeg« zu etablieren. Das Operationsgebiet dieser 6.500-köpfigen Division war das Kosovo, ihr Auftrag der »Schutz« des »ethnisch reinrassigen« Albaniens. Die außerordentliche Brutalität der Skanderbeg-Division, die die Deportation der Juden und Roma aus dem Kosovo organisierte und unzählige Gräuel gegen Serben verübte, ist vielfach belegt. Heute aber scheint das Großalbanien von 1941-44 kein Schreckgespenst, sondern eine Erinnerung, und nicht einmal die schlechteste, zu sein. »Nur unter deutscher Besatzung hatte sich der alte Wunsch eines Albaniens in seinen ethnischen Grenzen vorübergehend verwirklicht«, heißt es in einem rororo-Büchlein zum Kosovo-Krieg, und diese Beschönigung ist kein Einzelfall (T. Schmid (Hrsg.): Krieg im Kosovo, Reinbek 1999, S. 96). Systematisch waschen deutsche Fachbücher das Besatzungsregime der Deutschen im Kosovo aus dem Blickwinkel albanischer Kollaborateure weiß. Dem Zusammenhang zwischen dem damaligen und dem heutigen, ebenfalls »ethnisch gesäuberten« Kosovo wird so der Blick entzogen. Faschistische UtopienDabei sind die Kontinuitätslinien im kosovo-albanischen Nationalismus evident: Spätestens seit Titos Verfassungsänderung von 1974 hatten die Kosovo-Albaner sämtliche Rechte genossen und das gesamte »albanisierte« Kosovo kontrolliert. Dennoch hatte selbst unter diesen Bedingungen die Drangsalierung aller Nicht-Albaner für die nationalistischen Kosovo-Albaner Priorität. Deren Aufstand von 1981 orientierte sich an jenem Zwei-Punkte-Programm, das 1943/44 Realität gewesen war und albanisch-nationalistische Utopien bis heute zu beflügeln scheint: eine »ethnisch gesäuberte« Albanische Republik und die Vereinigung mit Albanien zur Bildung eines Großalbanien. Als vom späteren Bosnien-Krieg noch niemand etwas ahnte, wurde in den westlichen Medien die euphemistische Formel von der »ethnischen Säuberung« allein zur Charakterisierung des kosovo-albanischen Nationalismus genutzt. Bis heute werden die mazedonischen UÇK-Mitglieder in Anlehnung an das faschistische Schwarzhemden-Bataillon in eine schwarze Kluft gesteckt. Die ersten Sprengsätze für ein neues Großalbanien gingen im Februar 1996 hoch: Die UÇK überfiel fünf serbische Flüchtlingslager mit Bombenanschlägen. So begann, wie ein UÇK-Sprecher erklärte, »der Krieg für die Befreiung der Kosovo-Territorien, die von Serben, Makedonern und Montenegrinern okkupiert sind.« War es ein Zufall, daß schon diese erste Aktion die Handschrift der »SS-Division Skanderbeg« trug? Viele UÇK-Kader, so etwa ihr Gründer Adem Jashari, waren Kinder oder Enkel von Angehörigen jener SS-Division. Bis heute werden die mazedonischen UÇK-Mitglieder in Anlehnung an das faschistische Schwarzhemden-Bataillon in eine schwarze Kluft gesteckt. Ebenso wie einst der SS-Division Skanderbeg geht es heute auch der UÇK um eine Eigenstaatlichkeit, die alles, was vom völkischen Homogenitätsideal abweicht oder an die ehemalige serbische Herrschaft erinnert, ausrotten will. Beider Freiheits-Begriff ist am nationalsozialistischen »frei von« orientiert: Frei von Juden, frei von Roma, frei von Türken und mazedonischen Slawen. So ging die UÇK von Anbeginn in den von ihr »befreiten« Gebieten, sei es in Mazedonien, sei es im Kosovo mit mörderischer Gewalt gegen alle Serben, Roma, slawischen Mazedonier usw. vor. Dieses völkisch-faschistoide Gesellschaftsmodell ist das wichtigste Element, daß das historische »Großalbanien«-Projekt mit den Aktivitäten der UÇK verbindet und zugleich das Selbstverständnis-Konstrukt von der Diskontinuität zwischen Nazi-Zeit und Gegenwart im Kosovo dementiert. Um so zwingender