Den Aufsatz kommentieren Kerzenschein und Molotow-Cocktails – Zur Symbolgeschichte der brennenden Straßevon Utz Anhalt (sopos) Eine Bundestagsabgeordnete der Linkspartei soll gesagt haben, "die Straße brennt", wenn besagte Partei 51% der Stimmen bekommt. Damit, so ein Vorwurf, zeige sie ihr antidemokratisches Denken. Die kritische Intelligenz, sofern es sie in diesem Land geben sollte, ist gut beraten, sich nicht im Schlamm des Parteigeschäfts zu wälzen, sondern die politische und historische Wirklichkeit zu benennen.
Die gegenwärtige Uni-Besetzung in Wien richtet sich gegen unerträgliche Studienbedingungen, unter dem Titel "Die Uni brennt". Nun gehörten Slogans wie "Deutschland brennt", "Kreuzberg brennt, (Hannover-) Linden pennt", "Deutschland – Wir lieben dich brennend" zum Repertoire der außerparlamentarischen Opposition im Westen – vor dem Mauerfall. "Schule – wir lieben dich brennend", schrieben wir bei unserem Abi-Umzug. Die Parole von Linken "Feuer und Flamme für jeden Staat" war bewusst doppeldeutig und nur manchmal wörtlich zu verstehen – als Molotowcocktail. Historisch hat dieser Riss im Stalinismus "on the long run" die Revolution von 1989 möglich gemacht und gezeigt, dass "das Volk" die Sowjetversklavung keinesfalls guthieß. Ungarn blieb nach dem im Blut erstickten Freiheitskampf der Stachel im Fleisch der Ostblock-Diktaturen. Es ist kein Zufall, dass der Anfang vom Ende des Orwell-Kommunismus die Öffnung der Grenze zwischen Österreich und Ungarn war. Die Tradition von 1956 brachte 1989 den Stein ins Rollen: Der Molotow-Cocktail, die brennende Straße, ist ebenso ein Symbol der Befreiung wie die Kerzen der Bürgerrechtler in Leipzig. Das Diktum der politischen Protestbewegungen der 1980er Jahre im Westen hieß Gleichberechtigung der Aktionsformen. Das war eben keine Verherrlichung der Gewalt einerseits und ein "sich zur Schlachtbank treiben lassen" andererseits, sondern das historische Bewusstsein darüber, dass die soziale Bewegung der Menschen erfolgreich Widerstand gegen Staatsterrorismus leisten kann – selbst in den tiefsten Phasen der Verzweiflung. Und das mit Mitteln, die jedem zur Verfügung stehen: Glasflaschen, Putzlappen und Benzin. "Widerstand ist machbar, Herr Nachbar." Die "blühenden Landschaften" kamen bekanntlich nicht, stattdessen Arbeitslosigkeit für viele, während sich die alten Kader aus SED, Stasi, FDJ etc. in der neuen Herrschaft ihr Plätzchen an der Sonne suchten. Und als der Golf GTI ausblieb, richtete sich der Aufstand der Spießer gegen "die da unten". Es brannte nicht die Straße im Widerstand gegen die Panzer der Roten Armee wie in Ungarn, sondern es brannten die Flüchtlingsheime, angezündet vom autoritären Mob, der es sich zuvor im Gartenzwerg-Stalinismus gemütlich gemacht hatte. Der Molotow-Cocktail, das Symbol der Befreiung, bekam eine neue, eine entsetzliche Bedeutung. Ebenso, wie der Stalinismus den wundervollen Begriff Sozialismus, die Weiterentwicklung der indivduellen Bürgerrechte, entwürdigte, indem er nämlich die bürgerlichen Freiheitsrechte nicht verallgemeinerte, sondern vernichtete, ging es dem Molotow-Cocktail als Symbol. Die Lichterkette, die friedliche Kerze, als Symbol gegen den faschistischen Mob, blieb. Willkommen im Westen: Der Berliner Senat hatte die friedliche Revolution gegen den Terrorismus von Stasi-, SED- und FDJ beklatscht. Jetzt ließ er die seit der Wende von den Bewohnern selbst verwalteten Häuser der Ostberliner Mainzer Straße räumen. Das Gerücht von einem "Supermolli" machte die Runde und heizte die Staatsschergen zur Gewalt auf. Es handelte sich um eine Tage dauernde Schlacht mit extremer Polizeibrutalität. Stasis dürfte die Integration leicht gefallen sein – ihre sehr deutschen Fähigkeiten, Hetze und Denunziation, sind auch im Westen nicht unbekannt. Vom Feuer der Freiheit in den Herzen brennende Straßen sind keinesfalls antidemokratisch, sondern historisch der Kampf für Demokratie, für Menschenrechte und Freiheit – und das gegen Diktaturen jeglicher Coleur. Die Wählerklientel der Linkspartei im Osten ist hingegen nicht gerade für das Einklagen von Selbstbestimmung und Freiheitsrechten bekannt. "Helmut, gib uns Arbeit, gib uns Brot", oder im Original "Unser täglich Brot gib uns heute, lieber Gott" verweist eher darauf, was passieren könnte, wenn 51% der Menschen hierzulande die Linkspartei wählen würden. Papa Honecker, Papa Helmut, Papa Gott soll dem unmündigen Kind Futter geben – das eigene Leben selbstbestimmt zu gestalten, ist bestimmt nicht Mehrheitswunsch. Und, da der deutsche Radfahrer weiß, dass "eine anständige Tracht Prügel noch niemandem geschadet hat", dürften ihn Einschränkungen der Grundrechte kaum zum Protest ermutigen. Es braucht also niemand Angst zu haben: Die Straße wird wohl nicht in Flammen stehen, und die Kerzen, die auf der Straße brennen, um auch in Zukunft die Freiheitsrechte einzuklagen, dürften wohl wieder in den Händen weniger engagierter Bürgerrechtler leuchten. Die SED-Bonzen warnten damals vor "Rowdies" in der Leipziger Innenstadt, die Kerzenwachs ausgießen würden, auf dem die Leute ausrutschen. Das klingt lächerlich, und heute ist das natürlich alles ganz anders. Wirklich? In den Protestbewegungen der 1980er Jahre im Westen standen Menschen vor Gericht, weil sie Benzin, leere Flaschen und Stoff im Auto hatten. Damit, so die Begründung, lässt sich ein Molotow-Cocktail bauen. In Heiligendamm wurden Clowns angezeigt, weil sie "die Schleimhäute reizende Substanzen" auf Polizisten spritzten: Es handelte sich um Seifenblasen. Als solche entpuppen sich auch Diktaturen – Lächerlichkeiten, die allerdings tödlich sind. Kontext:
sopos 12/2009 | |||
|
This page is part of the Sozialistische Positionen
website <http://www.sopos.org>
Contents copyright © 2000-2007; all rights reserved. Maintained by webmaster@sopos.org |