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Zur Druckfassung Den Aufsatz kommentieren Haut den Lukas (Teil III)
Verfassungsbruch per Gesetz?
Der Streik der Gewerkschaft der Lokomotivführer ist ein Kampf um das Koalitions- und Streikrecht
In der Liste des Schreckens rangiert bei vielen bürgerlichen Medien das Mittel des Streiks kurz hinter dem des Kopfabschlagens: So gilt der Vorsitzende der Gewerkschaft der Lokomotivführer GDL, Klaus Weselsky, als "Buhmann der Nation" (WAZ v. 10.10.2014) und rangiert im öffentlichen Ansehen nur knapp hinter Wladimir Putin. Arbeitskämpfe im allgemeinen und Eisenbahnerstreiks im Besonderen sind für eine breite Mehrheit von Medienschaffenden derart unmoralisch, dass jedes Mittel der Diffamierung vertretbar erscheint. Selbst der Frankfurter Allgemeinen war dies zu viel des Guten; die öffentliche Debatte um den Streik der GDL, so das Frankfurter Blatt, bestehe vorrangig in GDL-Bashing.[1]
Diese mediale Kampfstimmung wurzelt in dem Umstand, dass es bei dem Tarifkonflikt zwischen der GDL und der Deutschen Bahn AG um weit mehr geht als um Lohnprozente und Arbeitsbedingungen. Angesichts der Tatsache, dass sich die Bundesregierung darauf festgelegt hat, mit einem Gesetz zur Tarifeinheit in die laufenden Konflikte und damit in die Tarifautonomie einzugreifen, handelt es sich um einen Verfassungskonflikt von weitreichender Bedeutung.
Ein Blick zurück erhellt die Konfliktlage: Seit den frühen 1950er Jahren gab es eine enge Kooperation der Eisenbahnergewerkschaften GDL, GdED (Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands) und der zum Beamtenbund gehörenden GDBA. Tarifforderungen sowie deren Umsetzung wurden abgestimmt mit dem Ziel eines einheitlichen Tarifvertrags für alle Mitarbeiter der Deutschen Bundesbahn. Erst als sich die Lokführer seit den 2000 Jahren immer weniger in den Tarifforderungen der in Transnet umbenannten GdED berücksichtigt fanden, zerbrach diese einheitliche Tarifpolitik. Die GDL sah sich angesichts der prekären Arbeitsbedingungen für das fahrende Personal und der äußerst ungünstigen Tarifabschlüssen dazu genötigt, eigenständige Tarifforderungen aufzustellen und diese auch mittels Streik gegen die Bahn-AG durchzusetzen.
Alle Versuche der Bahn-AG, die Lokführer mit Hilfe der Arbeitsgerichte an der Wahrnehmung ihrer Interessen zu hindern, scheiterte. Zwar konnte sich die GDL mit ihrer Forderung, für das gesamte fahrende Personal zu sprechen, 2007 nicht durchsetzen; mit der Forderung eines eigenständigen Tarifvertrags für die Lokführer hatte die GDL aufgrund ihres hohen Organisationsgrades und ihrer politischen Geschlossenheit jedoch Erfolg. De fakto und de jure mußte von Arbeitgebern, Gerichten und politischen Parteien die GDL als eigenständige Gewerkschaft akzeptiert werden.
2010 rückte schließlich der 10. Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom bisher in der Rechtsprechung vertretenen Grundsatz der Tarifeinheit – ein Betrieb, ein Tarifvertrag – ab. Damit zog das BAG die juristischen Konsequenzen aus den nicht nur bei der Bahn sehr heterogenen politisch-sozialen Kräfteverhältnissen in der Arbeitswelt und erklärte den Grundsatz der Tarifpluralität für maßgeblich[2] – frei nach dem Hegelschen Prinzip: Das Wirkliche ist auch vernüftig.
Diese Entscheidung bewegt sich auf Linie der besten bürgerlichen Rechtstradition: Das Prinzip des bürgerlichen Vertrages zwischen Warenbesitzern tendiert logisch dahin, auf alle gesellschaftlichen Bereiche übertragen zu werden. Der Zusammenschluß zu Vereinigungen und Interessenverbänden ist eine immanente Konsequenz der Vertragsfreiheit, die freilich im Falle der Gewerkschaften blutig gegen die Unternehmen und den Staat erkämpft werden mußte. Auf dieser Logik des freien Vertrages und des freien Zusammenschlusses basiert auch das Verbot der Zwangsarbeit, das Koalitionsrecht und die Tarifautonomie: Erstens darf niemand gezwungen werden, (Arbeits-)verträge abzuschließen, die ihm nicht zusagen. Zweitens darf jeder Verträge mit anderen eingehen, also beispielsweise die gleichzeitige Ablehnung von Arbeitsverträgen verabreden, d.h. streiken. Und drittens soll sich der Staat aus diesen Vertragsverhandlungen heraus halten, da er die Einhaltungen der Verträge real ohnehin nicht garantieren kann.