drängt sich eine weitere Frage auf: Wie konnte ausgerechnet die UÇK während des Kosovo-Krieges zum Bündnispartner der NATO avancieren? Eine Antwort darauf gibt die Vorgeschichte des Kosovo-Krieges. Die SchlüsselentscheidungIm Sommer 1998 setzten fast alle Nato-Staaten noch auf eine Strategie, die der später in Mazedonien verfolgten Politik ähnlich war. So unterstützten die USA diskret den jugoslawischen Versuch, die UÇK militärisch zu zerreiben, um so die albanischen Nationalisten zu Kompromissen zu zwingen. Diese Versuche blieben jedoch zum Scheitern verurteilt, so lange die Waffen- und Rekrutenlieferungen an die UÇK via Albanien anhielten und der völkische Guerillakampf eskalierte. Schon damals stand - wie später in Mazedonien - die Frage der Unterbindung der Waffenlieferungen an die UÇK auf der Tagesordnung der internationalen Gemeinschaft. Der UN-Sicherheitsrat beschloß ein umfassendes Waffenembargo, das auf den Waffenschmuggel zugunsten der UÇK gemünzt war. Der damalige albanische Ministerpräsident und UÇK-Gegner Fatos Nano bat die Nato um Unterstützung bei der Unterbindung des Waffenschmuggels. Das völkisch-faschistoide Gesellschaftsmodell ist das wichtigste Element, daß das historische »Großalbanien«- Projekt mit den Aktivitäten der UÇK verbindet. Angesichts dieser Entwicklung schlug die UÇK Alarm und warnte davor, Nato-Truppen an der albanisch-serbischen Grenze zu stationieren, »weil wir dies als eine zweite Offensive gegen unsere Freiheit betrachten würden.« Während dies die Nato nicht beeindrucken konnte, positionierte sich jedoch die deutsche Bundesregierung an der Seite der UÇK: Gegen die militärische Unterbindung des Waffenschmuggels legte Deutschland sein Veto ein. »Natürlich muß man sich überlegen, ob man von der moralisch-ethischen Seite her die Kosovo-Albaner vom Kauf von Waffen zur Selbstverteidigung abhalten darf«, erläuterte dies der damalige Außenminister Klaus Kinkel. Während es im Sommer 1998 den USA noch um die richtige Methode der UÇK-Zerschlagung ging, stand Deutschland als einflußreiche Schutzmacht der UÇK schon auf der anderen Seite der Front. Damit stießen zwei sich widersprechende Zielvorstellungen aufeinander: Sollte die Nato ein Instrument gegen oder ein Hilfsmittel für die UÇK sein? Sollte sie es sich zur Aufgabe machen, die territoriale Ordnung auf dem Balkan zu erhalten? Oder sollte sie sich mit denen solidarisieren, die Serbien zu verkleinern suchten? Zwischen dem 28. Mai und dem 11. Juni 1998 traf die Nato jene Entscheidung zugunsten der UÇK, die alle späteren Eskalationen im Kosovo, in Mazedonien und im südlichen Serbien notwendig nach sich zog. Der deutsche Verteidigungsminister Rühe (»Das Problem Kosovo kann nicht gelöst werden, indem ich Truppen nach Albanien schicke, dort die Grenzen zum Kosovo dichtmache und so das Geschäft des Herrn Milosevic betreibe.«) hatte sich in der Nato-internen Auseinandersetzung durchgesetzt. Mit bloßer Schützenhilfe für die nationalistische Rebellen-Armee war es freilich nicht getan. Von Anfang an zielte die provokative Strategie der UÇK und ihrer deutschen Helfer darauf ab, die Nato in den Krieg gegen Milosevic hineinzuziehen. »So war der UÇK ... anvertraut worden«, enthüllte später die FAZ (28.3.2000), »daß es bei weniger als fünftausend Toten keine westliche Präsenz im Kosovo geben würde. Prompt verstärkten die Albaner ihre Angriffe auf die serbische Polizei, welche zu Vergeltungsschlägen gegen Zivilisten führen sollten. Dazu stellten sie Bilder von Massakern ins Internet und schickten Kinder vor die Kamera, welche von den Verbrechen erzählten.