Diese Grundprinzipien gelten freilich nicht von allein. Insbesondere in Zeiten von Krise und Krieg gelang es den Gewerkschaften nicht, die Koalitionsfreiheit zu verteidigen. Die verfassungsrechtliche Sicherung des Streikrechts im Grundgesetz stellte daher einen Meilenstein für die Entwicklung der Gewerkschaftsbewegung in Deutschland dar. Die Basis dafür bildete der hohe Organisationsgrad, den die Gewerkschaften nach der Niederlage des Faschismus erreichen konnten – Theo Pirker sprach vom "Wunder der Organisation" – und der daraus resultierenden Streikfähigkeit. Dem Gründungskonsens der Bundesrepublik entsprach es, dass den Gewerkschaften nicht nur die Gestaltung der Arbeits- sondern auch die der Wirtschaftsbedingungen zugesprochen wurde.
Dass diese Rechte in den letzten 20 Jahren immer wieder in Frage gestellt worden sind, ist eine Konsequenz der Zersplitterung der lohnabhängig Beschäftigten, die von den neoliberalen Kräften zunehmend in die Defensive gedrängt worden sind. Vor allem diejenigen Teile der Lohnabhängigen, die wie die Lokführer oder die Flugbegleiter aufgrund ihrer Stellung im Produktionsprozess ein hohes Durchsetzungspotential haben, sind dieser Offensive entgegen getreten.
Wenn jetzt die Bundersegierung wie schon 2007 versucht, diesen Widerstand mit gesetzlichen Mitteln zu unterdrücken, ist Gefahr im Verzuge. Der Sache nach handelt es sich nicht nur um einen Angriff auf die GDL und die anderen Spartengewerkschaften, sondern auf die verfassungsmäßigen Rechte aller Lohnabhängigen. Im GG heißt es in Artikel 9 Abs. 3:
"Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig."
Der Vorstoß der Bundesregierung, das Streikrecht einzuschränken, ist mithin die Ankündigung eines offenen Verfassungsbruchs, der vor allem deshalb pikant ist, weil er von einem SPD-geführten Ministerium koordiniert wird. Die in diesem Zusammenhang vertretenen Behauptungen, "man könne das Streikrecht einschränken, ohne gegen die Verfassung zu verstoßen" oder "aus dem Koalitionsrecht resultiere das Streikrecht gar nicht" sind vollkommen abwegig. Die sozialdemokratische Verfassungsinterpretation seit den 1950er Jahren hat den zwingenden Zusammenhang von Koalitions- und Streikrecht immer betont, wie eine sozialdemokratische Ministerin wissen sollte.[3]
Das Vorgehen der Bundesregierung wird auch nicht dadurch besser, dass ihm Teile der Gewerkschaften anfänglich in Einheit mit den Arbeitgeberverbänden ihre Zustimmung gegeben haben. Erst durch die Intervention der ver.di und zahlreicher Basisgliederungen rückte die DGB-Spitze von der Idee ab, die "Tarifeinheit" per Gesetz erzwingen zu wollen.
Die Herstellung der Einheit der Lohnabhängigen ist die originäre Aufgabe der Lohnabhängigen und ihrer Organisationen selbst. Gesetzliche Zwangsmaßnahmen, die Teilen der Lohnabhängigen das Streikrecht nehmen, haben dagegen keine Einheit zur Folge und spielen den Unternehmern in die Hände, deren Interesse vor allem darin besteht, die sozialen und demokratischen Rechte der Mehrheit der Bevölkerung abzubauen oder ganz aufzuheben. Es ist die Aufgabe aller lohnabhängig Arbeitenden, diesen postdemokratischen Tendenzen entgegenzutreten und das Koalitionsrecht zu verteidigen. Jedes Recht ist nur so gut, wie es real auch von allen gebraucht werden kann. Die GDL hat daher allen Grund, ihre Existenz und damit die Allgemeingültigkeit des Koalitionsrechts mit den zu Gebote stehenden Mitteln zu verteidigen.
Am 5. November ging die erste Ausgabe der STREIKZEITUNG: JA zum GDL-Arbeitskampf – NEIN zum Tarifeinheitsgesetz in Druck. Darin werden alle Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen zur Solidarität mit dem GDL-Arbeitskampf aufgerufen. Weitere Informationen und Unterstützungmöglichkeiten bei Labournet
Anmerkungen
Kontext:
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