« Zu diesem Zeitpunkt saß die am stärksten auf Krieg drängende Kraft nicht in Washington, sondern in Bonn. Doch auch mit dem Drängen auf einen Nato-Einsatz war es nicht getan, denn es lag auf der Hand, daß der UN-Sicherheitsrat die Zustimmung dazu versagen würde. Bonn warf daher im Juni 1998 die Frage eines Kosovo-Kriegs auch ohne UN-Sicherheitsmandat auf, unter maßgeblicher Beteiligung der damaligen Opposition aus SPD und Grünen. Der ehemalige deutsche Brigadegeneral Heinz Loquai konstatiert: »In einer Zeit, als die anderen (Nato-)Mitgliedsländer noch nicht daran dachten, machte sich die deutsche Politik zu einer Speerspitze für einen direkten militärischen Einsatz im Kosovo.« Damit aber ist ein weiteres Selbstverständnis widerlegt: Die Lüge von einem Deutschland, das »gutwillig, überfordert, am Ende machtlos« (Die Zeit) in den Krieg gegen Jugoslawien hinein geschlittert sei. Die Tatsache, daß Deutschland in den Kosovo-Krieg keineswegs hineingezogen wurde, ist ebenso evident, wie der Umstand, daß erst das deutsche Eintreten für die UÇK deren Aufstieg zu einem Nato-Verbündeten ermöglicht hat. Doch hat die Bundesregierung nicht spätestens seit dem Beginn der Mazedonien-Krise Lernfähigkeit bewiesen und sich von der UÇK distanziert? Begeben wir uns zur Beantwortung dieser Frage nach Prizren, dem Hauptstandort der deutschen Besatzungskräfte im Kosovo. Unter deutscher BesatzungDie Tatsache, daß Deutschland in den Kosovo-Krieg keineswegs hineingezogen wurde, ist ebenso evident, wie der Umstand, daß erst das deutsche Eintreten für die UÇK deren Aufstieg zu einem Nato-Verbündeten ermöglicht hat. Täglich strahlt der in Prizren betriebene deutsche Soldatensender »Radio Andernach« in Nachahmung eines zwischen 1941 und 1944 vom deutschen Sender »Radio Belgrad« gepflegten Rituals zum Programmschluß den Wehrmachtsschlager »Lili Marleen« aus - eine Maßnahme, die die Deutschen sich nur dort erlauben können, wo einstmals ein Zentrum der Nazi-Kollaboration gewesen ist. Doch so unpassend ist diese Musikauswahl nicht: Zur alten Melodie und unter neuer deutscher Fahne wird seit dem Juni 1999 in Prizren der »Säuberungspolitik« der albanischen SS-Division nachgeeifert. Im krassen Gegensatz zu den Beschönigungen der Bundesregierung und ihrer medialen Nachbeter erhielt die UÇK in keiner anderen Besatzungszone des Kosovo ein vergleichbar großes Maß an Pogromfreiheit, wie in der deutschen. »In Prizren haben es die deutschen Soldaten den albanischen Kämpfern der Kosovo-Befreiungsarmee überlassen, das in der Stadt geltende Recht zu bestimmen, und damit die serbischen Familien ihrem Schicksal überlassen«, konstatierte der in Paris erscheinende Figaro. Die Herrschaft der UÇK über Prizren wurde auch von den Vereinten Nationen kritisiert: die Benennung des Bürgermeisters für Prizren durch die UÇK und die Duldung dieses Vorgangs durch die deutschen KFOR-Truppen sei illegal. Im Zusammenhang mit der Mazedonien-Krise wurde das terroristische Agieren der UÇK zwar auch in Berlin kritisiert. Zugleich aber wurde die Politik der stillen Beihilfe für die inzwischen als »Kosovo-Schutz-Korps« (TMK) getarnte UÇK fortgesetzt. »In Prizren weiß jedes Kind, daß die TMK die mazedonische UÇK unterstützt. Die meisten Waffen der dortigen Kämpfer kommen aus dem Kosovo«, erläutert KFOR-Mann Löbbering. Die Londoner Times bezeichnete die Nato-offiziell verbreitete Vorstellung, daß deutsche Soldaten im Kosovo die Grenze dichtmachen, als »weit hergeholt.« Eine weitere Spezifik der deutschen Kosovo-Politik kam bei Fischers Besuch Anfang April in Pristina zum Ausdruck. Als er mit dem UÇK-Chef (und heutigem TMK-Kommandeur) Agim Çeku konferierte, war stets die Abtrennung des Kosovo von Jugoslawien und dessen Unabhängigkeit im Gespräch. Im Prinzip scheint der deutsche Vizekanzler jener Unabhängigkeit in Pristina zugestimmt zu haben. Fischers Parteifreund Winni Nachtwei berichtete, man habe »die kosovo-albanischen Politiker zu mehr Geduld und Vernunft in ihrem Unabhängigkeitsbestreben gedrängt«. Erinnert nicht diese Ermunterung zum Unabhängigkeitskampf - Geduld und Vernunft sind lediglich eine Sache der Form - an die eingangs zitierte Plauderei von Gernot Erler, der mit größter Selbstverständlichkeit die »willkürlich gezogenen Grenzen« Jugoslawiens und vielleicht auch die von Mazedonien verändern will? Und doch ist angesichts der internationalen Widerstände gegen jede Grenzrevision die Politik der Bundesregierung doppelbödig angelegt: Während man sich nach außen mit allzu forschen Unabhängigkeits-Postulaten nicht den Mund verbrennen will, wird unterschwellig auf die Verschiebung der Grenzen und eine territoriale Beantwortung der »albanischen Frage« hingewirkt - gestützt auf eine deutsche Öffentlichkeit, der jener provokante Kurs als pure Selbstverständlichkeit erscheint. Wenn nunmehr also die eingangs genannten Selbstverständlichkeiten als fiktionale Gebilde überführt sind, mangelt es doch um so schmerzhafter an Verständlichkeit. Welche Ratio steckt hinter einer Politik, die sich wie die deutsche unter Bezug auf die »Menschenrechte« auf die Seite der UÇK schlägt, im Namen der Friedenssicherung auf einen Angriffskrieg drängt und hinter antifaschistischer Fassade die »ethnische Säuberung« des Kosovo toleriert? Zur Beantwortung dieser Frage ist zur Kenntlichmachung der deutschen Position ein Vergleich mit bestimmten Grundsätzen US-amerikanischer Politik sinnvoll. Von der völkischen Theorie ...»Als eine wohlhabende Status-Quo Macht sind die Vereinigten Staaten daran interessiert, die internationale Ordnung zu erhalten«, meinte 1999 der ehemalige stellvertretende US-amerikanische Verteidigungsminister Joseph S. Nye über die Zwecksetzung der US-amerikanischen Kosovo-Intervention. Dem Ansatz einer völkischen Selbstbestimmung wird folgerichtig eine Absage erteilt: »Die blinde Befürwortung von Selbstbestimmung hätte in einer Welt mit etwa 200 Staaten und Tausenden sich oftmals überlappenden Volksgruppen, die einen Anspruch auf Nationsgründung erheben könnten, äußerst problematische Konsequenzen.« Dieser Standpunkt folgt der geostrategischen Position der USA. Kein Land profitierte von der globalen Ordnung seit 1989/90 anfänglich mehr als die USA. Daraus resultiert bis heute das Interesse, die territoriale Ordnung im Wesentlichen so zu erhalten, wie sie ist. Im krassen Gegensatz zu den Beschönigungen der Bundesregierung und ihrer medialen Nachbeter erhielt die UÇK in keiner anderen Besatzungszone des Kosovo ein vergleichbar großes Maß an Pogromfreiheit, wie in der deutschen. Entgegengesetzt stellt die deutsche Priorität sich dar: Keine andere Nato-Macht entwickelte sich in den letzten Jahren so expansiv wie die deutsche, die den größten Nutzen aus dem Zusammenbruch des »Realen Sozialismus« zog. Aus dieser neuen und energisch ausgebauten Großmachtposition resultiert das Interesse, die vorhandenen territorialen Ordnungen in Europa aufzubrechen, um auf den Trümmern der Ordnung von Jalta und Versailles neue Einflußmöglichkeiten zu etablieren. Die Destabilisierung bestehender Staaten durch das völkische Konzept von »Selbstbestimmung« ist aus dieser Perspektive eine Chance. Es ist somit auch ein unterschiedliches Staatsverständnis, das die deutsche Position von der US-amerikanischen trennt. Gemäß dem deutsch-völkischen Ideal ist ein Staat nur dann »naturgemäß«, wenn er mit der Blutskategorie »Volk« zusammenfällt. Fischers Parole von der »offenen albanischen Frage« ist nicht auf den Staat Albanien und dessen Bewohner gemünzt, sondern auf die unterschiedlichen Staatsbürger albanischer Herkunft in Mazedonien (23% der Einwohner), in Montenegro (9%), im restlichen Serbien (1%), in Griechenland (0,5%) und im Kosovo. Es bedarf aber der völkischen Prämisse, um aus Menschen, die in verschiedenen Staaten unter unterschiedlichsten Bedingungen leben, ein gemeinsames »Volk« herbeizuphantasieren. Diese völkische Prämisse wird vorausgesetzt, wenn ein Sportreporter vor dem Fußballspiel BRD-Albanien die »zwei Millionen Kosovaren« und die »500.000 in Mazedonien lebenden Albaner« wie selbstverständlich zum Gegner zählt. Darüber hinaus setzt die völkische Ideologie eine bestimmte Vorstellung von Subjekt voraus. Das Individuum wird nicht als politisches Subjekt betrachtet, sondern durch seine »Abstammung« definiert. Jedwedes »Anderssein« wird als eigene Wesenseigenschaft wahrgenommen, die eine gemeinsame Staatsbürgerschaft erschwert. Von dieser spezifischen und in Deutschland nahezu unangefochtenen Interpretation der Subjekte und des Lebens macht die rot-grüne Außenpolitik unwissentlich-wissend Gebrauch. Innerhalb dieses ideologischen Rahmens erscheinen die einzelnen Etappenpunkte der deutschen Kosovopolitik in einem halbwegs rationalen Licht. ... zur sezessionistischen PraxisDer organisierte Separatismus der Kosovo-Albaner wurde von Deutschland seit Mitte der 90er Jahre mit allen erdenklichen Mitteln unterstützt. Mit der Umwandlung des Kosovo in ein Nato-Protektorat war die eigentliche Zielsetzung des deutschen Engagements - Lösung der »albanischen Frage« durch Sezession des Kosovo von Jugoslawien - aber noch nicht erreicht. Schon während des Krieges gegen Jugoslawien wurden die unterschiedlichen Zielsetzungen der Kriegspartner offenbar. So schloß US-Präsident Clinton im April 1999 ein unabhängiges Kosovo aus, da »ein moderner Staat seine Existenzberechtigung nicht mehr allein aus der Volkszugehörigkeit seiner Bürger ableiten könne« und der Balkan »nicht noch weiter in immer kleinere, rein ethnisch definierte unabhängige Staaten zersplittert werden« dürfe. Die Destabilisierung bestehender Staaten durch das völkische Konzept von »Selbstbestimmung« ist aus deutscher Perspektive eine Chance. Unter dem fraktionsübergreifenden Beifall des Bundestages formulierte der außenpolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, Karl Lamers, zum gleichen Zeitpunkt eine entgegengesetzte Position: »Das multi-ethnische Ex-Jugoslawien gab es nur unter Druck, also undemokratisch«, postulierte er und zeichnete als Gegenentwurf das Bild von einem »unabhängigen Kosovo als Zwischenschritt zu einem Anschluß an Albanien«, in welchem dann »mit Sicherheit kein Serbe mehr leben wolle.« Als im März 2001 die UÇK Mazedonien anzugreifen begann, witterte Lamers darin eine Chance. »Der Westen müsse das Aufbrechen der Konflikte in Mazedonien zum Anlaß für ein neues Gesamtkonzept nehmen«, forderte er. »Schreckgespenster wie 'Großalbanien'« seien »Ausdruck der Angst des Status-Quo-fixierten Westens vor Veränderung«. Der ideologische Kontrast zwischen Clinton und Lamers vermag die Unterschiedlichkeit der Vorgaben zu erklären, unter welchen die USA und Deutschland heute im Kosovo agieren. Während die USA wiederholt für Maßnahmen zur Rückführung der vertriebenen Serben in das Kosovo eingetreten sind, scheint für die deutsche Seite ein Kosovo, in dem »mit Sicherheit kein Serbe mehr leben wolle«, nicht unbedingt ein Problem zu sein. Zwar wurden allein am Bundeswehr-Standort Prizren fast alle 10.000 dort ehemals lebenden Serben erschlagen oder vertrieben, zwar waren die Roma der mörderischsten Verfolgung seit 1945 ausgesetzt und auch die letzte jüdische Gemeinde von Pristina wurde unter Gewaltandrohung verjagt. Dennoch wird diese »ethnische Säuberung« in Deutschland geradezu mit einem Siegel der Normalität versehen. Im Kosovo sei die Kriminalität nun geringer als in Moskau, rühmte Scharping. Der ehemalige deutsche KFOR-Kommandant Klaus Reinhardt gab sich hoch zufrieden: »Heute geht es in Prizren und Pristina wie in anderen westlichen Städten zu: Die Discos sind voll, die Leute sitzen auf den Boulevards und freuen sich, daß sie in Frieden leben können.« Eine Einschränkung machte der General aber doch: »Nur in den Zonen, wo die verschiedenen ethnischen Gruppen aufeinanderstoßen, sind die Spannungen noch groß.« Man könnte es auch so formulieren: Nur in Zonen und Ländern mit »ethnischer Reinheit« sind die Gefahrenpotenziale eliminiert und die Bewohner zufrieden. Modellregion Kosovo?Kann angesichts jenes rassistischen Substrats von einer Ratio der deutschen Kosovo-Politik überhaupt die Rede sein? Gewiß! »Wenn dies auch Tollheit ist, hat's doch Methode« könnte man mit Shakespeare sagen. Das Vorgehen der völkischen Politik wird mit Verve, mit Kompetenz und unter Verwendung eines hochmotivierten außenpolitischen Apparats betrieben. Auch wenn - wie schon bei der Anerkennung Kroatiens und Sloweniens - unmittelbare wirtschaftliche Interessen beim deutschen Kosovo-Engagement nicht zu erkennen sind, ist Deutschland in Europa ein militärischer Faktor geworden, was seinen Einfluß in Ost- und Südeuropa ebenso vergrößert, wie dieser Einfluß umgekehrt das deutsche Gewicht in den westeuropäischen Institutionen verstärkt und somit langfristig auch deutschen ökonomischen Interessen zu Gute kommt. Der Inhalt dieser Politik ist hingegen irrational: Dies gilt nicht nur für die »ethnischen«, d.h. rassistischen Vorstellungen von sich und den anderen, sondern ebenso für die »quasi-pathologische Wahrnehmung von Grenzen« (so die Pariser Germanistin Yvonne Bollmann), welche als »widernatürlich« (Rupert Scholz) oder »willkürlich« (Gernot Erler) abgetan werden, solange sie sich mit dem Territorium der betreffenden »Volksgruppe« nicht in Deckung befinden. Dieses barbarische Prinzip ist dabei als Exportprogramm konzipiert: der deutsche »Traum von Homogenität« (Emmanuel Todd), das unterschwellige Bedürfnis, am »völkischen« Wesen die Welt genesen zu lassen, ist keineswegs gestillt. Welche Staaten sollen dem jugoslawischen Schicksal folgen? Rumänien? Ungarn? Vielleicht auch Polen oder Belgien? Wenn der Kosovo-Krieg als »Beschleuniger der Geschichte« (Fischer) Deutschland schon heute einen Platz an der Sonne verschafft hat, so hat er auch den Schattenumriß ausgeweitet, den das völkische Element der deutschen Außenpolitik auf die künftigen Entwicklungen in Europa wirft. Die »Selbstverständlichkeit« aber, mit der die Öffentlichkeit in Deutschland dieses Regierungshandeln sich zu eigen macht, ist ein Rätsel, daß nicht gelöst, sondern lediglich dargestellt werden kann. Die Selbst-Hypnotisierung der Öffentlichkeit ist nicht nur in Deutschland evident. So wird auch in anderen Nato-Staaten die »alptraumhafte Umkehrung der normalen Begriffe« (S. Haffner) nicht zur Kenntnis genommen, die mit dem Versuch, Milosevic vor das Jugoslawien-Tribunal in Den Haag zu bringen, verbunden ist. Ist es nicht objektiv aberwitzig und historisch ohne Beispiel, daß die Angreifer den Staatschef des von ihnen völkerrechtswidrig bombardierten Landes, das keinen einzigen Schuß auf fremdes Territorium abgab, des Kriegsverbrechens bezichtigen und zur Aburteilung vorführen? Das Bild vom »Kriegstreiber Milosevic« erfüllt zuallererst eine sozialpsychologische Funktion: Die unleidliche Wahrheit des nicht-provozierten Angriffskriegs wird durch eine komfortable Wahnvorstellung - »der Auslöser war Milosevic« - korrigiert und so die Identifikation mit dem jeweiligen eigenen Staatswesen intakt gehalten. Macht und WahnDie »ethnische Säuberung« wird in Deutschland geradezu mit einem Siegel der Normalität versehen. Die massenpsychologische Tendenz, »sich Glücksversicherung und Leidensschutz durch wahnhafte Umbildung der Wirklichkeit zu schaffen« (S. Freud), ist in Deutschland freilich besonders ausgeprägt. Dies hat mit dem Ausmaß der NS-Verbrechen zu tun, welches mit einer Art Sonderbedarf an Entlastung korreliert. Die rot-grüne Regierung, die permanent den politischen und biographischen Bezug zu den Nazi-Verbrechen mit einer »Stolz auf Deutschland«-Datei zu überschreiben sucht, hat sich das Anliegen der Entlastung von Auschwitz unmittelbarer als jede andere Bundesregierung zu eigen gemacht. Gleichzeitig aber knüpft die deutsche Außenpolitik in der von Gerhard Schröder formulierten Absicht, »unbefangen und in gutem Sinne deutscher« zu agieren, unreflektiert wieder an spezifische Muster der nationalsozialistischen Außenpolitik an. Dieser Widerspruch äußert sich in auffälligen Paradoxien. So wird im Unterschied zu Großbritannien in Deutschland über die von der UÇK praktizierte Vertreibung der letzten jüdischen Gemeinde aus Pristina nicht gesprochen. Obwohl hier eine Kontinuitätslinie offen zutage liegt? Nein: Weil die historische Analogie so ins Auge fällt! Das große pluralistische Geschwafel, das im Gestus der absoluten Aufgeklärtheit die deutschen Gazetten und Kanäle füllt, weicht einem durchgängigen Schweigen, sofern der nationalsozialistische Hintergrund der aktuellen deutschen Albanienpolitik kenntlich zu werden droht. Je näher die deutsche Außenpolitik der eigenen Leiche im Keller kommt, desto wirkungsvoller muß der Blick auf sie verwehrt werden. Geschichte freilich kehrt, je heftiger sie abgewiesen wird, desto traumwandlerischer zurück. Dieser paradoxe Kontext war präsent, als Gernot Erler die Verschiebung der balkanischen Grenzen empfahl. Wie im Selbstlauf knüpft seine a priori-Sympathie für die »Albaner« und »Großalbanien« an das historische antiserbische Paradigma an. Da dieser Kontinuitätsaspekt tabuisiert wird, präsentiert sich die Anknüpfung an die Vergangenheit im Gestus der taufrisch anmutenden Unschuld. Die »Selbstverständlichkeit« aber, mit der das geschieht, ist keine Sonderform des »Verständlichen«, sondern dessen Gegenstück: das »Ohn-Verstand-liche«. Es ist die auf Entlastung von Auschwitz drängende Disposition, die ihre eigenen Selbstverständlichkeiten sich formt. Matthias Küntzel
veröffentlichte im letzten Jahr: »Der Weg in den
Krieg. Deutschland, die Nato und das Kosovo.« Der Artikel
ist die erheblich gekürzte Version eines Buchbeitrages,
der im November 2001 inklusive aller Zitatnachweise
veröffentlicht wird in: S. Jäger/J. Paul (Hrsg.),
»Diese Rechte ist immer noch Bestandteil unserer
Welt.« Aspekte einer neuen konservativen Revolution,
Duisburg 2001. Über MatKuentzel@aol.com ist die
Langfassung erhältlich. Kontext:
sopos 10/2001 | ||
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